Leben soll man!

Igor Kalinauskas
LEBEN SOLL MAN!

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Igor Kalinauskas: «Der Mensch ist für die Freude am Leben geschaffen». Mag sein, dass es sinnvoll ist nachzudenken, warum dieses Glück — zu leben — nur wenige empfinden? Wenn Sie nach geistigen Höhen streben oder einfach jeden Tag mit nicht gefälschtem Interesse und Freude erleben wollen, so wird Ihnen «die Schule des Spieles» einen neuen Blick auf die Welt offenbaren, unerwartete und manchmal paradoxe Antworten geben.
Es gibt die Möglichkeit nicht einfach nur kein Schräubchen der sozialen Maschinerie zu sein, sondern sein eigenes Leben in eine mitreissende fortwährende Handlung umzuwandeln. Es gibt die Chance, Herrscher seines eigenen Schicksals zu werden und darin solche Gesetze festzusetzen, die nur Sie gebrauchen können. Für Igor Kalinauskas ist diese Chance das Leben selbst. Es steht immer an erster Stelle, denn das ist die Hauptquelle, der Sinn und die Lehre, und die Aufgabe des Menschen ist sich dessen bewußt zu sein, das Leben zu lieben und es zu leiten.

Wie seltsam die Welt eingerichtet ist.
Wie leidenschaftlich

Erster Teil. Die Welt der Menschen
DER LEBENDIGE MENSCH
Ich fühle mich heute wie ein lebendiger Klassiker. Ich verstehe, dass eigentlich überhaupt nicht erscheinen sollte, dass ich nur störe. Aber bis jetzt lebe ich noch…
Ich beginne nicht zufällig mit diesem Halbscherz. Es existiert solch eine psychologische Einstellung: wenn es Bücher, Schüler, Anhänger, Verfolger gibt, wenn schon das Image sich gebildet hat, so sieht eigentlich der materielle Träger von all dem viel besser in Form eines Denkmals oder einer Fotografie aus. Warum? Bis man nicht selbst darauf stößt, denkt man auch nicht besonders darüber nach.
Eigentlich ist es sehr schwierig sich einen lebendigen Menschen vorzustellen. Und im wesentlichen ist es auch sehr schwer sich als einen lebendigen Menschen vorzustellen.
Jeder, der es versucht hat, weiß, wie schwer es ist. Die ganze Zeit will man mit sich selbst so handeln, wie wir mit anderen und mit der Welt meistens handeln – man benutzt Schubladendenken. Dabei ist es solch eine Schublade, in dem nur das untergebracht wird, was für uns persönlich annehmbar, uns verständlich ist, und unserer Weltanschauung, unseren Vorstellungen, unserem Wissen darüber, wie es sein soll, entspricht.
Dem Menschen fällt es schwer ohne dieses Schubladendenken wie im Bezug auf den ihn umgebenden Raum, so auch in Bezug auf sich selbst, und um so mehr — in Bezug auf einen anderen Menschen — umzugehen.
Es ist eben dieses Thema, das wir bedingt-provisorisch Psychopathologie des alltäglichen Lebens nennen. Ich meine nicht den medizinischen Aspekt. Es handelt von der Schwierigkeit, den Menschen lebendig wahrzunehmen.
Lasst uns dann unsere Forschung gerade mit dieser Frage beginnen: warum fällt es dem Menschen so schwer, sich in der ganzen Fülle, der Widersprüchlichkeit und der Veränderlichkeit, sprich lebendig wahrzunehmen?
In vielen geistigen Traditionen heisst es, dass es die höchste geistige Errungenschaft sei, sich real zu erleben, in der ganzen Fülle der Emotionen, sich als Teil der Menschheit bewußt zu werden. Als Einfachstes gilt es, sich als Teil des Kosmos zu erleben. Deshalb gibt es jetzt so viele Menschen, die unmittelbar vom Kosmos lernen. Noch mehr Menschen lernen nicht vom ganzen Kosmos, sondern, sagen wir, vom Stern Orion, vom zwölften oder vierundzwanzigsten Grad der Realität. Sehen Sie, sogar hier werden Stückchen ausgeschnitten, um sich die Wahrnehmung des Dimensionslosen zu erleichtern.
Wesentlich komplizierter gilt das Erleben von sich selbst in der ganzen Fülle als Teil der Leere. Und am Kompliziertesten — das Erleben von sich selbst als Teil der Menschheit!
Warum? Ja darum, weil der lebendige Mensch viel schwerer als das Weltall durch irgendeine einschränkende Konzeption zu verstehen ist, weil er eine solche Bandbreite der Vielfältigkeit beinhaltet, die fast unmöglich vollständig anzunehmen ist. Darüber erzählt eine der paradoxesten Parabeln über einen buddhistischen Meister.

Der buddhistische Meister kommt in ein Dorf, und muss sich am Morgen in eine andere Siedlung begeben. Er fragt: «Wie komme ich dahin?» Die Leute antworten: «Man muss einen Umweg laufen. Obwohl der direkte Weg durch den Wald kürzer ist, benutzt ihn seit vielen Jahren keiner mehr». — «Warum?» — «Dort, — erzählen sie, — sitzt ein Mensch, der geschworen hat, sich für den Mord seines Bruders zu rächen und dreißig Menschen zu töten. Neunundwanzig hat er schon getötet, und seit einigen Jahren geht niemand dorthin – alle haben Angst. Und er wartet auf den dreißigsten, den letzten».
Selbstverständlich wählte der buddhistische Meister den kurzen Weg. Da springt vom Baum herab ein unheimlicher Mörder und sagt: «Du bist ein heiliger Mensch, hat man dich denn wirklich nicht benachrichtigt, dass ich hier sitze und auf den dreißigsten warte? Ich habe ein Gelübde abgelegt und muss es erfüllen. Und ich werde gezwungen sein, dich, einen heiligen Menschen, zu töten. Warum hast du so dumm gehandelt?»
Eigentlich war es wirklich dumm. Stellen Sie sich vor, Sie wären der Meister. Man hat Sie gewarnt. Und würden Sie dann dennoch dorthin gehen?
Doch der Meister ist hingegangen und sagte dem Mörder: «Ich bin gerade darum gekommen, damit du mich tötest und dich endlich befreist».
Und da war der Mensch, der neunundzwanzig Unschuldige umgebracht hat, erschüttert. Er wurde Schüler von diesem Meister. Und später ist er ein sehr bekannter buddhistischer Meister geworden.

Wie kann so etwas sein? Der Mörder, der bewußt neunundzwanzig Menschen umgebracht hat, wurde später buddhistischer Meister?
Wie kann so etwas sein? Die gefallene Maria Magdalena wurde eine Heilige?
Wie kann so etwas sein? Viele Menschen haben ihr Leben ungestüm und häufig nicht ganz anständig und wohltuend verbracht, und wurden später zu Heiligen?
Wir haben uns damit so abgefunden, das wir gar nicht darüber nachdenken. Aber in einem Menschen leben immer sowohl ein Verbrecher, als auch ein Heiliger, und in der Menschheit finden sich einerseits Hitler und irgendwelche verkommenen Trinker und anderseits Christus, Mohammed, Meister Morya. Und das alles ist in jedem von uns — im vollen Bausatz. Wenn jemand von Ihnen überzeugt ist, dass ihm ein Teil davon fehlt, was zur Menschheit gehört, so befindet er sich in einer vollkommenen Illusion, das heißt, er steckt sich fleissig in eine Schublade.
Es kam einfach noch nicht zu solch einer Situation, Bedingung, Anleitung, sozialen Eingebung, bei der all das Versteckte zum Vorschein kommen konnte. Denn nicht alle Menschen, die ihre Jugend stürmisch verbrachten, werden Heilige, und nicht alle Heiligen können mit einer stürmischen Vergangenheit prahlen.
In uns gibt es alles, denn wir alle sind nach einem Bilde geschaffen. Nach ein und demselben Bilde.
Die Frage ist eine andere!
· Verfügen wir selbst über diesen inneren Reichtum oder befinden wir uns nur in der Illusion, das wir darüber verfügen?
· Oder versuchen wir lebenslang zu beweisen, dass dieser Reichtum, diese Fülle in uns nicht existiert: «das gibt es in mir nicht, und dies gibt es in mir nicht, und auch das, und das auch nicht»?
Es gibt in jedem alles.
Wir alle sind aus der Materie Mensch gemacht, und aus nichts anderem, selbst wenn unsere Lehrer vom Orion kommen. Es ändert die Situation nicht, weil wir doch trotzdem Menschen sind!
Sich als Mensch bewußt werden
Um sich damit mehr oder weniger professionell zurechtzufinden, muss man unendlichen Mut besitzen. Es ist leichter allein mit dem Säbel in der Hand das Regiment des Feindes anzugreifen, als sich durchzuringen, nach einer ernsten Antwort auf die Frage — was ist der Mensch — zu suchen.
Die Bücher verschiedener weiser Menschen, Gelehrter und Denker lesend, sehen wir (wenn wir sehen wollen), dass fast alle Autoren selbst eine Grenze festlegen, bis zu der sie den Menschen erforschen.
Und den Menschen zu beschränken — etwas ihm zugehöriges abzuschneiden, — ist eine Form des Mordes, weil, sobald am Menschen etwas fehlt, er aufhört lebendig zu sein.
In der Erkenntnis, wie auch im Selbstbewußtsein, gilt offensichtlich oder verborgen folgendes Prinzip: um den Menschen zu untersuchen, muss man ihn «töten». Man muss ihn in eine «Leiche» verwandeln, nicht unbedingt im physischen Sinn. Man muss alles vom Gesichtspunkt des Forschers überflüssige, unnütze abschneiden, und das, was übrig bleibt, unter dem Titel «Mensch» studieren.
Selbstverständlich, haben wir im alltäglichen Leben keinen solchen Mut, keine solche Liebe und kein solches Wissen, um den Menschen vollständig lebendig wahrzunehmen. Deshalb wurden während der Geschichte der Menschheit allerlei Mechanismen geschaffen, die es möglich machen, einem Zusammenstoß mit dem lebendigen Menschen zu entgehen.
Die erste grundlegende Pathologie des alltäglichen Lebens: Wir und Sie
Der erste Mechanismus, dank dem man einem Zusammenstoß mit dem Lebendigen entgehen kann, ist die allen bekannte Teilung auf Wir und Sie.
Versuchen Sie, bei sich selbst festzustellen, wer bei Ihnen zu dem Wir gehört und wo sich alle übrigen – Sie — befinden.
Der Umfang von unserem Wir ist gerade jene kleine Schublade, durch die wir sowohl uns, als auch andere Menschen ansehen. Alles, was Sie ist – bleibt auβerhalb.
Und dabei gibt es eine grosse Mehrheit von Bestimmungskriterien in Bezug darauf, ob es Wir oder Sie sind.

Sie – diejenigen, die weder an dieses, noch an jenes, drittes, zehntes glauben.
Sie – diejenigen, die anders leben.
Sie – diejenigen, die anders handeln.
Sie – diejenigen, die unehrlich sind, und überhaupt… Sie, sie, sie…

Wo leben wir? In einer kleinen Gesellschaft von Wir und rundherum sind Sie. Welcher Teil der Menschheit gehört zu Wir? Rundherum lauter Sie. Und uns, die Wir, gibt es sehr wenige. Je weniger es von Wir gibt, desto mehr gibt es von Ich. Solche Ich gibt es wenige und rundherum sind lauter Sie, sie, sie…
Es gibt mehrere Beispiele von Konflikten im Menschenleben zwischen Wir und Sie. In der weltweiten Literatur, in der weltweiten Kunst ist häufig solch ein Thema zu finden: wenn er oder sie durch Liebeskraft mit einem nicht von den Unseren plötzlich in Verbindung gerät. Sie hat den Feind liebgewonnen oder er, wie der arme Andrej aus der Novelle «Taras Bulba» sich in eine Polin verliebt. Verliebte sich und verriet seine Genossen. Was ist denn das für eine Liebe? Beide muss man köpfen. Beide müssen geköpft werden: von der einen, wie von der anderen Seite, wenn nicht einer von ihnen den anderen auf unsere Seite gebracht hat.
Was haben wir denn hier? Es sieht lächerlich und paradox aus. Stellen Sie sich vor, Sie kommen in ein Geschäft, wo Melonen verkauft werden. Sie sind gekommen, um Melonen zu kaufen. Doch nachdem man Sie in ein Gespräch verwickelt hat, stellt es sich heraus, dass Sie einer Partei beigetreten sind. Und die Melonen sind faul, so dass Sie eigentlich keine einzige gekauft haben. Aber dafür sind Sie jetzt der Unsere. Und jedes Geschäft, statt stolz zu sein, dass es gute Produkte verkauft, ist stolz darauf, dass es die meiste Zahl der Menschen in unsere Parteizelle gelockt hat.
Dies ist die erste grundlegende Pathologie unseres Lebens, wenn bei jedem beliebigen Kontakt mit einem Menschen zunächst versucht wird herauszufinden: «Unser oder nicht Unser».

Ihnen hat er oder sie gefallen. Es scheint auch, dass Sie gefallen haben. Doch das reicht nicht. Man muss noch feststellen, ob derjenige Unser oder nicht Unser ist. Wenn Ihr Auserwählter/ Auserwählte nicht zu den Unseren gehört, so muss man ihn unbedingt zu Unserem machen.
Und wenn sich herausgestellt hat, dass er nicht der Unsere ist und nicht zu Uns will, sondern Sie auf die Seite von Sie bringen will, — sofort trennen, weil das bedeutet, er liebt mich nicht, liebt nicht so, liebt nicht genug und ist überhaupt tückisch.

Die Moral dieser Fabel: wenn Sie keine solche Enttäuschungen erleben wollen, suchen Sie nicht woanders, halten Sie sich unter den Unseren auf. Beginnen Sie sofort damit, da Ihnen so wichtig ist: Unser — nicht Unser.
Ad absurdum, fűhrt dieses Prinzip dazu, dass der Vater den Sohn denunziert, der Sohn denunziert den Vater, die Mutter sagt sich von den Kindern los, die Kinder sagen sich von den Eltern los. Und wie soll man mit nicht Unseren leben? Wie kann man nicht im Wir-Kreis leben?
Wie kann man unter Lebendigen einfach nur leben? Gerade darüber sinnen die geistigen Denker aller Zeiten nach. Es zeigt sich, dass es das Schwierigste, fast Unmögliche ist, weil man sich dazu selbst als einen lebendigen Menschen wahrnehmen muss, in dem alles ist, und der zum Wandern durch sozial-psychologische Welten bereit sein muss, bereit sein, überall der Seine zu sein.

Aber das ist doch Prinzipienlosigkeit! So spricht man auch über mich. Schauspieler. Passt sich überall an. Unter den Dieben — Dieb, unter den Künstlern — Künstler, unter den geistigen Suchern — geistiger Sucher. Wer ist er dann in Wirklichkeit? «Igor Nikolajewitsch, sagen Sie endlich, gehören Sie zu schwarz oder weiß?» — hat man mich auf einem der Treffen gefragt. Keines davon bin ich. Und das ist sehr schwer, denn überall, wohin man kommt, beginnen die Leute mit der Frage (direkt, indirekt, wie dem auch sei): kommst du aus dem Wir oder aus den Sie?

Niemanden interessiert der Mensch so, wie er an und für sich ist. Bevor die Zugehörigkeit nicht geklärt ist, aus welchem Wir man kommt.
Ganz oft spreche ich mit Leuten und es stellt sich heraus, dass sie gar nicht wissen, wie Mutter, Vater, Frau, Mann, Kinder wirklich sind. Sie wissen das nicht und dachten niemals darüber nach. Wichtig ist, dass es all die Deinen sind. Wichtig ist, dass das Leben unmerklich vergehen soll und man auch niemanden ringsumher bemerken musste.
Du kommst nach Hause, und nichts soll dich reizen, das heißt, nichts soll zu dir vordringen. Und das, was wir nicht bemerken, das existiert so gut wie nicht. Einen Tag bemerken wir es nicht, einen Monat, Jahre lang, und später fragen wir uns: Аch, wo kommt das denn her? Weshalb haben jene Eltern solche Kinder? Und umgekehrt, weshalb haben jene Kinder solche Eltern? Und weshalb sind alle Bräute so lieb, und die Ehefrauen so schrecklich? Und die Bräutigame alle so bezaubernd, und die Ehemänner solche Scheißkerle? Ja aus demselben Grund.
«Lasst uns wenigstens, — sagt man — die Menschen auf Männer und Frauen aufteilen, und über das Männliche und Weibliche, über ihre Vorteile und Mängel reden. So ist es schon besser, so sehen schon gleich nicht mehr alle schwarz aus. Wir sind Frauen oder Wir sind Männer».
Zeigen Sie mir mal einen Mann, in dem es nichts weibliches gibt. Kann ich nicht entdecken. Und eine Frau, in der es nichts männliches gibt, kann ich nicht entdecken. Doch alle wollen nur sehen, dass nichts anderes existiert, dass sie nur so sind, wie sie sich kennen.
Es ist sehr schwierig einem lebendigen Menschen zu begegnen. Nicht, weil er sich versteckt, sondern, weil wir vor ihm weglaufen. Da haben wir die Quelle der Psychopathologie des alltäglichen Lebens.
Daher sind Horoskope aller Arten so beliebt. Je einfacher, desto besser. Für Astrologie als eine Wissenschaft interessieren sich nur Wenige, da man dort mit dem Computer rechnen muss, und können Sie sich vorstellen, wie lange man früher ohne Computer ein Horoskop zusammenstellen musste? Und das lesen wir in den Zeitschriften:

— Wer bist du?
— Waage. Und du?
— Ich bin Schütze.
— Und wie steht es mit uns?
— Mit uns wird das nichts. Auf Wiedersehen.
— Und in welchem Jahr bist du geboren?
— Im Jahr des Tigers. Und du?
— Im Jahr des Affen.
— Der Affe betrügt den Tiger andauernd. Auf Wiedersehen.
— Moment mal, ich hab nicht vor, dich zu betrügen.
— Du wirst mich betrügen. So steht es im Horoskop.

Daher kommt die Umwandlung der Sozionik (der Wissenschaft über sozial-informative Typen des Menschen) in ein eigentümliches Horoskop, ein Spiel für Erwachsene und in Beschreibungen, wer zu wem passt, wer nicht zu einander passt und warum.

— Wer bist du?
— Ich bin Hugo. Und wer bist du?
— Ich bin Stierlitz. Verzeihung. Und überhaupt kannst du so etwas nicht sagen, weil es der Beschreibung nicht entspricht. «Hugos» reden so nicht.

Jedes beliebige Material, dass die Möglichkeit bietet, schnell, ohne Mühe, mit einem Hinweis auf maßgebliche Quellen, der Chance mit dem lebendigen Menschen zusammenzustoßen zu entgehen, war, ist und wird die am meisten verbreitete Ware auf dem psychologischen Markt sein.
Ob es uns gefällt oder nicht — so war es, so ist es und so wird es immer sein. Und das noch sehr lange, wenn die Menschheit lange existieren wird. Dabei scheint es, dass Horoskope oder Sozionik solch unschuldige Hobbys seien. Sehr lustig. Wie in einer Irrenanstalt.

— Wer bist du?
— Ich bin Wassermann. Und du?
— Ich bin Krebs.

Solch eine Pathologie. Du läufst durch die Straßen, fährst in den Bussen, in der U-Bahn und hörst nur: Wassermann, Tiger, Widder.
Bald schon wird man auf der Brust einen Anhänger tragen, damit Fremde dich nicht belästigen. Damit sofort klar ist: «Wassermann, Jahr des Affen, Don Quichote, Dominante 2В, Temperament — Sanguiniker». Alle Daten. Damit man ja nicht zu Fremden herantritt. Und damit die Deinen dich gleich erkennen. Ganz bequem. Stellen Sie sich mal vor! So wird kein lebendiger Mensch űbrigbleiben. Lauter Denkmäler.
Es ist sofort klar, wo Wir und wo Sie sind. Und nicht einfach so, sondern nach einer wissenschaftlichen Grundlage: «Das ist nicht meine subjektive Sprache, das hat die Wissenschaft festgelegt!»
So, ich denke, dieser Aspekt wäre nun geklärt. Jetzt werde ich Ihnen Raum für Kreativität lassen, damit Sie selbst eigene Entdeckungen machen können, diesen Virus an den unerwartetsten Stellen aufdeckend. Denn er ist wirklich überall. Selbst dort, wo, wie es scheint, für ihn kein Platz ist.
Die zweite Pathologie des alltäglichen Lebens: der vielgestaltige Mensch, oder die Pathologie der Masken
Die nächste Pathologie des alltäglichen Lebens besteht darin, dass der Mensch vielgestaltig ist. Er hat eine Maske (die Person), er hat Gesichter für soziale Rollen, er hat eine Individualität, er hat ein Wesen, er hat den Funken Gottes, er hat dieses, jenes, drittes, zehntes.
Man könnte sich fragen, was denn daran so schlecht ist, dass der Mensch so viel von allem hat? Was für eine Pathologie kann das sein? Habe ich denn nicht selbst in Büchern und Vorlesungen gesagt, das jede Konversation im allgemeinen zum Erwecken des Wesens beitragen soll? Also gut, wir haben es geweckt. Und was weiter? Alles Ǖbrige abschneiden? Das geht nicht.
Warum? Na, weil im Menschen das Eine nicht wichtiger ist als das Andere, der Mensch ist eine Ganzheit.
Was haben wir also? Es ergibt sich noch eine Möglichkeit, sich vor lebendigen Menschen zu schűtzen. «Das bin nicht ich, das ist meine Persönlichkeit». Was willst du von mir, ich kämpfe mit ihr, aber habe sie bis jetzt noch nicht besiegt, doch ich weiß, dass das Wesen da ist.
Das bist nicht du, sagt man mir. Es ist deine Persönlichkeit, aber ich sehe dein Wesen. Es ist ganz anders. Das bist nicht du, das ist nur der Typus deines Nervensystems, die Reaktionsgeschwindigkeit, die Besonderheit des Organismus. Das bist nicht du, einfach nur dein Alter ego, das bist nicht du – das ist das Super-Еgo. Und los geht’s: Das bist nicht du…
Also, die zweite große Pathologie unseres alltäglichen Lebens besteht darin, dass der Mensch sich als Subjekt nicht seiner bewußt ist, und deshalb vollständig von den zu ihm in Verhältniss äusserlichen Szenarien des sozialen Lebens abhängig ist.
Kann sein, dass ich mich irre, kann sein, dass es unter Ihnen diejenigen gibt, die niemals solche Worte aussprachen: das bist nicht du, das bin nicht ich. Das bist nicht du — ich weiß, dass du es nicht bist. Das ist ein Teil von dir. Stellen Sie sich vor, sie treten zu einer Birke und sagen ihr: «Dieser Zweig — das bist nicht du. Der Stamm — das bist du, aber diesen Zweig lass uns mal abschneiden». Fällt einem doch nicht ein.
Aber mit dem Menschen, besonders wenn er der Unsere ist… Das Interessanteste ist, dass es sich auf Sie gar nicht erstreckt, bei ihnen gibt es sowas nicht. Sie sind immer Sie.
Die Lieblingsbeschäftigung innerhalb des Wir-Kreises ist, dem anderen zu beweisen, dass er nicht ganz er selbst ist und das mit einer Basis voller Beweisen zu fundieren.
Zum Beispiel, ein solcher gewohnheitsmäßiger Dialog:

— Du kannst das nicht gemacht haben.
— Aber ich habe es doch gemacht.
— Nein, du konntest das nicht gewesen sein, das ist jemandes schlechter Einfluss. Vermutlich haben die Sie sich zu uns geschlichen und dich verführt.
Oder:
— Du hast das gemacht?
— Ich soll das gemacht haben?! Nein, das ist doch verrückt. Du weißt, ich könnte so etwas nicht tun. Niemals.

Die Unseren sind nicht die rechten, und Sie sind nicht Sie. Völliger Wahnsinn. Dem einen fehlt das Wesen, bei dem anderen entfaltet sich die Individualität nicht richtig.
Die dritte Pathologie des alltäglichen Lebens: «das bist nicht ganz du»

Wir können die nächste Pathologie unter folgendem Titel festlegen: das bist nicht ganz du. Selbstverständlich, bin ich dann nicht ganz ich.

«Nicht ich bin zu dir gekommen, es ist durch mich der Meister zu dir gekommen». – Ich habe es selber benutzt. Ich gestehe es. Mit großem Erfolg.

Und wer ist denn dann gekommen? Wer ist Der überhaupt? Ein Denkmal? Körperlose Bewölkung? Erinnern Sie sich, wie es bei Majakowski heisst: «nicht ein Mann, eine Wolke in Hosen».
Jetzt sehen Sie sich mal an, wie eine ab und zu noch vorkommende Liebe oder wenigstens Verliebtheit zu Grunde geht. Sogar unter den Unseren.

— Ich liebe dich, aber das bist nicht ganz du. Etwas muss man an dir verändern, weil ich dich liebe.
— Wen liebst du?
— Dich. Aber das bist nicht ganz du.

«So macht das viele Nachsinnen Feiglinge aus uns, und so verkümmert der Entschlossenheit natürliche Farbe begraben unter dem blassen Gedanken», aber dafür sind wir in Sicherheit. Es genügt nicht, dass wir eine Wand aus den Wir aufgebaut haben, wir haben hier noch eine zweite Wand, eine zweite Befestigungsmauer, die noch mächtiger ist: alle sind nicht ganz die rechten, sogar die Unseren sind nicht ganz die Unseren.

Wie einfach es ist, den Menschen zu lieben

Stellen Sie sich folgende Situation vor: vor Ihnen steht ein Mensch. Man braucht ihm nichts beizubringen, muss aber auch nicht von ihm lernen, man muss seine Mängel nicht korrigieren, denn diese sind die Fortsetzung seiner Vorzüge. Du nimmst den Mangel und machst daraus einen Vorzug.
Was muss man denn mit ihm machen? Ja, gar nichts. Einfach lieben.
Wie geht das denn – lieben und nichts an ihm machen? Im Altertum sagte man, dass dies eben gerade Liebe ist. Gerade dann, wenn Sie an dem Menschen nichts verändern müssen. Man will einfach mit ihm zusammen sein, gemeinsam existieren. Man sagt, das ist die Liebe, die so stark wie der Tod ist, jene Liebe, von der wir träumen.
Aber um ihn zu lieben muss man sich sagen, dass er so ist wie er ist, mit all dem, was er in sich trägt. Und sogar mit dem, was ihm fehlt, weil ich das einfach nicht sehe.
Also die Pathologie besteht darin, wie wir uns und einander wahrnehmen: du bist nicht du und ich bin nicht ich.
Damit ist noch ein Problem verbunden — die Unfähigkeit in der Gegenwart zu leben, die Unfähigkeit die Vergangenheit so anzunehmen, wie sie war. Der ständige Kampf mit der Vergangenheit ist die unnüzeste von allen unnützen Beschäftigungen.
Wer ist schon sicher, dass jetzt, in diesem Moment, an diesem Ort alles richtig, gut und wunderschön ist?
Wer ist schon sicher, dass er zur rechten Zeit geboren wurde, dort, wo es sein sollte?
Und das im eigenen Garten die Äpfel süßer sind?
Und das im benachbarten Staat alles genau so ist, wie bei uns?
Wer überhaupt ist heute und hier zufrieden? Oder, wie man sagt, hier und jetzt?

Ein Mann kommt zum Weisen: «Ich habe drei Fragen. Sage mir: welche Zeit ist die wichtigste, welcher Mensch ist der wichtigste, welche Sache ist die wichtigste?» Der Weise antwortet: «Die wichtigste Zeit ist die Gegenwart, weil die Vergangenheit vergangen, und die Zukunft noch nicht gekommen ist. Der wichtigste Mensch ist derjenige, mit dem du in der Gegenwart zu tun hast».
«Und welche Sache ist die wichtigste?» Der Weise antwortet: «Die Liebe zwischen dir und diesem Menschen».

Für jeden von uns sind alle diejenigen, die uns jetzt nahe sind, laut dem Weisen die wichtigsten. Und die Zeit, das Heute, das Jetzt — wie spät ist es? – ist auch das wichtigste für jeden von uns.
Die wichtigste Sache, wenn wir dem Weisen glauben, ist die Liebe zwischen uns in dem Augenblick und es existiert gerade jetzt nichts wichtigeres. Ja, wer wird denn daran glauben? Na und wenn es auch jemand «glaubt», wer wird denn so leben? So entsteht noch eine Variante der Flucht vor dem Lebendigen.

Nein, also, du bist offensichtlich nicht der Mensch, den ich brauche. Morgen… Also, was soll ich denn mit diesem morgen? Mit dir habe ich sowieso keine Perspektive.
Und du? Hätte ich dich vor vier Wochen getroffen, noch besser, im vorigen Jahr. Nun, vielleicht haben wir eine Chance das in etwa drei Jahren herauszufinden…
Und niemand ist übrig geblieben. Ich bin allein, doch mein heutiges ich ist noch nicht das rechte. Ich weiß, noch ein halbes Jahr anstrengender Arbeit an mir selbst, und dann werde ich… Ich erinnere mich, dass es so vor fünfzehn Jahren einen Menschen gab. Niemand ist übrig geblieben. Leere…

Wozu sind wir tatsächlich gekommen? Zum Leben in der Leere, wo es nichts Lebendiges und Unvorhersehbares gibt. Auch mich selbst eingeschlossen. Volle Kraft voraus, wie die alten Ägypter sagten, zu jenem Ufer des Flusses, das heißt, des Nils. Erinnern Sie sich, was sich dort befand? Das Totenreich. Dort ist ja alles normal. Dort ist alles berechenbar, vorhersehbar.

Ich erinnere mich an einen Freund, der immer, wenn er einen Apfel aß, eine Birne, Weintraube, Gurke, Tomate, — zu sagen pflegte, «als ob ein Lebendiger mit Lebendigem redet». Hier war er lebendig und war dieser Sache sehr zugetan, weil er sich in diesem Moment einfach als lebendig empfand, und weder er, noch der Apfel einen Mangel hatten.

Doch da macht die Vernunft einen Aufstand. Was bedeutet es denn? Ist denn alles wunderbar in dieser besten aller Welten? Und man muss nichts tun? Nichts. Es wächst dieselbe Birke, und dabei, um die Stelle unter der Sonne kämpfend, sind neben ihr zehn junge Ahorne zugrunde gegangen. Sie ist schon groß und die sind noch klein. Der natürliche Lauf der Dinge.
Und was bedeutet dieser natürliche Lauf der Dinge? Wie die klügsten Menschen sagen, die sich mit diesem Problem beschäftigen, ist der natürliche Lauf der Dinge solch ein Ablauf der Dinge, bei dem alles spontan passiert, in Liebe, im Bündnis des Lebendigen mit dem Lebendigen.
Es gibt eine bemerkenswerte Überlegung von Pawel Alexandrowitsch Florenski darüber, dass es zwei Kräfte gibt. Die erste ist die Kraft der Natur, die wir fürchten, weil sie sich nur dem natürlichen Lauf der Dinge unterwirft. Sie verfügt über die Kraft des Lebendigen. Die zweite ist die Kraft des Geistes, die über die Kraft des Lebendigen nicht verfügt, weil der Geist körperlos ist. Sie kann diesen siedenden Kessel des Lebens nur strukturieren. Nur das Bündnis dieser zwei Kräfte lässt uns die Wahrheit erkennen. Und wozu brauchen wir die Wahrheit, wenn wir leben wollen? Wozu führt die Wahrheit: zum Erleuchten oder zum Leben? Und ist es denn nicht interessanter in der Wahrheit zu leben, als in der Finsternis? Obwohl es natürlich, sehr schwer ist. Weil es schwierig ist, ein Gleichgewicht zwischen «der Sehnsucht des Geistes» und den Forderungen des sozialen Lebens zu finden.
Und die soziale Strukturierung des Menschen, des Menschenlebens ist noch ein großes Problem, das mit unserem Thema verbunden ist.

SOZIAL-PSYCHOLOGISCHE WELTEN

Im Menschenleben existiert das System mehr oder weniger geschlossener psychologischer Welten, innerhalb derer der Mensch in der Regel sein ganzes Leben verbringt. In ihnen schöpft er den Grund zur Bestätigung seiner Eigentümlichkeit, seines Selbstwertes.
Die sozial-psychologische Welt kommt allmählich auf. Als erstes ist es der Kreis der Familie. Später — der Kreis der Familienbekannten. Dann — die unterbewußt getroffene Auswahl der nahen Bekanntschaften.
Schon im Kindergarten beginnt die unterbewußte Auswahl, an der individuelle Merkmale des Menschen, das Temperament und ähnliches Teil haben. Doch eine viel grössere Rolle spielen in dieser Auswahl kulturwissenschaftliche Merkmale, das heißt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozial-psychologischen Welt mit einem bestimmten Kriteriensystem, mit einer bestimmten Ansicht auf den Mensch und das menschliche Leben. Darauf, was möglich — unmöglich, zulässig — unzulässig ist. Mit eigener Wertstufung, mit eigenem Reaktionssystem auf das Verhalten anderer Menschen und so weiter.
Solch eine vom UnterBewußtsein getroffene Auswahl beginnt in der Kindheit. Es ist die Fortsetzung des Themas, von dem wir gesprochen haben: Wir und Sie. Aber schon aus dem Standpunkt des inneren Lebens, nicht des äusserlichen Lebens des Subjekts.

ÜBER DIE GEWALTLOSIGKEIT ZWISCHEN DEN WELTEN

Wenn die Menschen interagieren, verteidigt jeder seine eigene Welt, und ein Anschlag auf diese Welt wird wie ein Anschlag auf den Menschen selbst wahrgenommen, weil die sozial-psychologische Welt die Hülle der Persönlichkeit ist. Der Mensch verlässt seine sozial-psychologische Welt sogar dann nicht, wenn er keine Kontakte mit ihren persönlichen Vertretern hat, äuβerst seltene Ausnahmen ausgenommen.
Wenn wir den Menschen aus seiner gewohnheitsmäßigen Umgebung herausnehmen und in eine Situation setzen, in der er keinen einzigen Kontakt mit jemandem aus derselben sozial-psychologischen Welt haben würde, wird er sich im Verhalten der neuen Situation anpassen, doch innerlich wird er seine Welt nicht verlassen.
Warum? Seine eigene Welt zu verlassen heisst sich selbst abzulehnen und die Ablehnung von sich selbst als ein bewußtes Ziel, findet nur in einigen esoterischen Traditionen statt, die sich mit der Umformung beschäftigen. Weder die Traditionen der Kraft, noch die meditative Tradition, noch die Tradition der Situationsverwaltung stellen sich ernsthaft einer solchen Aufgabe, weil die tausendjährige Erfahrung zeigt, dass es unmöglich ist, dem Menschen eine kompliziertere Aufgabe zu stellen, als sich selbst zu verlassen, aus der Gebärmutter eigener sozial-psychologischen Welt herauszukriechen. Selbst wenn es Ihnen gelingen wird, ihm dafür eine Motivation zu schaffen.
Den Übergang aus einer Welt in die andere zu verwirklichen — sich nicht einfach anzupassen, kein Spion in der fremden Welt zu werden, und tatsächlich in sie überzugehen — ist eine Aufgabe von solcher Komplexität (wenn man sie praktisch betrachtet), dass ich persönlich, ehrlich gesagt, nichts schwierigeres im Leben getroffen habe. Deshalb sagen wir, dass der Mensch, der auf den Weg einer lebendigen geistigen Tradition getreten ist, ab einem bestimmten Moment aufhört, Mensch auf dem Niveau des alltäglichen Sinns zu sein.
Er ist wirklich ein «Unmensch». Wobei er sich das nicht bewußt macht. Doch wenn er unter Menschen bleibt, so beginnt er aus seiner Umgebung eine Masse negativer Signale zu bekommen, die darauf hinweisen, dass er sich daneben benimmt, dass er keiner sozial-psychologischen Welt, die es gibt, beitritt.
Begreift der Mensch das nicht, erwirbt er nur negatives, besonders, wenn er zu der Tradition mit Hilfe der Motivation gekommen ist stärker zu werden und das Niveau der Selbstrealisierung zu erhöhen. Bei ihm hört auf, das zu funktionieren, was sich eigentlich von selbst ergab. Er beginnt immer mehr seine Einsamkeit, Verlassenheit, Unfähigkeit und Ungeschicklichkeit zu fühlen.
Deshalb befinden sich die Menschen, die erklären, dass sie unmittelbar beim Kosmos lernen, in einer viel vorteilhafteren Lage, als diejenigen, die wirklich lernen. Wer beim Kosmos lernt, kontrolliert selbst unbewußt die Stufe der eigenen Verwandlung, der braucht seine sozial-psychologische Welt nicht zu verlassen, er braucht sich selbst nicht zu verlassen, im Gegenteil, es steigt Gott persönlich zu ihm herab.
Deshalb sind sogar aufrichtige Gläubige, die ein und derselben Religion angehören, einander so wenig ähnlich, dass man sogar zu zweifeln beginnt, dass sie Gläubige sind, weil sie in den Grenzen glauben, wie der Glaube innerhalb ihrer sozial-psychologischen Welt verstanden wird.
Es gibt nichts anderes, woran der Mensch so stark gebunden wäre, wie seine sozial-psychologische Welt.
Das ist keine künstliche Angliederung, die man einfach auf das Negative zurückführen könnte — sagen, dass es schlecht ist. Es ist weder schlecht, noch gut, es ist der Nährboden, auf dem der Mensch aufgewachsen ist, er ist in ihm verwurzelt, mit seinem ganzen Wesen verbunden. Er selbst ist diese Welt. Und wenn wir sagen: «erkenne dich selbst als ein Teil der Welt und die Welt — als ein Teil von dir», so muss man sich streng genommen nicht mit dem Kosmos und Weltall beschäftigen, und sogar nicht mit der Biosphäre oder Noosphäre. Man muss sich zur Erkenntnis seiner eigenen sozial-psychologischen Welt wenden, der Welt, in der du tatsächlich lebst, an die du tatsächlich gebunden bist.
Wenn der Mensch das nicht tut – wird weiterhin alles zum Spiel, zum Theater. Wenn er sich in dieser Eigenschaft nicht erkennt, hat es keinen Sinn, über weitere Selbsterkenntnis zu sprechen.
Was geschieht infolge dieser Verbundenheit? Sie erweckt Gewalt.

Meine fast zweijährige Berufserfahrung unseres Theaters analysierend (ich habe viele Jahr im Theater als Schauspieler und Regisseur gearbeitet), sind wir auf ein unerwartetes Moment gestoßen. Das Theater soll, im Idealfall, aus schöpferischen Individualitäten bestehen. Aus eigenartigen, eigentümlichen, einander wenig ähnlichen, die durch die künstlerische Idee verbunden sind. Doch folgendes ergab sich: obwohl wir mit voller Hingabe arbeiteten und qualitative Produktionen erzeugten, existierte in mir ein ständiges Unbefriedigtsein. Bis der sogenannte pädagogische Teil unserer Arbeit zu Ende ging. Von der Position des Pädagogen befreit, habe ich plötzlich begriffen, dass ich die ganze Zeit űber den Schauspielern Gewalt angetan habe. Ich versuchte, sie zu zwingen, in meiner Welt zu leben.
Mit dem Theater ist es sehr kompliziert, weil es einerseits eine kollektive Sache ist, und andererseits – weil jeder eine Individualität bleiben soll. Und ich wende gegenűber den Schauspieler Gewalt an, die darin besteht, dass ich ihnen frei- oder unfreiwillig jene Positionen aufzudrängen beginne, die zu meiner Welt gehören und ihre sozial-psychologische Lebenswelt nicht akzeptiere, weil sie mir meiner Stelle des führenden Regisseurs und Pädagogen wegen nicht gefällt. Und da ich im allgemeinen zur esoterischen Welt gehöre, führte es einfach dazu, dass ich die Menschen verhöhnte. Denn sie hängen von mir ab. Und die Produktion kann nicht anderes laufen. Ich kann ihre Arbeit nicht kritisieren, weil sie mit voller Hingabe und Qualität arbeiten, und alle ihre Kräfte aufbieten, und dennoch bin ich die ganze Zeit unzufrieden.

Wenn die Normen einer sozial-psychologischen Welt dem Menschen aufgedrängt werden, der zu einer anderen Welt gehört, entsteht Gewalt.
Eine sehr feine, unbewußte Gewalt. Es gibt auch offensichtliche Formen: wie, zum Beispiel: «unser Glaube ist der beste». Mit einer Keule im Gepäck. Wer nicht unseren Glaubens ist, muss geschlagen und schnell erettet werden, weil er sich irrt. Das ist noch eine gute Variante, weil man hier wenigstens sieht, was der Mensch will, was er für eine Keule hält. Man kann selbst auch eine Keule in die Hände nehmen und kämpfen.
Viel schlimmer ist es, wenn weder der eine, noch der andere, noch ein dritter – also niemand die Herkunft des Konfliktes versteht, denn dann fängt nämlich ein Gemetzel an, weil dann eine unangemessene Deutung der Empfindung der Gewalt stattfindet.
Es gibt, natürlich, Masochisten, die Konformisten-Masochisten, die an der Gewalt über sich großes Vergnügen haben, und die so tun, als ob sie alles übernommen haben, und hin und weg sind, aber das bedeutet nicht, dass sie wirklich aus einer Welt in die andere hinübergegangen sind. Stellen Sie sich vor, dass jemand die ganze Zeit sagt: «Ja, Meister, das mache ich!», aber nichts geschieht. Alle sehen, dass es unaufrichtig ist. Es wird zum Theater. Im schlechten Sinne des Wortes. In der Anpassung an die Forderung, der man sich nicht entziehen kann, gibt es nichts gesundes. Obwohl vom Standpunkt des Menschen aus gesehen alles ganz aufrichtig erscheinen kann, wenn man unter der Aufrichtigkeit Unbewußtheit versteht: der Mensch begreift einfach nicht, das er sich der Gewalt unterwirft.

Schwierigkeiten in der Kommunikation verschiedener Welten

Heutige Lebensbedingungen vermischen die Menschen die ganze Zeit: im Dienst, in Gesellschaft, in Ausbildungsgruppen versammeln sich ganz verschiedene Individuen aus unterschiedlichen sozial-psychologischen Welten. Hat die Gruppe einen Leiter, so teilt er sie in diejenigen auf, die ihm besser gefallen, die ihm weniger gefallen, und diejenigen, die ihm überhaupt nicht gefallen. Und wenn er sich dieser «gefällt – nicht gefällt» Aufteilung nicht bewußt ist, das heißt er handelt unbewußt weder vom Beruf, noch von jener Situation ausgehend, zu der die Menschen gekommen sind, nach dem sie ein Abkommen über den Kaufhandel der Ware abgeschlossen haben, sei es Wissen, Kenntnisse, Information – dann beginnt Gewalt.
Und doch darf man sich in so einer Situation nicht darin einmischen, wie der Mensch lebt. Er ist kein Schüler, kein Novize, kein Anhänger, er ist gekommen, um die Ware zu kaufen. Sie haben ihm die Ware angeboten, aber Sie haben kein Recht, sich in sein Leben einzumischen! Sie können ihn agitieren (dies ist das Recht jedes beliebigen Menschen: für seine Welt zu werben), aber man darf sich niemals einmischen.
Jetzt betrachten wir noch eine verbreitete Situation: Verliebte…
Wie ist es mit Ehemännern und Ehefrauen? Zwei Menschen haben einander liebgewonnen und entschieden, zusammen zu sein, doch sie sind aus verschiedenen sozial-psychologischen Welten. Natürlich werden sie verzweifelt sein, warum ihre Liebe, so zu sagen, keinen adäquaten, frohen Ausdruck in ihrem Leben findet. Und sicher werden jene Fachleute, an die sie sich zur Beratung wenden, gleich auf das Studium der individuellen Vereinbarkeit stürzen. Das heißt sie werden versuchen herauszufnden, ob sie zu einander nach Typologie, nach Horoskop, nach Temperament passen…
Nehmen wir an, dass alles wunderbar ist und sie passen zusammen, sowohl nach dem Horoskop, als auch nach der Sozionik, und nach allen psychoenergetischen Voraussetzungen. Und dennoch klappt es nicht. Und es stellt sich heraus, das man die Situation nur dann adäquat erklären kann, wenn man zu verstehen versucht, dass sie aus verschiedenen sozial-psychologischen Welten sind.
Das ist ein riesiges Problem: die Überwindung der Entfremdung. Ob ihr Zusammenleben möglich ist, und viel mehr — ob sie eine dritte Welt aufbauen können, Stammväter dieser neuen sozial-psychologischen Welt werden, wo sie Patriarchen, Urahnen sind. Mit einer einfachen Vereinigung wird es sich nicht ergeben etwas neues zu schaffen. Jeder der Verliebten oder der Eheleute muss die Grenzen seiner Welt überschreiten und aus diesem Material die dritte Welt aufbauen oder diese neue allgemeine Welt finden.
Sonst führt es zu einem ununterbrochenem Kampf. Selbst wenn einer von ihnen dazu geneigt ist, sich dem anderen zu unterwerfen, und der andere — zu leiten, das heißt für den einen die Unterordnung keine Anstrengung bedeutet und ihn im Gegenteil psychologisch entspannt, wird der Kampf trotzdem fortfahren. Es ähnelt dem Versuch, in einem Kübel eine tropische Pflanze mit seiner Erde und eine Pflanze aus einer nördlicheren Erdzone mit seinem Boden zusammen zu setzen. Was daraus wird ist nicht bekannt. Der Boden ist unterschiedlich, die Mikroorganismen und die klimatischen Bedingungen auch.
Es gibt eine einzigartige Arbeit von einem französischen Psychologen, — leider kann ich mich an seinen Namen nicht erinnern — die in der Zeitschrift «Amerika» veröffentlicht wurde. Er nahm an den Expeditionen von Thor Heyerdahl auf den Flößen «Rа-I» und «Rа-II» teil. Seine Forschung bezog sich auf die Probleme der Vereinbarkeit innerhalb der Mannschaft. Er ist zur folgenden Schlussfolgerung gekommen: im Prinzip seien alle Unterschiede — rassenmässige, konfessionelle, sprachliche und die Altersbarriere — insbesondere in einer extremen Situation des begrenzten Raumes, in extremen Handelsbedingungen überwindbar. Alles ist überwindbar außer dem einen — er nannte es «kultureller Horizont». Ich denke, dass der Inhalt, den er in den Begriff des kulturellen Horizontes gelegt hat, die Unvereinbarkeit mancher sozial-psychologischer Welten charakterisiert.
Wenn wir die Wortverbindung «kultureller Horizont» benutzen, so denken wir sofort: also, was soll’s? Gebt dem Menschen entsprechende Möglichkeiten sich zu bilden, zu lesen, anzuschauen, und er wird sich entwickeln, und dann werden sich die kulturellen Horizonte vereinen. Doch wie sich heraustellt, gibt es so etwas nicht! Sozial-psychologische Welten sind nicht deswegen unvereinbar, weil sie sich zur Kultur verschieden verhalten. Sondern darum, weil in ihnen verschiedene Hierarchien von kulturwissenschaftlichen Werten herrschen.
Nehmen wir als Beispiel zwei «kulturell identische Menschen» im Sinne der Bildung, Belesenheit, aber aus verschiedenen sozial-psychologischen Welten. Sie werden in ganz unerwarteten Situationen aus ihrer Sicht unangemessen reagieren. Und es wird zu Gereizheit und Empörung kommen:

— Warum regst du dich ohne jeglichen Grund so auf?
— Was heisst ohne jeglichen Grund?! Du hast das Heiligtum angegriffen!
— Was fűr ein Heiligtum?

In seiner Welt ist es ein Heiligtum, und in der Welt eines anderen Menschen bedeutet es nichts. Wer hat recht? Beide. Und darin gibt es nichts bewußtes.

Nahe und nicht sehr nahe Welten

Es gibt Welten, die an keiner Stelle űbereinstimmen, obwohl sie auf den ersten Blick sehr ähnlich wirken. Wenn das Verständniss fehlt, die Fähigkeit dieser Komponente der menschlichen Ganzheit zu reflektieren (zu erfassen), so ist dies der Grund der am meisten verbreiteten Form der pathologischen Beziehungen im alltäglichen Leben. Ich denke, dass sich in dieser Tatsache eine der stärksten Motivationen der geistigen Gesellschaft zur Suche nach so einer Welt begrűndet, in der wir uns wie Geschwister verwurzeln könnten, ohne identisch zu werden. Es ist eine fortwährende Suche nach einer Welt, die im Verhältniss zu allen anderen universell erscheint.
Dieses Problem ist lebenswichtig, es bewirkt das berühmte Prinzip der menschlichen Beziehungen: «bitte gutes und schlechtes getrennt servieren». Dieses Prinzip ist notwendig, um eine gemeinsame Tätigkeit mit den Menschen durch zu führen, die zu verschiedenen sozial-psychologischen Welten gehören.
Und zur gleichen Zeit ist es ein Hindernis im Streben des Menschen zur Ganzheit, ich sage schon nicht zur totalen Ganzheit. Denn die Aufteilung lässt zu (der Mensch als Ganzheit ist in diesem Fall auf ein sich für die Seinen und sich für die Fremden aufgeteilt), die gemeinsame Tätigkeit zu verwirklichen, was positiv ist.
Doch dieselbe Aufteilung lässt nicht zu, eine Ganzheit der inneren Welt außer der sozial-psychologischen Welt zu schaffen, und das ist negativ. Negativ, wenn wir uns die Aufgabe stellen, die Ganzheit zu erreichen. Es ist ein kolossales Problem, weil wir hier űber den lebendigen Stoff des Menschenlebens reden. Nicht über etwas Erdachtes, nicht über die soziale Konvention, nicht über die soziale Rolle, nicht über den Schutzmechanismus der Persönlichkeit, sondern über die Persönlichkeit selbst. Weil dies der Nährboden ist, die Luft, die Nahrung, die Gebärmutter, der mütterliche Schoß. Aus diesem Schoß hinausgekommen und die Nabelschnur durchtrennt, hört der Mensch auf, Mensch im allgemeinen und alltäglichen Sinne dieses Wortes zu sein. Er wird zum Unmensch. Und er ist verdammt.
Von diesem Moment an gibt es kein zurück. Da die Welt des Menschen der Mensch selber ist, ist es sein untrennbarer Bestandteil. Und nur infolge von unbekannten geheimnisvollen Einflüssen entsteht bei einigen Menschen die Motivation, diese Welt zu verlassen.
Der Mensch, der seine sozial-psychologische Welt verlassen hat, ist ein Mensch, der sich selbst verlassen hat, im alltäglichen Sinn dieses Wortes. Man soll diesen Prozess nicht mit dem Prinzip der Bewegung in den sozialen Gesellschaftsschichten verwechseln, wenn der Mensch sich aus der unteren in die obere Schicht hocharbeitet, aus einem Kolchosebauern zum Künstler, aus einem ungelehrten Arbeiter zum Gelehrten wird.

Ich war in der Jugend gut bekannt mit der Familie eines Ministers. Ich war oft bei ihnen zu Hause. Ja, er war ein Minister, in jenen Zeiten in unserem strengen Verwaltungssystem war es ein wichtiges Amt. Aber er kam aus einem Weisenhaus. Und seine Frau war auch ein Weisenkind. Und er ist bis zum Tod Weisenkind geblieben. Er hat seine sozial-psychologische Welt nicht verlassen, obwohl im Sinne der sozialen Bewegung, natürlich, eine kolossale Veränderung geschah. Doch er ist er selbst geblieben.
Er hat gelernt diese Rolle zu spielen, doch als Mensch hat er den Nährboden nicht verlassen. Er fühlte sich hervorragend, hatte damit keine Probleme, weil er es geschafft hat seine Amtsgewalt so auszunutzen, dass alle sich an seine Welt anpassen mussten, so fand eine unbewußte Gewalt statt. Eine ganz unmerkliche Gewalt, denn ein raffinierter Intellektueller, aus einer intelligenten Familie in der dritten Generation, mit allen Regeln des Verhaltens, kam zu einem raffiniertem Empfang, und wurde aber auf eine einfache Weise, auf volkseigene Weise empfangen. So war der Intellektuelle gezwungen sich anzupassen.

Eine Sache ist es, wenn es eine professionelle, oder soziale, oder funktionale Abhängigkeit, eine Abhängigkeit vom Menschen ist. Und eine ganz andere Sache, wenn es die Gesetze und Werte deiner sozial-psychologischen Welt betrifft, wenn du gezwungen bist, nicht du selbst zu sein, ein fremdes Spiel zu spielen, das Spiel einer fremden sozial-psychologischen Welt, in der andere Werte herrschen.
Doch wiederum ist dieser Prozess nicht auf die einfache Analyse der wertmäßigen Strukturen der Menschen zurückzuführen, weil die wertmäßige Struktur nur das Skelett ist, und die sozial-psychologische Welt — das Fleisch, die Atmung, sie bedingt die kleinsten Einzelteile des Verhaltens, des Denkens, des Träumens.
Kaum wird der Mensch spontan (das heißt er handelt ohne innere Zensur, sich selbst vertrauend) — denn Spontanität ist der einzige lebendige Zustand des Menschenwesens, ein Moment der vollen Selbstrealisierung — entkleidet er sofort seine ganze sozial-psychologische Welt.

Wie können wir miteinander reden?

Es ist fast unmöglich seine sozial-psychologische Welt zu verlassen. Und der Mensch ist nur innerhalb seiner eigenen sozial-psychologischen Welt glücklich, natürlich, spontan. Oder in so einer Situation, wenn seine sozial-psychologische Welt als eine gegebene Realität angenommen wird.
Das heißt eben den Menschen so anzunehmen, wie er ist. Das ist eine unglaublich schwierige Sache. Wie kann man den ganzen Menschen in seine sozial-psychologische Welt hereinlassen, von welcher Seite? Man kann es mal situationsmäβig machen, für eine kurze Zeit.

Ich habe infolge meiner Neigung zu Reisen durch sozial-psychologische Welten vier Stunden bei einer Versammlung von Dieben verbracht, bin ganz zufällig in so eine Situation mit Dieben geraten. Also, vier Stunden konnte ich dort aushalten, mich in diese Gestalt einleben und herausstellen, dass man dort auch Anständigkeit, Ehre, Aufrichtigkeit, Güte u.s.w. treffen kann. Dort haben sie mich bemitleidet, dort — eingeladen am Diebesgut einen Anteil zu nehmen.
Oder mit den Obdachlosen, mit den professionellen Landstreichern, war ich auch zwei-drei Stunden zusammen. Zwei Jahre habe ich mit den Sportlern in der Situation des vollen Hereinwachsens gewohnt. Und so weiter, und so fort. Doch ich habe eine wissenswerte Motivation; bis sie nicht erschöpft ist, bis ich nicht etwas neues über diese für mich neue Welt erfahre, kann ich sie ertragen.

Die Zugehörigkeit des Menschen zur sozial-psychologischen Welt, das Maβ der Vereinbarkeit zwei oder mehr sozial-psychologischen Welten ist ein tiefgreifendes Problem der menschlichen Beziehungen. Es lässt sich bis jetzt nur auf eine Weise lösen – mit dem Prinzip «bitte gutes und schlechtes getrennt servieren», der Weise des Opfers. Es wird etwas für alle erstrangigste geopfert — die Ganzheit des Menschen.
So ergibt es sich, dass die Ganzheit des Menschen sich nur innerhalb seiner sozial-psychologischen Welt realisiert. Dann wird klar, dass die ständische oder die Werkorganisation in der Vergangenheit einen positiven psychologischen Inhalt hatte. Die Adligen waren überall Adlige. Die Kaufleute waren Kaufleute, die Fabrikbesitzer — Fabrikbesitzer, die Beamten — Beamten.
Fast keiner ist auf Reisen durch andere sozial-psychologische Welten gezogen — alle fürchteten nicht zurückzukehren. Und sogar das Ideal des senkrechten sozialen Aufstiegs existierte nur für einige abenteuerliche Naturen. Dort «oben» wurden in der Regel erst ihre Kinder, und öfters sogar ihre Enkel, die dritte Generation heimisch.
Wir alle gehören im formalen Sinn zu so einem abstrakten Begriff wie «die sowjetischen Menschen». Was das ist – weiß keiner. Dieser Begriff hat keinen tiefen sozial-psychologischen Inhalt. Wir können uns nicht einmal orientieren, wo unsere Stammesgenossen sind — jene Menschen, die aus einer mit uns Welt kommen. Wir wissen nicht einmal, auf welche Weise wir sie ausfindig machen können.
Wer hier in dieser Welt ist mit mir aus demselben Holz geschnitzt? Denn gerade unter solchen Unseren Menschen hätten wir uns am meisten vollkommen fűhlen können — sie mit uns, und wir mit ihnen. Das wäre wirklich eine bemerkenswerte Situation sein, wenn man sich nicht das Ziel stellt, Grenzen dieser Determiniertheit zu überschreiten.
Mich interessiert es, wie ihr dort lebt, und dich interessiert es, wie wir hier leben. Und wir können leben, ohne uns in der sozial-psychologischen Welt einander zu vergreifen. Wir können aus wissenswertem Interesse arbeiten und zusammenwirken.
Wenn einem bekannt ist, dass so etwas existiert, und das Interesse für diesen Moment vorhanden ist, dann gibt es die Möglichkeit zusammenzuwirken, und dann kommt es nicht zur Gewalt. Es geht nicht um das Bewertungsinteresse: schlechter — besser, höher — niedriger, sondern um das unmittelbare Interesse, das heist, es ist interessant zu wissen, dass es solches und jenes gibt. Mit Hilfe eines solchen Interesses kann sich die Mannigfaltigkeit der Formen des lebendigen Lebensstoffes offenbaren. Das menschliche Leben ist nicht für alle identisch, denn dieser Stoff beinhaltet ganz verschiedene, merkwürdig verschiedene Momente. Wenn wir uns auf bestimmte Art und Weise bemühen, so können wir verstehen, warum der buddhistische Meister in den Wald gegangen ist, obwohl er hätte geköpft werden können. Und dann können wir auch verstehen, wie ein Mörder, der bewußt neunundzwanzig Menschen tötete, später ein buddhistischer Meister wurde. Dann können auch wir verstehen, warum die gefallene Maria Magdalena Heilige wurde.
Wenn wir wissen, dass es vielfältige sozial-psychologische Welten gibt, dass die sozial-psychologische Welt ein untrennbarer Bestandteil der Persönlichkeit, ihr wesentlicher Bestandtteil ist, können wir die Paradoxa der geistigen Weltansicht auf die Menschen und auf die menschlichen Beziehungen verstehen. Und es kann sein, dass wir auch den Geschmack einer solcher sozial-psychologischen Welt spüren, in dem diese Widersprüche die Individualität nicht zerstören — jene Welt des Gottes, oder die Welt der Liebe, in der zwei Dinge Eins sind, obwohl sie gleichzeitig zwei Dinge bleiben. Es ist eine unbestreitbare Tatsache der Welt der Liebe.
Doch es ist sehr schwierig in der Praxis so zu leben, es fordert eine sehr große Aufmerksamkeit, Erfassung und ein ungefälschtes Interesse für andere Lebensweisen. Und Anerkennung des Rechtes auf Existenz jeder beliebigen Lebensweise.
Es bedeutet nicht, dass wenn ich die Gesetze deines Lebens verstanden habe, ich ihnen obligatorisch zustimme. Aber das Recht auf die Existenz einer beliebigen Lebensweise anzuerkennen bedeutet, den realen Weg zur Realisierung des Gebotes Jesus «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst» oder «Liebe deine Feinde» zu finden.
Nur wenn wir das Recht auf Existenz ganz verschiedener sozial-psychologischer Welten als des lebendigen Stoffes des Lebens anerkennen, können wir uns zu dieser Weissheit nähern. Entweder durch den rationalen Weg oder mittels einer Gemütsbewegung. Man muss die sozial-psychologischen Welten in Erinnerung behalten und beginnen, von dieser Position aus die Menschen und das Menschenleben zu betrachten. Auf sie aufmerksam werden, diese sozial-psychologischen Welten sehen zu lernen, ihr Recht auf die Existenz anerkennen. Zu lernen, mit ihnen einen Dialog zu beginnen, selbst wenn sie Ihrer Welt sehr unähnlich sind.
Aus der sozial-psychologischen Welt hinauszugehen heisst sich selbst zu verlassen. Und nicht nur die eigene Persönlichkeit. Sich selbst als solches. Das heißt sich vollständig umzuformen. Von den bewußten bis zu grundsätzlich unbewußten Ebenen — solche gibt es auch im Menschen, da er lebendig ist. Und lebendig, wie bekannt, ist deshalb lebendig, weil es in sich ein Geheimnis enthält, dass weder für das Verständnis, noch für die Erfassung, und nur für die Aufbewahrung bestimmt ist.

Wie viele Welten gibt es und wie kann man sie bestimmen

Sie können fragen: «Wie kann man die Grenzen der sozial-psychologischen Welt umreißen? Es gibt Millionen von Menschen. Jeder hat seine eigene soziale-psychologische Welt».
Nein, es gibt viel weniger solcher Welten, als Menschen insgesamt. Man kann sie ganz einfach umreiβen: kaum geraten Sie in eine fremde sozial-psychologische Welt, so beginnen Sie die Grenzen der eigenen Welt zu verstehen. Zum Beispiel, die Welt der professionellen Obdachlosen. Man muss sagen, dass sie sehr eigentümlich ist. Mich hat in ihr die ganz andere Wahrnehmung des Landes erobert. Sie haben das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion als eine große Wohnung wahrgenommen. Sie bewegten sich in ihr ganz frei und wussten ganz genau, wann und wohin man besser gehen sollte. Sie hatten eine eigene Psychologie, ein eigenes Wertesystem und eigene unmittelbare Reaktionen.

Ich sprach mal mit einem Obdachlosen, der zuvor in einer ganz anderen sozial-psychologischen Welt lebte. Er hatte Hochschulbildung, war Ingenieur, Hauptmechaniker eines Unternehmens, ist jedoch später zum Trinker geworden. Er wurde vollständig zerstört. Alle haben ihn verlassen, sogar seine Familie. Eigentlich sollte er umkommen. Aber der Zufall wollte es, dass er in die Welt der professionellen Obdachlosen geriet und sich dort einlebte. Er wurde zu einer eigentümlichen Persönlichkeit, aber doch zu einer Persönlichkeit. Mit allen Merkmalen einer Persönlichkeit, mit allen Merkmalen eines ganzheitlichen Menschen.

Behalten Sie aber im Sinn, dass es in diesem Fall nicht um die soziale Welt geht, nicht um die Welt des sozialen Standes, denn das ist etwas ganz anderes. In einer sozialen Gesellschaft gibt es Schichten. Sagen wir so: die Nomenklatur ist eine besondere Schicht. Zum Beispiel, in der Theaterwelt, wenn du als Regisseur in ein Stadttheater in einer kleinen Republik geraten bist, bleibst du lebenslang in dieser Schicht: aus einem solchen Theater ins andere wandernd. Bist du an einem regionalem Theater — bleibst du lebenslang an regionalen Theatern angestellt. Wenn du in ein Stadttheater geraten bist, dann must du um, sagen wir, in den Kreis der regionaltheater Regisseure versetzt zu werden, jene Position opfern, die du im städtischen Theater hast. Doch das ist keine sozial-psychologische Welt, das ist eine soziale Schicht.
Doch wir reden darüber, worin der Mensch psychologisch lebt und dass er sich dessen meistens einfach nicht bewußt ist. In der Regel ist der Mensch immer davon überzeugt, dass alle so leben wie er selbst oder so ähnlich und jede grobe Abweichung davon gleich eine Abnormalität sei.
Wir wollen möglichst zu der Mehrzahl der Wir gehören. Deshalb wünschen wir uns, dass alle so leben wie wir. Oder wenigstens so ähnlich. Und unterbewußt sind wir davon überzeugt, dass wenn auch einige weniger und andere besser materiell und moralisch leben, so ist im Prinzip doch alles identisch – alle lieben, hassen, streiten sich, lügen und so weiter. Aber dem ist nicht so. Lügen tun alle unterschiedlich. Es hängt davon ab, zu welcher sozial-psychologischen Welt man gehört. Und die Wahrheit sagen auch alle auf verschiedene Weise. Und lieben unterschiedlich. Und befreundet sind auch alle verschieden.
Doch das alles findet sich überall – sowohl Freundschaft, als auch Güte und Ehrenkodex – in jeder sozial-psychologischen Welt, doch sie sind einander häufig gar nicht ähnlich.
Als Beispiel eine konkrete Situation.
Ich bin in eine für mich ganz fremde Stadt Salsk, durch komplizierte Lebensumstände gelangt, hatte etwas zu tun und war deswegen den ganzen Tag unterwegs. Am Abend bin ich ins Restaurant gegenüber dem Hotel gegangen. Die ganze Stadt wusste, dass sich dort nur Diebe versammeln, aber ich wusste es nicht. Und so bin ich in so eine Diebesversammlung geraten. Gut, dass ich Schauspieler bin und den nötigen Vorrat derartiger Kenntnisse besitze. Ich habe mich gleich richtig benommen, und als Folge dessen haben sie mich für einen von ihnen gehalten, für einen Dieb, der infolge irgendwelcher Schwierigkeiten zufällig aus einer Grosstadt in dieses Loch greaten ist.
Ich sagte die Wahrheit. «Wer bist Du?» — «Regisseur». – «Etwa ein Spitzname, ha?» Ich habe durchgehalten. In dieser sozial-psychologischen Welt gibt es eine Prüfung – erschreckt man oder nicht. Ich habe davon gewusst und habe sie bestanden. Und im folgenden haben sie alles selbst gedeutet. Kaum haben sie festgestellt, dass ich einer von ihnen bin, war es geschehen. Ich konnte alles mögliche erzählen, sie übersetzten alles gleich in ihre eigene Sprache. Und so sitzen wir in diesem Salsk, trinken Wodka, und sie erzählen mir, wie schlecht es hier ist, warum, sagen sie, bist du gekommen, was machst du hier? Ich antworte: «Ich suche nach einer Arbeit». — «Hier gibt es keine!» — sagen sie. «Na ja, kein Glück also, — sage ich,- morgen versuche ich hier irgendwie wegzukommen…» — «Hör mal, wir haben hier uns eine Geldquelle ausgeguckt… Bist ein guter Bursche, gefällst mir, — sagt der Chef, — wir wollen dich beteiligen. Du kannst hier doch nicht zugrunde gehen». Wissen Sie, was so ein Vorschlag für diese Leute bedeutet? Es ist dasselbe wie wenn Sie in der Tasche Tausend Rubel hätten und mir davon einen Hunderter gegeben hätten. Einfach so. Sogar nicht mal einen Hunderter, sondern mehr. Beteiligen! Bedeutet das denn nicht Edelmut, bedeutet das denn nicht gegenseitige Hilfe, ist das denn nicht Fürsorge, nicht Güte? Und was für eine! Mit Mühe habe ich sie gezwungen, von mir zehn Rubel für die allgemeine Kasse zu nehmen, obwohl ich dort für dreißig getrunken und gegessen habe. Verstehen Sie? So ist es innerhalb dieser Welt!
Doch wenn wir von außerhalb hineinsehen, was ist das dann? Ich bin ins Hotel gekommen und sagte: «Leute, rettet mich, bin hier gegenüber ins Restaurant reingegangen…» Alle fragen: «Wie bist du denn lebendig herausgekommen?» «Weckt mich rechtzeitig, bevor der erste Bus geht», — bat ich. Und war sofort eingeschlafen. Sie haben mich am Morgen geweckt, und ich bin mit dem ersten Bus fünf Uhr Morgens gefahren — nur weg von hier! Stellen sie sich vor, wenn ich zu diesem Raub nicht gekommen wäre, würde das für diese Leute nur eins bedeuten — ich musste ein Bulle gewesen sein. Und mit einem Bullen geht man nur auf eine Weise um…

In jeder Welt gibt es eigene Gesetze, die bestimmen, was erlaubt ist und was nicht, was üblich und nicht üblich ist. Es gibt solche sozial-psychologische Welten, in denen der Begriff der Freundschaft eine ganz andere Bedeutung hat.
Sozial-psychologische Welten schließen nicht unbedingt Menschen aus einer sozialen Ebene ein, das heißt vom gleichen Niveau der sozialen Hierarchie. Es können Menschen aus der «oberen» und auch «unteren» Schicht der Gesellschaft dazu gehören. Es gibt Welten, in denen ganz verschiedene soziale Schichten der Gesellschaft ohne Probleme zusammen existieren können. Doch sozial-psychologisch bilden sie eine Welt, und diese Welt bestimmt im Menschen so viel, dass es unmöglich ist, ihn separat von dieser Welt zu betrachten.

Unikate sind einsam

In unserem Leben gibt es viel mehr Typisches, als wir vermuten, obgleich es uns auch irgendwie kränkt. Wie Gurdjieff zu sagen pflegte: «Wir alle, Kinder, sind wirklich verschieden, aber an einem ganz anderen Ort».
In sich selbst den Ort der wahrhaften Einmaligkeit zu finden, ist einerseits unglaublich schwierig und andererseits — ist es denn notwendig? Ich wage Ihnen zu versichern, dass wenn Sie ihre eigene Einmaligkeit entdecken würden, Sie nicht besonderes erfreut wären. Denn kaum haben Sie diese Einmaligkeit entdeckt, wird sich das Gefühl Ihrer Einsamkeit steigern, weil Sie an der Stelle Ihrer Einmaligkeit wirklich allein sind.
So einen Menschen werden Sie ein Leben lang suchen műssen! Mit eben so einer Einmaligkeit. Es gibt keine gröβere Strafe für den Menschen als die Isolation. Und die Isolation muss nicht obligatorisch physisch sein, es kann sowohl eine psychologische, als auch erkenntnissreiche geben. Zum Beispiel die Gelehrten. Es kommt vor, dass einen Gelehrten in der Welt nur seine wenigen drei Kollegen verstehen können. Der eine lebt in Neuseeland, der andere in Russland, der dritte in den USA, und er selbst irgendwo in England, in Cambridge. Nur diese vier können in dieser Welt einander verstehen, und sonst niemand. Können Sie sich vorstellen, was für einen Wert diese Kontakte für sie haben?
Oder nehmen wir zum Beispiel, die Kollegen auf Arbeit — Menschen, die berufsmäβig in einer geistigen Gemeinschaftswelt leben. Sie können sich gar nicht vorstellen was für ein Glück das ist, wenn wir uns mit Kollegen treffen! Und es spielt keine Rolle, zu welchen Traditionen wir gehören. Man kann einfach mit seinen Menschen interagieren, denn es gibt ja nur wenige von uns.
Also denken Sie zurest nach, bevor Sie ihre Einmaligkeit entdecken: ist es sinnvoll? Wir befinden uns die ganze Zeit in einem Dualitätszustand: einerseits wollen wir unsere Einmaligkeit offenbaren, unsere Eigenartigkeit aufdecken, und andererseits — um Gottes Willen nicht!
Außerdem fűrchtet sich die Mehrheit sogar, seine eigene sozial-psychologische Welt zu offenbaren, zu verstehen, wie sie tatsächlich ist. Wenn sich plötzlich erweist, dass es in der Realität niemanden aus dieser Welt gibt? Nicht umsonst sagt man, dass der Mensch nichts so kennen möchte, wie sich selbst, und nichts fürchtet der Mensch so sehr, wie sich selbst zu erkennen. Es ist ein instinktiver Schutz.

Der Schutz vor der Freude des Daseins

Wodurch ist der Schutz vor der Erkenntnis seiner selbst bedingt? Wie entdeckt man ihn? Den Schutz bedingt die Selbsterhaltung. Und entdeckt wird er von der Gesellschaft. Der Mensch ist aus Menschen gemacht. Die Einsamen haben in der Regel keine Nachkommenschaft hinterlassen.
So stellt sich die Frage: wie kann man seine sozial-psychologische Welt verlassen? Einerseits ist der direkteste Weg eine Reise durch verschiedene sozial-psychologische Welten, in denen man nach und nach erfährt, woher man selbst kommt. Und andererseits, je nach Ansammlung von Erkenntnissen kann man es mittels der Selbstreflexion herausfinden, doch solch ein Weg erfordert großen Mut, weil sich heraustellen kann, dass du gar nicht aus der Welt bist, aus der du sein wolltest.
Die Situation ist die selbe. Der Mensch möchte und gleichzeitig möchte er nicht die Wahrheit űber sich selbst wissen. Es gibt so einen altertümlichen Ausdruck: «Das, was in uns wűhlt, ist gerade das, was wir suchen». Es ist die Sehnsucht des Geistes.

Ich habe einen wunderbaren Freund. Von Zeit zu Zeit verschwindet er und kommt dann wieder und sagt: «Ich habe inzwischen zwei Mal den Entschluss gefasst, der Geistigkeit ein Ende zu bereiten… Überhaupt muss man sich mit ernsten Dingen beschäftigen, Geld verdienen, ganz normal leben, so wie die Menschen leben, aber, — sagt er, — schon wieder ergreift mich so eine Sehnsucht des Geistes, und schon wieder bin ich zu dir gekommen, verstehst du!» Er ist ein wunderbarer Mensch, dass er das sieht. Er sieht sowohl das eine als auch das andere: das, was in ihm nicht will, und das, was in ihm will. Er versteckt sich nicht vor diesem Kampf und schiebt ihn nicht auf die äusserlichen Umstände. Er sieht, dass es in ihm passiert. Und das ist sehr wichtig.

Warum sehnen wir uns so nach der Kindheit? Weil wir dort alles umsonst bekommen. Die ganze Liebe haben wir so bekommen. Uns wurde alles gegeben und wir waren für nichts verantwortlich. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass Sie aus diesem Ei gekrochen sind, und ganz allein mit der Welt geblieben sind. Da muss man doch für alles verantwortlich sein. Und es gibt kein Wir.

Einmal standen wir mit einem Bekannten rauchend auf dem Balkon und redeten: «Wir haben mit dir mehr als zwanzig Jahre studiert, gearbeitet, haben das erreicht, was wir wollten, und wo stehen wir nun heute?» Und wie aus einem Munde sagten wir ein und denselben Satz: «Was für eine seltsame Beschäftigung — das Leben». Das war das Ergebnis.

Solang du vorwärts gehst, ist alles klar — dort ist das Ziel, hier bin ich, hier ist der Weg. Ich gehe. Doch wenn du ankommst, wenn die Ziele realisiert sind, wenn es unmöglich ist, ein anderes Ziel zu erdenken, weil man dazu einen bestimmten Anteil an Illusion haben muss, dann bleibt dir nur diese seltsame Beschäftigung — zu leben.
Das Geleitwort meines Meisters war: «Man soll leben!» — und dies ist das Schwierigste. Denn automatisch funktioniert nichts außer den biologischen Bedürfnissen des Körpers, obwohl man diese im Prinzip unterdrücken kann. Wenn du also weißt, dass man jederzeit das Selbstvernichtungsprogramm laufen lassen kann, und so selbstverständlich aus der Sicht aller anderen sterben. Das ist in deiner Macht. Das stimuliert sehr gut.
Ich bin nie zu faul zu erklären, dass es nicht besser und nicht schlechter, nicht niedriger und nicht höher ist, sondern es bedeutet einfach auf eine andere Weise in der Welt zu sein. Sich seiner Einmaligkeit bewußt zu sein bedeutet, in der Welt allein zu sein. Das heißt nicht ohne Menschen, in einer Klause, in einer Höhle, sondern mit der Welt ganz allein.
Ist denn nicht eine der wichtigsten Pathologien unseres alltäglichen Lebens diese Pseudoalltäglichkeit, die uns das wichtigste entzog, wozu wir zur Welt gekommen sind — die Freude zu existieren? Wem haben wir es überlassen? Wer hat es uns genommen? «Cogito, ergo sum». Ich denke, also kann ich nicht existieren, müsste man eigentlich sagen.
Wer hat mir meine Erlebnisse genommen? Wer hat mir die Lebenskraft genommen? Wer hat mir die Freude zu existieren genommen? Anonymus unter dem Namen «unsere Zivilisation». Anonymus unter dem Namen «Umstände». Na also, wenn der Anonymus es uns genommen hat, warum sollen wir es nicht zurücknehmen? Es gibt ja sowieso keinen Herr. Weder die sowjetische Macht, noch irgendeine andere Macht, weder das Elend, noch das Reichtum, weder das Wissen, noch dessen Abwesenheit — nichts und niemand kann den Menschen stören zu existieren und sich über dieses Leben zu freuen.
Es bedeutet nicht, dass bei Ihnen alles wunderbar sein wird, es bedeutet nicht, dass Sie nicht leiden, sich quälen und betrübt sein werden — Sie werden. Aber das bedeutet, dass das ganze Gebäude mit dem Namen «das Leben» das Fundament mit dem Namen «die Freude des Daseins» haben wird.
Die hervorragende Generation der Psychologen, der Philosophen, die die Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts überlebt haben — Fromm, Frankl, Maslow, — haben fűr die Menschheit noch einmal eine bekannte und prächtige Sentenz wiederholt: «Der Sinn des Lebens ist im Leben selbst». Das ergibt Sinn. Es ist der Sinn selbst. Das Wort über das Wort, gewandt zum Wort. Und wenn es verloren ist, dann gibt es keine anderen Sinne. Dann ist das Leben eine Schlägerei. Eine Schlacht um die Ernte, um den Platz unter der Sonne, um die Karriere, die Macht, das Wissen.
Alle Menschen teilen sich auf in Sieger, Besiegte und Richter. Ich habe viele Jahre gefragt: «Denken Sie nach! Warum spielen so viele Menschen Schach, aber es gibt immer nur einen Weltmeister?» Im vorigen oder vorvorigen Jahr habe ich endlich selbst diese Frage beantwortet – keiner konnte mir die Antwort geben. Weil das Symbol unseres Pseudolebens der Wettbewerb ist! Und es soll nur einen Sieger geben. Ihm wird ein Denkmal zu Lebzeiten gesetzt. Und wir werden unser Leben nach ihm richten.
Ich habe angefangen über den Feiertag zu reden und es ergriff mich leichte Traurigkeit. Weil auch ich häufig in die Falle der Ernsthaftigkeit, der Pseudoernsthaftigkeit geraten bin. Weil auch ich ein Kind dieser Zivilisation bin, ich war so eins, und wäre nicht die geistige Tradition, zu der ich gehöre, so würde ich auch weiter denken, dass klug zu sein und viel zu Wissen die Hauptsache ist. Ich würde mich für das Wissen verkaufen, wie in meinen Augen viele bemerkenswerte Menschen sich verkauft haben. Wenn es den Teufel gibt, so ist er das Wissen. Die Menschen verkaufen für das Wissen Liebe, Freundschaft, Ideale, Ehrlichkeit, Anständigkeit, die Seele. Töten sie. Geben alles weg. Und von Liebeskummer stirbt schon niemand mehr. Und Leidenschaft treibt niemanden mehr in den Wahnsinn.
Ich fordere Sie dazu auf, dem zu folgen, was Nicolaus Cusanus sagte: der gelehrten Unwissenheit. Dazu, was Sokrates lehrte. Und dabei lebten sie zu einer Zeit, als die Welt der Emotionen noch einen gleichberechtigten Wert mit der Welt des Wissens hatte.
Was für einen Feiertag gibt es in der psychologisch leeren Welt des Wissens? Erklären Sie mir: Was für einen Feiertag kann es in der leeren wie die Leere Leere geben?! Das höchste Wissen in allen ernsten geistigen Traditionen symbolisiert ein leeres Zimmer mit Spiegelwänden. Es ist das Symbol des höchsten, absoluten Wissens.
Ich lese gern, wiederhole unaufhörlich die Information, ich mag die Erkenntnis, doch das Prinzip, das Symbol des höchsten Wissens, des absoluten Wissens ist die Leere. Die Welt des Wissens ist psychologisch leer.
Wir alle wollen einen Feiertag haben, wir sagen, dass wir es wollen. Wir sehnen uns nach ihm. Doch wir haben keine Zeit uns einen Feiertag zu organisieren. Wissen Sie wie viele Feiertage es im Mittelalter gab, in der Zeit des sogenannten Dunkelmännertums? Und dabei solche, an denen alle teilnehmen konnten. Nicht weniger als einen im Monat. Und bei uns oder bei den Amerikanern? Solche Feiertage gibt es nur zwei Mal im Jahr. Man kann zwar zum Fussballspiel gehen und jemanden mit der Flasche auf den Kopf schlagen…
Wir sprechen über eine unkontrollierbare, unmotivierte Aggression. Selbstverständlich. Wenn man dem Menschen noch als Kind beibringt seine Emotionen zu unterdrücken… Wir lassen die Kinder nicht lachen, nicht weinen, keinen Lärm machen. Von Anfang an machen wir aus Kindern Roboter. Du gehst auf der Straße und siehst so einen Knirps — schon ein Roboter. Das Grauen packt mich. Schauderhaft. Zombies! Da haben Sie, die Zombies. Kein KGB, kein Intelligence Service kann das machen, was wir selbst mit uns machen.
Also, ein Feiertag ist, natürlich, etwas Schönes, jedoch kann es furchtbar und unverständlich sein, wenn man es nicht gewöhnt ist, es sei denn wir «nehmen es an», dann ist es möglich, doch wenn nicht? Dann klappt es nicht.
Ohne Wissen geht es, natürlich, nicht. Aber es soll auf Praxis ausgerichtet sein.
Was kann man machen? Rundherum sind lauter Radiowellen, ich rede schon nicht über Strahlung, Chemisierung, Emanzipation. Der Kopf ist mit Information vollgestopft, und wozu? Ganz unverständlich. «Ich weiß nicht, warum und wem es notwendig ist…» So wird einem der Kopf ganz verdreht, ein unkontrollierbarer Durchbruch des Materials aus dem Unterbewußtsein ins Bewußtsein.
Und der Feiertag ist eine Spontanität, ein natürliches und lebendiges Erlebnis von seinem eigenen Wesen und der uns umgebenden Welt. Doch unsere Spontanität sieht irgendwie schrecklich aus. Wir verstehen es nicht, spontan zu sein, wir haben es verlernt. Von neuem müssen wir uns bilden.
Der Feiertag, die Spontanität fordern eine riesige Menge freier emotionaler Energie. Noch im Altertum pflegte man zu sagen: «Man soll Reichtum und Überfluss, die als Nahrung und als Dünger für das Wachstum des Geistes dienen, nicht vermeiden». «Der Ozean des Vergnügens ist für die Weisen». Man muss in Erinnerung behalten, dass das Erleben eines Feiertages ein produktiver Energieverbrauch ist. Je mehr Sie hineingeben, desto mehr bekommen Sie. In der Welt der Emotionen gilt dieses Gesetz zu hundert Prozent. So ist die Spontanität, natürlich, eine gute Sache, aber essen muss man trotzdem, aber essen können wir auch nicht. Deshalb haben wir überhaupt keine Energie.

ÜBER DIE SPONTANITÄT (LUSTIGES KAPITEL)

Was ist ein spontanes Verhalten? Wenn ich das mache, was ich in diesem Moment machen will. Und nichts anderes.
Eigentlich ist das Einzige, was man ernsthaft lernen muss, die Spontanität, sich erlauben spontan zu sein.
Was bezaubert uns in Kindern? In kleinen Kindern, unter fünf Jahren, wenn sie sich, natürlich, in mehr oder weniger normaler Umgebung befinden, ist es gerade die Spontanität ihres Verhaltens, absolute Aufrichtigkeit in jeder beliebigen Erscheinungsform.
Und wenn wir erwachsen werden, werden wir uns dessen bewußt, dass nur ein spontanes Verhalten das Verhalten ist, dass den eigenen Selbstwert bestätigt, die Selbstrealisierung im vollen Umfang.
Wir versuchen es, und meistens klappt es bei uns gar nicht. Und hier beginnt die Pathologie. Im strengen Sinne des Wortes ist Psychopathologie ein beliebiger Verstoß gegen die Spontanität. Wir haben mit Ihnen vereinbart, dass wir in diesem Fall den Begriff der Psychopathologie im Kontext der Psychopathologie des alltäglichen Lebens verwenden, das heißt nicht im medizinischen Sinne des Wortes, sondern im dem Sinne, was der vollwertigen Selbstrealisierung und der vollwertigen Empfindung gegenüber sich selbst als ein Subjekt, als eine wertvolle Individualität im Weg steht.
Schauen Sie sich von innen und außen an. Wer von Ihnen ist jetzt frei? Spontan? Was ist das für eine Angst? Und woher ist sie gekommen? Diese Angst haben Sie den Eltern zu verdanken, denn gerade die Eltern erklärten Ihnen, was es bedeutet sich gut und schlecht zu benehmen. Sie bestraften und ermunterten. Später geschah dasselbe im Kindergarten, in der Schule und so weiter. Und jeder von uns weiß oder vermutet, dass er eigentlich nicht so ist, wie man sein sollte. Und weil ich nicht ganz so bin, wie man sein sollte, oder ganz und gar nicht so, bedeutet es, dass ich auf mich aufpassen muss. Viele Eltern haben einen Lieblingsausdruck: «Du sollst auf dich aufpassen. Warum passt du nicht auf dich auf?»
Und was heisst auf sich aufpassen? Das heisst, in sich einen Aufseher bestimmen, einen Kontrolleur — wie auch immer Sie es benennen, — der die ganze Zeit darauf aufpassen wird, wie ich mich benehme, wie ich sitze, gestikuliere, mich bewege und so weiter und sofort. Wann hat man denn sonst Zeit sich mit jemand anderem, außer sich selbst, zu beschäftigen?
Was ergibt sich daraus? Folgendes… Zum Beispiel, treffen sich zwei Menschen. Beide sehnen sich nach einem lebendigen menschlichen Umgang, nach einem tiefen gegenseitigen Verständnis. Der eine bemüht sich zu erraten, wie der andere erwartet, dass er sich benimmt. Der zweite will es auch erraten. Der eine sieht: der benimmt sich nicht so, wie es sein soll. Der andere sieht ihn an: etwas stimmt nicht…
Sie fragen: «Und was ist zu machen?»
Entweder ins Wasser springen und schwimmen, oder die ganze Zeit am Ufer lang gehen und nachdenken: «Wird es denn anständig sein, wenn ich hier baden gehe? An dieser Stelle? Und was werden die Menschen sagen? Wieso bin ich plötzlich ins Wasser gesprungen? Schwimme ich im richtigen Stil?»
Haben wir denn begriffen, dass der grösste Teil der Verbote seit langem veraltet ist und das Kind betraf und nicht uns jetzige? Haben wir denn begriffen, dass es den meisten Menschen ganz gleichgültig ist, wie wir uns in Wirklichkeit benehmen? In Wirklichkeit sind alle mit sich selbst und ihren eigenen Ängsten beschäftigt. Wenn wir uns das bewußt machen, so werden wir verstehen, dass wir nicht den Wunsch nach etwas Ǖbernatürlichem hegen können, was sich nicht jemand anderer auch wünschen könnte.
Man kann spontan sein, und es wird keine Strafe folgen. Die Angst der Spontanität ist eine der Quellen der Pathologie des alltäglichen Lebens. Es ist die Pyramide der Kinderängste, die in reiferen Jahren angeeignet wurden, auf die immer noch spekulative Konzeptionen eingestellt sind. Kaum betrachtet man aufmerksam, ruhig und mit erwachsenen Augen diese Pyramide, so beginnt sie von selbst einzustürzen.
Wir haben ein großes Problem, weil wir wissen, wie man sich benehmen muss. Wir wollen sofort einem freien Menschen eine Bemerkung machen. Denn wir wollen auch dasselbe tun, fürchten uns jedoch. Deshalb ist er, der Spontane, für uns ein Rowdy, unerzogen und frech. Wir zucken zusammen und in der Gesellschaft steigt unentwegt das Niveau der Neurotisierung.
Die Erhöhung des Neurotisierungsniveaus ist ein grosses Problem der modernen Stadt, das als Folge der Einklemmung der emotional-sinnlichen Sphäre entstand. Je grösserer Teil unseres Lebens verschiedenen Konventionen untergeordnet ist, desto stärker werden wir unser Verhalten dementsprechend kontrollieren, desto mehr Energie wird für diese Kontrolle verbraucht, weil man sonst bestraft werden kann. Der Mensch hört auf, eigenen Emotionen zu glauben und, sogar nach Hause kommend, kann er sich von der Selbstkontrolle nicht befreien, kann nicht spontan werden.
Die Einklemmung der emotional-sinnlichen Sphäre verringert die Lebenskraft. Und es entsteht das berühmte Paradox: unsere Großmütter sind viel energischer als unsere Enkel.
Wir lesen Bücher, die für ganz andere Menschen geschrieben wurden, bei denen die Welt der Emotionen um vieles grandioser und stärker als die Welt der Überlegungen war. Bis zum XVII Jahrhundert existierte auf der Erde keine solche Gesellschaft, in der die Überlegung vor der Emotion dominieren würde. E-xi-stier-te nicht! Deshalb wundern uns bis jetzt noch jene Denker, die es geschafft haben, ihre Emotionen in logische Formulierungen einzukleiden.
Man sagt, Heraklit hat die Geometrie geschaffen. Er schuff gar nichts, er lebte in einer Emotionenwelt beim schwachen Schein der Verstandesmäßigkeit. Wir mit Ihnen sind diejenigen, die schon dreihundert Jahre in der Verstandesmäßigkeitswelt beim schwachen Schein der Emotionen leben.
Warum hängen wir so an diesem Zen, an diesem Buddhismus? Sufismus? Chassidismus? Und übrigen exotischen «ismen»? Wir hängen deshalb so an ihnen, weil wir die Welt der Emotionen, das verlorene Paradies suchen. Doch wenn wir uns daran angeklammert haben, was machen wir damit? Wir versuchen uns dazu so zu verhalten, wie zu einer Sache, die man verstehen kann.
Deshalb wird zum Ergebniss so etwas, wie Nischegoroder Karate, Iwan-Franko Buddhismus, Kiewer Yoga usw. Wir leben, sich auf den Verstand, auf die Spekulation, auf rationale Konventionen stützend, die schon irrational geworden sind, weil ihre Herkunft in der Finsternis des Unterbewußtseins verborgen ist. Warum darf man auf der Straße nicht lachen? Wer kann mir das erklären? Alle wissen, das es unanständig ist.
Ist dass denn keine Pathologie? Wem kann das Gelächter auf der Straße schaden? Was wird davon umstürzen? Was denn, wird es dem Straßenverkehr stören, zu einem Notfall führen? Nein. Aber alle wissen: Gelächter bedeutet Unordnung.
Und das alles nur deshalb, weil wir uns ständig unter der Kontrolle des Verstandes befinden. Wissen Sie, wenn man jemandem an jeder Ecke Denkmäler aufstellen müsste, so ist es Genosse Descartes. Durch ganz Europa. Und in Amerika. Auf jeder Kreuzung. Für den einzigen Leitsatz: «Cogito, ergo sum» — «Ich denke, also bin ich». Das ist der Führer unserer Zivilisation. Was ist hier Lenin… Lenin war ein feueriger Mann, schlecht erzogen, gebrauchte häufig Schimpfwörter. Als er Hegel «imperialistischer Scheißkerl» benannte, stellte er drei Ausrufezeichen und unterstrich es dazu noch zwei Mal! Und Descartes… Man darf lächeln, aber nur so, dass man die Zähne nicht sieht. «Was denn, hast du denn so schlimme Zähne?» — «Nein, ich habe schöne Zähne, aber das ist doch unanständig». Und ich habe schlimme Zähne, doch ich lächle.
Und wenn es keine normale, vollwertige Welt der Emotionen gibt, wenn die Spontanität verlorengeht, entschuldigen Sie, dann kommt es sogar im Bett mit dem geliebten Menschen zum «cogito, ergo sum», entschuldigen Sie noch einmal. Nicht umsonst gibt es solch ein Sprichwort: «die Wahrheit, wie auch die Frau, lieben wir nur in der Dunkelheit». Damit es niemand sieht.

Vernunft und Emotionalität

Vom Standpunkt der Rationalität aus sind alle verschieden, das haben wir schon aufgeklärt. Jetzt lasst uns aufklären, dass wir auch emotional verschieden sind! Und man braucht gar nicht heucheln, dass wir zurückgehalten und wohlerzogen sind.
Wissen Sie, wie gross der Prozent der psychogenen Impotenz in Russland ist? Siebzig. Und in Schweden? Zweiundachtzig. Der psychogenen Frigidität: in Litauen — fünfundfünfzig, in Schweden — sechzig — fünfundsechzig.
Warum? Überall — zu Hause und auf Arbeit — herrschen Konventionen, Regeln, Anleitungen. Das fűhrt zu einer globalen emotionalen Katastrophe. Und als Folge senkt das Niveau der Kunst und Kultur. Weil die ganze Kultur aus der Welt der Emotionen herauswächst. Niemand hat doch gesagt: «Ich erlebe, also bin ich ».
Nur die Emotion sichert die Ganzheit des Bewußtseinraumes, die Ganzheit der subjektiven Realität als solcher, ungeachtet der Unvollständigkeit, Gebrochenheit, Aufgliederung und Differenzierung der logisch-konstruktiven Schritte.
Schauen Sie, wie die Welt vereinfacht wird. Wie sich die Zahl der Menschen verringert, die das Vergnügen beim Mitempfinden, sagen wir mal, Beethovens Fünften Sinfonie bekommen. Und immer mehr und mehr Leute bekommen das Vergnügen vom Mitfühlen von so etwas: «mein Mädel, mein blauäugiges…»
Verkümmerung der emotional-sinnlichen Sphäre ist ein Grund der Neurotisierung. Die Erscheinungsform dieser Verkümmerung zeigt sich in der Senkung der Verhaltensspontanität. Aber die Senkung der Spontanität führt dazu, dass der Mensch immer weniger und weniger sich seines Selbstwertes bewußt wird. Des Selbstwertes der Lebenstatsache als solcher.
Dann, um sich selbst eigenen funktionalen und sozialen Wert zu beweisen, beginnt der Mensch krampfhaft, an die äusserlichen Merkmale zu greifen: sozialen Status, Prestige, Image, Verpackung.
Die einen haben Glück: sie haben eine sehr teuere, schöne Verpackung, andere, dagegen, haben Pech. Aber der Mensch lebt doch, also hat er seinen Wert.
Das, was wir Emotion nennen, macht auf den Fachmann einen traurigen Eindruck. Wenn ich ins Theater komme, Filme oder Fernsehnprogramme mir ansehe, oder einmal moderne Musik anhöre, kommt gleich der Gedanke: woher kann man so viele Ärzte schaffen, um diese Herrschaften von Neurasthenie und Hysterie zu heilen?
Dann schaue ich bei den Ärzten vorbei. Die Älteren machen noch einen guten Eindruck, doch die Jüngeren kann man nur kritisieren.
Die Propaganda der Spontanität ist im allgemeinen eine Propaganda des gesunden Verhaltens. Willst du lachen — lache, willst du schluchzen — schluchze, willst du dich rückwärts setzen — setze sich rückwärts. Wenn es niemandem im direkten Sinne des Wortes schadet, kannst du alles machen, was du willst! Gerade das ist das Gesundheitsverhalten — die Vergrößerung der Spontanität im Verhalten, offene Emotionalität zur Erweiterung eigener Sphäre.

Wissen Sie, womit ich solide Männer verwunderte? Wir sitzen eine Zeitlang zusammen, reden… Sie verhalten sich zu mir etwas «von oben», gönnerhaft, rütteln mich an der Schulter: «Ha-ha-ha, Igor, ha-ha… Wie alt bist Du?» -«Achtundfünfzig». — «Und warum bist du so gut erhalten geblieben?» — fragen sie, und ich antworte: «Na ich lache einfach, wenn ich lachen will, weine, wenn ich weinen will. Das ist alles».

Deshalb kann ich einen dreitagigen psychologischen Marathon aushalten und die nicht, sie sind zu stark eingeregelt. Deshalb ist es mir interessant zu leben und ihnen schon nicht mehr. Verstehen Sie, bei mir scheint noch die liebe Sonne, und die sind schon im Nebel. Das ist eben der Hauptwert der Spontanität. Wir haben also eine Quelle der Psychopathologie des alltäglichen Lebens betrachtet. Diese Einklemmung der Welt der Emotionen im Laufe der letzten 300-400 Jahre der Zivilisationsentwicklung, diese Übermacht des konventionellen Verhaltens, das den Menschen nicht lässt spontan zu werden, hat also einen Selbstwert. Die Folgen davon kann man sehen (ich werde jetzt nicht besonders anständig) — sogar beim Stuhlgang bei sich in der Toilette, sperren sich alle ein. Prüfen Sie selbst. Sogar dort sind Sie nicht frei.
Nicht nur mit der Welt allein, nicht nur uns über geistige Themen unterhaltend, sogar mit sich selbst sind wir nicht spontan. Deshalb ist es so schwer zu verstehen, was ein Impuls sei, was der Moment der Wahrheit, die Resonanz bedeuten.

Der Mensch ist zum Glücklichsein geboren

Man hat mich mal gefragt: «Darf man den geistigen Weg im kurzen Rock gehen?» Im kurzen Rock ist es sehr bequem. Den geistigen Weg gehen — wunderbar! Und ohne Hosen – wissen Sie, wie bequem das ist! Ich erinnere mich an meine Arbeit in Vilnius im Ferienlager, da habe ich zwei Monate lang kein mal Hosen angezogen, die ganze Zeit war ich nur in Badehosen. Und wie ich arbeitete! Spontan!
Manchmal ist es sinnvoll, sich an die Haare zu greifen und aus dem Sumpf herauszuziehen, und manchmal tut sogar Epatage gut, wenn Sie sich bewußt sind, warum Sie das machen, und verstehen, dass es eine provisorische Maßnahme ist.

Ich habe eine Erinnerung, auf die ich stolz bin. Ich war Sohn eines Eisenbahnstaatsanwaltes und mein Freund — Sohn des Direktors der Universitätsbibliothek, eines Professors. Womit haben wir uns beschäftigt?Wir stahlen Blumen. Nicht bei Privatpersonen, sondern beim Staat. Wir krochen mit ihm auf dem Leninplatz rum, wo das Lenindenkmal auf das Gebäude des KGB schaute und mit der Hand auf das Konservatorium wies (das gibt es dort nicht mehr), und schnitten mit Scheren Rosen ab. Ringsumher geht die Miliz, gegenüber ist das KGB, und wir schneiden mit den Scheren diese Rosen ab — sechsundfünfzig Stück, wie ich mich jetzt erinnere. Und dieses Risiko nur dazu, um am nächsten Tag in der Pause einer Tanzveranstaltung in unserer Schule reinzukommen, — Mädchen zu einer Seite, Jungs zur anderen, — und diese Rosen einem guten Menschen zu Füβen werfen. Was interessant ist, niemand hat das später erwähnt, nicht mal angedeutet, — weder die Lehrer, noch die Schüler, weder als ich in dieser Schule lernte, noch später, als ich in die Abendschule übergegangen bin.
Niemand hat mich mit keiner Andeutung an dieses Ereignis erinnert. Und warum, habe ich an dem Tag verstanden, als ich Psychologe wurde.
Das war in der achten Klasse, in der Stadt Vilnius, in der privilegierten Mittelschule Nummer Acht. Wie oft ich nicht später zum Absolvententreffen kam, mit meinen Lehrern, Mitschülern sprach – weder am nächsten Tag, noch nach zehn Jahren hat niemand mich daran erinnert. Und was habe ich denn gemacht? Denken Sie nach. Mein Freund öffnete mit dem Fuß die Tür und ich trat mit einem riesigen Rosenstrauß ein, niemand wusste, dass ich sie vom Leninplatz bringe. Ging zu ihr ran, nicht zur Geliebten, einfach zur Freundin, die ich unabsichtlich gekränkt habe. Sie war ein Krüppel, verstehen Sie, ich wollte einfach so um Entschuldigung bitten, und habe es auf solche Weise getan. Ich ging durch den ganzen Saal, sagte: «Verzeih mich!», warf die Blumen zu ihren Füßen, drehte mich um und ging davon. Keiner hat was gesagt. Solch eine Psychologie. Ich und mein Freund konnten damit unseren Vätern, die durch Zufall den Stalinterror űberlebt hatten, und ihrer ganzen Karriere schaden. Und uns selbst auch. Wofür? Für diese sechsundfünfzig Rosen?
Warum? – Habe ich mich heutigen gefragt. Wegen dem Gefühl der Freiheit. Wir wollten — und wir taten es. Vielleicht war in uns deshalb etwas weniger von der sozialen ursprűnglichen Angst, als in anderen unseren Altersgenossen. Das ist, natürlich, Epatage, ein sehr dummes Risiko vom rationalen Standpunkt aus gesehen, aber vom Standpunkt der Emotion aus… Man muss noch nachdenken, was stärker ist — Orgasmus oder so etwas.

Wir wurden in unserem ehemaligen Staat und in unserer ganzen Zivilisation von der Position des Kämpfers großgezogen. Von der Position der Schlacht. Wir kämpfen mit der Natur, wir unterwerfen sie, haben uns mit den Kapitalisten gleichgesetzt. Wir haben einfach das vergessen, was der von mir nicht sehr geliebter Schriftsteller V.G.Korolenko sagte: «der Mensch ist zum Glück geboren, so wie der Vogel zum Fliegen». Das heißt, es ist ihm irgendwie eigen.
Wohin ist der Feiertag verschwunden gegangen? Warum sehen alle so besorgt aus? Warum hat man uns allen angewöhnt, sich zu allem mit einer kränklichen Ernsthaftigkeit zu verhalten? Und nicht nur das, man hat uns überzeugt, dass gerade solch ein Verhalten ein ernstes sei! Aber das stimmt doch nicht. Ein maniakalischer Zustand ist dem Zustand der Ernsthaftigkeit nicht gleich gestellt, ebenso, wie der Zustand der narkotischen Anregung den Zustand der Heiterkeit, der Schlaffheit nicht bedeutet. Wir haben das Gefühl der Partnerschaft, vor allem der Partnerschaft mit sich selbst verloren. Ich sage immer: wenn der Mensch sich über die Tatsache, dass er lebt, nicht freut, worüber kann er sich überhaupt freuen?!
Das Niveau des Feiertages ist nur bei einer Bedingung möglich: wenn Sie zulassen, dass Sie einen Selbstwert haben, an und für sich, ohne jegliche angebote Umstände. Einen Selbstwert, weil Sie im menschlichen Körper stecken, weil Sie lebendig sind. Und deshalb, weil Sie was wollen oder nicht wollen. Und denken Sie, wenn Sie es wollen — und wenn nicht, dann denken Sie nicht. Sie sind ein Mensch. Die Gestalt der Menschheit. Und ringsumher sind Menschen. Da haben Sie doch großes Glűck! Riesiges Glűck!
So lasst uns freuen, Menschen!

BEKENNEN SIE UND STIMMEN SIE ZU

Alles, worüber ich erzähle, ist aus einer bestimmten Position sichtbar, in der ich mich befinde und die Sie noch nicht kennen. Es ist sehr wichtig, damit Sie es im Sinn behalten, sonst werden Sie die Information entstellt wahrnehm. Sofort wird sich der ganze Apparat des psychologischen Schutzes einsetzten, und als Folge kann sich zwar anstelle des Nutzens nicht unbedingt ein Schaden ergeben, aber doch einige depressive Reaktionen.
Damit diese depressive Reaktion nicht zustande kommt, damit keine intellektuelle Frustrierung (Enttäuschung) stattfindet, vergessen Sie folgendes nicht: alles, worüber ich erzähle, ist aus einer bestimmten Position sichtbar. Das heißt, diese Information durchdenkend, verlieren Sie nicht außer Sicht die Quelle — den lebendigen Autor, seine Teilnahme am Prozess. Vergessen Sie ihn lebendigen nicht, verstehen Sie? Sonst kann sich daraus was schlechtes ergeben.
Einst hat eine meine Bekannte ein Gedicht geschrieben, und das Gedicht hatte ein bemerkenswertes Epigraph:
Sie. Ich möchte mich in das Denkmal von Peter dem Grossen verlieben!.
Er. Es ist sicher höchste Zeit für das Mädchen zu heiraten.
Wie ist es mit unserem Thema verbunden? Ganz unmittelbar. Man soll stets an den Ausgangspunkt denken. Kaum das Lebendige mit seiner ganzen Unvorhersehbarkeit, mit all seinem Geheimnis, mit der völligen Unmöglichkeit das Lebendige in irgendeine einzige konzeptionelle Struktur zu stecken, verschwindet, ergibt sich das, was wir Psychopathologie des alltäglichen Lebens zu nennen vereinbart haben. Lebendig zu sein ist gerade das Hauptproblem für den Menschen, der zu durchdenken versucht, was das Leben bedeutet, in das er geraten ist, was er selbst ist und die menschlichen Beziehungen, in die er einbezogen ist.
Ich benutze passive Formen, weil, kaum wir nachzudenken beginnen, entdecken wir, dass, wie Gurdjieff sagte: «die Hauptillusion eine Illusion des Machens ist ». Angeblich haben wir etwas getan. Und in dieser Illusion leben wir so lange, bis wir einfach nicht normal nachgedacht haben. Kaum wir aber nachdenken, klären wir auf, dass wir uns doch in irgendeiner passiv-leidenden Position befinden.
In dieses Leben bin ich geraten. Nicht von selbst gekommen, sondern geraten.
In diesen Menschen bin ich als das Selbstbewußtsein, als «ich bin», auch geraten.
In diese Beziehungen – auch wieder geraten.
Um etwas zu begreifen beginnen, muss ich selbst den ersten Schritt machen, den für mich niemand machen wird: weder Gott, noch Zar, noch Held. Ich soll meiner Vernunft bekennen, dass ich eine nichts tuende Person bin. Und nur wenn ich dieses Bekenntnis abgelegt habe, kann ich es erleben.
Doch kaum die Vernunft uns zu dieser Schlussfolgerung hinzuführt, beginnen wir sie zu betäuben, erlauben uns nicht zu bekennen. Das lässt uns nicht diese Tatsache zu erleben und ein bewußtes Leben zu beginnen.

Der Anfang des bewußten Lebens

Im strengen Sinne des Wortes beginnt das bewußte Leben mit dem Begreifen an, dass das bewußte Leben früher nicht gab. Wie es nicht um die vergangenen Jahre mit all dem Schönen und Schrecklichen, was in dieser Zeit passierte, schade ist, war es ein unbewußtes Leben. Unabhängig davon, wie alt Sie sind.
Wenn es Ihnen gelingt, der Vernunft zu bekennen und sich in diesem Erlebnis darüber zu erfreuen, dass Sie es bis zu diesem Selbstgeständnis erreicht haben, selbst wenn Sie schon achtzig sind, ist es ein großer Erfolg. Nur ab diesem Augenblick, ab diesem Geständnis bekommen Sie den waren Grund zur Selbstachtung. Sie hören auf ein Sklave, ein Tastenmechanismus zu sein, der keine Selbstachtung hat und gezwungen ist, eine Illusion davon zu schaffen, in dem er von anderen eine Bestätigung seiner Hochachtungswürde ausbeutet.
Eine Hochachtung, eine wirkliche, aus dem inneren kommende Selbstachtung wächst im Menschen nur dann auf, wenn er aufhört, eine passive, sprich unbewußte Person zu sein, und die ersten Schritte dazu macht, um eine im Leben handelnde Person zu werden. Ein Autor von sich selbst, von eigenem Leben und von eigenem Verhalten zum Leben.
Für diesen Augenblick ist nicht nur das Verständnis, sondern auch das Einverständnis notwendig, ohne dem es kein entsprechendes Erlebnis zustande kommt; und ohne dem mit dem Verständnis verbundenen Erlebnis, wird es nicht zum Begreifen kommen. Geschieht das Begreifen, so bekommen wir die Chance, endlich eine handelnde Person zu werden. Und nur dann haben alle unsere Gespräche über die auf die Überwindung der Psychopathologie des alltäglichen Lebens gerichtete Maßnahmen einen Sinn.
Dann bekommen wir die Chance, sich auf diesen Grund für die Selbstachtung stützend, nach und nach das reale «Ich selbst» aufzubauen. Denn ohne solche Selbstanerkennung gibt es keine Selbstachtung, und ohne einer Selbstachtung gibt es keinen Selbstwert, keine Selbsterziehung, kein wirkliches «Selbst».
Wie die Praxis zeigt, schaffen bis dahin viele, doch es fehlt ihnen die Kraft, diese Grenzlinie zu übersteigen, weil es um die bis zu diesem Augenblick erlebten Ereignisse schade ist. Doch wenn Sie eingestanden haben, dass es Sie bis zu dieser Zeit nicht gab, bedeutet es, dass diese Ereignisse nicht mehr zu Ihrem Leben gehören. Es geschah mit Ihnen, aber das waren nicht Sie.
Doch kaum das Leben aufhört mit dem Menschen zu geschehen und beginnt, nicht mehr zu ihm, sondern von ihm weg zu gehen, kaum er ein wirklicher Autor von sich selbst zu werden beginnt, fällt sofort die Last der erfundenen und nicht erfundenen Probleme weg, weil die nicht mehr zu Ihnen gehören. Das sind Probleme von denjenigen und von dem, was Sie das Leben lang leitete, was mit Ihnen vorkam, was Ihnen einflösste. Das sind nicht mehr Ihre Probleme. Seien Sie aufmerksam!

Das Selbst und der Stolz

Was sind die wichtigsten aufgedrängten, eingeflössten, im Laufe der Sozialisierung eingeführten Probleme, die uns in der Illusion leben lassen, das wir angeblich handeln? Es gibt zwei solche Probleme: das Selbst und der Stolz.
Was bedeutet das? Vor allem ist es die Illusion unter dem Titel: «Ich kann alles selbst machen». Nicht nur kann, sondern entscheide es auch in Wirklichkeit selbst, ich mache selbst, ich wähle selbst, ich lehne selbst ab, ich stimme selbst zu.
Woher kommt diese Illusion? Erinnern Sie sich an die Kindheit (und wenn Sie das vergessen haben, so sahen Sie es sicher bei anderen), wie das Kind das erste Mal die Unterstützung der Eltern ablehnt, um die ersten selbständigen Schritte zu machen? Das ist ein kolossales Ereignis im Menschenleben, an das sich fast niemand erinnert.
Wir sind so «gut» gemacht, dass wir uns an das hauptsächliste nicht erinnern. Wenn ich mit Leuten an verschiedenen Problemen in den Selbsterinnerungen arbeite, stellt es sich heraus, dass sie sich an alles mögliche, außer den wichtigsten Ereignissen in ihrem Leben erinnern.
Warum? Weil gerade solche Erinnerungen verdrängt werden. Obwohl die ersten selbständigen Schritte ein kolossales positives emotionales Erlebnis zu sein scheint. Erinnern Sie sich an das Verhalten der Eltern in dieser Situation: wie sie sich freuen und was sie sofort nach dieser Freude machen? Sie werden unruhig — ist das Kind nicht allzu unabhängig von ihnen geworden? Und nicht nur die Eltern fangen damit an: «Ist denn dieser Teenager nicht allzu unabhängig?»; «Ist dieser junge Mann oder das Mädchen nicht allzu unabhängig?»; «Benimmt sich dieser vierzigjährige Mann nicht allzu unabhängig?»
Bis dahin wollten alle, damit Sie unabhängig werden, damit Sie endlich selbst gehen! Nun ist dieser entscheidender in Ihrer Biografie Moment gekommen — Sie haben die Elternarme weggeschoben und zum ersten Mal im Leben gesagt: «Ich selbst!» — und nicht nur einfach gesagt, sondern auch wirklich diese Paar Schritte gemacht. Es wird Ihnen nie mehr gelingen unbestraft selbständige Schritte zu machen. Wenn Sie sich speziell nicht damit beschäftigen werden. Ab diesen Moment an werden die Eltern und die ganze Umgebung bis zum Ende Ihrer Tage alles tun, um Ihnen zu beweisen, dass Sie selbst nichts können.
Wir haben also einst das wahre Selbst-Gefühl erlebt. Und auf dieser Grundlage, auf dem tatsächlich erlebten wahren Selbst-Gefühl wächst das riesige Gebäude vom Pseudoselbst auf.
Tief im Unterbewußtsein träumen wir davon, alle Arme, die uns unterstützen, richten, hinweisen usw. abzuführen, und noch einmal diesen riesigen Genuss von «Ich selbst!» zu erleben. Dieser unser Wunsch gibt uns die Chance.
Doch das Leben geht weiter, und es entstehen solche Wünsche, deren Erfüllung außerhalb unserer Möglichkeiten liegt, unserer persönlichen Errungenschaften, und wir alle sind abhängig.
Das nächste Mal findet eine ähnliche Explosion im sogenannten Teenageralter statt, wenn es im Menschen aus ihm unbekannten Gründen (aber subjektiv scheint es ihm, dass er versteht, warum) wieder der stürmische Wunsch «ich selbst zu sein» entsteht. Er macht noch einmal den Versuch, diese Arme von sich abzuführen.
Und stößt gleich darauf, dass sich seine Selbstständigkeit durch seine Möglichkeit das Geld zu verdienen verstanden wird. Daher entstehen schon Probleme der Eigentűmersgefühle, die den Menschen verfolgen, auf jeden Fall unseren Menschen, manchmal bis zum Ende seiner Tage. Solch ein alltägliches Problem. Da im Teenageralter eine materielle Selbstständigkeit fast niemand bekommt, hat er keine Chance diese Arme abzuführen und zu sagen: «Ich selbst!». Da endet die Kindheit mit ihren spontanen Aufbrüchen des Selbst.
Weiter fängt das Zusammenleben eines angeblich erwachsen werdenden Menschen mit dem ewigen Kind an, das die ganze Zeit von jemandem etwas will.
Der ständige Reiz vom Widerwillen sich einzugestehen, dass er gar nicht selbst-ständig und sogar nicht selbst-liegend ist, bewirkt im Menschen den ewigen Wunsch, jemanden zu beschuldigen, dass es so ist. Und je weiter, desto schwieriger ist es, jene Schritte zu machen, die zur Selbstständigkeit führen, weil man das machen muss, worüber ich schon gesprochen habe: die eigene Illusion der Tätigkeit eingestehen. Wenn man das nicht eingesteht, so ist es sehr bequem zu denken, dass alle schuldig sind: der Staat ist schuldig, dass er wenig zahlt, das Schicksal ist schuldig, dass man in einer falschen Familie, in einer falschen sozialen Schicht geboren wurde, diejenigen sind schuldig, wer Glück gehabt hat und gut lebt, die Eltern sind schuldig, dass sie dich falsch großgezogen haben, die Schule und die Hochschule sind schuldig, dass sie nicht die richtige Ausbildung gegeben haben…
So fängt das Dominieren des absichtlich äusserlichen Bedingtheit gegenüber dem Inneren an. So entsteht das berühmte Problem der erwachsenen Kinder.

Ich habe einen Bekannten, einen sehr begabten Mann. Vierundvierzig Jahre wartete auf das Erbe und wagte keinen einzigen Schritt im Leben ohne der Erlaubnis seiner Mutter zu machen, von der es abhängte, ob er dieses Erbe bekommt oder nicht. Heute gelten die vierzig oder fünfzig Tausend Rubel, die er bekommen hat, als ziemlich bescheiden, und wenn man noch bedenkt, dass er während dieser Zeit psychisch und physisch nachgelassen hat, weil er sich nicht damit beschäftigte, was er wollte, — so ist es eine geringe Summe gewesen. Er lebte nicht, sondern vergnügte sich im Leben in Erwartung des Erbes. Für mich ist dieser Mensch einfach ein Symbol. Doch einige, die von der Seite ihn ansehen, sagen: «Ach, hat er es gut!» Ein ewig die Hoffnung erweckender Mann…

Was kann man denn tun, um dem ständigen Reiz zu entgehen, der ständig verborgenen Unzufriedenheit, die von unterbewußter Empfindung entsteht, dass du nicht selbst etwas tust, das man dich leitet? Nur eins: sich eigener Vernunft anvertrauen, diese Tatsache verstehen und ihr endlich zustimmen. Man muss sich nicht fürchten, dass es scheitert, zur Depression, zum Pessimismus und Zynismus führen wird. Wenn in Ihnen Liebe, Zielstrebigkeit und Sinn herrschen, so werden Sie alle Arme, die Sie unterstützen und richten, wegrücken, die Krücken wegwerfen, und sowohl den ersten, als auch den zweiten selbständigen Schritt machen können. Obwohl es sehr schwer ist. Dann werden Sie erfahren, was Selbstständigkeit ist. Dann werden Sie erfahren, was Sie die ganze Zeit eigentlich wollten. Was «Ich selbst!» bedeutet.
Dann werden Sie erfahren, wie schwierig es ist, sich von der Großen Mutti Namens «Gesellschaft» zu trennen. Da entscheidet es sich eben, ob Sie irgendwann ein erwachsener Mensch werden oder nicht. Ob Sie der Fisch sein wollen, der sich selbst den See und das Wasser darin erschafft, oder es immerhin besser ist, ins Fertige rein zu springen, dort schwimmen, rumplanschen und von Zeit zu Zeit sagen: «Wenn man mir doch die Möglichkeit gegeben hätte, selbständig zu leben!»
Der Mensch ist sehr verwöhnt. Das Menschenleben bei all ihren Unannehmlichkeiten ist eine sehr gemütliche Orangerie zur Menschenzüchtung. Und wenn diese Orangerie von Zeit zu Zeit nicht durch globale Katastrophen zerstört wurde, so hätten wir auch weiter auf zwei sehr ungleiche Teile geteilt gelebt. Ungefähr hundert selbständige, erwachsene Menschen, die «Priester», auf hundert Millionen Kinder. So war es auch früher, damit hat alles angefangen, wie es uns nicht traurig ist das zuzugeben. So war es schon bei Affen und überhaupt bei Herdetieren – man hat gemerkt, dass es wenige Anführer gibt. Die Erwachsenen, also. Da wird man nicht gewählt – wenn du als ein dominantes Einzelwesen geboren warst, so fordert dich die Natur Anführer zu sein, sonst wird die Herde umkommen.
So denken Sie nach, ob Sie in Wirklichkeit dieses Selbst, diese Selbstständigkeit haben wollen? So werden Sie doch niemanden mehr beklagen können.
Das zweite ist das, was wir Stolz nennen. Lasst uns noch einmal in die Kindheit hineinsehenen und, aufklären, woher er kommt. Denn wie es scheint, gibt es dazu keine Gründe. Ich erinnere mich immer an einen der Helden aus Dostojewskis Roman «Die Brüder Karamasows», Snegirjow. An die berühmte Szene, als Aljoscha ihm das Geld anbietet. Erinnern Sie sich? Der arme, unglückliche Mann ist in einer schrecklichen Lage: sein Kind ist krank. Und Aljoscha Karamasow bietet ihm aus Mitleid Geld an, damit er seinem Kind helfen kann. Erinnern Sie sich, was Snegirjow gemacht hat? Er beginnt, dieses Geld mit den Füßen zu treten, zu schreien, dass er arm, aber stolz ist. Hier ist wunderbar das ganze Instrumentarium des Stolzes beschrieben, das in einer nicht extremen Situation beim Menschen gewöhnlich leicht verdeckt ist.
Wir sehen, dass der Stolz die Kehrseite der selben Medaille ist: von der einen Seite das Selbst, und von der anderen — der Stolz. Und wenn ich, über einen komplizierten Apparat des psychischen Schutzes verfügend, der einschließlich mein Recht in dieser Welt zu sein schützt, sagen soll: «Helfen Sie mir!» — obwohl ich schon seit langem jede Stützen abgelehnt habe, — das heißt, wenn ich eingestehen muss, dass ich nicht selbständig bin: «Lehre mich», «Hilf mir», «Rette mich», «Ich bin gekommen, weil ich nichts weiß», — da kommt der Stolz zum Tageslicht: Wie — bitten? Wie — dankbar sein? Ich werde mich lieber überanstrengen, aber von niemandem abhängen. Wenn jemand Schüler sein wollte und zum Scheich kam, sollte er in einigen sufistischen Traditionen volgendes sagen: «Übernimm mich wie eine Leiche in die Hände der Leichenwascher». Und in allen ernsten Traditionen wurde man vor der Schülerzeit geprüft, ob der Mensch wirklich Schüler sein will. Vor allem wurde herausgestellt, ob dieser Mensch seinen Stolz überwinden kann, ob er sich wirklich seiner Unfähigkeit selbständig jenes Ziel zu erreichen, wegen dem er gekommen war, bewußt ist.
Der Schüler ist genauso eine grosse Prüfung für den Lehrer, wie der Lehrer für den Schüler. Nur die Bekehrung des Schülers kann genau zeigen, wie gut der Lehrer ist. Es ist wie der wahre Glaube und die Liebe zum Gott und die Pseudoliebe. Das heisst, entweder wollen wir einfach von allen Problemen zum Vater fliehen, aber nur zum besten Vater, zum idealen Vater, oder wirklich das Selbst werden wollen.

Ich werde Ihnen über mein intimes Problem erzählen: ich hatte ein schwieriges Verhältniss mit meinem Vater, und im allgemeinen hatte ich einen so gesagt kollektiven Vater: eine bestimmte Zahl von Männern, die mir auf meinem Lebensweg den Vater ersetzten. Alles bemerkenswerte Menschen. Aber es gab trotzdem so ein Problem — der Mangel des Väterlichen.
Ich bin zum Meister gefahren, ganz glücklich, dass es stattgefunden hat. Ich hatte einen grossen Wunsch zu lernen, weil ich verstand, dass ich meinen Anhängern fest in die Klauen falle: ich hatte damals siebenunddreißig Schüler — «der große Meister», also. Ich fühlte: noch einbisschen und sie werden mich fest in diese Gestalt treiben. So, dass ich bald nicht mal mit dem Finger rühren brauche – kaum was gedacht und sie werden es schon erfüllen. Hauptsache, mich im idealen Zustand zu sichern: «der ist unser idealste».
Alles läuft anscheinend gut. Und plötzlich nach acht-zehn Stunden denke ich: «Wieso geschieht gar nichts? Warum fühle ich mich so gut?» Alles läuft so, wie ich über diese Situation weiß: ich bin gekommen, um mich eigentlich zu ergeben, um zu lernen, — und doch irgendwie anders.
Und plötzlich verstehe ich, dass der Meister, ein Mann von wirklich höchsten Qualifikation, mich schon in den ersten paar Minuten gefangen hat. Schon ab der fünften Minute presentiert er mir meine eigene Projektion des idealen Vaters. Ich wurde zum Kind. Ich habe deswegen einen Tag verloren, bis ich verstand, dass ich schon eingefangen wurde, dass die Stunde schon angefangen hat, dass mir bis zum Selbst noch ein weiter Weg bevorsteht, weil ich mich schon so fühle: Papa, Papa, Papa. Ein idealer Papa. Ich bin gekommen, um zu arbeiten, um zu lernen, um weitere Schritte zu machen, fing aber an, mich zu erholen…
Solche feine Erscheinungsformen kommen bei so einer groben Sache, wie der Stolz, vor. Doch das ist der natürliche Stolz, verstehen Sie? Zum Meister zu kommen und auf eine Projektion des idealen Elternteils zu geraten, ist die feine Erscheinungsform des Stolzes. Dieselbe, wie bei einem angeblichen Lehrer, wenn er diese Situation (Wiederspiegelung auf sich selbst der Projektion des Elternteils) zu verwenden beginnt…

Wenn es zu solchen feinen Formen kommt, wenn Sie mit innerem Puffer gegen die Wand des Stolzes stöβen, solchem Puffer, der den Menschen nicht lässt in eine Situation zu geraten, in der es sich herausstellt, dass es ihn als Erwachsenen nicht gibt, dann muss man sich bemühen auf die Zielstrebigkeit zu stützen, dann ist es höchste Zeit zu verstehen, dass unser ganzes Leben bis zum Moment dieses «Selbst» -Bewußtseins eine riesige Nuckel war, dass alle unsere schrecklichen Probleme und Leiden auch eine Nuckel ist. Wie derselbe Gurdjieff sagte: «Nichts mag der Mensch so sehr und mit nichts ist es so schwer sich zu trennen, als mit eigenen Leiden!» Wie es sich herausstellt, sind diese Leiden so typisch, bei allen identisch. Die Mutti hat die Brust weggenommen – Hilfe! Das ist doch eine Tragödie. Unsere Leiden sind Leiden eines Menschen, der unter einem Auto umkommen sollte, Sie haben ihn im letzten Moment aufgehalten, so, dass er sich das Knie zerschlagen hat, und es tut ihm weh.
Das ist eben das Leben im Mutterleib, im Mutterleib der Gesellschaft. Deshalb habe ich Sie zunächst an jene Stelle erinnert, aus der es sichtbar ist. Aus dem Inneren dieses Mutterleibes ist keine Pathologie zu sehen. Alles, was ich Ihnen erzählt habe, ist keine Pathologie, es ist das Leben! Es ist so! Deshalb ist es auch schön. Und dank dem, dass es so ist, sind wir alle lebendig. Wir leben, wachsen auf, entwickeln uns, sammeln das Wissen an, weil wir durch ihr Mutterleib geschützt sind.
Ich bin dem Schicksal dafür dankbar, dass ich geboren werden konnte.
Ich bin meiner Mutter dankbar.
Ich bin meinem Vater dankbar.
Doch die Gesellschaft ist die Mutter, und dank ihr sind wir auch lebendig. Und haben die Chance. Und Sie sagen — der Stolz, das Selbst… Seit langem heisst es bei weisen Menschen: «Zum Tor gehend, stößt du dich von allem ab. Und nur durch die Tore durchgekommen, beginnst du dich zu allem heranzuziehen». Groß ist unsere Mutter, groß, geduldig, alle ihre Kinder liebend. Alle, die dort im Mutterleib sind. Alle gleich. Einen Vater haben wir auch noch. Doch davon später. Wenn wir hinauskommen. Weil wir keusch gezeugt worden. Aber nicht in dem biologischen Sinne dieses Wortes. Damit werde ich wohl Schluss machen.

ÜBER ZWEI WAHRHEITEN

(VATER PAWEL FLORENSKI GEWIDMET)

Über die Psychopathologie des alltäglichen Lebens redend, können wir natürlich dem Problem der Lüge nicht entgehen. Da sie eine Erscheinungsform der Pathologie des alltäglichen Lebens ist, wird es richtiger, sie mit Hilfe des Herangehens von Pawel Florenski zu betrachten («Über den Kult»).
Was ist Florenskis Hauptgedanke? Er besteht darin, dass das Menschenwesen in sich zwei Wahrheiten verbindet.
Das Problem der Wechselwirkung und Realisierung im Menschen dieser zwei Wahrheiten löst sich nur durch eine unendliche Entwicklung beider Wahrheiten bis zu ihrer absoluten Realisierung. Und nur bei der absoluten Realisierung dieser zwei Wahrheiten finden die geistige Synthese und Verwandlung statt.
Aus dieser Position aus gesehen kann man das Menschenleben als eine Wechselwirkung dieser zwei Wahrheiten betrachten: welche von beiden mehr und welche weniger abgekürzt wird, welche Kompromisse zwischen ihnen gebaut werden. Was sind das für zwei Wahrheiten? Florenski fasst es so zusammen: die Wahrheit des Daseins und die Wahrheit des Sinnes. Das Dasein ist die absolute Macht des Lebens, ohne deren Energie keine Vollziehung möglich ist. Der Sinn ist das Antlitz, wie das Maß, wie der Geist. Der Mangel der Wahrheit des Daseins führt zur Angst einer Vollziehung von realen Taten (die existentiale Feigheit), der Mangel der Wahrheit des Sinnes führt zur vollen Abhängigkeit von Zielen und Aufgaben, die durch einen äusserlichen Druck aufgedrängt werden.
Wir haben über die Tragödie des Niederganges der Welt der Emotionen in der europäischen Zivilisation seit dem XVII Jahrhundert gesprochen, ab der Epoche der Aufklärung, als der bemerkenswerte Satz vorgebracht war: «Cogito, ergo sum». Jetzt können wir, sich auf Florenskis Herangehen stützend, diese Situation als eine Situation der Erhöhung des Sinnes gegenüber dem Dasein betrachten.
Unabhängig davon, ob wir irgendwann im Leben philosophiert haben oder nicht, ist es die Geschichte unseres mit Ihnen Bewußtseins. Sie durchdringt bis zu winzigen Einzelheiten das ganze alltägliche Leben des Menschen, der in dieser Zivilisation lebt. Uns steht es bevor zu verstehen, dass die abstrakt-philosophische Problematik in Wirklichkeit der unmittelbare, lebendige Stoff unseres Bewußtseins ist, der sehr vieles im alltäglichen Leben bestimmt.

Lüge und Angst auf der Wache des Todes

Das wichtigste ist die kausale Quelle der Lüge zu finden, der Lüge als eines Irrtumes, der Lüge als eines Selbstbetrugs, der Lüge als einer Ideologie, die von der Gesellschaft vorgebracht wird, der Lüge der labilen Moral, die selbst die Kritik der Vernunft nicht erträgt, obwohl sie durch die Vernunft bewirkt ist, der Lüge der Pseudoreligiosität und des Pseudomystizismus.
Was ist hier der Grund? Lasst uns vom Abstrakten zum Konkreten übergehen. Das Dasein ist die Natur und das Fleisch ist eine Quelle der Energie, der Energie zu leben, der Energie zu schaffen, zu zerstören, der Energie, die keine Grenzen, keine Selbstbeschränkung kennt, der Energie der Naturkraft, der Leidenschaft. In den bildlichen Systemen ist es die Energie der Erde.
Wenn wir mit Ihnen über Vital, über Tantra urteilen, sehen wir sehr lächerlich aus. Wenn wir plötzlich diese Quelle angerührt hätten, wenn wir uns selbst erlaubt hätten diese Energie, diese Leidenschaft, dieses Leben zu sein, so würden wir wahrscheinlich verbrennen, wie ein Falter in der Kerzenflamme verbrennt. Mit Vergnügen lesen wir alle davon, sehen uns an, wenn so etwas gezeigt wird, auf so etwas in uns angedeutet wird, dass wir angeblich haben. Bis wir lebendig sind, gibt es in uns wirklich so etwas. Aber als Produkt der westeuropäischen Zivilisation, fürchten wir uns tödlich davor, uns erschrecken die zehn oder noch mehr Jahrhunderte der Mahnungen darüber, dass es furchtbar sei, dass es eine Sünde sei, die zerstörende Kraft, ein Tier, das man bändigen muss.

Zu diesem Anlass erzähle ich immer gern eine Geschichte, als Illustration dazu, was mit der großen Kraft, dem großen Tier des Daseins geworden ist.
Ich hatte mal eine Mannschaft, tollkühn, gut vorbereite, der ich einmal vorgeschlagen habe: « Leute, wollen wir nicht dieses Tier ins Freie rauslassen, warum reden wir nur darüber… Die Technik kennen wir, sterben werden wir wohl nicht davon, machen auf alle Fälle eine Absicherung, lasst uns versuchen». — «Versuchen wir!»
Wir haben es versucht. Sind in den Zustand des vollen Dominierens der Daseinsenergie eingegangen und waren zu Erschütterungen, zum Schrecken, zu Explosionen bereit!
Was ist daraus geworden? Es lief eine winzige magere Maus hinaus und machte so: «Pips-pips-pips». Das war alles, was von diesem Tier übrigblieb!

Es gibt ein bemerkenswertes Bild «Madonna mit dem Tigerjungen»: anstelle des Kindes — ein Tigerjunge. Dieser Tiger ist wie eine Erinnerung an das Dasein, Erinnerung an die Leidenschaft, Erinnerung an die mächtige Energie des Lebens.
Wenn wir im Leben mit einem Menschen zusammenstoßen, der durch Zufall in sich so viel Energie hat, dass es das mittlere Niveau übertritt, die statistische Norm der Aneignung zur Daseinsenergie, — dann erschrecken wir uns. Obwohl es schon längst dazu keinen Grund gibt.
Das ist Gewalt gegenüber der Natur, die in der menschlichen Psychologie und in der Einrichtung der sozialen Konventionen zur Erscheinung kommt. Es ist auch in der direkten Gewalt gegenüber der Natur hervorgetreten, in der ökologischen Gewalt, der Missachtung der Natur, das unser ganzes Wesen durchdringt. Wir haben der Welt Gewalt angetan und sich selbst, die Wechselbeziehung des Geistes und des Fleisches falsch verstanden. Der wesentliche Teil unserer Lüge, die wir als Stafette von unseren Eltern und der Eltern unserer Eltern übernommenen haben und die von uns den Kindern übergegeben wird, gründet in dieser Tatsache. Denn das ist eben die unsprüngliche Lüge.
Die große Heldentat in Florenskis Gedanken und Gefühlen besteht darin, dass er einer der ersten sagte: das Dasein ist die Wahrheit und der Sinn ist auch die Wahrheit. Der Mensch ist gerade deswegen groß, weil in ihm sich zwei große Wahrheiten verbunden haben und sich bewegen. Doch seinen «Gegner», die Wahrheit des Daseins, verloren, begann die zweite Wahrheit, die Wahrheit des Sinnes, zu verflachen, sich zu kürzen, sich zu ihrem geschwächtem Partner anzupassen und ist so zur pragmatischen, kleinen Spekulation ausgeartet. So verwandelte sich der Tiger in die Maus, so verwandelte sich das Antlitz als Verkörperung der Wahrheit des Sinnes in ein Gesicht, in eine Maske, in eine Krämerseele. So ist ein Wesen aufgewachsen, das weder Vernunft, noch Geist besitzt. Das ist eben die Hauptquelle der geistigen Krise der modernen europäisch-amerikanischen Gesellschaft. Überall, wo siegreich der Satz: «Cogito, ergo sum», — schreitet, überall, wo siegreich die dogmatische Behauptung des Vorranges des Geistes über dem Fleisch schreitet, geschieht unvermeidlich die Degeneration des Menschen, die Verminderung seiner Größe und der Verlust des Sinnes seiner Existenz. Wie man weiss, ist die Lüge das Kind, das Lieblingskind des Todes.

Essen soll man – leben soll man!

Es mag für einige lästerlich erscheinen, aber mein ganzes bewußtes Leben lang flehe ich dazu, dass man essen soll. Wie oft habe ich beißende Erwiderungen zu diesem Anlass gehört: eine, so zu sagen, Predigt des Epikureismus u.s.w….
Unser wahrhaftes Leben verbirgt sich hinter der Schirmwand der Pseudoreligiosität, im Pseudomystizismus. Die Rettung besteht darin, dass wir aus dem Ort, wo wir uns jetzt befinden, die Wege zum Dasein, zum Leben, zur Leidenschaft finden… Sonst werden wir unsere Kinder, unsere Enkel nicht retten können. Sonst werden wir die von uns vergewaltigte Natur nicht retten, nicht erneuern können und keine von uns angelegten Landgrundstücke werden dabei helfen können. Sonst werden wir der Grundlage unserer Lüge nicht entgehen.
Ich habe Porfiry Korneyevich Ivanov sehr gern, sein Leben, ihn als Menschen. Meiner Ansicht nach verkörpert er — der seltenste Fall in unserer Welt — die Fülle des Daseins. Ich stelle mir diesen bemerkenswerten Menschen barfüßig auf dem Schnee mit einem Hitlergeneral sprechend vor. Je weiter, desto mehr verstehe ich, warum er Erstaunen erweckte, Erstaunen von solcher Größe, dass man ihm nichts angetan hat. Denn so etwas gibt es schon seit langem nicht mehr. Zeigen Sie mir einen Nachfolger von Porfiry Korneyevich, der sich zu dieser Anverleibung zum Dasein irgendwie genähert hat. Ich habe noch keinen gesehen, obwohl ich dreißig-vierzig Menschen kenne. Sie sind so wie alle andern.
Was ist die heutige Diät, als nicht eine schlecht maskierte Askese, eine Abtötung des Fleisches? Was sind die heutigen Krankheiten? Grössten Teils — eine Abtötung des Fleisches. Was ist der Fußballkult? Alles wird unterbrochen, alles, im Fernsehen sieht man nichts, auβer Fußball, weltweit. Was ist das? Meine Herrschaften, was ist das für ein Ereignis — das Fußballspiel? Was ist ein Sportler? Was ist Striptease? Was ist Pornographie? Das alles sind Früchte eines schwächlichen Bewußtseins, das auf keine Weise verstehen kann, warum es schwächlich sei. Ein Schimmel auf dem Körper der Natur. Ein aggressiver Schimmel. Der alles Lebendige um sich herum in den Schimmel verwandelt.

Leidenschaft und die geistige Spekulation

Streng gesagt ist die Vernunft ein Bündnis vom Geiste und Fleisches. Das ist die Bedingung für die unendliche Realisierung jeder Wahrheit — der Wahrheit des Daseins und der Wahrheit des Sinnes. Doch wir versuchen die ganze Zeit ein Antlitz in der Leere zu finden. Wir vergessen ständig die große östliche Weisheit, dass es ein riesiger Erfolg sei im menschlichen Körper geboren zu werden! Weil dank dem Körper der Geist mit der Natur, mit dem Dasein verleibt ist.
Natürlich kann die Naturkraft, die Leidenschaft alles vernichten. Doch auch der körperlose Geist, der sich in eine Spekulation verwandelt, ist fähig alles Lebendige zu zerstören. Das Fleisch bedeutet für ihn wenig. Es ist ein Gegner, sonst nichts. Auch wir werden dem Geist auf keine Weise entgehen können, wenn wir versuchen anstelle von zwei das Eine zu finden. Bevor wir nicht solche Menschen, wie Florenski anhören werden, bevor wir nicht die Notwendigkeit der Vereinigung in sich dieser zwei unendlichen Wahrheiten erleben werden, bevor wir nicht die Fülle gewinnen.
Florenski als einem religiösen Denker weiter folgend, kann man zu solcher Schlussfolgerung kommen: die Grenze des Daseins erreicht, werden wir verstehen, dass die Grenze des Daseins die Wahrheit ist, und nur die Grenze der Wahrheit erreicht, werden wir verstehen, dass die Grenze der Wahrheit das Dasein ist. Dann wird sich uns Gott offenbaren. Und dann werden wir verstehen, dass Michelangelo etwas darüber wusste. Dann können wir den Geheimniss der Malereien in der Sixtinschen Kapelle verstehen. Denn dort wiederspiegeln sich das Dasein und der Sinn in der Einheit.
Man hat uns noch im XI Jahrhundert ein bißchen durcheindergebracht. Und im XVII Jahrhundert sind wir völlig in Verwirrung gekommen. Wir haben die sicher schreckliche Angst vor der Unwissenheit mit der Angst vor dem Leben verwächselt. Und in Gestalt vom Kampf gegen die Unwissenheit haben wir uns nebenbei dem Kampf gegen das Leben hingegeben. Wenn man dann keine Macht mehr hat, bleiben nur die Reliquien als Ideal des menschlichen Körpers übrig. Doch niemand dachte dabei nach, was mit diesem «ich denke» geschieht, wenn es in Reliquien hingetan wird.
Wenn wir uns an die idealste Verkörperung der Heiligkeit zu erinnern versuchen, wer wird dann genannt? Franz von Assisi, bei dem Vögel auf den Schultern saßen, zu dem Tiere kamen. Serafim von Sarow, Sergius von Radonesch, die im Wald lebten und die dort keine Probleme mit der angeblich feindseligen Umgebung hatten. Bären und Damhirsche kamen zu ihnen, und alles war überhaupt wunderbar. Ich schlage noch einmal vor: gehen Sie im Kiew zur Sophienkathedrale, sehen Sie sich die ursprünglichen Malereien an und vergleichen Sie damit, wie man jetzt malt. Da gab es doch diese Fülle. Da gab es die Empfindung der Notwendigkeit der einzeitigen Koexistenz und der gegenseitigen unendlichen Entwicklung dieser zwei Grundbegriffe — des Daseins und des Sinnes.
Das letzte Aufkommen dieser Einheit war die Renaissance, als sich die Idee des Geistes mit der antiken Idee des Daseins verbunden hat. So trafen sich das Christentum und die Antike und so wurde daraus die Renaissance. Doch später ist es wieder schrecklich geworden. Ich denke, dass wir heute an der Schwelle unserer Wiedergeburt seien, eigener Rückführung zur Fülle des Daseins, eigenes Verständnisses der Einheit von zwei großen Wahrheiten — des Daseins und des Sinnes. Wenn es nicht so wird, dann kommt der Tod: Tschernobyl, der Aralsee…
Zwischen dem wahren Geist und dem, was wir jetzt so nennen, liegt eine große Distanz. Von unserem Geist ist nur ein Gestank geblieben. Dabei kann man mehr oder weniger deutlich einen merkwürdigen Widerspruch sehen: wie es scheint, werden der Mensch und die Menschheit immer stärker, mit ständig wachsendem Wissen und Können. Doch in Wirklichkeit werden sie immer schwächer. Die Angst hat die Freude des Daseins ersetzt. Angst und Lüge sind Zwillings-Brüder. Wer von beiden hat einen grösseren Wert, als die Mutter Geschichte? Mit der Angst entsteht sofort die Lüge. Mit der Lüge entsteht sofort die Angst.

Was kann man denn machen?

Es ist schwierig, das zu begreifen, und um so mehr das zu realisieren. Ich glaube nicht, dass wir im Laufe der Lebenszeit einer Generation schaffen werden, grosss voranzukommen, ich meine die Realisierung der zwei Wahrheiten.
Aber ich denke, dass im Laufe der Lebenszeit von unserer Generation, von denen, die jetzt leben, ein bedeutender Schritt zum Begreifen dieser Tatsache gemacht werden kann. Als erstes soll man mit Hilfe eigener Kräfte im alltäglichen Leben die gleichberechtigten Anwesenheit dieser beider Wahrheiten zu erreichen versuchen.
Am Anfang fürchtet man sich, natürlich. Solch ein Versuch führt zu einer grundlegenden Umgestaltung des ganzen alltäglichen Lebens, zu einer Revision der Beziehung zum Leben und zu sich selbst. Aber ich wage zu sagen, dass es die geistige Hauptheldentat unserer Zeit ist. Ich vergleiche innerlich Florenski und meinen Meister. Der eine war ein ortodexer Priester, Denker, Gelehrter, ein Mann von feiner Schönheit, «der Byzantiner», wie man ihn innerhalb der Kirche beschimpfte. Der andere ist ein Meister, mit seinen für einen Europäer lächerlichen Verhaltensformen, mit seinem Spiel in schlechte Russischkenntnisse, mit seinen Eigentümlichkeiten und der sufistischen Tradition grobe Sprachweise zu verwenden. Der eine formuliert in einer feinen, raffinierten, tief philosophischen Sprache die große Wahrheit über den Menschen, dass der Mensch die zwei Wahrheiten beinhaltet: die Wahrheit des Daseins und die Wahrheit des Sinnes. Und der andere, die Weinschale im Kreis wandern gelassen, auf die Frage: «Was ist das Wichtigste?» — lachend antwortet: «Leben soll man». Aus einer Sicht reden Sie über ein und daselbe.

Die geistige Gesellschaft als Tatsache

Worin besteht, meiner Meinung nach, die Schönheit der geistigen Gesellschaft? Darin, dass es eine sozial-psychologische Welt ist, in der sich Vertreter aus vielfältigsten sozial-psychologischen Welten, Völkern, Epochen und Orten treffen, befreunden, einander verstehen und lieben. Das ist der beste Beweis dafür, dass die Menschheit eine Möglichkeit hat eine Metawelt aufzubauen, solche Welt, die ohne jegliche Spannung alle übrigen Welten einschließt. Auf jeden Fall die meiste Anzahl der menschlichen Welten.
Die geistige Gesellschaft kann es machen, denn zu allen Zeiten war darin das Wissen über die zwei Wahrheiten des Menschenwesens erhalten geblieben. Das Wissen darüber, dass es notwendig ist die Höchstentwicklung des Daseins und die Höchstentwicklung des Sinnes zu erreichen. Das Wissen darüber, dass der Geist und das Fleisch unabdingbare, wenn auch widersprüchliche Wesen des Menschen, des Menschenlebens seien. Deshalb gibt es da gar keine oder fast keine Lüge, und es gibt fast keine und in den höchsten Realisierungen gar keine Angst.
Wir haben über unsere Mutter geredet und nun ist es so, dass wir über den Vater reden. Wie man weiss, ist die Liebe der Mutter bedingungslos, die Liebe des Vaters dagegen ist ein Vermächtnis, es ist der Sinn, mit dem wir weiter leben müssen. Dieses Vermächtnis sagt folgendes: das Dasein und der Sinn, die Wahrheit und die Leidenschaft sind unzertrennlich. Sie vereinigen die Gestalt des Menschen und die Gestalt der Menschheit, und in beiden Gestalten verbinden sie sich miteinander. Das ist eben das Antlitz unseres Vaters.
Es ist ein strenges Antlitz, ein strenges aus unserer Sicht. Stellen Sie sich nur vor, über welche Ganzheit, über welche Totalität man verfügen muss, um durch sich diese zwei große Wahrheiten — die Wahrheit des Daseins und der Wahrheit des Sinnes — unendlich und gleichzeitig realisieren zu lassen. Mit welcher Macht und mit welcher Weisheit muss man erfüllt sein… Mit etwas, uns noch nicht bekanntem, worüber wir mit Ihnen erst jetzt nachzudenken beginnen. Aber schon heute sind wir auf unserem schweren Weg zu unserem Vater, noch ganz am Anfang.
Wir sind in einer Welt aufgewachsen, in der es weder den Glauben in seiner Fülle, noch die Liebe in ihrer Fülle gibt. Aber die Hoffnung ist uns noch geblieben, obwohl sie kaum zu spüren ist. Deshalb fällt es uns so schwer die Synthese dieser zwei Komponenten wirklich zu wollen und um so mehr ist es schwierig die zu erreichen. Doch wir besitzen sie potenziell, weil wir Menschen sind.
Wir sind Menschenwesen, die sowohl den Sinn, als auch das Dasein, sowohl den Glauben, als auch die Liebe beinhalten. Sie sind in uns, unabhängig von dem, will das jemand, oder nicht und man kann sie nur zusammen mit dem Menschen zerstören.
Wenn das Ziel die Geistigkeit ist, wie kann man damit die Jugend hinreißen, weil für uns und für sie es viel komplizierter so zu leben ist. Viel einfacher ist es, wenn man nach dem Prinzip einer Vereinfachung der Lebensweise lebt — lassen wir es einfach so laufen, wie es von sich selbt aus ergibt. Ich denke nicht, dass die Geistigkeit ein Ziel ist. Ein Ziel, der Weg zum Ziel, ein beliebiges Prinzip der Bewegung zum Ziel meint, dass es eine willenstarke Bemühung und ein zweckbestimmtes Dasein, sprich die Unterordnung aller Lebensumstände der Errungenschaft des Ziels, gibt. Ich denke nicht, dass die Geistigkeit in diesem Sinn ein Ziel sei, das man mittels willenstarken Bemühungen erreichen kann. Ich denke, dass die Geistigkeit vor allem ein Erlebnis ist, das die Suche, die Zielstrebigkeit zu dem Lebenssinn bewirkt. Dieser Lebenssinn gibt mir die Möglichkeit, den ewigen Sinn in meinem einzigen und einzigartigen persönlichem Leben zu entdecken.
Die Geistigkeit ist ein Erwachen der Seele für die Zusammenkunft mit dem Geist, sprich die Liebe. Das ist ein Vorfall und kein Ziel. Man kann zwar versuchen, Bedingungen zu schaffen, die die Wahrscheinlichkeit solchen Vorfalls erhöhen und das kann schon zum Ziel werden.
Es gibt allerlei geistige Traditionen, die den äusserlichen Kreis der Ausbildung schaffen; das, was wir die Zuflucht nennen. Dorthin kann der Mensch der Hilfe wegen, der emotionalen Unterstützung wegen kommen. Später, wenn in ihm die Neigung dazu zunimmt, kann er sich zum geistigen Weg wenden, kann irgendeine Ausbildung bekommen oder eingeweiht werden. Doch eine geistige Neigung ist ein Vorfall. Diejenigen, wer sich zum Ziel stellt geistig zu werden, werden kaum geistig. Es ist das selbe, wenn man sich zum Ziel stellt, jemanden liebzugewinnen.

Die Kraft der Hoffnung

Wir haben nur dann eine Chance für die Zukunft, wenn wir versuchen, in sich selbst wennigstens die Reflexion dieser zwei großen Wahrheiten – die Neigung und den Glauben — aufzuzüchten. Ein erbarmungsloser Realismus (alles so zu sehen, wie es ist, die Augen nicht zusammenkneifend) und eine erbarmungslose Romantik (den Sinn des Lebens trotz allen möglichen Hindernissen realisieren) können uns bei der Verkörperung des Daseins und der Realisierung des Sinnes helfen.
Aber nur ein zu sich selbst erbarmungsloser Realismus und eine erbarmungslose Zielstrebigkeit zusammen. Aus der erbarmungslosen Zielstrebigkeit ohne dem erbarmungslosen Realismus kommt nur ein lispelnder Realismus heraus, das heißt allerlei Zufluchten, psychologische Treibhäuser usw. Und aus dem erbarmungslosen Realismus ohne der erbarmungslosen Zielstrebigkeit — ein Zynismus, ein Wissen des Wissens wegen, ein voller Verlust der noch übriggebliebener Liebe und Selbstmord.
Florenskis Worte sind ein Zeugnis der Wahrheit darüber, dass das Menschliche eigentlich zwei Wahrheiten in sich einschlieβt — die Wahrheit des Daseins und die Wahrheit des Sinnes. Darin ist die Größe des Menschen und die Quelle aller seiner Tragödien. Werden Sie jetzt nur nicht pseudoernst. Wenn Sie sich dazu nicht emotional verhalten werden, wenn Sie sich es nicht zulassen werden, zu erleben, wenn Sie nach dem Vorsagen der Spekulation es angeblich «analytisch zu untersuchen» beginnen, wird Ihnen nichts gelingen und die Kraft der Energie wird verdampfen, verdrängt werden, sich rationalisieren und schematisieren.
Wie mir mein Lehrer am Abend der Einweihung sagte, fünf Seiten eines Textes reichend: «Entweder wird es für dich einfach nur eine zusätzliche Information werden, oder es beginnt damit für dich das neue Leben». Damit die geistige Information sich nicht einfach in Münzen in einer Sparbüchse verwandeln, lassen Sie Ihre Emotionen ins Freie, weinen Sie, lachen Sie aus diesem Anlass. Und verstecken Sie sich nicht voneinander.

SOZIAL-PSYCHOLOGISCHEN WELTEN (FORTSETZUNG)

Nun kehren wir zum Thema der sozial-psychologischen Welt, zu diesem Schlüsselbegriff zurück.
Ich wiederhole noch einmal, dass man in erster Linie die sozial-psychologischen Welten von der senkrechten Struktur der Gesellschaft, von den sozialen Schichten deutlich abtrennen muss. Übrigens, wie die Forschungen zeigen, beginnt der Mensch, der eine Karriere machte, zu sich nach oben die vor allem Leute aus eigener sozial-psychologischen Welt hoch zu ziehen.

Das Prinzip der Vereinigung in die sozial-psychologische Welt

Einst in den Jahren «der schönen Stagnation» hatte ich die Möglichkeit zu sehen, wie man dort «oben», auf dem Niveau eines Minister des republikanischen Maßstabes lebt. Interessant ist, dass diese Leute sich untereinander nicht nach dem Prinzip der sozialen Hierarchie, sondern nach dem Prinzip der sozial-psychologischen Welten vereinigen.
Das ist das erste, was man verstehen muss, weil man die sozial-psychologischen Welten nicht nach dem Prinzip «höher — niedriger» aufteilen darf. Das Prinzip «höher — niedriger» bedeutet die hierarchische Struktur der Gesellschaft, die soziale Struktur.
Die sozial-psychologischen Welten kann man aus der Position «höher — niedriger» nur dann bewerten, wenn Sie irgendein Kriterium des Selbstrealisierungsprinzips oder irgendwelche ethische Konstruktionen aus dem Gesichtspunkt eigener Ideale verwenden. Dann kann man solche Klassifikation aufbauen: «das ist niedriger und jenes ist höher». Doch an und für sich sind diese Welten weder höher, noch niedriger, es ist der horizontale Schnitt, sie befinden sich eigentlich in einer Ebene. Die Mitglieder von einer und derselben sozial-psychologischen Welt können Menschen aus ganz verschiedenen sozialen Niveaus sein. Besonders gut kann man das sehen, wenn man auf den Winterfischfang fährt. Dort weiß niemand, wer ein General und wer ein Strassenfäger ist. Da vereinigt die Menschen der Jargon, die Wörter, die Einschätzungen, der Verhaltensstil.
Doch hier gibt es auch Fallen. Zum Beispiel, Sie sehen, dass beim Menschen die Verhaltensform mit der Ihren übereinstimmt. Und aufgrund dessen beschließen Sie, dass dieser Mensch Ihnen der Welt nach ähnelt. Nur mit ihm dicht in Kontakt gekommen, stellen Sie bedauerlicherweise fest, dass der Inhalt dieser Form ganz anderes ist…
Als Beispiel nehmen wir zwei sehr nahe Welten. Die eine ist die Welt der Boheme, die Welt der Menschen, die mit der Kunst befassen sind und in der Kunst leben, doch sie sind nicht besonders in die Kunst vertieft, weil sie wenig arbeiten, hohe Ansprüche haben und sich der Kunst nicht völlig hingeben. Aber sie sind irgendwie in der Kunstspäre.
Warum? Die Welt der Kunst, als eine geschlossene, dem Umfang nach kleine Welt, hat in der Gesellschaft gröβere Zahl der Freiheitsstufen. Diese Freiheiten werden nach dem Prinzip verteilt, nach dem die Gesellschaft die Fachleute von allen anderen abgrenzt. Je kleiner die Anzahl der Mitglieder diese Welt hat, desto mehr Freiheitsstufen gibt es.
In der Regel nutzt der Mensch nur jene Stufen der Freiheit, die «die Freiheit von etwas» geben, und nur für wenige bedeutet es bewußt oder infolge der Einbeziehung in das Leben «die Freiheit für etwas».
In der Welt, die mit der Kunst befassen ist, darf man solche Sachen tun, die vom Gesichtspunkt anderer Welten als ein herausfordendes Benehmen bezeichnet wird. Doch so etwas wird entschuldigt, so etwas wird erlaubt. «Künstler! Was soll’s?» In diesem angeblich verächtlichen «Künstler!» ist auch der Neid einbeschlossen. Er kann so etwas tun, ihm ist es erlaubt.
Wenn jemand von uns mit Ihnen betrunken auf der Straße hinfällt und hochgehoben, in ein Auto gesetzt wird, und wir dabei noch schreien werden?! Sie verstehen selbst, was für Folgen das hat… Doch wenn es ein bekannter Künstler ist, so ist alles anders. Obwohl es ein und dieselbe Tat ist. Ihm ist es erlaubt und uns mit Ihnen ist es verboten. Der gegenseitige Neid der Welten zu einander stützt sich darauf, dass in jeder Welt etwas erlaubt wird, was in der anderen verboten ist.
In bestimmten Aspekten ähnelt der Welt der Boheme die Welt der Wissenschaftler, solcher, die sich der Wissenschaft nicht völlig hingeben. Ebenso, wie es mit der Kunst befassene Leute gibt, gibt es auch diejenigen, die der Wissenschaft nahe sind, die sich schon seit langem mit der Wissenschaft nicht mehr beschäftigen.
Dort gibt es auch bestimmte Freiheitsstufen, das heißt, ihnen wird mehr erlaubt als einfachen Leuten, aber schon nicht auf der Straße, sondern in der Kneipe, zu Hause und sie haben einen eigenen Stil.
Diese zwei Welten stimmen der Form nach überein. Doch der Inhalt ist immerhin etwas anders.
Wie es nicht seltsam scheint, sogar in irgendwelchen niederträchtigen Erscheinungsformen können die Welten einander ähneln, doch der Inhalt, das Innere der Welten ist dennoch verschieden.
Es gibt eine Welt, die aus unserer Sicht ganz primitiv erscheinen kann, man kann sie die patriarchalische Welt nennen. Die gibt es auch in Städten, wo sie der Bauernwelt etwas ähnelt… Sie können mit Erstaunen entdecken, dass dort minimale Freiheitsstufen erlaubt sind, so, dass sie einen stark positiven Eindruck macht, weil dort sehr strenge Regeln herrschen. Dort wird die Übertretung der Grenzen des Erlaubten sogar von den seinen verborgen, weshalb da die Scheinheiligkeit gedeiht: «Man kann das Unerlaubte tun, aber so, damit niemand davon weiss».
Das bedeutet, meiner Meinung nach, dass es besser ist sich in einer für Sie neuen sozial-psychologischen Welt nach den Freiheitsstufen zu orientieren.
Was wird erlaubt? Und mit welchen Bedingungen erlaubt? Wovon, in Bezug auf das Große Mittlere (damit ist die Mehrheit der Menschheit gemeint), ist der Mensch in dieser konkreten Welt frei oder im Gegenteil nicht frei? Dies ist der wichtigste Moment bei der Analyse anderer sozial-psychologischen Welten und für die praktische Verständnis der Reaktionen und des Verhaltens deren Vertreter.
Natürlich muss man sich auβerdem bemühen, innerhalb dieser Welt, «die Freiheit von» und «die Freiheit für» zu unterscheiden. Obwohl der Mensch, wenn es ihm gelingt irgendeine Freiheitsstufe zu entdecken, selten zu denken beginnt, wo da das «für» und das «von» seien. Alle wollen sofort «frei von etwas» sein. Wenn der Mensch seine sozial-psychologische Welt infolge dieser oder jener Gründe verlassen will — der professionellen Orientierung wegen, weil er keine Plus-Bekräftigung (eine Billigung, eine Unterstützung, eine Anerkennung) zu dieser Orientierung in seiner Welt bekommt, — ist es sehr wichtig zu verstehen, was in der anderen Welt, in die er hinkommen will, erlaubt wird.
Es gibt Menschen, die infolge verschiedener Umstände lebenslang aus einer Welt in die andere wandern. Diese Menschen sind wie der Kuchen mit sieben Ecken. Einst gab es in altem Russland so ein Kuchen — kulebyáka, mit sieben Ecken, und in jeder Ecke war eine andere Füllung. Solche Menschen sind innerlich widersprüchlich, weil sie durch sich verschiedene, manchmal wenig zu einander passende sozial-psychologische Welten durchlassen. Sie können potentiell eine neue Welt aufbauen, aber eigentlich sind sie überall fremd.
Es ist sehr schwierig, in sich alle Erscheinungsformen jener Welt zu kontrollieren, zu der du gehörst und die auch noch schwer zu begreifen sind. Noch schwieriger ist es etwas nicht aus eigener, sondern aus einer anderen Welt zu kontrollieren und nachzuspielen versuchen.
Seine eigene sozial-psychologische Welt zu verlassen, heißt sich selbst zu verlassen. So ist die sozial-psychologische Welt wie jener Fluss, der See oder jenes Aquarium, in dem jeder Mensch wie ein Fisch lebt.
Wenn Sie aus diesem Aquarium herausspringen, muss man exakt in ein anderes überspringen und dort den anderen nachahmen (sich anpassen, der Seine werden), um den einheimischen Fischen ähnlich zu sein; oder herausspringen und um sich herum einen eigenen Aquarium zu machen beginnen.

Sich seiner Welt bewußt werden

Das ist nicht leicht. Um sich gut in anderen Welten zurechtzufinden, müssen Sie die eigene kennenlernen — kennenlernen im Sinne sich dessen «bewußt werden».
Es fällt sehr schwer, aber ist dafűr sehr produktiv, weil in diesem Fall Sie vieles in eigenem Leben verstehen können. Vieles, was mit Ihnen geschah, wird sich Ihnen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Sie werden anders die Bücher lesen, mit Menschen anders reden, weil Sie verstehen werden, was man dazu braucht… Es ist es wichtig zu verstehen, dass jeder Moment auβer allem anderen noch eine unerlässliche Information enthält — die Information über die sozial-psychologische Welt.
Ich denke, dass am meisten dieser Sache der Beruf des Regisseurs nahe ist, denn die Regie ist das Bilden einer Welt: der eine versucht die vom Autor geschaffene Welt zu erraten und der andere äußert mit Hilfe des Stückes seine eigene Welt. Aber das Wesen der Sache ist dieselbe – in wenigen Stunden muss man eine überzeugende sozial-psychologische Welt schaffen.
Der Theoretiker der Literatur Michail Bachtin spricht in seinen Arbeiten über den Chronotopos (Raum plus Zeit) als einer Charakteristik der Erzählung in der schönen Literatur. Zeit und Raum der Erzählung haben spezifische Eigenschaften. Wir können merken, dass der Mensch, der sich mit der Psychoenergetik beschäftigt, ein anderes Zeitgefühl empfindet, ihn charakterisiert eine viel intensivere Existenz, und daher ein volles Leben von Morgen bis Abend. Das ist eben die Umstellung aus einer menschlichen Zeit in eine ganz andere.
Sie erinnern sich zum Beispiel gegen Abend an den Morgen wie an etwas von Ihnen zeitlich weit entferntes und ein anderer Mensch wacht eigentlich richtig nur um fünf Uhr Abends auf. Davor war es gar nicht nötig aufzuwachen — schlafend war er aufgestanden, sich angezogen, gefrühstückt, da hineingesprungen, dort herausgesprungen, sich auf dem Arbeitsplatz plaziert, durchgearbeitet, weggegangen — endlich ausatmen — und erst jetzt fängt das Leben bei ihm an!
Und wie viel Zeit bleibt für so ein Leben? Von fünf bis zehn-elf Uhr, wenn man unbedingt schlafen gehen muss. Das bedeutet, du stehst auf, schläfst, wachst wieder um fünf Uhr auf, schläfst ein. Das ist doch ein anderes Leben, eine andere Zeit. Es ist genau dasselbe, wie wenn ein Mensch aus seiner geliebten Heimatstadt niemals ausfährt, und für den anderen es kein Problem ist, sich ins Flugzeug zu setzen und irgendwohin für Tausend Kilometer weit wegzufliegen. Sie haben verschiedene Raum und Zeit. So ist noch ein Merkmal der sozial-psychologischen Welt der für jeden spezifische Chronotopos.
Es gibt sozial-psychologische Welten, wo man sich ab fünfundzwanzig zur Rente vorbereiten beginnt. Da ist alles ernst: damit man gute Rente bekommt, muss man dies und jenes tun. Bis zur Rente sind noch dreißig Jahre, aber der Mensch ist schon bereit. So ist es üblich. Solche Zeit ist in dieser Welt.
Es gibt sozial-psychologische Welten, wo ein jeder, der sich mehr als eine Fahrt im Urlaub leistet, einfach ein leichtsinniger Typ sei, der in sein Zuhause nicht eingewurzelt ist. Und es gibt sozial-psychologische Welten, wo im Gegenteil es als unnormal gilt, wenn der Mensch nicht zwanzig-dreißig Arbeitsplätze gewächselt hat.
Daran muss man unbedingt denken, wenn man überlegt, was die Norm und was die Abweichung von der Norm seien.

Ich habe mal mit einem Mann gesprochen, für den das ganze Land eine große Wohnung war. Er wusste genau, wo man im Februar und wo man im März wohnen muss. Aus unserem Standpunkt gesehen, liegen diese Orte sehr weit von einander, und aus seinem Standpunkt ist das Land ein einziges Territorium, ein einziger Raum.
Und wenn die Grenzen geöffnet werden wird er sich noch freier fühlen. Wie mir ein unser Tourist, na nicht ganz Tourist, sondern ein Mann, der viel Zeit in Dienstreisen verbringt, erzählte: «In Brüssel habe ich einen Hippie kennengelernt. Wir plauderten ein wenig. Ich frage ihn: «Wohin willst du jetzt?». — «Ich gehe jetzt nach Paris». — «Wie, nach Paris?» — «Na ganz einfach, — sagt er. — Ich will nach Paris gehen». Nach einem Monat hat er ihn in Paris getroffen. Der war nach Paris zu Fuß gegangen. So spaziert durch Europa «das Gespenst der Hippiebewegung». Im Fleisch. Für uns mit Ihnen ist es Nonsens. Für uns ist schon ein Problem in die benachbarte ehemalig verbündete Republik zu fahren…

Sie denken dort im Westen sind alle gleich, alle nutzen diese Freiheit? Nein. Einigen kommt es gar nicht in den Sinn. Nicht, weil es verboten ist, sondern weil sie es einfach nicht brauchen: «Was soll ich durch dieses Europa schlendern? Ich fühle mich zu Hauses gut. In eigenem Gemüsegarten. Man kann zwar nach diesem wahnsinnigen Paris einmal in der Jugend hinfahren, damit man später den Enkeln was zu erzählen hat».
Wir mit Ihnen denken, dass unser Leben vollständig von den äusserlichen Umständen abhängt. Wir leben nicht im richtigen Land, nicht zur rechten Zeit, doch da … Und bei denen… Dort ist alles genau dasselbe, nur die Leute sind reicher und es gibt eine gröβere politische, ökonomische Freiheit. Aber die sozial-psychologischen Welten sind viel mehr ähnlich, als wir vermuten können. Irgendwo «dorthin» angekommen, werden Sie sich schlecht fühlen, bis Sie nicht jemandem Seinem begegnen werden, der aus einem anderen Land kommt, aber der für Sie der Seine ist. Aus der selben Welt. Mit Erstaunen werden Sie feststellen, dass Sie «verwandt» sind.
Es gibt eine Welt — die Welt des Theaters — die ich gut kenne. Wohin ich nicht gefahren bin, in ein beliebiges Ort der ehemaligen Sowjetunion oder ins Ausland — was muss ich machen? Beim nächstligenden Theater vorbeischauen. Fertig. Ich bin zu Hause. Ein nach den Gesetzen der Großen Mittleren Theaterwelt normales Theater. An jedem Ort kaum sage ich: «Ich bin Regisseur» — «О-о! Kaffee?» — wird mir sofort angeboten, wenn man in diesem Land Kaffee trinkt, oder Tee.

Die Grenzen der Welten

Es gibt Welten, die nationale Grenzen überschreiten und es gibt Welten, die auβerdem nach nationalem Prinzip geschlossen sind.

Eine meine Bekannte Regisseurin, eine Litauerin, arbeitet in Minsk. Sie hat in Minsk geheiratet und ihren Mann zu sich nach Hause, auf den Bauernhof zu den Eltern gebracht, um ihn vorzustellen. Er ist so ein intelligenter Mann. Dort baten die Hausherren: «Bitte, trinken Sie doch noch ein Glas!». Er dachte sich: «Also, was soll’s, — der Frau, den neuen Verwandten zu Liebe…» — trank und trank.
Er fährt nicht mehr dorthin. Der Frau hat man gesagt: «Bringe ihn nicht mehr zu uns. Der ist ja ein Trinker». In Minsk trinkt er eigentlich keinen Schluck Alkohol, nur an Feiertagen. Und da gilt er jetzt für einen Trinker und man kann nichts mehr beweisen. Versuchte der Seine unter den Fremden zu sein, ist doch ein Fremder unter den Seinen geworden.

Wo sind die Seinen, wo sind die Fremden? Nur der Instinkt führt absolut genau zu den Seinen heraus. Wo fühlen Sie sich am meisten wohl? Mit welchen Menschen? Diese sind dann Ihre Menschen, das ist dann Ihre Welt. Wenn Sie sich da gut fühlen, ist es Ihre Welt.
Jeder von uns weiß ganz genau, wo er sich in Wirklichkeit frei, wohl und Hauptsache — unkontrolliert fühlt: was du nicht machst, ist alles richtig! Was du nicht beschimpfst. beschimpfen auch alle; was du nicht lobst, loben auch alle! Deshalb ist es ja heilig, wenn jemand von den Unseren irgendwohin dorthin eingedrungen ist und später sein Heimatdorf besucht. Ihm geht es auch gut. Er bleibt dort unser Gesandte. Er hat sich ja da nicht eingelebt… Doch wenn er sich eingelebt hat, so ist er schon nicht der Unsere und nicht unser Stolz, er ist dann ein Verräter.
Die selbe Form davon ist, wenn jemand unser aus den berühmten dort in der anderen Welt lebt, schwer soll es ihm dort sein, er soll die ganze Zeit zu uns nach Hause wollen! Doch wenn er sich eingelebt hat, so ist er ein Verräter, gemeiner Mensch, der die Seinen vergessen und verlassen hat.
Der Mensch ist nicht schuld, dass er nicht in der Welt geboren wurde, wo Sie geboren wurden. Eine fremde sozial-psychologische Welt zu verstehen ist eine sehr feine Sache. Wir verstehen das öfters nicht und versuchen deshalb auf grobe Weise zu handeln: wir kränken, verletzen den anderen, versuchen einander zu verändern.
Die Geschichte jedes einzelnen Menschen und der Menschheit insgesamt ist in jedem von uns, denn wir sind die Gestalt der Menschheit. Wenn Sie sich infolge irgendwelcher Gründe entscheiden haben die eigene Welt zu verlassen, sollen Sie fest dieser Situation eigene Formel in Erinnerung behalten: «Er verbrannte all das, was er anbetete und verneigte sich tief vor dem, was er verbrannte». So zu handeln, so zu tun, so zu denken bedeutet aufrichtig die Dankbarkeit zu allen Menschen zu erleben, aus denen Sie gemacht sind. Sie verlassend, in andere Welt weggehend, muss man diesen Menschen ein Dankeschön sagen. Irgendwo dort unter ihnen oder irgendwo dort in der Struktur ihrer Interaktion wurde dieser Ihr Impuls in eine andere Welt überzugehen geboren. Er ist nicht vom Himmel gefallen, denken Sie sich nicht aus, dass Sie «der Kosmos gerufen hat». Er ist dort aufgekommen.

Als ich zum ersten Mal ernsthaft eine Selbsterinnerung aus meinem Leben hervorgerufen habe, hat es sich herausgestellt, dass mein erster Lehrer meine Großmutter war. Was ich bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr nicht ahnte, und als ich es begriffen habe, war es leider schon zu spät, und ich konnte ihr nicht mal Dankeschön sagen.
In mir sind alle Menschen, aus denen ich gemacht bin und sie alle sehe ich vor mir. Ich bin sie. Sowohl Juri Michailowitsch Lotman, als auch meine Großmutter, und Onkel Mischa, der mich im Schlosserhandwerk unterrichtete, und Wladimir Fedorovich, mit dem ich in einem Theater spielte und viele andere. Sie alle bin ich. Auf irgendeine wunderbare geheimnisvolle Weise bin aus dem allen ich geworden.

Wenn Sie so auf sich selbst und von sich aus schauen werden, so werden Sie nie in eine leere Anprangerung, in einen leeren Wettspiel herabsinken: wessen Welt ist besser?
Wenn Sie die Welt mit solchem Blick zu sehen lernen, werden Sie mit dem Menschen auf seiner Sprache reden können. Wie die Praxis zeigt, ist es die komplizierteste Kunst aus allen Künsten in der Welt — mit dem Menschen auf seiner Sprache zu reden. Auf der Sprache seiner Welt.
Sogar die Leute können uns viel bedeuten, die wir innerlich verfluchen, die wir für jene Menschen halten, die uns das Leben kaput gemacht haben… Wir haben es ihnen doch aus irgendeinem Grunde erlaubt… Ob der Umstände, irgendeinem Wunsch, irgendeinem Kompromiss wegen — es gibt da eine Menge Varianten.
Wie viele von uns sündigten im Versuch, die Mutter gegen den Vater oder den Vater gegen die Mutter aus der Sicht eigener Vorstellungen einnehmen. Und so weiter und so fort. Verstehen Sie, es ist unmöglich tadellos zu sein, auf diese Weise ist es unmöglich. Das Leben kann nicht vervollkommnet werden, weil es vollkommen ist. Und wenn es nicht vollkommen ist, so ist es dann absolut vollkommen.
Das Problem liegt in uns: inwiefern wir die Fülle dieser Vollkommenheit begreifen, inwiefern wir innerhalb des lebendigen Stoffes des Lebens die Möglichkeit zur Bewegung dazu sehen, was unserer Sicht nach mehr den Begriffen der Mensch und das Menschenleben entspricht. Ob wir dabei den Mut haben das zu respektieren, was wir verlassen. Das, was du verlässt nicht zu respektieren, ist das selbe wie den Schoß der Mutter, den wir auch verlassen haben, nicht zu respektieren.
Das ist solch eine feine Situation, die äußerste Aufmerksamkeit, äußerstes Gedächtniss, äußerste Genauigkeit der Handlungen und des Begreifens fordert. Unwichtig, was dabei für schlecht oder gut gehalten wird, man muss dieses Kriterium — «gut — schlecht», «niedriger — höher» — ablehnen und dazu anders herankommen. Das alles ist das Leben, es ist sein siedender Kessel und was mich angeht, so habe ich ein Vorhaben. Wenn ich ein Vorhaben von meinem Leben habe, so kann ich mich in diesem Prozess und von diesem Standpunkt aus, von der Positionen des Vorhabens kristallisieren, mir das neue Leben ansehen.
Dann wird das ans Tageslicht kommen, was mich zu diesem Vorhaben bewegt, dann werde ich in diesem Urchaos, dem lebendigen Lebenschaos einen Ruck zum Dasein machen, das heißt zur Bildung einer neuen Welt. Jede Gemeinschaft, die Gemeinschaft der sozial-psychologischen Welt wünscht sich immer, damit seine Vertreter sich irgendwohin durchbrechen. Irgendwohin höher. Jede sozial-psychologische Welt strebt danach, bis zur ganzen Menschheit ausgedehnt zu werden.
Eine Sache ist, sagen wir mal, auf einen Betrieb zu gehen. Der Betrieb ist keine Welt, es ist ein Betrieb. Egal, wie Sie sind, auf einen Betrieb gekommen, sind Sie in irgendwelche minimale Beziehungen getreten und wieder gegangen. Die Welt ist was anderes. Wenn du dahin gekommen bist, wenn du darin leben willst, so musst du ihre Gesetze erlernen und, sich dementsprechend verändern, du musst so werden, wie alle in dieser Welt sind. In den Grenzen der zugelassenen Freiheitsnormen. Es gibt eine Vielfältigkeit, aber sie liegt innerhalb der erlaubten Grenzen.
Die Welt ist grösser, als die Menschen, aus denen sie besteht, die Welt beinhaltet verschiedene Traditionen, eine soziale Nachfolge, psychologische Rituale, eine Wertstufung usw.
Die moderne Welt vermischt die Menschen viel aktiver, und immer häufiger erweisen wir uns in Situationen, wo Leute aus verschiedenen sozial-psychologischen Welten handeln. Deshalb muss man Wege zur normalen Lösung der Probleme suchen, mit einer normalen Anknüpfung an einander…

Der Ausweis in die neue Welt

Die Eingangstür in die für Sie neue sozial-psychologische Welt öffnet sich nur, wenn Sie einen entsprechenden Ausweis haben.
Jede Welt hat einen Ausweis. Wenn Sie es schaffen werden gleich verstehen zu können, wie dieser Ausweis aussehen soll, dann wird alles ganz leicht gehen: kaum haben Sie an die Tür geklopft und Sie sind schon dort, in der Welt, die Sie brauchen. Sie können sich zwar später dennoch irgendwie verraten und die Leute werden sofort losschreien: «Hilfe! Ein Fremder wurde reingelassen!» Doch das Spiel hat schon angefangen.
Übrigens, dieser Ausweis ist öfters was ziemlich einfaches, es kommt Ihnen bloβ nicht in den Sinn, aber dort kommt es allen in den Sinn! Wir denken, der Sinn sei unser Eigentum, der subjektive Raum des Bewußtseins. Aber dorthin kommt auch etwas von auβen rein. Man weiss zwar nicht woher, es kommt auf eine unbekannte Weise. Und genau so geht etwas weg.
Und noch gibt es etwas, was keiner Kontrolle unterliegt. Unsererseits ist es das Herausfinden der Seinen, Vertreter eigener sozial-psychologischen Welt. Wenn man Sie in die Menschenmasse auf dem Bahnhof hineintut, bin ich ziemlich sicher, dass Sie schnell die Ihren herausfinden werden; kann sein, Sie werden sich wundern, dass es die Ihren sind, aber Sie werden sie herausfinden. Und im Zug während der langen Fahrt, und in einer neuen fremden und unbekannten Stadt werden Sie solche Leute herausfinden.

Ein Mann erzählte mir, wie er das erste Mal mit dem Auto ins Ausland durch die damals noch sozialistischen Länder gefahren ist. So fährt er durch Polen und sieht, dass ihm die ganze Zeit ein und dasselbe Auto mit sowjetischen Kennzeichen folgt. Verfolgt. So sind sie gefahren, bis es dem Erzähler nicht genug war. Er hält an. Das andere Auto fährt heran, da steigt ein Mann aus und sagt: «Hör mal, wollen wir zusammen fahren…» Doch bei ihnen gab es keine Ǖbereinstimmung. Sie waren aus verschiedenen Welten. Der eine wollte allein sein und der andere konnte nicht allein fahren, er musste sich mit jemandem vereinigen.
Es ist ein Beispiel aus der Kategorie: «Lass uns zusammen leben!» Und wo ist es? In deiner Welt oder in meiner? Oder in irgendeiner dritten? Oder werden wir auf Reisen gehen? Es ist lebenswichtig zu verstehen: wenn Sie einem anderen Menschen anbieten – lass uns zusammen sein – so muss man sich fragen: und bei wem?

Das Aufbauen einer neuen Welt

Die Menschen versuchen häufig eine neue Welt aufzubauen, besonders wenn sie einander lieben, oder um einen Ausgang aus dem Widerspruch zwischen zwei Welten zu finden. Sie versuchen eine neue Welt zu finden. Es ist bekannt, dass jeder Versuch, eine Welt fűr zwei aufzubauen von vornherein einem Untergang geweiht ist, weil es nicht zur Enstehung einer neuen Welt, sondern zur Flucht aus der alten Welt fűhrt. Aus eigener sozial-psychologischen Welt fortzulaufen bedeutet, von sich selbst fortzulaufen und das ist unmöglich.
Solche Versuche fűhren zur Tragödie, zur Drama. Wenn wir uns an die weltweite Literatur und an die weltweite Kunst wenden, so werden wir sehen, dass deren Themen größtenteils gerade durch diese «Unmöglichkeiten» geprägt sind. Bei Shakespeare entdeckt Hamlet am Anfang des Stückes, dass seine Mutter ganz anderes ist, als er dachte, den Vater anschauend, und dass sie sich mit Claudius gut fühlt… (Das verstehten übrigens nur wenige. Wenn die Leute über Hamlet reden, erinnere ich mich sofort an einige Geschichten aus dem Leben, in denen das selbe geschah: die Tochter oder der Sohn entdeckten mit Erstaunen, dass sich ihr Elternteil mit dem neuen Partner gut fühlt.)
Die neue Welt aufzubauen bedeutet in Wirklichkeit eine neue Welt zu finden. Solche Welt zu finden, die potentiell ein gemeinsames Haus für diese zwei, oder drei, oder zehn Leute werden kann. Es ist eine kreative und nicht standartmässige Arbeit.
Eine Welt zu schaffen bedeutet nicht, alles darin zu kontrollieren. Die Welt ist ein organisches Wesen.

Obwohl ich mit vollem Recht sagen kann, dass jedenfalls auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion die Welt der geistigen Tradition durch meinen Impuls geschaffen wurde. In einem bestimmten Sinn bin ich ihr Elternteil, aber das bedeutet nicht, dass mir alles darin verständlich ist, dass ich alles genau so mir vorgestellt habe. Wenn ich es so gewollt hätte und überhaupt so wollte und beabsichtigte, so wäre daraus keine Welt entstanden. Ich habe sie mit Hilfe von meinem Lehrer gefunden. Und warum habe sie ich gesucht? Ich wurde aus irgendeiner Welt, in der mein zu Hause sein sollte, hinausgeworfen. Die jenigen, die sich um mich herum versammelt haben, waren auch in der überwiegenden Mehrheit aus ihrer Welt hinausgeworfene Menschen.

Ohne einer Welt ist der Mensch verloren, ein Obdachloser. Man muss jene Welt finden, die dir antworten wird. Die jenige Welt finden, die irgendwo irgendwann existierte, oder sogar jetzt noch irgendwo existiert, nur ist sie nicht nebenan. Und dann weiter zu handeln beginnen. Man kann nur auf zwei Weisen handeln: umziehen, wenn das Problem in der Umstellung in ein Ort liegt, oder diese Welt selbst zu schaffen beginnen, das heißt solche Obdachlosen wie Sie suchen und irgendwelche Gemeinschaften schließen: freundschaftliche, geschäftliche, auf einer Idee gründende — beliebige. Danach irgendeine Tätigkeitsform organisieren — irgendwelche Gemeinschaften, Vereine, Theater — und ihnen die Möglichkeit geben zu wachsen und sich vollkommen zu verwirklichen.
Die neue Welt wird Sie verwundern, wie alles Lebendige uns ständig verwundert.

Zwanzig Jahre lang wurde diese Welt geschaffen — die Welt der geistigen Tradition — und später habe ich noch drei Jahre gebraucht um herauszufinden, was das denn ist. Und noch drei Jahre um zu verstehen, dass diese Welt gut ist, weil sie lebendig ist, und dass wenn mir darin etwas nicht gefällt, so spielt es keine Rolle. Wenn sie nur daraus bestand, was mir gefällt, wäre diese Welt keine Welt, sondern eine kűnstliche Konstruktion, ein Kunstwerk, eine gesäuberte Welt.

NEHMEN UND GEBEN

Bei Krylow gibt es eine bemerkenswerte Fabel «Das Schwein unter der Eiche»:

Ein Schwein fraβ sich an Eicheln satt,
Die ein gewalt’ger Baum – in jedem Jahre wieder –
Lieβ wachsen. Dann, vom Fressen matt,
Legt sich das Schwein im kühlen Schatten nieder.
Es schläft sich aus, streckt gähnend seine Glieder
Und wühlt gemächlich dann des Eichbaums Wurzeln frei.
Die Eiche versucht dem Schwein zu erklären, dass darauf die Eicheln wachsen, doch das Schwein ignoriert diese Erklärung …

Warum erwähne ich diese Fabel? Es gibt noch eine in einem bestimmten Sinne grausame Wahrheit darüber, dass es zwei völlig verschiedene Prinzipien des Lebens gibt — das Prinzip der Produktion und das Prinzip des Konsums. Diese Prinzipien gelten auch für die menschlichen Beziehungen.
Man kann sagen, dass das Konsum-Prinzip ein in irgendeiner Weise infantiler Prinzip ist, weil er in der Beziehung mit der Mutter seinen Grund hat. In jenen primären Beziehungen, wie: «Bei Mammi ist es warm, ihre Milch ist süß, ich sauge, und sauge…. Wie im Paradies…».
Das Produktions-Prinzip ist eher ein väterliches Prinzip, wenn man, um das Lob des Vaters zu verdienen, eine Ermutigung seinerseits, seine Liebe, etwas machen muss.
So kann man sagen, dass man die Menschen nach der Art Beziehungen aufzubauen in zwei Gruppen aufteilen könnte. Die erste Gruppe besteht aus Kindern, die in den Beziehungen die Mutter suchen, die primäre Weise des Zusammenwirkens, die Weise des Konsums suchen. Sie empfinden sich in diesem Zustand völlig sorglos, aufrichtig und ohne jegliche boshafte Absicht. Sie konsumieren einfach ganz natürlich und organisch und wissen nicht, was die Dankbarkeit im vollen Sinne dieses Wortes bedeutet — wer dankt denn der Mutter für die Muttermilch?

Wenn solche Leute in eine Situation geraten, die solche Dankbarkeit vorherbestimmt, empfinden sie eine kolossale Anstrengung, bis zu einem hysterischen Anfall, bis zum stärksten Wunsch, solche Situationen zu vermeiden.
In meinem Leben gab es einen solchen Fall.
Einmal habe ich meinem Genossen das Leben gerettet. Es hat sich so ergeben, dass er in eine schwere Situation geraten war und mich um Hilfe bat, und ich kam. Im Laufe der nächsten Woche hat er alles mögliche getan, damit alle unsere sogar zufällige Kontakte abgebrochen wurden.
Gewöhnlich bewerten wir solche Situation als einen Verrat, einen unverständlichen Verrat. Nur nach vielen Jahre habe ich begriffen, dass es keine böse Absicht war. Das ist ein Instinkt, ein Instinkt des Menschen, der in Beziehungen — nicht auf der materiellen Ebene, da war er ein wunderbar hilfsbereiter Mann, uneigennützig, der materiell immer helfen konnte, wie man sagt, das Stück Brot mit dir teilen, sondern auf der emotionalen Ebene, der Ebene der wahrhaften menschlichen Beziehungen — nicht im imstande ist was zu geben. Es ist ihm nicht eigen, so hat er sich gebildet, dass er nur zu nehmen versteht. Man darf ihn dafür nicht richten. Man kann ihn natürlich miβbilligen, wenn man nicht weiss, dass es Menschen gibt, die letztendlich in dieser Weise bei der Mutter geblieben sind, ohne einer emotionalen väterlichen Erziehung, sie kennen keine Liebe zum Vater, solche Liebe, die von vornherein auf dem Gefühl der Dankbarkeit und auf einer aktiven Tätigkeit aufgebaut ist.

Wie Salomo gesagt hat: «…gehorche der Zucht deines Vaters und verlass nicht das Gebot deiner Mutter».
Die zweite Gruppe besteht aus Menschen, die in der Sphäre des emotionalen Lebens, in der Sphäre der menschlichen Beziehungen nicht imstande sind etwas zu nehmen. Als ob sie ohne der Mutter aufgewachsen sind und keine Mutterliebe kennen. Sie können nichts nehmen, was ihnen angeboten wird, weil sie nicht wissen, was man damit machen kann. Obwohl es eine völlig uneigennützige mütterliche Gabe ist. Es ist eine der ernsthaftesten Quellen der Psychopathologie des alltäglichen Lebens.
Wir wühlen die Wurzeln jener Eiche frei, die, bis sie lebt, uns mit Essen versorgt. Mir scheint es, dass in der Sphäre der informellen menschlichen Beziehungen, in der Sphäre der Beziehungen zwischen einander nahen Menschen, zwischen den Kindern und den Eltern, zwischen Verliebten, zwischen Männern und Frauen, Freunden ist es ein sehr grosses Problem. Denn das ist solch ein wesentlicher Defekt der emotionalen Welt, der sehr schwierig zu korrigieren und zu kompensieren ist.

Große Kinder

Wir sind große Kinder, wir selbst und die Menschheit insgesamt. Wir verhalten uns zur Natur nur wie zu einer Mutter: wir nehmen, nehmen, nehmen… Sie gibt, natürlich, und wird somit immer mehr und mehr verbraucht. Wir wollen das dritte Mal nicht geboren werden (die erste Geburt ist die biologische, die zweite – die soziale, die dritte – die geistige), weil auf uns dort der Vater wartet, sprich die Welt, der uns sofort kolossale Forderungen vorweisen wird. Diese Forderungen sind eben die väterliche Liebe. Denn der Vater gibt die Grenzen vor, weisst die Grenzen hin und lehrt, wie man tun, handeln und schaffen soll. Das dritte Mal geboren zu werden bedeutet eben mit der Welt allein zu bleiben.
Die Mutter ist hier, nebenan, doch es ist auch schon der Vater da. Einst hatte ich eine Lieblingsfrage. Wohin verschwinden die geistigen Sucher nach dem sie dreißig, fünfunddreißig werden? Es gibt sehr viele unter dreißig Jahren und sehr wenige von denen, die älter sind. Wohin verschwinden sie plötzlich? Sie kehren in die Gebärmutter zurück, in das soziale Mutterleib, weil es höchste Zeit kommt was zu tun, vor dem Vater Rede und Antwort zu stehen, vor der Welt die Verantwortung zu übernehmen. Doch wollen tut man es nicht. Es ist höchste Zeit schon etwas zurückzugeben, zu erzeugen, wenigstens so, wie die Eiche die Eicheln für das Schwein erzeugt. Und wenn es plötzlich mit dem Rüssel die Wurzeln frei wühlen wird? Lieber nichts erzeugen — dann wird es auch nichts frei wühlen.
Die väterliche Liebe muss man erlangen, der Vater kann nicht so, wie die Mutter lieben und soll er auch nicht. Seine Liebe ist streng und anspruchsvoll, nach ihr muss man streben. Ich meine nicht solche Fälle — ich kenne viele Familien — wenn der Vater selbst wie ein Kind ist. So etwas wie ein Vater, und dabei doch kein richtiger Vater, irgendwann wird dennoch jemand anstelle des Vaters sein.
Doch hier, bei der dritten Geburt kannst du dich vom Vater nirgendwohin verstecken. Er ist die Welt. In seiner ganzen Schönheit und Unverbrüchlichkeit, in seiner ganzen Liebe und Gerechtigkeit.
In einem bestimmten Sinn können wir sagen, dass dann, wenn es die Mutter und den Vater gibt, eine Einheit möglich ist, eine Fülle dieser zwei Dimensionen des Daseins und des Sinnes, weil das Dasein immerhin die mütterliche Macht und der Sinn das väterliche Maß seien. Derjenige, der das Väterliche nicht hat, versteht weder sich selbst zurückzuhalten, noch sich selbst zu organisieren, noch aus der Selbstveranlassung zu handeln, das heißt, dass er auch kein Selbst haben kann. Weder in der ersten Geburt, noch in der zweiten, noch in der dritten. Denn das Selbst immer die Grenzen von sich selbst hat, das Selbst bedeutet ja das «Begrenzte», wie wir schon sagten, das von innen Begrenzte.
Diese Grenze ist kein von anderen gestelltes Hindernis, sondern eine von sich aus bestimmte Begrenzheit. Im strengen Sinne des Wortes ist es das Wissen über sich selbst. Wenn man einen geistigen Sucher fragt: «Willst du das dritte Mal geboren werden?» Natürlich, wird er «Ja, ich will» sagen.
Wie man «dreimal der Held» ist, ist man auch der «dreimal Geborene». Doch wenn du ihm das erklärst und die Realität, die ihn erwartet, zeigst, wenn du seine Beziehungen mit dem eigenen ersten Vater analysierst und ihm sagst, dass auf ihn ein noch viel strengerer Vater wartet, dessen Liebe es viel schwieriger zu erlangen ist, was eine viel grössere Arbeit fordert, wird er dann diese dritte Geburt wollen? Es ist ja mit der ersten noch nicht alles klar.
Die Welt des Vaters wird jeden fragen: Was hast du mit der Mutter, mit der Natur gemacht? Womit hat das Dasein für dich bezahlt? Warum kamst du so lange nicht zur Welt und saβest im Mutterleib? Warum hast du meine Geliebte gekränkt? Darauf wird man antworten müssen, alles erklären und verstehen, väterliche Vorschriften anhören und klüger zu sein lernen, ich selbst werden, und die Verantwortung für eigene Taten übernehmen.

Die Liebe der Mutter und des Vaters

Deshalb ist es angenehm, angesehen und für viele spannend viel zu wissen, das Wissen anzusammeln, aber weise werden will man doch nicht. In einem bestimmten Sinn kann man sagen, dass jener Mensch, der aus dem sozialen Mutterleib nicht geboren wurde, durch die Vaterlosigkeit gekennzeichnet ist, weil er seinen Vater nicht kennt. Wenn er im Mutterleib über ihn hört, ihn durch die Mutter empfindet, so steht er nichts, außer der Angst aus. Anstatt durch die Liebe der Mutter zum Vater zu lernen beginnen den Vater so zu lieben, wie sie ihn liebt, beginnt er auf ihn wegen der Mutter eifersüchtig zu sein und versucht, die Mutter dem Vater wegzunehmen.
Wie es scheint, ist es eine Allegorie nach Fromms Vorstellungen. Ist denn aber das, was wir der Natur antuen, was wir als eine Unvermeidlichkeit in den Wechselbeziehungen mit der Natur zu beweisen versuchen, nicht ein Versuch, die Mutter dem Vater wegzunehmen, die Natur der Welt zu rauben, ihr diese Liebe zu entziehen? Ja, jeder Mensch ist potentiell durch den Geist Gottes geprägt, aber nicht zum Trost wurde es gesagt, sondern der Verantwortung für eigene Potenzialität wegen, einer persönlichen Verantwortung, weil es der Auftrag vom Vater und nicht das mütterliche Vermächtnis ist.
Wie kann derjenige, der nichts tut und sich nicht bemüht, diese Potenzialität zu realisieren, mit der väterlichen Liebe rechnen, wie kann er sicher sein, dass er der Mutter gar nicht schädigen wird? Wie kann er mit der Liebe rechnen, wenn er weder die Mutterliebe zum Vater, noch die Liebe des Vaters zur Mutter annimt und da mitmacht, sondern nur blind, rasend und aggressiv das alles zu zerstören versucht, weil diese Liebe für ihn ein Vorwurf und nicht die Freude ist?
Aber «..ich will deinen Willen tun, nicht meinen», — hat Jesus seinem Vater gesagt. Wenn wir sagen, dass wir uns dem Gesetz unterwerfen, dem Gesetz, dass zu du der Liebe nach gewählt hast, so ist das doch auch ein Schritt zum Vater. Und wenn wir sagen, dass jede Technologie, jede Wissens, jede Methodik durch die Liebe begrenzt ist, so ist es doch auch ein Schritt zum Vater, weil der Vater auf die Grenzen hinweist. Die Mutterliebe hat, wie man weiss, keine Grenzen und sie soll auch keine haben, weil es die mütterliche Liebe ist.
Wenn wir den Menschen, der seine Mutter und seinen Vater verraten hat, rechtfertigen, rechtfertigen wir denn damit nicht uns selbst? Ist denn nicht darüber gesagt — sieh zuerst den Balken im eigenem Auge und erst dann den Splitter im Auge deines Nächsten? Wenn wir über den Tod des Geistes, über die Zerstörung der Geistigkeit reden, heisst es nicht, dass das Vermächtnis der Mutter und der Auftrag des Vaters vergessen wurden? Darin gründet auch die Quelle der Pathologie des alltäglichen Lebens. Im Verlust des Väterlichen und des Mütterlichen, im Verlust der Korrelation zwischen dem Konsum und der Produktion. Es ist der große Gedanke von Florenski über die zwei Wahrheiten: die Wahrheit des Daseins und die Wahrheit des Sinnes.
Erinnern Sie sich an den altertümlichen Gedanken: «Aus zwei werden Sie Eins». Ich würde da ein Fragezeichen stellen und sich selbst und Sie fragen: «Wann werden wir Eins aus den Zwei?» Nur wenn wir es werden, können wir uns selbst für erwachsene Menschen halten. Nur dann können wir nach Bedarf das Leben von jener Pathologie, über die wir gesprochen haben, in ihren verschiedenen Erscheinungsformen reinigen.
Es gibt, natürlich, noch einen alten Spruch: «Das Wissen ansammelnd, sammelst du die Traurigkeit an». Natürlich, fällt es sehr schwer und ungewöhnlich sich in einer ständigen seelischen Anstrengung zu befinden, in einer ständigen seelischen Arbeit. Nur im Gedicht klingt es einfach: «Die Arbeit ist der Seele Pflicht, und Tag und die Nacht, und Tag und Nacht!». Nach drei-vier Tagen möchte man schon eigentlich bekifft umfallen und alles vergessen, die Musik lauter stellen, was stark alkoholhaltiges trinken und irgendwohin weit weg fahren.
Die Arbeit der Seele ist bis dahin eine Qual, bis die Seele nicht die Liebe kennt. Die Arbeit der Seele ist qualvoll, qualvoll ist das Begreifen, weil das Begreifen, das Beseelen der Gedanken, des Sinnes und genauer gesagt, das Erzeugen des Sinnes eben die Arbeit der Seele ist, die seelische Arbeit und nicht die Intellektuelle. Diese Arbeit ist qualvoll, doch ohne dieser Arbeit erkennt die Seele die Liebe nicht. Ohne dieser Arbeit wird sich Ihnen nichts anderes offenbaren, außer einigem Aufregen des Körpers und einiger Anregung der Gedanken unter dem allgemeinen Namen «die Verliebtheit».
Natürlich, möchte man sofort hochschweben, so wie damals, als es noch so mühelos war. Es gibt bei Zwetajewa bemerkenswerte Zeilen: «Meine lebende Seele wirst du nicht nehmen, die sich wie der Flaum nicht einfangen lässt». Verstehen Sie, man kann dem altertümlichen Vermächtnis, das Konstantin Sergejewitsch Stanislawski so wunderbar zusammenfasste, nicht entgehen: «Das Schwierige gewohnheitsmäßig machen, das Gewohnheitsmäßige — leicht, das Leichte — schön». Und so eine «lebende Seele…, die sich wie der Flaum nicht einfangen lässt» gewinnen. Doch man möchte es so wie in der Kindheit haben: sich an die Muttersbrust ansaugen und schon schwebst du. Es ist nur dann gut, wenn du um diesem «man möchte» willen bereit bist zu arbeiten und zu schaffen.

Arbeiten um des «ich will» willen

Wie unterscheidet sich bei mir die Arbeit im alltäglichen Sinne dieses Wortes vom Wort «die Arbeit»? Wenn ich etwas so will, dass ich deswegen bereit bin, zu arbeiten, dann wird daraus eine schöpferische Arbeit. Arbeiten um des «ich will» willen…
Arbeiten ohne dem «ich will» ist das selbe, wie ohne «ich liebe» lieben. Deshalb ist in diesem, wie es scheint, ganz einfachem Satz: tue nur das, was du tuen willst, — das Gebot einer großen Heldentat. Es gibt wohl auf der Erde keine schwierigere Aufgabe als diese.
Alle deine «man möchte» um dessen willen du bereit bist was zu tun, werden kaum den Menschen schaden, doch jene deine «man möchte», um dessen willen du nichts tust, werden in dir als nicht ans Tageslicht gekommene und sich nicht verwirklichte Wünsche leben.
Das ist eben das Schaffen — die Distanz zwischen dem Vorhaben und seiner Verkörperung. Der Akt des Schaffens ist die Verbindung des Väterlichen und des Mütterlichen, der Welt und der Natur, des Sinnes und des Daseins, des Geistes und des Fleisches. Andersfalls «ein Schwein fraβ sich an Eicheln satt…», ist zuerst eingeschlafen, hat später die Augen aufgerrissen, alles verdaut, ist aufgestanden und hat angefangen diese Aufgabe des Rationalisierungswesen zu lösen. Worauf soll man denn warten? Gleich die ganze Eiche fällen und alle Eicheln sind meine. Sie sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern wachsen darauf. Und wir sind auch nicht von einem unbekannten Baum einfach runtergefallen, sondern wachsen auf der Erde und in der Welt auf. Es ist wie im Witz über eine Irrenanstalt. Die Patienten spielen dort in Mitschurin. Sie klättern auf die Bäume hinauf und hängen dort an Ästen. «Ist Maschka schon reif?» — «Ja». — «Spring runter». Plums! «Ist Petka schon reif?» — «Ja». — «Spring runter». Plums!
«Suchet, so werdet ihr finden» — kann man hier nur sagen. Es ist eine fröhliche Arbeit, weil dieses Schaffen wie die Arbeit nach dem Vermächtniss ist, weil jeder Mensch von Gott ist und in erster Linie soll er selbst das in Erinnerung behalten.

Einmal kam zu mir mein Sohn und sagte: «Ich bin doch von Gott! Ich dachte die ganze Zeit, dass die anderen von Gott sind, und war wie besorgt das nicht zu vergessen, wenn ich mich mit ihnen unterhalte. Und habe ganz vergessen, dass ich doch auch von Ihm bin und dass es das Erste ist, woran man denken muss!»

Mit sich selbst muss man beginnen, in sich selbst muss man das jenige von Gott, vom Vater entdecken und realisieren, weil das jenige von der Mutter schon klar ist, es ist alles in verschiedenen Techniken, in der Sozionik und im Horoskop beschrieben. Das kommt alles von der Mutter, von der Natur, doch das Haus muss man ja selber aufbauen.
Der Vater ist einer, der sagt: mach mal, lass uns zusammen machen. Aber machen! Alle sind von Gott, doch nicht alle wollen zu Gott.

Die Welt ins Erbe

Wie fallen uns die Welten zu? Jeder Fall hat seine eigene Geschichte. In der Regel bekommen wir diese Welten im Laufe der sozialen Nachfolge. Ich habe schon erwähnt, dass dieses Thema der Wissenschaft tatsächlich unbekannt ist, deshalb kenne ich weder Arbeiten, noch Menschen, die sich der Forschung gewidmet haben, wie die sozial-psychologische Welt entsteht und wie sie sich in Zeit und Raum entwickelt.
Eine ganz andere Frage ist, wie wir die sozial-psychologische Welt beerben? In erster Linie ist es, natürlich, die Familie und später der Familienkreis. Das wichtigste ist gerade die Familie und der Familienkreis, Verwandte und Freunde, deren Stil und Denkweise, das Wertesystem und das System der Wechselbeziehungen wir kennenlernen. Wir eignen es uns bis zum fünften Lebensjahr an.
Es ist bekannt, dass der Mensch zum siebten Lebensjahr schon als ein Charakter, die Natur, das reine Dasein fertiggebildet ist. Er schafft es sogar, alle zukünftigen Szenarien seines Lebens durchzuspielen. Beobachten Sie die Kinder beim Spielen. Sie haben schon alles durchgespielt — wie sie heiraten oder heiraten werden, wie ihre Familie sein wird, wie sie Karriere machen, wie sie sterben. Ich habe gesehen, wie Kinder in eine Beerdigung gespielt haben. Sie haben schon ihr ganzes Leben vorausgespielt und die Frage ist, welche Szenarien ihnen in den Kopf gekommen sind, was sie beinhalten, und inwiefern das Leben es später bekräftigt oder eine Möglichkeit gibt etwas daran zu ändern.
Wenn man unvoreingenommen das sich ansieht, ist es wirklich ergreifend, wie sie ihr ganzes zukünftiges Leben durchspielen. Man sieht sofort, ob die Mutter eine richtige Mutter war, ob es die Mutterliebe gab, unwichtig, von wem sie kam — von der Mutter oder vom Vater, — ob diese mütterliche Liebe unendlich, ohne Beschränkungen und Bedingungen war… Ob es die väterliche Liebe gab, unwichtig, von wem sie kam — vom Vater, von der Mutter, vom Großvater, von der Großmutter, — eine richtige väterliche Liebe, die der Welt die Grenze stellt und lerht um eigener «ich will» willen alles zu tun. Sehr viel hängt von dieser Struktur ab, obwohl diese Struktur weniger die Grundlage der sozial-psychologischen Welt, als die emotionale Struktur, sprich die Struktur der Menschenseele legt.
Spontanität ohne Liebe ist eine Torheit, eine Schlamperei. Ebenso wie das Wissen ohne Liebe einfach der Tod ist, denn es gibt keine Grenzen.
Warum sagen wir immer, dass in dem Bilden von einer beliebigen Gemeinsamkeit — von einem Paar bis zum Kollektiv — den Hauptwert nicht die Ideen und nicht die Taten, sondern gemeinsame Erlebnisse haben? Wenn die Eltern das vergessen, wundern sie sich später, warum zwischen ihnen und ihren Kindern eine Entfremdung entsteht. Sie hatten keine gemeinsame Erlebnisse. «Ich habe doch alles für dich gemacht!» — «Na und? Du hast es gemacht, du hast es gebraucht, du wolltest dich so als Vater oder Mutter zeigen. Aber haben wir denn etwas zusammen erlebt?»

Ich hatte sehr komplizierte Beziehungen mit meinem Vater. Es gibt ein Teil gemeinsamer Erlebnisse. Er hat mich und meinen Bruder in den Kindergarten gebracht, der neben seiner Arbeit lag. Auf dem Weg zum Kindergarten erzählte er Märchen, die er selbst ausdachte. Das war ein gemeinsames Erlebnis. Diese Erinnerung verkörpert für mich das Symbol der Liebe zum Vater. Und noch unsere gemeinsamen Erlebnisse, die damit verbunden sind, dass er mir über die Philosophie erzählte. Das war später, als er nicht mehr mit uns lebte.

Es vereinigt das Erlebnis, und nicht das Gefühl. Das Gefühl, da es nur das Ich ist, kann entstehen und verschwinden. Das Erlebnis verschwindet nicht. Kein Erlebnis geht verloren. Warum sagen wir, dass die Kultur der Erlebnisse eine Arbeit ist, das Erlebnis ist eben die Arbeit der Seele im Sinne des Schaffens. Es ist das Schaffen der Seele eben. Die Erlebnisse gehen nirgendwohin verloren. Sie wandeln unser seelisches Wesen um.
Die Seele ist eine Gesamtheit des Erlebten und gerade das ist eben die Liebe. Das Gefühl der Liebe kann nichts anderes als Besitzbegierde oder Neid sein, der sich für Liebe ausgibt… Das Gefühl kommt und geht und ein Erlebnis wird ganz sicher nirgendwohin verschwinden. Was mal gemeinsam erlebt wurde, kann man nicht vergessen, sogar dann nicht, wenn du es vergessen willst.
Wenn man es rationalisieren möchte, kann man sagen, dass das Erlebnis die Stimme der Liebe ist.
Man fragt mich oft: während der Mensch sich im großen Mutterleib befindet, wie kann er sich mit dem Vater treffen, wenn er im Mutterleib ist und alles durch die Mutter wahrnimmt?
Er nimmt die Liebe der Mutter zum Vater wahr und ihr Glücklichsein davon, dass der Vater sie liebt. Daraus entsteht eben der Wunsch, sich mit dem Vater zu treffen. Kann sein, dass dieser Wunsch, sich mit dem Vater zu treffen gerade der Wunsch ist, geboren zu werden. Kann sein, dass es der geistige Ruf zur Geburt, zum Treffen mit dem Vater ist.
Man braucht den Vater, es ist derjenige, wen du fragen wirst, was man machen soll, und das erfüllen, was er sagen wird. Man braucht den Willen. Wenn wir uns an Gott wenden — Dein Wille geschehe! — wenden wir uns an den Vater. Man braucht den Willen und man braucht einen Auftrag, um in sich diese Eigenschaft entwickeln lassen. Deshalb gibt es ohne dem Vater keine Selbstbeschränkung, keine Selbstdisziplin, keine Eigeninitiative.
Was ist die Laune? Es ist die Reaktion auf den Verstoß der ursprünglichen Glückseligkeit, es ist der Reiz wegen dem Befriedigungsaufschub eines Wunsches. Das ist sehr schwer. Und für die Frauen ist es schwer. Doch besonders schwer ist es dann, wenn der Mann ohne dem Vater aufwächst, wenn die Mutter ihn so stark blokiert, wenn er den Vater nicht sieht, nicht unbedingt den eigenen Vater, sondern einfach einen Mann, der ihm zum Vater wird, der ihm das Väterliche einprägt. Er bleibt ein Kind: «Gib, gib, gib, gib…» In anderen Frauen sucht er nur die Mutter, er kann nichts geben, dafür aber versteht gut zu nehmen. Und es gibt auch solche, die nicht nehmen, sondern nur zurückgeben können. Das ist weder schlecht, noch gut, es ist einfach vielfältig.

DAS KREDO

Lasst uns noch einmal versuchen zusammenfassend dieses alltägliche Leben anzusehen.
Es gibt die berühmte «Smaragdene Tafel» von Hermes dem Dreimal geborenen und sein großes Gebot: «Wie unten, so auch oben, wie oben, so auch unten». Es gibt eine Aussage von Shankara (eines indischen religiösen Philosophen, dem Reformator von Hinduismus) darüber, dass «Nirwana dasselbe wie Samsara ist und Samsara — dasselbe wie Nirwana». «Das große Quadrat, — sagte Laozi (ein chinesischer Philosoph, der im IV-III das Jh. v.u.Z. lebte und als Gründer von Daoismus gilt), — hat keine Ecken».
Diese drei Aussprüche sagen, meiner Meinung nach, über ein und dasselbe. Wir haben uns gewöhnt Ereignisse, Werte, Erlebnisse und sogar unsere Lebenszeit nach einer Vertikale zu richten. Ganz leicht und ohne zu zögern sagen wir: «Dies ist höher und jenes ist niedriger, dies ist niedriger und jenes ist weniger niedrig». Wir denken niemals nach, dass solche Weise der Wechselbeziehung mit dem Leben uns jeder Chance entzieht die Einheit des Lebens und des Daseins zu entdecken.
Und sogar diese Ausdrücke: «das alltägliche Leben», «der Alltag», «die Alltäglichkeit» enthalten solche Schattierung, wie «eine traurige Notwendigkeit». Etwas eigentlich überflüssige, nicht besonders obligatorische. «Was tut man denn da» — sagen wir meistens, als ob es eine Zahlung für jene Augenblicke der Aufschwünge, für jene hohe Offenbarungen und für jene schöne Erlebnisse sei, die mit uns manchmal geschehen.
Wenn wir beginnen, sich an das Leben zu erinnern, können maximum drei Monate davon als nicht alltägliche bezeichnet werden. Jeder «Enthusiasmus» dauert öfters nicht mehr als drei Monate. Jeder, auch die Verliebtheit. Maximum drei Tage, oder drei Wochen, oder drei Monate. Die Zahl drei ist das Rhythmus unseres Bewußtseins.
Dieser Walzerrhythmus ist die Eigenschaft unserer Psyche. Alle übrigen Erinnerungen sind nur Löcher, Löcher, Löcher, die mit nichts außer dieser Alltäglichkeit, des Alltagslebens, dem Alltag gefüllt sind, wahrhaftig ohne jede Exotik. Wenn ich mich aus zehn Jahren meines Lebens nur an drei Monate als an etwas bedeutsame erinnern kann, was habe ich denn die übrigen neun Jahre und neun Monate gemacht? Geschlafen?

Immer leben

Doch das wichtigste ist das alltägliche Leben. Warum das wichtigste? Wie es sich zeigt, gibt es einfach fast nie das Leben an sich. Wir reden darüber so viel, betrachten es von der einen und von der anderen Seite, und vom Gesichtspunkt der sozialen Rituale und Konzeptionen aus. Wir haben schon so viel darüber gesagt… Die Transaktionsanalyse und Beziehungsarten zwischen verschiedenen sozioischen Typen, kleine Gruppen und Sozionik erwähnt. Und was ist der Sinn? Der Sinn ist, dass es uns dünkte, dass wir es geträumt haben…
Was haben wir bloβ nicht geträumt — die Soziodinamik, die Beziehungsarten verschiedener sozionischen Typen, Igor Nikolajewitsch Kalinauskas zusammen mit Sigmund Freud… Was weiter? Es werden zehn Jahre oder vielleicht zehn Tage vergehen, die heute so wichtig scheinen, und in Erinnerungen bleibt davon nicht einmal eine Minute. Das große Quadrat hat wahrhaftig keine Ecken…
Deshalb muss man wahrscheinlich damit beginnen, dass man versucht aufzuwachen und weniger zu schlafen, damit man sich später aus zehn Jahren wenigstes an fünf erinnern kann.
Ich denke manchmal daran, dass der Wunsch lange zu leben und ewig jung zu bleiben daher entsteht, dass die Menschen eigentlich gar nicht leben. Man denkt gewöhnlich, dass es gar nichts besonderes sei, wenn man sich aus zehn Jahre nur an drei Monate erinnern kann… Wie viele Jahre braucht man denn zum Leben, um zehn Jahre wirklichen Lebens in Erinnerung zu behalten? Vierhundert Jahre muss man leben, um diese zehn Jahre des Wachens aufzusammeln. Vierhundert Jahre von solch einem Leben!

Ich hatte Glück, dass mir rechtzeitig Groβe Bücher in die Hände geraten sind. Ich bin wie aufgewacht. Das geschah, als ich sechs war, seit dieser Zeit kann ich mich an alles erinnern. Alles war interessant, nichts will man wegstreichen oder verdrängen… Doch streng gesagt habe ich mir mein Leben im vollen Umfang nur dann wiedergewonnen, als ich meinen Lehrer kennengelernt habe und so weit gekommen bin, dass ich eine Revision meines Lebens machen konnte…
Verstehen Sie, das ist eine ganz andere Empfindung des Lebens. Du wachst am Morgen auf und denkst: ach, du liebe Güte, heute habe ich doch die Ausbilder… Es ist schon sechs Uhr abends und du hast noch so viel zu leben, und so viel wurde schon durchgelebt. Wenn bei den anderen die Woche vergangen ist, sagen sie, dass bei ihnen nichts geschehen war, und bei dir passierte schon so viel… Dieser Montag – das war ja schon das vorvorige Leben.
Ich erinnere mich an eine Parabel. Gott hat einem Gerechten verkündet, dass an jenem Tag um so viel Uhr der Fluss vergiftet wird und alle Menschen davon verrückt werden. Der Gerechte hat sich ein Wasserbecken in den Bergen ausgehöhlt, sich mit Wasser versorgt und an dem Tag zu der angegebenen Stunde sieht er – tatsächlich sind alle verrückt geworden. So trinkt er ein Monat lang sein Wasser, zwei Monate, drei Monate… Schlieβlich war sein «Enthusiasmus» zu Ende. Er hat angefangen mit allen das vergiftete Wasser zu trinken, ist auch verrückt geworden und hat alles vergessen, wurde genau so wie alle anderen…
Wenn ich mich am Samstag mit Freunden treffe, sagen sie meistens: «Es ist so, als ob es diese Woche gar nicht gab. Wie wir uns vorigen Samstag verabschiedet haben, so sehen wir uns heute wieder, als ob der vorige Samstag gestern war ».

Doch wenn man aufwacht, kannst du die Träume anderer Menschen sehen. Oder Psychologe werden. Im unsprünglichen Sinne des Wortes bedeutet « Psychologie» die Wissenschaft über die Seele.

Als mein Lehrer die Staatliche Universität Moskau absolvierte, ist er zu Alexei Nikolajewitsch Leontjew gekommen und sagte: «Herr Professor, ich möchte mich mit Psychologie beschäftigen». Er erzählte ihm die Ideen, die er jetzt schon in New York verwirklicht hat. Leontjew hörte ihm lange zu und sagte: «Ja, junger Mann, Sie wollen sich mit Psychologie beschäftigen, das heißt mit der Wissenschaft über die Seele, da kann ich Ihnen nichts anbieten. Es gibt die emotionale, die medizinische, die Alterspsychologie, doch das, worüber Sie reden, gibt es nicht, entschuldigen Sie». Was für eine Psychologie hat ein schlafender Mensch? Er sieht höchstens allgemeine Träume und seine Gedanken sind mehr oder weniger schön formuliert…

Deshalb ist alles, was ich Ihnen erzählt habe, für mich eine subjektive Wahrheit, das alles habe ich selbst erworben, erfasst und verstanden. Doch das alles hat nur dann den wahren Sinn, die gegenwärtige Fülle und das Wichtigste – Konstruktivität und Positivität — wenn die Pathologie des alltäglichen Lebens überwunden ist. Die pathologische Vorstellung darüber, dass man das Leben auf ein alltägliches und nicht alltägliches aufteilen kann.

Das Leben: sowohl der Sinn, als auch das Dasein

Es gibt weder das alltägliche Leben, noch das nicht alltägliche. Es gibt einfach dieses Leben. Und noch ein anderes… Das heißt, man sagt so, doch es kommt erst später. Wenn wir sterben, werden wir es sehen. Doch jetzt gibt es kein anderes Leben. Wir können das Leben verschlafen, sich über einzelne Tage, Stunden, Minuten freuend. Wir können ganze große Theorien darüber schaffen, dass alles übrige nur die Vorbereitung zu diesem Augenblick sei.
Und man kann einfach dieses Leben durchleben, doch es ist eine ganz andere Geschichte…

Als ich zum ersten Mal erfahren habe, dass «Nasreddin» «der Einzige» bedeutet und das es im Osten gilt, dass Nasreddin die höchste geistige Errungenschaft sei, das heißt er ist ein Supernasreddin, was sogar Buddha misslang, habe ich mich so gefühlt, als sei ich ein Vollidiot.
Ich begann zu lesen, ich habe bis zur letzten Parabel die Legenden über Nasreddin durchgelesen, das bemerkenswerte Buch von Solowjew auswendig gelernt. Ich las und fühlte, dass ich mir es erdenke, dass ich mich selbst an etwas in mir, an eigene Vorstellungen anpasse, aber erreiche jedoch nicht den wahren Augenblick der Wahrheit.
Vielen dank meinem Meister, dass er es vorgesagt hat. Ich erinnere mich oft daran, wie er als Antwort auf die Frage, die man gar nicht stellen sollte, ringsumher schrie einfach alles darüber, sagte: «Leben soll man!»
Doch das hat mich noch mehr verblüfft. Und was tun wir hier denn eigentlich? Wir leben doch. Wer hat uns gefragt, ob wir es wollen oder nicht? Seit nicht so langer Zeit und streng genommen, seit ganz vor kurzem, hat es mich plötzlich aufgeblitzt, dass man tatsächlich leben soll.

Es zeigt sich, dass das schwierigste, das interessanteste, das geheimnisvollste, das rätselhafteste, das geistigste, das mystischste als auch das okkulteste – alles am meisten meiste — zu leben ist.
Es ist klar, dass Hermes wirklich Trismegistos, der Dreimal Geborene, auch dazu gekommen ist, aber hat so entschieden: «Also, wenn ich einfach sagen werde — leben soll man — werden doch in diesem Alten Ägypten alle, auch der Pharao, sich über mich lustig machen. Ich muss etwas superkluges ausdenken». Und er hat ausgedacht: «Wie unten, so auch oben, wie oben, so auch unten». Er nannte es «Smaragdene Tafel» — wie du willst, so verstehe auch.
Und Shankara saß und grübelte: «Wie kann ich es denn andeuten?» — und sagte schlieβlich: dass «Nirwana ist dasselbe wie Samsara und Samsara — dasselbe wie Nirwana». So, Kinder, denkt mal selber nach und versucht zu erraten, was ich gesagt habe…
Am besten, hat, natürlich, Laozi gemacht, rückwärts auf einem Büffel sitzend… Er hat einfach gesagt: «Das Große Quadrat hat keine Ecken». So einfach, damit es sofort klar ist.
Darin liegt das Paradox. Was wir nur nicht wollen: und dies, und jenes wollen wir, bloß leben, wie es sich herausstellt, wollen wir nicht besonders. Einige wollen lange leben, obwohl sie nicht wissen wozu. Man hat uns so diese Aufteilung auf die Alltäglichkeit und Nicht-Alltäglichkeit, über das Alltagsleben und das Nicht-Alltagsleben aufgedrängt. Wissen Sie, wir haben so schöne Bücher gelesen. Niemand pisst da und kackt, und schläft nicht, und isst nicht, und wenn auch isst, dann so etwas, was in Geschäften gar nicht gibt. Man hat uns erklärt, dass es das konzentrierte Leben sei.
Wir möchten auch so etwas Konzentriertes haben, kaum im Wasser aufgelöst und schon ist das Leben fertig. Ich denke, dass leben das wichtigste ist, was es wirklich Sinn hat zu lernen. Den lebendigen Stoff des Lebens fühlen. Er ist überall, in jeder beliebigen Form, in jedem beliebigen Augenblick.
Wenn man religiöse Texte liest, stöβt man dort auf die Frage, was Glückseligkeit bedeutet. Ich denke, dass gerade das Leben die Glückseligkeit ist, die immer da ist unabhängig davon, womit du dich beschäftigst, in welche Situation du geraten bist. Ich kann Sri Aurobindo und Die Mutter verstehen, die überhaupt aufgehört haben zu schlafen… Es ist schade sogar für weinige Stunden diesen Kontakt mit dem Stoff des Lebens aufhören zu fühlen. Es ist der höchste Genuss des Bewußtseins, der Seele, des Körpers, des Geistes. Es ist die Ambrosia, Nahrung der Götter, und sie ist nicht irgendwo, in anderem Zeit und Raum, sie ist hier…
Man muss aufwachen, so wie wir in jene Augenblicke unseres Lebens aufwachen, die wir niemals vergessen werden. Jeder hat etwas, dass er niemals vergessen wird. Jeder hat diese Empfindung — diese Zeit lebte ich! Ich war! Ich existierte diese halbe Stunde, diese drei Tage, diese Woche, diese Nacht…
Es ist nicht wahr, dass man ständig so leben muss, es ist nicht wahr, dass man um diese Empfindung zu erleben, irgendeinen emotionalen Aufbruch oder irgendeine Vibration im Körper, irgendein Jucken im Kopf braucht, das man anders das nicht empfinden kann. Sonst sind alle Yogi Idioten, wenn sie es mit dem Wasserspiegel des Sees, dem Spiegel, der Ruhe des Verstandes vergleichen. Man braucht es dazu, um in diesen lebendigen Stoff einzudringen, sich damit vereinigen, diese Glückseligkeit, diesen Geschmack zu empfinden… Dann können wir in das alltägliche und das nicht alltägliche Leben spielen.
Die Welt ist wahrhaftig vollkommen und wir sind wahrhaftig vollkommen. Die Menschheit ist noch jung. Die ganze Struktur der sozialen Nachfolge, der sogenannten Erziehung, der sogenannten Bildung ist noch unvolkommen und jung. Aber zu allen Zeiten, bei allen Völkern erschienen nach dem großen Gesetz der Streuung Laozi, Hermes, Shankara. Ganz vor kurzem hat unser Landsmann Wernadski, krank im Bett liegend im Traum seine Vorausbestimmung plötzlich gesehen.
Es gibt so ein Märchen «Das bucklige Pferdchen», erinnern Sie sich, wie Iwan dort junger wurde? Wohin ist er reingesprungen? Ins siedende Wasser. Ins Leben. Und von da aus wohin? Was war das Fixiermittel? Der kalte Kessel des Sinnes. So ist er Iwan-Zarensohn geworden. Der Mann ist aufgewacht!
Es hat wirklich Sinn, sich dazu bemühen, um aufzuwachen. Dann wird alles ganz anders: das Geheimnis des Todes, das biologische und soziale Alter. Es ist furchtbar, was sich dann Ihnen offenbart.
Warum tut es dem Lebendigen so weh, warum? Manchmal tut es sehr weh. Doch es gibt Dinge, wo die mildeste Ausssage sehr grob und den Stoff des Lebens verwundend erscheint. Die Seele, im Altertum «das Seelenorgan» gennat, ist ein subtiles Organ. In dieser groben und in vielem primitiver Welt ist es ihr schwierig. Es ist ihr sehr schwierig über das Geheime zu reden, es tut weh, sie fühlt sich einsam, und manchmal packt sie eine seltsame Müdigkeit, man muss sich daran erst gewöhnen… Man muss sich mit irgendeiner auserlesener Motivation hegen und nicht gleich die ganze Vertikale entfernen, sondern nach und nach Himmel und Erde, das Obere und das Untere, Samsara und Nirwana näher bringen. Hängt davon ab, wie schnell du Glück haben wirst, wie es sich ergeben wird, wen oder was du hören wirst.
Aber das ist ja gerade wunderbar! Wenigstens deshalb, weil man nichts vergessen muss, weder bewußt, noch unbewußt. Es ist wunderbar, weil du selbst lebendig bist und ringsumher alles lebendig ist, weil sich der Sinn buchstäblich in allem offenbart. Auf einer anderen Sprache heisst es: «Gott ist in allem…». So offenbart sich der dichte, lebendige Sinn aller diesen berühmten Aussagen.
Manchmal scheint es uns, dass dasjenige, wonach wir uns richten, unbedingt das Beste sei. Dort wird alles, was jeder von uns für unangenehm, schwer, schlecht u.s.w hält, abgeschlagen, dort befindet sich nur das ganz Gute und das Ideale. So verfallen wir in ein Irrtum, denn hinter den Idealen verlieren wir das Gefühl des Lebens, ihres lebendigen Stoffes, was häufig zur Entwertung davon führt, wovon wir in der Gegenwart leben. «Und weiter ist nur die Leere».
Buddha hat, natürlich, in seinen acht Geboten recht, wenn er sagt, wie man den Leiden entgehen kann: «Die Edle Wahrheit, die zur Unterbrechung des Schmerzes führt. Es ist der edele Achtfache Pfad und zwar der Pfad durch rechte Absichten, rechte Ziele, rechte Reden, rechtes Handeln, rechte Lebensführung, rechtes Streben, rechte Achtsamkeit, rechte Konzentration», doch es geht ja nicht darum, etwas zu entgehen, etwas loszuwerden. Ja, natürlich, kann man den Leiden entgehen und in Nirwana geraten, doch so verliehrst du Samsara, und es ist ja dasselbe wie Nirwana. Und Nirwana – dasselbe wie Samsara. Es geht nicht darum, dass man etwas, entgeht, sondern darum, für alles den Sinn und das echte Mitfühlen zu finden…
Wenn man, sagen wir mal, im Wald das Gras oder eine Baumart loswird, dann ist es doch kein Wald mehr. Wie kann man, zum Beispiel, in den Jahreszeiten den Frühling oder den Winter loswerden, rauswerfen? Wie kann man aus der Welt etwas ausnehmen? Und wenn es auch möglich wäre, würde es denn besser, vollkommener werden? Nein! Wie die ganze Praxis der Menschheit zeigt, ist der Versuch, etwas auszunehmen immer eine Wunde, Blut, Schmerz und Verlustschwall. Um nichts ausnehmen müssen und das Leben und die Welt in deren ganzen Fülle wahrnehmen, hat es Sinn aufzuwachen…
Wenn Sie aufgewacht sind, wenn Sie jeden Moment ihres Lebens wirklich durchleben, was werden Sie dann entgehen müssen? Das Leben sebst? Wollen Sie sich aus diesem lebendigen Stoff einen Anzug zuschneiden? Solche seltsame Fragen fallen einem lebendigen Menschen nicht ein.
Leben ist keine Beschäftigung. Es ist kein Beruf. Es ist kein Wissen. Leben heisst eben leben. Wir können viel und lange darüber reden, doch bis du selbst dieses Nektar nicht gekostet hast, bis du selbst mit der Kontinuität dessen lebendigen Stoffes, mit ihrer Allgegenwärtigkeit nicht zu tun hast, ist alles, was man darüber sagen kann, nur: «Erinnere dich an jene Augenblicke, in denen du lebtest, wache auf, denke nach, diese Augenblicke sind doch nicht nur Augenblicke der Freude, der Glückseligkeit, es sind auch Augenblicke der Leiden…»
Es ist schwer nichts zu vergessen, wenn man nichts aus den Erinerungen wegwerfen muss und wenn du dich aus zehn Jahren an alle zehn Jahre erinnerst. Es ist das Leben, schwer oder glücklich, erfolgreich oder misslungen — das alles ist das Leben. Erst dann verschwindet die Vertikale und bleibt «wie oben, so auch unten, wie unten, so auch oben», dann gibt es weder «oben», noch «unten». Und «Nirwana ist dasselbe wie Samsara und Samsara — dasselbe wie Nirwana»», denn es gibt weder das eine, noch das andere. Und «Das große Quadrat hat keine Ecken», es hat nun mal keine Ecken. Es gibt nur den lebendigen Stoff des Lebens. Wenn Sie das wahrgenommen haben, dann werden Sie auf diesem lebendigen Stoff alle Wunden, Auswuchse, künstliches Angliederungen fühlen – alles, was wir Pathologie nennen.
Alles läuft auf das Wichtigste hinaus, darauf, schläft der Mensch oder lebt, will er leben oder hat schon alles aufgegeben. Wenn er leben will, wenn er aufwachen will, hat er nicht nachgegeben, was auch immer passiert. Und umgekehrt — wenn er nicht leben will, wenn er nicht aufwachen will, hat er nachgegeben, weil er dann die Gabe ablehnt, die wir als «Jeder Mensch ist vom Gott, jede Seele ist vom Vater…» bezeichnen.
Die Grundlage der Psychopathologie des alltäglichen Lebens liegt darin, dass der Begriff des alltäglichen Lebens existiert. Bis es existiert, existiert die Pathologie, denn das ist die Krankheit unter dem Namen «ich will nicht leben, ich will nicht lebendig sein, ich will also kein Mensch sein ». Anstelle des Menschen haben wir dann einen Homunkulus, eine soziale Persönlichkeit, eine Individualität, ein Wesen – alles mögliche, nur nicht einen lebendigen Menschen…
Und jetzt erinnern Sie sich, womit wir dieses Buch angefangen haben? Mit dem Thema über den lebendigen Menschen.

Arbeit und Liebe

Es gibt noch ein Thema, dass ich besprechen möchte. Man kann es in zwei Worten fassen: «Arbeit und Liebe». Damit wir es mit dem Thema davor verbinden, eine kleine Brücke dazwischen bauen, kann man darüber sagen, dass ich diese Worte innerhalb meiner Welt mit dem Dasein und dem Sinn verbinde.
Wenn wir über den Menschen reden, wird alles darauf zurückgeführt, dass die Liebe das Dasein ist, und die Arbeit — der Sinn. Oder die Arbeit ist das Dasein und die Liebe — der Sinn.
Was ergibt sich daraus? Wenn wir die Arbeit zum Lebensprinzip machen, wird daraus eine unendliche Schlacht. Machen wir die Liebe zum Lebensprinzip, so wird sich nach und nach alles ringsumher zerstören, weil man dann ja nicht arbeiten möchte. Machen wir das Schaffen zum Lebensprinzip, so kann man sich schlieβlig zu sehr überanstrengen, weil das Schaffen die Höchstanstrengung aller seelischen Kräfte ist.
Wie kann man sich dann überhaupt freuen? Eine aussichtslose Situation, ein schicksalhaftes Dreieck für einen schlafenden Menschen. «Gehst du rechts — wirst du sterben, gehst du links — wirst du den Verstand verlieren, gehst du geradeaus — wirst du nichts finden».
Wohin soll man denn gehen? Man muss sich setzen und an dieser Stelle, an dieser Gabelung aufwachen. Das heisst, dass die Arbeit und die Liebe nur eins bedeuten – zu leben, und das Schaffen bedeutet auch nur eins — ein lebendiger Mensch im vollen Sinne dieses Wortes zu werden. In sich selbst die Gestalt der Menschheit und die Gestalt, nach dessen Bilde du geschaffen bist, das heißt die Gestalt Gottes realisieren. Alles übrige leitet sich davon ab.
Jedesmal, wenn wir über die Arbeit reden oder denken, müssen wir uns an ihren Sinn erinnern: die Arbeit ist nur dann durchdacht, wenn sie zum Wachsein führt.
Jedesmal, wenn wir über die Liebe reden, müssen wir uns an ihren Sinn erinnern: die Liebe ist nur das, was zur Liebe zu leben, der Liebe zum Leben, zu ihrem lebendigen Stoff führt.
Jedesmal, wenn wir über das Schaffen reden, müssen wir uns daran erinnern, dass ein beliebiges Schaffen nur dann bewußt ist, wenn es zum lebendigen Menschen führt.
Und nun drei Fragen:
Was ist die Arbeit?
Was ist die Liebe?
Was ist das Schaffen?
Und wie die Antwort ist, so ist auch der Sinn jeder beliebigen Arbeit, jeder beliebigen Liebe, jedes beliebigen Schaffens. Doch dazu muss man noch eine vierte Frage hinzufügen — Was ist die Freude? Die Freude ist das Genießen des Lebens, das ist eben die Ambrosia, die Nahrung der Götter.
Jedesmal, wenn wir über die Freude, den Feiertag, den Genuss, das Vergnügen reden, reden wir über das Offenbaren des Sinnes der Glückseligkeit — das Leben zu geniessen.
Sie haben jetzt also die vier Fragen. Wenn Sie eine Antwort in einer beliebigen Situation aus einem beliebigen Anlass suchen werden, stellen Sie sich diese Fragen und antworten Sie darauf. Diese Fragen zu wissen, sich daran zu erinnern, worin deren Sinn liegt, bedeutet, über das ganze Wissen zu verfügen, das mein Meister hatte. Er wusste diese Fragen. Was für einen Moment, ein Problem, ein Teil von eigenem Leben oder von jemandem anderen Sie nicht nehmen, vergessen Sie nicht, sich diese vier Fragen zu stellen und auf sie zu antworten. Die Antworten sind immer mit einem konkreten Problem verbunden. Die Fragen sind mit der Welt verbunden. Dann werden Sie vielleicht nicht so traurig über das Leben denken…
Das Leben ist eine schöne, prächtige Sache… Es ist eben die himmlische Braut… Es ist das Sakrament der Ehe, das Sakrament der Verlobung mit dem Leben, das Fleisch vom Fleisch und das Blut vom Blut. Wir alle sind in dieses Geheimniss eingeweiht, es wissen nur nicht alle darüber. Wir leben und das ist die höchste Einweihung: geboren zu werden und zu leben. Nirgendwo gibt es eine höhere Einweihung — weder in Shambhala, noch auf dem Stern Orion, noch auf einem beliebigen Niveau der Realität. Es ist die höchste Einweihung: geboren zu werden und zu leben. So sehe ich es, das ist meine subjektive Wahrheit. Was ich Ihnen auch wünsche, wenn es Ihnen gefällt.

Zweiter Teil

LEBENSSINNE

DER MENSCHLICHE KÖRPER

Man sagt, dass es ein großer Erfolg sei im menschlichen Körper geboren zu werden.
Und noch etwas: der Mensch ist nach dem Bilde Gottes und Ihm ähnlich geschaffen.
Ich werde auch auf einen dritten Ausgangspunkt hinweisen: Jesus und alle anderen Großen Lehrer der Menschheit waren im menschlichen Körper verwirklicht.
Die meisten von uns haben solch ein Wahrnehmungsklischee: wenn wir das Wort «Körper» sagen, meinen wir etwas biologisches, das heißt wir verwenden diesen Begriff sehr eng, ihm den Geist und die Seele als etwas fremdes, was sich außerhalb dem Körper befindet, entgegensetzend.
Es ist die alltägliche Gewohnheit, die in uns die Aufteilung auf das Schöne und Unschöne, Fleischliche und nicht Fleischliche bewirkt hat. Wir werden in unserer Betrachtung versuchen den Begriff «der Körper» in einer etwas anderen Bedeutung zu verwenden, die zum Beispiel den Begriffen der Physik näher ist — der materielle Körper, der Quantenkörper — und werden somit den Schwerpunkt des Sinnes versetzen. Auβerdem werden wir versuchen zu begreifen, dass es ein großer Erfolg sei im menschlichen Körper geboren zu werden, dass alle geistigen Lehrer der Menschheit im menschlichen Körper verwirklicht waren. Das getan, werden wir uns vom alltäglichen Niveau der Wahrnehmung des Begriffes «der Körper» auf ein anderes, breiteres Niveau dessen Wahrnehmung umschalten können.
Zur Bezeichnung anderer Daseinsebenen des Menschen wird auch der Begriff «der Körper» verwendet: der astrale Körper, der kausale Körper und sogar der Bodhi-Körper. Es ist kein Zufall, weil der Körper schließlich die Weise das individuelle Ich, das einzige, einzigartige, individuelle Leben eines jeden zu beschränken ist. Wenn man den Körper als das obligatorische Vorhandensein der Form, das obligatorische Vorhandensein der Abgrenzung wahrnimmt, dann offenbart sich die wirkliche Schönheit dieses Werkes, die tatsächliche Möglichkeit der Wahrnehmung des Menschen als eines Ganzen.
Sich an die Eindeutigkeit der Wörter, die sich auf den Menschen beziehen gewöhnt, sagen wir das Wort «der Gedanke» und hoffen, dass alle uns gleich verstehen. In Wirklichkeit ist es nicht ganz so, weil das Wort «der Gedanke» mindestens mit zehn ganz verschiedenen Sachen, Prozessen und Begriffen verbunden ist.
Wir sagen — «die Seele» und das ist auch eher eine poetische Verallgemeinerung der Mehrzahl verschiedener Erscheinungsformen.
Wir sagen — «das Fleisch» — wie es scheint, ist hier wenigstens alles eindeutig, doch das stimmt auch nicht…

Die Abgrenzung als Eigenschaft der Form

Die Abgrenzung ist die Eigenschaft jeder beliebigen Form. Es gibt eine Abgrenzung des Bewußtseins. Wie Merab Mamardaschwili bemerkte, «ist alles, was man über das Bewußtsein des Bestimmten sagen kann, dass es etwas abgegrenzte ist». Wenn wir alles, was wir ganz bestimmt über den Menschen sagen können, zusammenzufassen, so ist es, dass er etwas Abgegrenztes ist.
Bei so einer Definition des Menschen taucht unbedingt der Wahrnehmungsreflex auf: wieso etwas Abgegrenztes? Und was ist mit der Transzendenz? Die Transzendenz bedeutet das Überschreiten der Grenzen der Realität, in diesem Fall die Grenzen jeder Abgrenzung. In Wirklichkeit ist die Transzendenz jedoch eine Absage von der Abgrenzung, denn sogar der, wie man denkt, feinste Aspekt des Großen Ganzen unter dem Namen «der Mensch» — der Bodhi-Körper — dennoch eine Abgrenzung ist.
Wir haben uns gewöhnt, den Begriff «die Grenze» in der Bedeutung von «das Ende», «das Hindernis» zu verstehen und ihn als ein gewisses Synonym des Käfigs wahrzunehmen. Aber:
· jede Form ist leer und jede Leere hat eine Form;
· das große Quadrat hat keine Ecken;
· wie oben, so auch unten, wie unten, so auch oben;
· Samsara ist das selbe, wie Nirwana und Nirwana – das selbe wie Samsara.
Dann bekommt der Begriff «die Grenze» einen anderen Sinn, den man mit solchen Worten wiedergeben kann: zum Vorschein gekommene, sich Abgesonderte, die Einmaligkeit, die Möglichkeit einer deutlichen Wahrnehmung. Nur wenn wir uns bemühen in uns eine neue und für uns ungewöhnliche Einstellung in Bezug auf den Begriff «die Grenze» aufkommen zu lassen, kann alles, was in unserem Inneren ist, was mit dem Begriff «der Mensch» und somit mit uns selbst verbunden ist — die Gesamtheit der Vorstellungen, der Überlegungen, der Emotionen und Eindrücke — von neuem definiert werden. Diese Umdeutung soll vor allem mit dem Verständnis und jenem Erlebniss anfangen, dass der Mensch wie auch alles zum Vorschein gekommene eine Abgrenzung und keine Grenzenlosigkeit ist.
Die Idee der Auflösung im Grenzenlosen ist die Idee der Flucht, die Idee der Schwäche oder des Tragischen im Begreifen von jenem Sinn, dass der Mensch vom Gott abgegrenzt ist, obwohl er nach Seinem Bild und Ihm ähnlich geschaffen wurde, und somit schon vom Raum, vom Wissen, von jeder beliebigen Grenzenlosigkeit abgegrenzt ist. Er ist abgegrenzt. Und wenn das Große Mittlere diese auf den ersten Blick einfache Weisheit verstanden hätte, so könnten einfach keine «-ismen», keine Ideen der Bildung eines «neuen» Menschen und keine derartigen Experimente an dem Menschen entstehen. Wenn wir das etwas enger betrachten, so ist das Begreifen dieser Tatsache das Einzige, was das Pendel, das vom Komplex des kleinen Menschen zum Größenwahn schaukelt, anhalten kann. Es ist weder klein, noch groß, es ist eine Abgrenzung, der Ausdruck der Einmaligkeit: jeder Mensch ist weder schlecht, noch gut. Es gibt nur einen abgesonderten, einzigartigen und eigenartigen Menschen, der wie auch jeder andere das Recht auf die ganze Realität hat.
Bevor man über eine bewußte Wechselwirkung mit der Realität was sagt (obwohl bewußte Wechselwirkung auch eine Bedingtheit ist, weil wir selbst die Realität sind), muss man ein unmittelbares Erlebnis gehabt haben, das uns mit der Realität wirklich verbindet. Diejenigen, die danach suchen, versuchen auf verschiedene Weise zu solchem Erlebnis zu kommen. Und nur im totalen Erlebnis von sich selbst als einer Realität ist «Samsara wirklich das selbe, wie Nirwana und Nirwana – das selbe wie Samsara » und «das große Quadrat hat keine Ecken».

Das Verwirklichen der Idee der Abgrenzung

Man muss jedoch nicht nur zur Idee der Abgrenzug kommen, man muss sie verwirklichen, und das ist schon eine sehr komplizierte Aufgabe, weil die Erlebnis ein äußerst intimes Ereignis ist. Es ist unmöglich ein Erlebnis jemandem mitzuteilen, man kann es nur manchmal zeigen. Das Erlebnis ist etwas einzigartiges, es gehört dem Subjekt und nur ihm.
«Zum Ermessen der Wahrheit sind keine Worte nötig, Worte braucht man nur zu ihrer Übergabe». Um das Erlebnis jemandem mitzuteilen, muss man es im eigenen Dasein verwirklichen.
Um es zu verwirklichen und Bedingungen für solch ein Ereignis zu schaffen, muss man sich vor allem der Tatsache bewußt werden, dass der Mensch wie auch alles Offenbarte in allen Aspekten seiner Ganzheit abgegrenzt ist. Die erste Aufgabe für ihn ist sich maximal eigenen Grenzen zu nähern. Es ist unmöglich sie zu űberschreiten. Diese Grenzen verlassen werden Sie aufhören zu sein. Dieser totale Tod, die Zerstörung der Form, die Zerstörung der Abgrenzung ist in einer sehr feinen Form nichts anderes, wie der Zug zum Selbstmord. Selbstmord gilt in den meisten Religionen und geistigen Traditionen als die schwerste Sünde, weil es ein Anschlag auf den verwirklichten Geist ist.
Wie kann man zu sich selbst gelangen, wie kann man sich selbst erkennen? Es ist eine der Stützpunktfragen.
Der Prozess der Sozialisation ist auf zwei Illusionen aufgebaut: der Illusion, das die Abgrenzung von außen angegeben wird und der Illusion der Grenzlosigkeit der menschlichen Möglichkeiten.
Der Mensch als ein biologisches und soziales Wesen ist auch aus Menschen gemacht. Im Laufe seines Aufwachsens und der Sozialisation werden die Grenzen tatsächlich von außen angegeben. Als Erstes sind es die Grenzen des Mutterleibes, später — die Grenzen vom eigenen Körper (wenn das Kleinkind zu begreifen beginnt, dass es seine eigenen Finger und Äuglein sind), noch später — die Grenzen des Weltbildes, das vom Vater, der Mutter und bedeutsamen anderen angegeben wird. Dieses Weltbild dehnt sich ständig aus, und so kommt die zweite Illusion auf, die Illusion der Expansion, der Zunahme und des Fortschritts.
Die Grenzen werden ausgedehnt und es scheint, dass nur das Aufhalten durch die Anderen diese Erweiterung und Entwicklung beschränkt. Im Laufe des Erwachsenwerdens, im Laufe des Lebens, im Laufe der Erkenntnis entsteht die Illusion der ewigen Erweiterung. In der Mehrheit der Aspekte des Ganzen sind wir von unseren wirklichen Grenzen fern und können uns daher leicht vorstellen, dass wir Tausende Verkörperungen benötigen werden, um diese Erweiterung zu erreichen. In achtzig, bestenfalls hundert Jahren ist es einfach unmöglich, an eigene Grenzen in dem vom Großen Mittleren eingegebenem Tempo zu gelangen.
Die zweite Illusion stützt sich auf die menschliche Erfahrung der Erweiterung, die die Empfindung schafft, dass die Möglichkeiten des Menschen zur geistigen Entwicklung und der Erkenntnisfähigkeit grenzenlos sind, und dass nur der Widerstand der äusserlichen Realität die vorübergehende Grenze feststellt. Diesen Widerstand besiegt, kann man grenzenlose Macht gewinnen.
Die Illusion der ständigen Erweiterung plus die völlig lasterhafte Idee der Grenzlosigkeit legt ins Bewußtsein ein Mechanismus ein, der den Glauben an das Wunder und an unendliche Möglichkeiten motiviert, was solche Bedingungen schafft, bei denen der Mensch niemals zur Idee der Abgrenzung kommen wird und niemals die Chance bekommt, über sich selbst wie über das Ganze, wie über den Körper nachzudenken. So gewöhnt sich der Mensch den Körper als etwas durch die Haut beschränktes wahrzunehmen. Sogar in der geistigen und esoterischen Literatur auf den Begriff «der astrale Körper», «der mentale Körper» stöβend, nimmt er das Wort « Körper» weg und sagt einfach «das Astral», «das Mental».

— Ich bin ins Astral ausgestiegen.
— Und wer ist ausgestiegen?
— Der Begreifenspunkt.
Unsinn. Der Begreifenspunkt wie bekannt ist eine Null im Koordinatensystem des Ganzen.

Die globale Idee, der globale Begriff und der globale Sinn ist also die Abgrenzung. Die Aufgabe diesen Sinn zu begreifen ist erstens der Schwierigkeit nach grandios, vor allem im psychologischen Aspekt und zweitens tatsächlich schwierig, da man wissen muss, wie man solch eine Mikrogesellschaft, solches Kollektiv organisiert, die sich gerade damit beschäftigen.
Es ist unglaublich schwierig, weil es eine unendliche Menge von Siddhi (den höchsten Fähigkeiten) gibt, das Denken jedoch mit nichts anderem beschäftig ist, als unsere Bedürfnisse zu bedienen. Das Bedürfnis nach der totalen Selbstrealisierung zu aktivieren (und es ist die Selbstrealisierung nicht nur in der Karriere oder im Schaffen, sondern eine vollwertige Selbstrealisierung, die jeden Schritt und jeden Augenblick im Leben erfasst), und diese Selbstrealisierung aus der sozialen Programmierung in die Programmierung durch die geistige Gesellschaft umzuleiten ist eine sehr komplizierte selbständige Aufgabe. Doch solang man innerlich die wahrhafte Abgrenzung nicht aufgedeckt hat, gibt es keine Chance an die Realität als solche, an die äusserliche in Bezug auf die eigene Abgrenzung Realität heranzutreten.
Es gibt sieben Schleier der Maya, heutzutage reden und schreiben viele darüber. In einem der altertümlichsten interpretierenden Texte ist geschrieben, dass diese sieben Schleier die sieben Körper seien: der physische, der energetische, der vitale, der astrale, der mentale, der kausale und der Bodhi-Körper. Sieben Körper, sieben Schleier, sieben angebliche Abgrenzungen. So entsteht noch eine Illusion der Bewegung und der Erweiterung, die in der Tatsache nichts anderes als ein Übergang aus einer kleineren Zelle in eine gröβere ist.
Um die eigene Abgrenzung aufzudecken, muss man diese Illusion überwinden. Es ist der eine Weg. Der zweite Weg bedeutet zur Realität direkt durchzuringen, nicht durch die Erkenntnis seiner selbst, sondern so zu sagen im Erlebnis von sich selbst.
Das Erlebnis ist eine individuelle Sache. Zur Überwindung von standardmäßigen Existenzprogrammen braucht man ein anderes Programm, das auf eine besondere Weise angelegt sein muss. Wenn wir über die «Transzendenz» sprechen, müssen wir zuerst aufklären, in Bezug auf welche dieser scheinbaren Grenzen die Transzendenz geschieht. Das Überschreiten der Grenzen von dem, was wir gewohnheitsmäßig «physischer Körper» nennen, ist eine der Transzendenzvarianten. Aus den Grenzen der gewohnheitsmäßigen Gestalt von sich selbst – die andere Variante. Das Überschreiten der Grenzen, die als gewohnheitsmäßig für die psychoenergetischen Wechselbeziehungen gelten – die dritte Variante. Doch das alles ist schließlich eine Illusion des Überschreitens. Man kann nicht im direkten Sinne des Wortes außer sich selbst geraten, denn außer sich selbst geraten bedeutet aufhören zu sein, zerstört zu werden und die Form zu verlieren.
Sogar im Bodhi-Körper gibt es eine Abgrenzung. Wenn jemand mittels einer für sich neuen Methodik oder des Systems der Organisation des Bewußtseinsraumes, der Entwicklung der psychoenergetischen oder funktionellen Möglichkeiten des Körpers plötzlich entdeckt, dass er aus sich selbst irgendwohin hinausgetreten ist, so muss er verstehen, dass er einfach ein Loch aus einer Zelle in die andere gemacht hat. Doch wenn der Mensch sich immerhin dessen bewußt ist, dass er nicht in das Grenzlose hinausgetreten war und dass es noch einen weiteren Weg gibt, kann dieses Ereignis ein Anfang des geistigen Weges werden. Doch wenn er beschlieβt, dass er in den freien Weltraum ausgestiegen ist und jetzt unmittelbar mit dem Kosmos, mit Gott, den Lehrern von Orion kommuniziert, so ist eine völlige Unwissenheit, so ist es ein programmiertes Schutzsystem, das im Laufe der Sozialisation eingeprägt wurde. Nur die Kinder, die in ungewöhnlichen Familien aufgewachsen sind, wo keine standardmässigen Grenzen angegeben wurden, können sich gleich in andere Programme durchringen.
So haben also diese zwei Illusionen – der äusserlichen Angegebenheit der Grenzen und der Grenzlosigkeit — die Idee des Irrfortschritts, die Idee der grenzlosen Willkür bewirkt. Die politische und verbrecherische Willkür miβbilligend, sympathisieren wir dieser Idee der grenzlosen Willkür in Bezug auf den Menschen ohne zu verstehen, dass in Wirklichkeit die Rede hier um den geistigen Kommunismus oder Faschismus ist. Es ist die selbe Idee, die in der Gesellschaft den Kommunismus, den Faschismus und andere Systeme der Veränderung der Eigenschaften des Menschen und der Modellierung des Menschen nach einem konstruierten Ideal bewirkt, aber schon in die geistige Ebene verlegt.
Die Grenze ist nichts «schlechtes», weil wir nur durch sie über die Existenz des Ganzen erfahren. Nur durch das Begreifen der Abgrenzung als einer prinzipiellen Tatsache können wir die Wiedervereinigung mit der Realität erleben. In diesem Sinne sind wir unsterblich. Und man braucht keine andere Begründungen der Unsterblichkeit haben. Doch wir geraten in eine Falle, wenn der Begriff des Körpers bis zu den Grenzen, die durch die Haut beschränkt sind, herabwürdigt wird.

Das Erleben von eigenem Körper

Der nächste Moment, der mit dem Begriff «der Körper» verbunden ist, besteht darin, dass wir den nicht erkennen und um so mehr ihn nicht erleben. Wir haben die Erkenntnis dieses durch die Haut abgegrenztes Objektes «Fachleuten» überlassen. Und da wir ihn selbst nicht erkennen, so bekommen wir auch alle Angaben darüber hauptsächlich von außen. Wir erleben unseren Körper nicht und sind als Subjekte mit ihm nicht verbunden, das heisst, dass im strengen Sinne des Wortes es nicht unser Körper ist. Weder der physische, noch alle übrigen Körper gehören uns, sie gehören der Maya und sind in diesem Sinne uns fremd.
Die Sache ist die, dass bei den Geburten — bei der ersten – der biologischen, bei der zweiten – der sozialen und bei der dritten – der geistigen — das alles uns persönlich überreicht wird und wir verpflichtet sind, dessen Herr zu sein. Es ist nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes geschaffen!
Doch beim ersten Versuch es sich zu nehmen, sagen uns die Menschen: lass uns dir helfen, wir werden für dich wirtschaften. Das ist ein Syndrom des Längerdienenden: in der Armee ist es deshalb so schön, weil man dort an gar nichts denken muss, alles ist für mich schon vorgeplant und aufgeteilt. Auf diesem Prinzip ist das ganze Leben im Großen Mittleren aufgebaut — überlass uns dies und jenes und wir werden dich von allem befreien. «Die Freiheit von» ist, wie bekannt, die größte Versuchung.
Und wofür wird diese Freihet angeboten? Damit es leichter ist, den Menschen zu leiten, damit er sich der Gesellschaft anpasst und die Gesetze des Großen Mittleren gewissenhaft erfüllend, dessen Konventionen erlernt und beachtet. Und dafür von der Verantwortung befreit ist, weil es einen Ranghöheren gibt, es gibt einen Leiter, der für alles verantwortlich ist. Man kann, natürlich, vom Gesichtspunkt der Theorie der Umgestaltungen aus sagen: was soll’s, das bedeutet also, das man solche Karma hat, bei der in dieser Verkörperung alle, die es für nötig halten, Ihren Körper ausnutzen und Sie sind einfach ein Fuhrmann.
Dafür sind Sie von diesem riesigen, schrecklichen Haushalt befreit und können sich in der Grenzlosigkeit so viel Sie wollen erholen. So wächst folgende Sucht auf: machen Sie mit mir etwas, befreien Sie mich von mir selbst!
Die schwierige und manchmal tragische Arbeit der Erkenntnis seiner selbst als des Bildes und der Ähnlichkeit Gottes abzulehnen, das Erleben seiner selbst abzulehnen — bedeutet es nicht die Absage von der wichtigsten Arbeit und von der wichtigsten Vorausbestimmung? Das Begreifen, Verstehen und Erleben dieser Tatsache wird nur dann erreichbar, wenn wir uns das einfache Prinzip merken — das Prinzip der Abgrenzung des ganzen Daseins. Das Bild und die Ähnlichkeit setzen die Abgrenzung voraus. Und dann — ja! Groß ist der Mensch, wahrhaftig Groß, er ist ein erstaunliches Erzeugnis, ein erstaunliches Werk!
Es stellt sich jedoch heraus, dass die meisten Menschen tatsächlich bevorzugen, sich als klein zu empfinden. Der Größenwahn ist die selbe Möglichkeit sich als klein zu empfinden. Das geht ganz einfach: dem Ich wird ein neuer Name, ein großer Name verliehen. Fertig. Ich bin Napoleon. Ein leeres Ich mit einem vollen und großen Namen. Dann braucht man nicht diesen seinen Haushalt erforschen, begreifen und sich selbst erleben. Es ist jedoch wohlbekannt, dass auf der Ebene der sozialen Bedürfnisse die Angst vor sich selbst der Hauptregler des Verhaltens ist. Nur diese Angst überwunden und entschieden der Herr von sich selbst zu werden, werden Sie verstehen, dass der Mensch keine Matrjoschka sei, in der der eine Körper in ein anderes nach einer beliebigen Ordnung angelegt ist. Durchaus nicht. «Das große Quadrat hat keine Ecken».
Erlebnisse offenbaren uns einen anderen Kontext des Begriffes «der Körper». Der Körper als ein Teil der Welt, ein Teil der Realität, ein Teil, dessen Herr unser Ich werden kann.

Das Geheimnis des realen Handelns

Das Geheimnis des realen Handelns besteht darin, dass es von der Realität geschieht. Und das ist keine Tautologie. Darin besteht das Geheimnis, dieses Geheimnis ist der Realität eigen und zum Erraten nicht vorbestimmt. Man kann es erleben, zur Aufbewahrung übernehmen, sich ihm anschließen. Das Unsagbare ist unaussprechlich, aber es ist verwirklicht. Darin liegt die Chance, die Angst vor dem Unendlichen zu überwinden. Doch wir bemerken die Chance nicht und vom rechten Weg auf die gewohnheitsmäßige Geleise abgekommen, versuchen alles, unter «alles» die Realität als solche verstehend, diese Realität in Worten zu äußern, und verpassen dabei sowohl andere Möglichkeiten sie zu erleben, zu empfinden, intuitiv zu erfassen, als auch andere Möglichkeiten der Wechselwirkung des Ganzen mit dem Ganzen.

Die Erschaffung von sich für sich selbst

Aus dieser Sicht solchen Begriff wie «die Liebe» betrachtend und durchdenkend, müssen wir ihn zunächst als einen aus zwei Begriffen bestehenden sehen: der Liebe als einem Gefühl und der Liebe als einem Erlebnis. Die Liebe als ein Gefühl ist eine Expansion, es ist in der Literatur und Psychologie beschrieben, von der Kunst bezeugt. Nur sich an den Begriff «Göttliche Liebe» wendend, entdecken wir die Liebe als ein Erlebnis. Es ist die Möglichkeit der Berührung des Anderen. Wie Meister Abu Silg gesagt hat: «Liebe ist eine Abnahme der Distanz».
In der Liebe als einem Erlebnis können wir wahrhaftig unsere Abgrenzung aufdecken. Mit anderen Worten ausgedrückt heisst es sich selbst zu entdecken. In der Liebe als einem Gefühl können wir uns selbst nicht entdecken, weil die Liebe als ein Gefühl ein Vektor und eine Handlung ist. Wir entdecken im Gefühl nur eigene Möglichkeiten; je komplizierter die Realisierung des Gefühles ist, desto grösser ist die Mobilisierung und das Erwachen verschiedener Möglichkeiten zum Funktionieren. In der Liebe als einem Erlebnis haben wir die Chance, uns selbst zu entdecken. Ohne dem Anderen ist es unmöglich sich selbst zu entdecken.
Was bedeutet sich selbst zu entdecken? Es bedeutet, wenigstens in einem Aspekt auf die Grenze von sich selbst hinauszukommen. Doch wenn dieses Erlebnis total ist, dann kann man sich selbst in allen Aspekten entdecken, sich erleben und mit Anderen in Berührung kommen. Diese Geburt ist ein sehr feiner Zustand, seine Feinheit besteht darin, dass Sie sich selbst im Erlebnis aufgedeckt, auch die Anderen als eine Realität entdecken. Da kommt der Augenblick, wenn zwei das Eine werden, gleichzeitig zwei bleibend. Einst wurde über dieses Erlebnis gesagt, dass es eben der Ort sei, wo sich Gott befindet.
Jener Ort, wo zwei das Einheitliche sind, gleichzeitig zwei bleibend.
Die Erlebnisse ermöglichen das Prinzip der Perle sowohl in Bezug auf die sogenannte äusserliche Welt, als auch in Bezug auf die sogenannte innere Welt zu beachten. Das Prinzip, bei dem das Neue das Alte nicht aufhebt und jede neue Schicht die vorhergehende Schicht nicht aufhebt. So bildet sich Schicht nach Schicht die Perle. Nur so sich selbst und den Anderen erlebend und erkennend, werden Sie sich als das Ganze entwickeln.
Doch wenn Sie unbewußt nach dem Prinzip des Vektors, der in das Grenzlose gerichtet ist, handelnd, jede vorhergehende Schicht aus dem Grund, dass sie veraltet oder nicht mehr nötig ist, aufheben werden, so wird hinter Ihnen immer nur Leere bleiben und es wird sich nichts dichtes bilden. Dann wird niemals die Ruhe eintreten, jene Ruhe, die zum Erleben eigenes Aufenthaltes in der Realitäten führt, weil es nichts zum ruhen geben wird. Es wird keinen Menschlichen Körper als Ihren Körper geben, sondern nur Unruhe unter dem Namen «der Fortschritt». Selbstverständlich werden sich die durch die Unruhe bewirkten Ideen entsprechend erweisen.
Die Grenzlosigkeit, im buchstäblichen Sinne des Wortes die Abwesenheit eines beliebigen Körpers, jeder Abgrenzung, ist die Abwesenheit der Verwirklichung, die Abwesenheit des Bildes und der Ähnlichkeit. Es existiert nur einige psychische Unruhe unter dem Namen «mein Ich». Ein leeres und abstraktes Ich. Wenn sich um dieses Ich herum nichts Erkannte und Abgegrenzte kristallisiert, dann gibt es kein Ihr Dasein im strengen Sinne des Wortes (nach Gurdjieffs Terminologie erscheint kein Herr). Dann existiert nur das Leben als eine psychische Unruhe aus verschiedenen Anlässen. Einige Hast um das Ich. Das wahre Ich plus das nicht wahre Ich ergibt in der Summe eine Null. Es ist nur dazu notwendig, um ein Keim-Kristall in der inhaltsvollen Lösung des realen, lebendigen Stoffes des Lebens im Laufe der Bildung dieser Perle zu werden. Denn in der Mitte dieser Perle kann ein Sandkörnchen stecken, ein ganz gewöhnliches, von welchen es eine unendliche Menge gibt. So steckt in der Mitte dieser Perle, des Menschlichen Körpers, genau so eine Kleinigkeit – das Ich.
Mit welcher unglaublicher Achtung verhalten wir uns zu dieser Kleinigkeit unter dem Namen «das Selbstbewußtsein». Man műsste damit nur eins machen: es genau aufstellen, das heißt beruhigen und ins Zentrum vom Koordinatensystems stellen. Ihn stabil machen, um darauf die Schichten nach einander bis zum wirklich vollwertigen Körper anzusetzen, bis zur vollwertigen Abgrenzung, bis zum Erleben seiner selbst als des Ganzen — «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst». So ein bemerkenswerter Gedanke.
Wenn die Arbeit der Entdeckung und der Identifizierung sich selbst als eines Körpers, sprich als einer Realität, ununterbrochen läuft, dann hilft dieser Arbeit jede beliebige funktionale Tätigkeit — von der Bedürfnisbefriedigung bis zur Befolgung der sozialen Konventionen. Dann ist die Lage eines Menschen, der sich in der Welt befindet, viel vorteilhafter, als die Lage eines Einsiedlers. In der Welt zu sein erweist sich als eine bessere Situation für diesen Keim-Kristall der Substanz unter dem Namen «Ich bin». Die große Vielfältigkeit der Situationen ermöglicht bei einem dazu kreativen Verhalten verschiedene Gravitationen auszuwiegen und das «Ich bin» in einer stabilen Lage zu halten. Sich selbst als das Dasein dargestellt zu sein bedeutet eben, sich selbst als der Körper dargestellt zu sein. Inwiefern Sie der Herr des Ihnen gegebenen Körpers sind, insofern existieren Sie im Dasein.
Der Sinn der Sache besteht darin, wie es Florenski in seinen Überlegungen über die zweifache Wahrheit des Menschen bemerkenswert geäußert hat, dass der Mensch in sich zwei gleichberechtigte Wahrheiten beinhaltet: die Wahrheit des Daseins und die Wahrheit des Sinnes. Gerade deshalb haben wir schon vom Gesichtspunkt des Daseins die ganze Fülle des Bildes und der Ähnlichkeit, und vom Gesichtspunkt des Sinnes müssen wir dieses Dasein werden, das heißt es an uns heranwachsen lassen. Darin besteht eben die geistige Heldentat — die Erschaffung seiner selbst für sich selbst.
Es ist bekannt, dass ohne der Zerstörung des Ganzen man ihm nichts entziehen kann, weil der Teil im Ganzen über solche Eigenschaften verfügt, die ohne dem Ganzen nicht existieren. Das Herausnehmen des Teiles verändert sofort diesen Teil, ihn in etwas abgesondertes umwandelnd, sowie auch das Ganze selbst aufhört das zu sein, was es war. Eigentlich gibt es keinen Begriff «das zufällige Einzelteil», und deshalb ist es absurd, etwas der Verbesserung wegen wegzuwerfen. Irgendeinen Teil von sich selbst wegwerfend, werden Sie gleich nicht mehr Sie selbst, sondern jemand anderer, und dieser andere wird wieder gezwungen sein, das Problem der Selbstvervollkommnung zu lösen, auch etwas wegwerfend. Was bleibt daraufhin? Das leere Ich, eine psychologische Aufregung unter dem Namen «das Leben».
Vom Gesichtspunkt des Sinnes aus gesehen sind jede beliebige Manipulationen möglich, sogar das Wegwerfen vom Ich, wenn Sie es für sinnvoll halten, doch im Dasein wird davon nichts geschehen, darin war schon alles geschehen. Es ist die Fülle des Sinnes, und die Fülle des Sinnes ist die Fülle des Erlebens seiner selbst als einer Realität, sprich als des Körpers. Erst dann werden das Dasein und der Sinn ausgewogen. Ab dem Augenblick ihrer wahrhaften Angemessenheit fängt eben die echte Entwicklung an, der Aufenthalt in der Realität, wenn Ihnen die ganze Fülle der Freiheit zu schaffen gegeben ist.
Und wenn solche Erlebnisse stattfinden, die Samadhi genannt werden, und wenn es zur Erleuchtung führt, so bedeutet es nur eins: das Zusammenfallen des Umfanges des Daseins mit dem Umfang des Sinnes. Nur den Körper subjektiv durch den Sinn und das Dasein gefunden, der als Realität existiert, kann man das Vorhandensein oder die Abwesenheit der Bewegung empfinden, so wie sie subjektiv und objektiv in der Realität geschieht. Das Vorhandensein dieser zwei Wahrheiten – des Daseins, das unabhängig vom Subjekt und seinem Körpers existiert, der nach dem Bild und der Ähnlichkeiten geschaffen ist, und der Wahrheit des Sinnes, die dem Dasein als einer Realität gemäβ oder nicht gemäβ sein kann — bestimmt eben die Situation des Menschen. Es ist die Situation der Notwendigkeit des Begreifens seiner selbst als des Daseins und als eines Körpers, sonst ist der Mensch zur Illusion der ständig wiederholten Geburten verurteilt.

Über Tod und Liebe

Was ist der Tod des Körpers? Bedeutet es, dass der Mensch in einen anderen Zustand übergegangen ist? Was bedeuten die Worte «ist gestorben»? Wir können es nur vermuten, weil wir noch lebendig sind. Man kann nur Hypothesen vorbringen, solche Zeugnisse verwendend, die uns glaubwürdig erscheinen. Bedeutet die Zerstörung dessen, was wir der biologische Körper nennen, den Tod auf der Daseinsebene? Wohl kaum. Und auf der Sinnesebene? Gut möglich. Nicht unbedingt, aber möglich. Wenn Sie diese Frage sich selbst beantworten, ist es vielleicht besser, methodologisch heranzugehen. Welche Hypothese wird Sie stärker zum Ausarbeiten des dem Dasein entsprechenden Sinnes fördern?
Wenn mich die Furcht vor den unendlichen Verkörperungen stimuliert, werde ich maximal intensiv arbeiten, wenn jedoch diese Hypothese mich beruhigt – ich denke, dass ich noch Zeit habe — passt sie nicht zur Stimulierung der Tätigkeit. Eine Einschätzung ist in diesem Fall nur bezüglich der Hauptaufgabe möglich. Gurdjieff bemerkte, dass für den östlichen Menschen die Idee der mehrern Verkörperungen eine Anregung zur schnellsten Errungenschaft der letzten Verkörperungen sei. Und das Christentum, die Hauptreligion des Großen Mittleren westlichen Menschen, setzt voraus, dass alles hier und jetzt oder niemals geschehen soll.
Es geht hier darum, dass der personifizierte Grund der Sache, der die geistige Aktivität bestimmt, ein und derselbe ist. Deshalb «kämpfen» diejenigen, die man die «Erreichenden» zu nennen pflegt, niemals untereinander im Unterschied zu ihren Anhängern. Der Grund ist ein und derselbe, doch der Weg dazu ist verschieden.
Streng genommen ist es völlig unwichtig, was nach dem sogenannten Tod geschieht. Seit dem ich angefangen habe zu arbeiten, beunruhigt es mich persönlich überhaupt nicht, ich habe keine Zeit dafür, es gefällt mir zu arbeiten. Es gibt einfach keine Spalte zwischen dem Leben und dem Dasein.
Doch in dem Fall, wenn Sie diese Aufgabe begriffen haben, aber fühlen, dass psychologische Unruhe Sie die ganze Zeit ablenkt, dann hat es Sinn, jene Hypothese der Existenz nach dem Tode zu wählen, die Sie mehr fördert. In diesem Sinn ist der Tod wirklich der beste Lehrer. Für jene Menschen, die in den biologischen Teil der Realität besonders versenkt sind, ist die Angst vor dem Tod einer der stärkesten Stimulatoren zur Suche nach der Unsterblichkeit.
Jetzt werden wir uns vom Thema des Todes zum Thema der Liebe, das heißt zur Fortsetzung des Lebens, wenden. Vor allem muss man sich dessen bewußt werden, dass das Gefühl trennt und das Erlebnis vereinigt. Das Gefühl ist eine bestimmte Weise der Eigenbehauptung, die Bestätigung der eigenen Existenz, weil ich ein Gefühl empfinde, das «auf» jemanden gerichtet ist. Derjenige, auf den das Gefühl gerichtet ist, ist schon etwas ganz anderes.
Das Erlebnis vereinigt. Die Liebe als ein Erlebnis meint eine Verschmelzung mit dem Anderen. Gerade das Erlebnis schafft die Empfindung des Verschwindens. Es vermischen sich die Angst und die Überlegungen darüber, wer wen verzauberte, wer wen durch den bösen Blick behexte und es beginnt in verschiedenen Formen die Abwehr zu funktionieren, was wieder zur Teilung führt. Natürlich verschwindet in Wirklichkeit niemand, in Wirklichkeit überschreiten Sie einfach die für sich selbst gewohnheitsmäßigen Grenzen des Subjektiven, die äusserlich bestimmt sind, und öffnen in sich neue unübersehbare Weiten. Das Ich, das sich durch diese Weiten zu bewegen beginnt, erschreckt sich, obwohl es einfach im Nullpukt seien soll und die Schichten nacheinander ansetzen.

THEATER DES LEBENS

Allen sind Shakespeares Worte bekannt: «Die Ganze Welt ist eine Bühne und Fraun und Männer bloβe Spieler… Sein Leben lang spielt jeder manche Rollen». Ich möchte hier widersprechen, wozu ich heute, meiner Meinung nach, genügend gute Gründe habe.
Nach vielen Jahren der Praxis, Überlegungen und Experimente auf dem Theatergebiet und verschiedener Theaterformen bin ich zum Schluss gekommen, dass die Grenze, die das Theater von dem nicht-Theater abtrennt, der Zuschauer ist.
Im Leben, wenn man sich dazu als zu einem Theater verhält, stehen nur Denkmäler irgendwelchen idealen Helden. Und nach diesen Denkmälern lehrt man uns, «nach wem man das Leben richten soll». Das bedeutet, dass es einen idealen Darsteller der Rolle gibt. Du bist ein junger, seine Laufbahn beginnender Schauspieler und wenn du dich in die Helden hocharbeiten willst, dann probe, unterdrücke dein Selbst, schere dich, treibe alles Unpassende nach innen, aber sei wie der Held und entsprich dieser Rolle. Das ist der soziale Aspekt des Spieles in das Theater des Lebens.
Der zweite noch vielleicht kompliziertere Aspekt kann zwar negative Reaktion hervorrufen, aber ich erinnere Sie noch einmal, dass ich meine persönliche Meinung ausspreche.
In der sogenannten esoterischen Literatur verschiedener geistieger Traditionen lesen wir über die Psychotechnik der Strukturierung der inneren Realität und darüber, dass man zum Ausarbeiten eines stabilen Selbstbewußtseins oder zur Kristallisation – dieser Prozess kann verschieden bezeichnet werden — in die innere Realität den sogenannten uninteressierten Beobachter einführen muss.
Jetzt lasst uns überlegen: wenn der Mensch ein uninteressierter Beobachter ist, so ist er dann wahrscheinlich ein Gelehrter. Dann verwandelt sich das Leben in einen technologischen Akt. Wir verfügen über einen gewissen Ausgangsprodukt und am Ende wollen wir ein anderes bekommen. Damit die ganze Technologie befolgt wird, verwenden wir in unserem Inneren einen uninteressierten Beobachter oder einen Lehrer — auch in irgendeinem Sinne einen uninteressierten Beobachter.
Wenn unser innerer Beobachter plötzlich beginnt engagiert zu sein — es ist sehr schwer ein uninteressierter Beobachter in Bezug auf sich selbst zu bleiben — wird er zum Zuschauer. Und dann verwandelt sich dieser technologische Prozess in eine Vorstellung.
Doch wenn ich mein eigenes Leben als ein Schaffensakt betrachte, so ist in mir mein Ich der Schöpfer. Ich bin der Regisseur und der Autor gleichzeitig, das heißt das Leben ist von mir gemacht und von mir durchgelebt und erlebt, und unter jedem Ereignis und jeder Handlung steht meine Unterschrift.
Ich bin überzeugt, dass man sogar als Vergleichsbild oder als irgendeine assoziative Parallele nicht sagen darf, dass die Welt ein Theater und das Leben ein Theaterstück sei, und dass die Menschen Rollen spielen. Die Menschen spielen Rollen auch ohne dem, im Stück, das nicht sie geschrieben haben. Das ist dasjenige, dass soziale Rollen gennant wird.

Rollen in der Gesellschaft: für und gegen

Wenigen von uns gelingt es etwas neues zu der gefestigten Spielweise dieser oder jener sozialen Rolle — Mutter, Vater, Sohn, Tochter, Passant auf der Straße, Untergeordnete, Vorgesetzte — beizutragen. Es ist solch ein ritualisiertes Theater, das geerbt wird. Der Vater spielte diese Rolle, der Sohn spielt diese Rolle, der Sohn des Sohnes – und so schon zehn Generationen lang.
Diese Rollenmechanismen sind sehr gut erforscht. Doch sich selbst verteidigend, gestehen wir uns nicht ein, dass es Rollen sind. Wir bemühen uns nicht daran zu denken, dass nicht wir es geschrieben haben, dass wir sie lange einstudierten. Wer sie gut einstudierte, der machte eine erfolgreiche soziale Karriere. Wer sie schlecht einstudierte, der hat Schwierigkeiten in der Sozialisation.
Wenn wir das Leben, sich selbst und dieniegen, mit wem wir kommuniezieren, vergeistiegen versuchen, besteht unsere Aufgabe darin, das Theater des Lebens zu verlassen und einfach zu leben. Das ist sehr schwierig.

Ich habe nur ganz vor kurzem verstanden, was mein Meister meinte, wenn er auf jede verwickelte Frage nicht nur mir, sondern auch anderen Menschen in meiner Gegenwart antwortete: «Leben soll man!» Er sagte das einfach, wie ein Sufi, aber ich verstehe jetzt, dass es eine unglaublich komplizierte Aufgabe ist: rundherum ist nur Theater!
Und dann habe ich retrospektiv verstanden, warum ich seit der Kindheit das Theater so mag. Weil ich dort, wie es nicht lächerlich erscheint, genau weiß, dass ich kreativ lebe. Wenn ich schauspielere und probe fühle ich mich wieder als ein Subjekt, ich lebe. Sogar wenn ich auf der Bühne spiele, lebe ich, weil diese meine Tätigkeit eine freie ist. Wenn ich die Regie führe, fühle ich mich auch als ein Subjekt, weil ich in jeder Vorstellung eine lebendige Welt schaffe, die nicht nur das, was der Autor des Stückes sagen wollte, sondern auch mein Leben äußert.

Es stellt sich heraus, dass jede beliebige Möglichkeit zu schaffen – das persönliche, das subjektive Schaffen — dem Leben mehr ähnelt, selbst wenn dieses Schaffen ein theatrales ist, als das sogenannte Leben, das mehr dem Theater ähnelt. Kommt nicht daher das ständige Gefühl, dass uns jemand von irgendwoher ansieht — entweder aus dem KGB, oder aus dem Himmel, oder von anderen Planeten, oder vom Astral-Mental-Vital – wir werden die ganze Zeit beobachtet! Und wenn man uns nicht beobachtet, so stimmt mit uns etwas nicht…
Das ist doch das normale Gefühl jedes Schauspielers! Er als Schauspieler, der beruflich tätig ist, ist verpflichtet wie dem auch sei mit dem sechsten, siebenten, achtundzwanzigsten Gefühl zu fühlen, dass man ihn anschaut, ihn anhört, sieht, empfindet, erlebt, das heißt er ist die ganze Zeit im Dialog mit den Zuschauern. Und wenn er, entschuldigen Sie, nicht ganz gesund ist und auf der Bühne autistisch in sich versinkt, so ist es in der Regel einfach uninteressant. Er erlebt dort etwas und wir sitzen hier, das ist alles. Das Talent eines Schauspielers ist eine der geheimnisvollsten Eigenschaften, das sogenannte Hinreiβen der Zuschauer. Deshalb ist es so, dass wenn der eine auf die Bühne kommt, steckt er alle mit dem, was ihm geschieht, an. Und der andere ist von eigenartiger Schönheit, hat eine interessantere Stimme, und alles übrige ist auch besser, doch es lässt alle kalt.
Der Schauspieler weiß schon im ersten Akt, was im letzten passiert! Und wir möchten auch so sehr, damit es irgendeinen Autor unseres Theaters des Lebens gebe! So machen diejenigen, die glauben, aus dem großen Geheimnis namens Gott manchmal unabsichtlich einfach einen Führer, nur einen himmlischen, der die Regie dieser Vorstellung führt, der dieses Stück erdacht hat.

Was spielen wir?

Lasst uns aussuchen. Entweder werden wir leben und nur manchmal ins Theater des ästhetischen Vergnügens und des Mitfühlens wegen gehen, dem geheimnisvollen Prozess der Wechselwirkung zwischen dem, der das Stück geschaffen hat, und dem, der es wahrnimmt — weil beide einander unzertrennlich brauchen. Oder wollen wir nicht mehr ins Theater gehen. Wenn wir schon im Theater leben, wenn wir schon Schauspieler sind und die Rollen im Stück spielen, das nicht von uns geschrieben wurde, so ist die Kunst dann keine Kunst, sondern eine Droge. Dir ist in diesem Stück eine langweilige Rolle zugefallen, aber wir werden für dich solch ein Sujet verfassen, wir geben dir die Möglichkeit, für zwei Stunden sich mit dem Held oder der Heldin zu identifizieren und so zu leben, wie sie. So ein Spielzeug.
Einerseits spielen alle Mechanismen des psychologischen Schutzes, die der Mensch während seiner Existenz schafft, zweifellos eine positive Rolle, denn sie ermöglichen ihm zu überleben und sich zu adaptieren. Aber andererseits lassen gerade diese Mechanismen ihn nicht sich zu entwickeln.

Erinnern Sie sich, was man auf dem Peipussee mit den Rittern gemacht hat? Man hat sie auf das Eis getrieben, und sie waren wie Panzer — für dieses Eis viel zu schwer und dazu noch ungeschickt. Manchmal sind wir auch so stark geschützt und so qualitativ adaptiert, dass wenn man uns auf das Eis des Peipussees hinauftreibt, wir ganz sicher Alexander Newski verlieren werden.

Der Schutz kann passiv und abwehrend oder aktiv und kreativ sein. Daher entstehen zwei ganz entgegengesetzte Einstellungen. Laut der einen ist das Leben an und für sich schön, doch die Menschen sind bis jetzt noch des Lebens unwürdig oder nicht ganz würdig. Oder wir sind würdig und sie nicht. Natürlich gibt es dazu verschiedene Versionen. Die zweite Einstellung kommt viel seltener vor, sie lautet, dass die Menschen des Lebens würdig sind, sind jedoch gezwungen das unwürdige Leben zu leben.

Beobachter und Schöpfer

Als ich űber den Beobachter sprach, erwähnte ich zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, dass dieser Beobachter wirklich unvoreingenommen sein wird — dann ist es ein Gelehrter, der die Gesetze des Rollenverhaltens erforscht, weil das soziale Leben ohne Konventionen unmöglich ist. Und das Rollenverhalten ist eben ein konventioneller Vertrag, auf dessen Grundlage wir eine Menge verschiedener individueller Wünsche in einer gemeinsamen Tätigkeit und im Zusammenleben vereinbaren. Ich habe schon gesagt, dass man den Weg finden muss, um in sich das Instrument, das Typische, das, womit Sie es machen, von dem zu trennen, der es macht, das heißt vom Subjekt.
Doch ein nicht in die Sache vertiefter Beobachter kann kein Schöpfer sein. Man kann sagen, dass der Schöpfer, das Schöpferische im Unterbewußtsein lebt, man kann sagen, dass es das SuperBewußtsein ist und dass es grundsätzlich nicht kontrolliert werden kann, weil es eine Mutation ist. Man kann sagen, dass die Entwicklungslogik der sogenannten westeuropäischen Zivilisation, die Logik der Rationalität nicht nur als eine Erkenntnisweise, sondern auch als die Art zu leben und zu handeln, dass das berühmt «сogito, ergo sum» uns dazu gebracht hat, dass die Rationalität in uns den Schöpfer ersetzte und somit einen musterhaften Mitglieder der Konsumgesellschaft machte. Alles, was uns erlaubt wird, ist die Gebrauchsanweisungen einer fertigen Ware zu studieren.
Wenn ich sage, dass man das Theater des Lebens verlassen soll, meine ich damit, dass man kein Zuschauer sein, sondern leben soll. Zu leben bedeutet kein Zuschauer einer fremden Vorstellung, sondern eine handelnde Person dieses prächtigen Stückes, ihr Mitverfasser zu sein. Das ist eben die zweite Möglichkeit.

Die Liebe zu sich und zu anderen

Um sich liebzugewinnen, muss man sich selbst entdecken. Wie die meisten Fachleute denken, braucht man um sich unsprünglich entdecken zu können, eine unvernünftig liebende Mutter, die Sie deshalb liebt, weil Sie Sie selbst sind. Die niemals, sogar aus Scherz und um so mehr der pädagogischen Ziele wegen sagen wird: bei den Nachbarn ist der Junge ein richtiger Junge und du… Niemals wird sie Sie «Dummkopf» oder «Unterentwickelter» nennen, so wie auch andere schrecklichere Worte gebrauchen, die die Eltern leider ihren Kindern im Affektzustand oder im Zustand der rationalen Pädagogik sagen.

Einmal kam zu mir eine Frau mit einem schrecklichen Problem: sie liebte ihre Tochter nicht. So stark, dass sie mit ihr in einer Wohnung nicht leben konnte. Sie verstand, dass es schrecklich ist, aber konnte nichts machen. Und als wir mit ihr angefangen haben zu reden, hat es sich herausgestellt, dass ihre Eltern in der Kindheit als eine der wirksamen Methoden ihr Benehmen zu leiten die Strafe in Form von Boykott verwendet haben. Sie haben mit ihr manchmal bis zu drei Tagen nicht geredet. Das Mädchen nahm es als die Tatsache wahr, die bewies, dass die Eltern sie nicht lieben, dass sie der Liebe unwürdig ist. So hat sie die Liebe zu den Eltern schützend, nicht gelernt, sich selbst zu lieben.

Die nächste Möglichkeit ist die Möglichkeit, die der Kindergarten und die Mittelschule geben, die dem Menschen die ungenügend positive Selbsteinschätzung, die sich in der Familie gebildet hat, kompensieren sollen. Aber auch im Kindergarten und in der Schule hört der Mensch mehr über seine Mängel, als über die Vorzüge. Von der Kindheit an lehrt man ihn, sich selbst im Minus zu sehen, und niemand lehrt ihn sich positiv zu sehen. Und wenn er mit dem gesunden menschlichen Instinkt der menschlichen Seele versucht, es durch Selbstlobpreisung zu kompensieren, so kann er auch noch geprügelt werden. «Was prahlst du da, bist ja ganz überheblich geworden…»
Ich sage schon nicht, dass sogar liebende Eltern die Form der Nase, der Ohren, des Körperbaus, die Größe ihres Kindes besprechen. Echtes Theater! «Du passt nicht auf die Rolle meines Kindes nach den äusserlichen Daten». Und deshalb quält sich der Mensch lebenslang mit der mehr oder weniger starken Neurotisierung und mit dem Größenwahn, der das, was im fehlt, kompensiert. Nur wenn man sich selbst hassen möchte, schreit die Seele: «Nein, ich bin gut! Und überhaupt! Ich habe Lehrer vom Orion! Mit mir sind die Ausserirdischen in Kontakt getreten! So!» Oder es geschieht das Gegensätzliche: es entwickelt sich der Komplex eines kleinen Menschen: «Was kann ich tun? Ich kann gar nichts tun: er hat recht und sie hat auch recht, und der Vorgesetzte hat recht, und die Frau hat recht (oder der Mann), und das Kind hat recht, und der Staat hat auch recht – alle haben recht. Nichts kann man hier tun, so ist die Situation. Und ich… Was ist mit mir… MACHEN Sie MIT MIR ETWAS!»
Kann man einen anderen liebgewinnen, ohne sich selbst zu lieben? Nein! Es ist un-mög-lich. Man kann sich zwingen sich zu den Menschen gut zu verhalten. Doch sie zu lieben, ohne sich selbst zu lieben, ist unmöglich. Das bedeutet, dass man solche Leute suchen muss, solch eine Mikrogesellschaft, in der man auf Ihre Vorzüge achten und die Mängel nicht besonders bemerken wird – und das wirklich aufrichtig, nicht der Pädagogik wegen. Sie werden es finden, wenn Sie verstehen werden, dass es das Wichtigste ist, was man im Leben finden muss.
Einige haben grosses Glück. Sie finden es in der Familie, zu Hause — eigentlich existiert gerade dazu die Familie als das Ort, wo meine Vorzüge immer meine Mängel überstrahlen.
Worin besteht die Weisheit der Verliebten? Die große und endlose Weisheit eines verliebten Menschen? Für ihn überstrahlen die Vorzüge die Mängel. Das ist eben die Liebe, die Abnahme der Distanz. Wie kann man die Distanz abnehmen, wenn Sie damit beschäftigt sind, den Partner umzuerziehen, zu verändern, zu perfektionieren? Er ist dann das Objekt und Sie sind das Subjekt… Ihr Geliebter oder Geliebte ist von vornherein vollkommen. Punkt. Und wir sind auch vollkommen, weil wir nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes geschaffen sind. Dies ist das Erste. Wir sind auβerdem noch die Gestalt der ganzen Menschheit – das ist das Zweite. Reicht es denn nicht, um der Grund der menschlichen Größe zu sein? Mehr als genug.
So lassen Sie auch Ihre Vorzüge in Ihren eigenen Augen Ihre Mängel überstrahlen. Dann werden sich die Mängel von selbst aus umformen.
Wissen Sie, welche sportliche Methodik im großen Sport für die am meisten vollkommene gilt? Man muss sich nicht mit der Verbesserung der schwachen Seiten beschäftigen, sondern die starken entwickeln! Die Sportler sind darauf gekommen! Und die Eltern können das nicht begreifen. Sind noch nicht darauf gekommen.
Die Liebe kann man nicht vorspielen. Das ist der beste Beweis dafür, dass das Leben kein Theater ist. Kaum hat man mit der Liebe zu tun, entstehen in der Theaterkunst viele Probleme. Darüber wurde mal sehr gut gesagt: die Grenze jeder Technologie ist die Liebe. Kaum ist die Liebe da – gibt es keine Technologie mehr und kann auch nicht geben, weil die Technologie für die Arbeit mit einem Objekt bestimmt ist. Das ist eben das Altersproblem, wenn es immer schwieriger wird alles zu riskieren und in lebendige unberechenbare Beziehungen mit dem Menschen als einem Subjekt zu betreten.

DIE TECHNOLOGIE DES LEBENS,

ODER WER WEN LEBT

Lasst uns versuchen das Menschenleben als eine Art Produktion zu betrachten. Es macht, natürlich, unsere Betrachtung ziemlich einseitig und übermäßig funktional, aber ermöglicht zum uns schon bekannten Material vielleicht von einer etwas unerwarteten Seite heranzugehen.
Als erstes werde ich riskieren, Ihnen folgende Behauptung anzubieten: in einem bestimmten Aspekt kann man den Prozess des Lebens als eine Sache betrachten, die ein eigenes Gesetz hat, der als ein äusserliches in Bezug auf den Menschen Mechanismus bezeichnet werden kann. Es bedeutet nicht, dass ich das Leben damit irgendwie definiere. Ich schlage einfach vor sich das anzusehen versuchen, was sich uns von dieser Position aus offenbaren wird.
Aus welchem Grund kann man solche Stellung einnehmen und sie auszunutzen versuchen? Dazu braucht man zwei Dinge begreifen. Das Erste ist damit verbunden, dass man sich daran erinnern muss, dass der Mensch aus Menschen gemacht ist. Es ist eine prinzipielle Sache. Ich möchte gleich aufklären, dass ich gar nicht beanspruche diese Gedanken als endgültige Wahrheit zu bezeichen — etwa so ist es in Wirklichkeit. Alles, was ich hier Ihnen sagen werde, ist meine Meinung, meine ganz subjektive Ansicht auf diese Fragen, ohne jeden Anspruch auf die sogenannte Objektivität.
Der Mensch ist aus Menschen gemacht und das ist nicht einfach eine Metapher, nicht einfach ein ausdrucksvolles Bild. Es ist die Einstellung eines Menschen, der sich für konstruktive Aspekte der Psychologie interessiert, die folgende Fragen zu beantworten helfen: «Was soll man machen?», «Wie soll man es machen?», «In welcher Reihenfolge?». Ich bin überzeugt, dass es für ihn sehr wichtig ist, dieses Begreifen bis zum ganz natürlichen Zustand des Bewußtseins in Bezug auf beliebige Probleme des Lebens zu führen.
Es ist klar, dass der Mensch aus seinen Vorfahren gemacht ist. Es ist klar, dass der Mensch aus seiner Familie gemacht ist. Es ist klar, dass der Mensch aus dem Kreis gemacht ist, zu dem die Familie im weiten Sinne dieses Wortes gehört: Eltern, Verwandte, Freunde, Bekannte. Später ist es die Gesellschaft seiner Altersgenossen. Dann kommen dazu Erzieher, Lehrer in der Schule usw. Später sind es Idealfiguren jener Menschen, die seine Bildung beeinflussen. Eines der Hauptelemente des Persönlichkeitskörpers des Menschen wird jene sozial-psychologische Welt sein, in der sein Sozialisationsprozess stattgefunden hat. Der Mensch ist also aus Menschen gemacht, aber wir wissen, dass in ihm ausserdem seine Einmaligkeit existiert.
Es ist das, was Subjektivität, Selbstbewußtsein, Selbstbegreifen, Selbstübereinstimmung genannt wird — alles, was mit dem Wort «selbst» verbunden ist. Und um ihn herum existiert das schon fertige Leben. Wenn der Mensch das für sich zum ersten Mal aufdeckt… Ich möchte betonen, nicht einfach darauf stößt, sondern aufdeckt, weil wenn wir darauf im Säuglingsalter und in der frühen Kindheit stößen, nehmen wir es als etwas ganz natürliches wahr, wir haben noch keine solche Fragen, wie: Warum soll ich auf die Mutter hören? Und warum ist diese Frau überhaupt meine Mutter? Warum soll ich so leben, wie sie mir sagt? Warum ist dieser Mann mein Vater? Warum soll ich die Handlungen begehen, die er von mir verlangt?
Im Teenageralter kommt der Augenblick, wenn das Begreifen plötzlich entsteht, dass ich — da bin ich ja, — und dass ich mich in diese Geschichte unter dem Titel «so soll man eben leben» hineingeritten bin. Warum soll ich unbedingt so leben? Wozu soll ich unbedingt so leben? Warum gerade zu dieser Zeit? Warum gerade in diesem Land? Warum gerade in dieser Familie? Warum gerade in dieser sozial-psychologischen Welt? Und warum bin ich kein Chinese? Und warum bin ich nicht in der Familie leitender Angestellten geboren worden? Und warum bin ich in der Familie mit einem kleinen oder umgekehrt mit einem großen materiellen Wohlstand geboren? Andere Menschen leben ganz anders und das, was mir normal scheint, ist für sie was Ausserordentliches.
Das ist das Erste, was mit dem Versuch sich als sich selbst, sich als etwas einzigartiges, als etwas subjektives zu durchdenken verbunden ist. Wenn Sie sich an dieses Erlebnis erinnern, so war es solch eins: man hat Sie genommen und einfach in Dieses Alles hineingeworfen. Es wird als ein schwerer, komplizierter und dramatischer Augenblick im Leben eines jeden in Erinnerung bleiben.
Ab diesen Augenblick an beginnt entweder die ständige Wechselwirkung zwischen dem Menschen – dem Ich — und dem Leben. Oder es wird zum ständigen Streben führen, sich bis zu solchem Grade anzupassen, damit diese Fragen verschwinden.
Das Eine ist, wenn in mir folgende Entgegensetzung wächst — das bin ich und das ist das Leben. Das andere ist, wenn in mir die Dualität verschwindet — das ist das Leben und dieses Leben bin ich.
Einst im Teenageralter, wenn ich auf etwas sehr bissig reagierte, sagte man mir (das war bei den Erwachsenen der Liebliengsspruch): «Macht nichts, das Leben wird dich schlagen». Die Existenz solchen Ausdruckes zeigt, dass das Leben, über das im vorliegenden Sprichwort gesagt wird, dem Subjekt gegenűber feindselig ist, weil es ihn schlägt.
Wieso gibt es keine solche sprichwörtlichen Redensarten, wie: «Das Leben wird dich verhätscheln», «Das Leben wird dich mit Freude füllen»? Und «Das Leben wird dich schlagen» existiert und existiert als eine ernste Einstellung der elterlichen Erziehung. «Und warum soll es mich schlagen, und nicht umgekehrt?» — fragte ich immer. Ich habe solche Stellung genommen: «Wir werden noch sehen, wer wen besiegt!» Es war meine schicksalhafte Einstellung.
Warum? Weil seit dieser Zeit ich und das Leben miteinander kämpfen. Mit diesem fertigen, nicht von mir gewähltem, nicht von mir geschaffenem Leben kämpfend, bin ich zur tiefsten Überzeugung gekommen, dass es keine unwürdige Menschen gibt, sondern es gibt das die Menschen unwürdiges Leben, das sie gezwungen sind zu leben.
Wissen Sie, im Russischen gibt eine bemerkenswerte Wendung: «Wir leben dieses Leben». Und warum leben wir es oder ist es umgekehrt? Warum entsteht dieser Konflikt sofort, kaum wir über den Menschen, den einzigartigen Menschen, der im ganzen Universum einzig ist, vergessen. Was ist damit zu machen? Wenn du Subjekt bleiben willst, musst du verstehen, dass du etwas mit dem Leben machen kannst — es ist eben der Inhalt deines Aufenthaltes in dieser Welt.
Es gibt das Leben, es ist dir gegeben. Es gibt dich, du bist dir nicht gegeben, wenn du keine entsprechende innere Arbeit durchführst. Du bist dir nicht gegeben, weil alle dich an folgendes erinnern: ich habe dir das Leben gegeben, wir haben dir das Leben gegeben. Der Staat sagt: «Wir haben dir ermöglicht, Mensch zu werden». Die Persönlichkeit und die Funktionalität meinend: «Wir haben dir ermöglicht, sich dem heiligen Geist anzuschließen». Wir dir… Alle geben mir etwas.
Doch was nehmen sie dafür? Geben und nichts dafür nehmen – so etwas gibt es nicht. Was nehmen sie mir weg? Sie nehmen dafür von mir mich selbst. Sie nehmen mich selbst dafür, dass sie mir alles gegeben haben.
Ich habe es nicht gewählt. Ich habe das nicht gemacht. Es ist gegeben, und man wird mir noch bis zum Ende der Tage zureden, dass es gut sei, dass es auch so sein muss, dass meine Aufgabe ist sich an all dieses Gegebene anzupassen, dann werde ich alles bekommen.
Was alles? Anerkennung, Karriere, Territorium, materiellen Wohlstand – man wird mir alles geben, aber nur dann, wenn ich mich gut benehmen werde. Das ist der Spruch, den wir von der Kindheit an hören: «Wenn du dich gut benehmen wirst, dann werde ich dir etwas geben». — «Und wenn ich mich schlecht benehmen werde, dann nicht?» — «Dann nicht!»
Was bist du für eine Mutter? Was bist du für ein Vater? Gibt es jemanden, der mir etwas einfach so gibt, weil ich es brauche, weil ich es gebeten habe und nicht für etwas? Um das aufzuklären, müssen wir mit Ihnen eine gewisse Aufteilung und Abgrenzung einführen: das ist das Leben, das gegeben ist, und entweder wird es dich schlagen oder es wird umgekehrt sein, — und das ist das Dasein, das du entweder findest oder nicht. Aber niemand wird es dir geben.
Du hast die Möglichkeit, in dir für dich selbst das Dasein zu finden. Es ist eben deine eigene, subjektive Möglichkeit. Und darin liegt der Sinn aller wahrhaften geistigen Traditionen. Es gibt einen sehr bemerkenswerten sufistichen Ausdruck: «Der Mensch ist zum Lernen geschaffen».
Was bedeutet das? Der Mensch ist hierher gekommen, um für sich das Dasein zu nehmen, zu finden, zu offenbaren, für sich persönlich, um vor allem sich selbst nötig zu sein. Man hat uns lange zugeredet, dass wenn wir fühlen, dass uns jemand braucht, so bedeutet es, dass wir gut leben. Das bedeutet, dass alles sehr gut läuft und wir sollen uns freuen, wir sollen glücklich sein. Stimmt, es ist sehr befriedigend, wenn uns jemand braucht. Wäre noch gut in jedem einzelnen Fall zu wissen, wem und warum wir nötig sind. Doch die wichtigste Frage lautet: warum bin ich mir selbst nötig?
Nicht warum ich dieses Leben brauche, das hat mich niemand gefragt. Dieses Leben freiwillig zu verlassen ist natürlich eine Möglichkeit, eine Erscheinungsform des Selbst, aber es ist keine Antwort auf die Frage: warum war ich hier überhaupt und wozu? Es gab dafür keinen Grund. Man hat mich hierher gerufen, hierher gebracht und mir es gegeben…
Und wozu war ich hier? Tief im Inneren möchte jeder von uns wenigstens am letzten Tag, bevor das alles zu verlassen, die Antwort auf diese Frage bekommen. Deshalb gehen wir alle zu den Wahrsagerinnen, Astrologen, Sozionikern, Kalinauskasen und fragen verschiedene Sachen über sich selbst. Doch in Wirklichkeit fragen wir: warum bin ich hier? Ich, ich persönlich, nicht unsere Generation, mein Volk, nicht die Menschheit insgesamt. Es muss das subjektive Erleben der Wahrheit geschehen, in der mir mein Selbstwert für mich selbst gezeigt wird. Kann sein, dass es eine plumpe Kombination ist: das Dasein in sich und für sich, doch ich denke, dass ohne der Vorstellung zu sich selbst es unmöglich ist in solch einen Ort zu geraten, in dem das Leben mich nicht schlagen wird.
Immerhin möchte man nicht, damit es mich schlägt, weil es mir anscheinend zu etwas ganz anderem gegeben wurde. Vielleicht hat man mich im Säuglingsalter betrogen, in dem man sagte, dass mir etwas gegeben wurde? Dann möchte man sich wirklich der Konzeption anschließen, dass dieses Leben in Wirklichkeit eine Strafe sei, weil deine Seele noch unvolkommen ist. So bist du gezwungen wieder und wieder geboren zu werden, damit du das Karma endlich durcharbeitest. Dafür wirst du letztendlich irgendwohin in bessere Welten gebracht. Nette Konzeption! Das Leben ist dazu gegeben, um gequält zu werden. Nein!
Das Leben kann qualvoll sein, ich gebe zu, aber es ist nicht dazu da, um gequält zu werden. Es kann der Umstände, der Zeit, den Bestrebungen, den Ansprüchen und den Anforderungen wegen qualvoll sein. Aber es soll mich nicht quälen und abquälen. Es soll mir nicht mein Eigentumsrecht auf mich selbst und meine Notwendigkeit fűr mich selbst entziehen.
Das Leben wird diese Frage, die Frage der Notwendigkeit fűr sich selbst nicht beantworten, weil es mechanisch ist. Ich kann zwar an diesem Leben teilnehmen, ich kann zwar versuchen, etwas im Mechanismus meines Lebens zu verändern, meiner Freunde, einer nicht sehr großer Anzahl irgendwelcher Menschen – das ist alles, was ich in Bezug auf das Leben machen kann. Die Illusion, dass man das Leben «verändern» kann, verschwindet ziemlich schnell. Wir haben schon viele Varianten gesehen, wir kennen aus der Geschichte, wir haben es auf uns erprobt: Versuche, das Leben zu verändern, zu konstruieren, nach Modellen etwas aufzubauen scheitern letztendlich.
Vielleicht ist es auch gar nicht nötig zu tun… Vielleicht muss man verstehen, dass das Leben immerhin keine Grundursache ist. Es gibt viele Menschen, die an und für sich würdig sind. In sehr komplizierten und traurigen Umständen verlieren sie nicht die Fülle des Daseins. Und es gibt viele Menschen, die aus unserem Standpunkt aus gesehen in idealen Umständen leben, aber keine Fülle des Daseins haben.

Vor kurzem bin ich in eine sehr interessante Situation geraten. Ich war zur Seminar-Konferenz eingeladen, die kanadische Christen organisierten. Es waren außerordentlich reiche Geschäftsleute, sogar nach ihren kanadischen Vorstellungen sehr reiche Menschen. Wir kommunizierten sehr viel zwei und halb Tage: zwei Tage von Morgen bis Abend und noch einen halben Tag. Was war da erstaunlich. Sie versuchten zu erklären, ganz aufrichtig, wie sie zu Gott und zum Glauben gekommen sind. Zu erst erzählten sie, wie sie 15-20 Jahre darauf ausgegeben haben um reich zu werden, und als das endlich erreicht wurde, hat es sich plötzlich herausgestellt, dass die Fragen: «Wer bin ich?», «Warum bin ich?» — nirgendwohin verschwunden waren.
Diese erwachsene solide Menschen, die sozial alles erreicht haben, sprechen und reagieren emotional wie Teenager und natürlich scheint es ihnen, dass sie uns alle retten und bekehren werden. Ihnen ist es schwierig vorzustellen, dass wir auch einen Glauben haben. Denn sie sind überzeugt: nur vom Leben alles bekommen, kann man verstehen, dass es dir alles genommen hat.
Ein bemerkenswerter Mensch hat eine bemerkenswerte Sache gesagt: «Ich bin in einer armen (nach ihren Vorstellungen) Familie aufgewachsen und als ich noch Teenager war, habe ich entschieden: alles Mögliche tun, nur nicht arm sein».
Er ist ein talentierter energischer Mensch, er hat eine Ausbildung bekommen, sich hochgearbeitet und wurde ein grosser Geschäftsmann. In dieser Zeit sind seine Kinder aufgewachsen: die Töchter wurden erwachsen und haben geheiratet. Einmal konnte er endlich Luft schöpfen: «So, ich habe schon festen Fuß gefasst, bin selbständig, jetzt kann man endlich kleine Kinder haben, sie großziehen, erziehen, ihnen irgendein Leben geben…»
Doch die Kinder sind schon groβ und träumen über das selbe, worüber er selbst träumte — unbedingt reich zu werden.

Wir können materiell reich sein, doch wie viel wir nicht verdienen, haben wir bis dahin eine arme Seele, bis wir uns selbst nicht besitzen. Bis dahin wird das Leben uns schlagen.

Die Technologie des Lebens

Nach dieser ziemlich lang gewordener Einleitung können wir jetzt unmittelbar zur Betrachtung des Lebens alls einem technologischen Prozess übergehen.
Wie geschieht das alles? Ich weiß nicht, ob es solche Forschungen gibt (ich bin bis jetzt auf keine einzige gestossen), in denen es nachgezählt wurde, wie viele Lebenspläne es überhaupt gibt. Sehen wir uns die Ausgangs- und Startstellung eines abgesondert betrachteten konkreten Menschen an: wie viele mögliche Lebenspläne hat er? Ich denke, dass es davon nicht sehr viele gibt.
Nach vielen Gesprächen mit Menschen sieht es so aus, dass es durchschnittlich etwa drei-vier überschaubare, mit konkretem Inhalt, konkreter Motivation und wertorientierten Einstellungen gefüllte Varianten gibt. Sie sind so aufgebaubt: in dieser Etappe gibt es am Ende solch einen Preis, später kommt die andere Etappe – da ist am Ende solch ein Preis, und später am Ende noch ein anderer Preis, und später wirst du alles haben, was man so braucht.
Und was weiter? Ich hörte noch über kein Lebensszenarium, in dem es eine Fortsetzung nach dem Moment «und später wirst du alles haben, was man so braucht» gegeben hätte. Stellen Sie sich vor, dass ich keine selbständige Position in Bezug auf das Leben habe, keine Subjektposition. Kann ich denn tief innerlich wollen dieses Szenarium zu beenden: «alles haben, was man so braucht»? Weiter gibt es gar nichts, kein Szenarium mehr.
Das bedeutet also, dass wenn ich mich zum Leben wie zu etwas, worin ich «hineingesteckt» wurde, verhalte, so hat das Szenarium «alles haben, was man so braucht» folgende Fortsetzung: «Jetzt wirst du für die Kinder leben. Und das, was du nicht zu Ende gemacht hast, werden sie zu Ende machen. Was du nicht zu Ende gesungen hast, werden sie zu Ende singen – sie werden einfach dazu verpflichtet sein».
So, gut, die Kinder sind schon erwachsen, und ich bin noch nicht gestorben, ich habe noch nicht alles, was man so braucht, die Kinder haben es noch nicht erreicht, die Enkel sind nicht aufgewachsen. Dieses Szenarium kann unendlich dauern. Das heisst, dass Sie im Idealfall in Ihrem Inneren wollen, damit der Moment «ich habe schon alles, was man so braucht» niemals eintritt. Viele Menschen leben gerade so. Es ist schwierig einzugestehen, dass ich ein fertiges Lebensszenarium bekommen habe, das von mir nicht abhängt, und dass es in diesem Szenarium die Schlussszene: «du hast alles, was man zum Leben braucht» gibt…
Und was mache ich laut diesem Szenarium bis zu diesem Augenblick? Bis zu diesem «alles, was man zum Leben braucht» habe ich noch gar nichts. Bis zu diesem Punkt gibt es nur das Leben an und für sich.
Wir alle lesen mit Vergnügen über diese Lebensszenarien, die wir als Realität wahrnehmen. Doch wenn ich folgende Einstellung habe – da bin ich und da ist das Leben, — kann ich mir das Szenarium bewußt machen, dass mir zum Beispiel in der Kindheit aufgedrängt wurde. Solche Realisierung ist sehr einfach abzuspielen. Man muss einfach aufstehen und sagen: «ich habe schon alles, was man zum Leben braucht». Was weiter, geehrte Genossen, Eltern, Verwalter, Vorgesetzten, Erzieher, Psychotherapeuten? Was nun? Ab diesen Augenblick an beginnt die Herausforderung, beginnt das noch nicht fertige, von Ihnen selbst geschaffene Leben.
Wozu muss man sich dafür interessieren und was kann man damit erreichen? Man kann letztendlich sich dessen bewust werden, dass zu jedem Zeitpunkt Sie alles haben, was man zu jedem Zeitpunkt braucht. Wenn Sie solchen Standpunkt bezogen haben, können Sie alle lebenswichtigen Szenarien als eine Rolle, die man abspielen kann, annehmen. Viele fragen mich oft: «Heisst es, dass man alles spielen muss?» Im Sinne heucheln oder schauspielern. Ich antworte: «Nein. Wozu?»
Der Schachspieler spielt Schach. Wird denn jemand ihm sagen: du bist ein Künstler, du schauspielerst, du stellst dar, du betrügst. Er spielt Schach. Der Mensch, der wie ein Schachspieler das soziale Leben abspielt, heuchelt? Nein! Er sieht einfach das Brett, die Figuren, den Gegner, die Kräfteverteilung. Da alle Szenarien nach dem sportlichen Prinzip aufgebaut sind (wir leben in so einer Zivilisation), ist es so, dass du, selbsverständlich, entweder siegst oder verlierst. Es stellt sich heraus, das man den Menschen hierher zum Teilnehmen an den unendlichen Wettbewerben geschickt hat. Das Leben ist wie Sport. Ich möchte so ein Leben nicht haben.

Ich habe im Theater 20 Jahre durchgearbeitet und 20 Jahre lang musste ich mir ein und dieselbe Rüge anhören. In jedem Theater, in dem ich gearbeitet habe, riefen mich der Direktor mit dem Hauptregisseur oder mit dem Vertreter der Parteiorganisation zu sich und sagten: «Igor Nikolajewitsch, Sie sind ein guter Regisseur, aber Sie leben nicht das eine Leben mit unserem Kollektiv». Ich antwortete: «Ich arbeite in diesem Kollektiv und lebe in einem ganz anderen Kollektiv. Warum soll ich hier leben?»

Es gibt das Privatleben – so wird es gennant. Das gibt es und ohne dem Privatleben gibt es keinen Subjekt. Im Privatleben braucht man nichts schauspielern, weil dieses Leben eben gerade Sie selbst sind. Es ist der einzige Ort, wo alles Ihr Eigenes ist. Hier haben Sie die Auswahl mit wem Sie befreundet sein wollen, mit wem Sie informell kommuniezieren, wen Sie gern haben und wen Sie hassen usw.

Die wunderschöne private Welt

Ihre eigene private Welt können Sie unabhängig von allen anderen organisieren und niemand wird Sie dafür bestrafen, dass Sie da etwas auswählen. Nur wenn Sie bestimmen werden, wer zu leiten hat, dann wird man Ihnen «Nein!» sagen.
Dort, im Privatleben, sind Sie der Solist, doch das ganze übrige Leben — es ist nicht Ihres, das muss man spielen. Damit Sie das Wort «spielen» nicht verwirrt, sagen wir lieber so: man muss damit arbeiten. Mein lebenslustiger Optimismus bedeutet natürlich nicht, dass es so leicht und einfach ist. Nein!
Ich wiederhole noch einmal: das Leben kann auch qualvoll sein. Aber wenn nicht das Leben Sie, sondern Sie das Leben leiten, so zerdrückt Sie diese Schwere oder diese Qual nicht mehr, denn es ist nur der Widerstand des Materials, der Widerstand der Umstände und des anderen, was Ihrem Vorhaben im Wege steht. Weil das Vorhaben vom Leben nur persönlich, intim, subjektiv sein kann.
«Subjektiv» war noch vor kurzem ein beleidigendes Wort. Doch das Subjektive ist ja das schönste, das das Recht auf Existenz nicht als ein Traum, — obwohl Träume auch Recht auf Existenz haben — sondern als ein Vorhaben hat. Ein Vorhaben ist immer etwas subjektives, was man logisch nicht beweisen kann.
Warum haben Sie so das Bild gemalt?
Warum haben Sie so die Skulptur gemeiβelt?
Die Sinfonie so komponiert?
Wenn mir das Leben gegeben wurde, warum kann ich dann daraus nicht mein eigenes Kunstwerk machen?
Dann kommt schon die Frage, wer talentierter ist, wer die Skulptur meiβeln und wer die Sinfonie schaffen wird.
Ein unmögliches Vorhaben ist ein kollektives Vorhaben vom Leben, weil das kollektive Vorhaben vom Leben eine feine Gewalt und eine Konvention ist, man kann dahin das Privatleben auf keine Weise einbauen. Dann fällt das Privatleben ab, wir sagten schon: der Mensch hört auf sich selbst zu brauchen.
Das ist der Augenblick der notwendigen Reidentifizierung mit jenem Teil von allem, was «das Leben» heißt, das keine Beziehung zu meiner Subjektivität hat, das mir gegeben ist und das die ganze Zeit aus irgendeinem Grunde mich schlagen will.
Es ruft mir die ganze Zeit: «Zum Start!» — und am Ende verteilt Preise oder im Gegenteil gibt keine Preise, weil ich als letzter zum Ziel gekommen bin. Mit diesem Leben muss man arbeiten und um damit schöpferisch arbeiten zu können, muss man ein Vorhaben haben.

Das große Vorhaben des Lebens

Lassen wir zu, sich an eigene Jugend erinnert und sie mit rationalem Verständnis ausgefüllt zu haben und, ohne zu warten bis wir «alles, was man zum Leben braucht» haben, uns entscheiden, zu leben beginnen, damit das Leben uns nicht lebt. Ich weiß nicht wie man das russisch besser sagen kann. Häufig lebt nicht der Mensch das Leben, sondern das Leben lebt den Menschen.
Verstehen Sie das? Das Leben zerschlägt, zerdrückt und schleift den Menschen ab, das heißt er ist in Bezug auf das Leben eine passiv-leidende Figur und das Leben ist etwas mystisches, geheimnisvolles und erbarmungsloses. Doch es muss umgekehrt sein, damit ich das Leben lebe, möglicherweise mit diesem Leben zusammen lebe — es ist die Frage der Liebe, eines gegenseitigen Wunsches.
Wollen wir an das alles denken und uns sagen: «Ich habe schon alles, was man zum Leben braucht».
Und was braucht man zum Leben? Die ausführliche Liste lautet ganz einfach, sie besteht aus zwei Sachen: Ich und das Leben. Zum Leben braucht man nichts mehr. Ich bewirke das Vorhaben und erwerbe das entsprechende Wissen, wie das Vorhaben zu realisieren ist.
Ich habe ein Objekt der Anbetung — das Leben. Und ich beginne meine Selbsttätigkeit. Eine andere Frage ist, dass diese Wechselwirkung verschieden sein kann, das heißt Sie können lebenslang — das ganze Privatleben lang — im Kampf mit dem Leben verbringen.
Wenn ich sage «das Leben leben», so betrifft es das Privatleben. Es gibt kein anderes subjektives Leben.

Als ich mit Sportlern — mit Läufern — arbeitete, gelang es mir, einigen zu helfen den großen Preis mittels einer einfachen Methode zu gewinnen. Ich sagte: «Wenn du läufst, denke nicht daran, wie schnell du läufst, dort sitzt ein Mensch, der es misst, er wird es dir nach dem Ziel sagen. Vergiss es!» Sie vergaßen und verbesserten das Ergebnis auf eine, auf zwei hundertsten.
So ist es auch mit jenem Leben, das kein Privatleben ist – es gibt Menschen, die es speziell erforschen, registrieren und das Ergebnis verkünden.

Das Vorhaben hängt also nur von Ihnen ab. Keine Psychoanalyse, kein elterliches Einprägen, keine Matrizen, keine sozionische Typen, keine astrologischen Prognosen werden Ihnen sagen, was für ein Vorhaben des Lebens Sie haben sollen und ob es überhaupt sein soll.
Ein Vorhaben kann nur dann geboren werden, wenn Sie die Vorbestimmtheit gebrochen haben und die Situation, in der es unklar ist, wo Sie und wo Ihr Leben ist, aufgelöst haben. Es ist entweder ein Liebesvorhaben in Bezug auf die Welt oder ein Liebesvorhaben in Bezug auf sich selbst, oder ein Versuch eine Gegenliebe zu finden… Es ist das Schaffen.
Wenn es ein Vorhaben des Lebens gibt, dann gibt es eine Möglichkeit der wahrhaften Selbstentwicklung, der Selbsvervollkommnung und überhaupt zeigt sich nur in diesem Fall jedes wahrhafte «Selbst». Bis das Leben mich lebt, was für ein «Selbst» kann es denn geben? Ich schreie: «Ich habe selbst, selbst mein eigenes Leben gelebt!» Ihr eigenes? Welches eigenes? Ich lebte das Leben meiner Generation, das Leben des Klans, das Leben der Genossen von der Arbeit, des Unternehmens. Welches eigenes?
Es stellt sich heraus, dass sehr viele Menschen sogar ihr Familienleben nicht leben. Sie leben das Leben einer musterhaften Familie, das Leben einer sowjetischen Familie, das Leben einer unglücklichen (glücklichen) Familie.
Es gibt Menschen, die sehr gut verstehen, wie man den Menschen unter dem Titel «das Leben» dasjenige aufdrängt, was in diesem Moment der Staat braucht. Wenn der Mensch an das Subjekt und dessen Würde nicht denkt und daran, dass der Sinn der Existenz des Menschen er selbst ist, und wenn es ihn selbst nicht gibt, dann kann man ihn sehr leicht manipulieren.
Man muss sich ständig daran erinnern und das fühlen, dass wir gleich alles zum Leben haben, weil es gleich das Leben und das Ich gibt. Gerade deshalb reagiren die Verwalter so negativ auf die Wortverbindung: die Technologie des Lebens.
Wir sagen häufig, dass man in extremen Bedingungen den Menschen helfen muss, eine Technologie des Verhaltens zu entwickeln. Ist denn das Leben, das uns lebt, keine ständige extreme Situation in Bezug auf das Subjekt? Doch. Selbst wenn das Subjekt ein Jahreseinkommen von vierhundert Millionen hat. Tatsächlich weinen auch die Reichen.

Die ganze GUS, sah, sich ans Fernseher angeklebt, «Auch die Reichen weinen». Was geht es denn eine Rentnerin an, die lebenslang als Sekretärin-Stenotypistin arbeitete, was geht sie diese Marianne an? Sie wird doch die Nacht nicht schlafen können, wenn sie nicht erfährt, was da weiter passierte.
Was ist das? Das schöne Leben leitet Marianne. Und meine Mutter hat ein anderes Leben, ein armes und unschönes geleitet, doch meine Mutter fühlt der Marianne mit, weil die Position ein und dieselbe ist, die Technologie ist ein und dieselbe. Man kann deshalb mitfühlen, weil diese Helden auch ihr Leben nicht leben, ihr Leben, angeblich ihr Leben, lebt sie.

Das Vorhaben des Lebens kann man sich nicht als eine Anleitung aneignen. Man kann dem Menschen nicht sagen: «Hier hast du ein Vorhaben, ich schenke es dir, bitte». Oder ein Lagerhaus der Lebensvorhaben öffnen. «Wir haben bei uns auf dem Regal fünfhundert Stück verschiedener Vorhaben liegen, wähle dir irgendeins, nimm das Vorhaben umsonst und verwirkliche es». Das wird kein Vorhaben, sondern wieder ein gewisses Szenarium sein. Das Vorhaben wird geboren! Aber man kann dem Menschen vielleicht vorsagen, wie man handeln soll, wie man sich dazu entscheiden kann. «Mach das, Bursche! Hab keine Angst, Mädchen. Sei mutiger! Es ist schwierig, aber so schön sein eigenes Leben zu leben».

Spielen oder nicht spielen?

Spielen ist eine Arbeit. Es kann ein Schaffen sein, es kann eine gute Kenntnis der Regeln sein, es kann die Kunst sein, alles zu beabsichtigen oder das Glück am Schwanz zu greifen. Oder vielleicht die Kunst auf das Glück zu warten.
Versuchen Sie irgendein Spiel um Gewinn zu spielen, bewußt und aufrichtig das Glück dem Partner wünschend. Es ist gegen den natürlichen Lauf der Dinge. Und was für ein Altruist, Humanist und ähnliches Sie nicht wären, wird es sehr schwierig zu verwirklichen sein. Entweder wird Ihr Partner das Ihnen Übel nehmen und sagen: «Warum gibst mir nach? So macht es keinen Spaß». Oder Sie selbst werden schließlich denken: «Ach je, warum verliere ich dir denn» — und über ihr Vorhaben immer zu verlieren vergessen. Das Spiel um Gewinn ist ein Prozess der Eigenbehauptung. Für jemanden, der sich selbst ausprägt ist es unmöglich so zu spielen, denn: «Und wo bin ich?»
Die Periode der Individualität betrifft hauptsächlich «die Ehespiele». Die Periode der Persönlichkeit sind Spiele, die mit der Eroberung des sozialen Territoriums, der sozialen Anerkennung verbunden sind, es sind Spiele des Selbstausdruckes und der Eigenbehauptung. Die Periode des Wesens sind Spiele, die das Ich spielt.
Natürlich ist es immer ein Risiko Spieler zu sein, weil man Angst zu verlieren hat. Doch der Eifer, das Schaffen, Courage! Es ist sicherer das Spiel abzulehnen, doch es bedeutet die Persönlichkeit abzulehnen. Und die Persönlichkeit abzulehnen bedeutet entweder infantil zu sein, ewig «die Hoffnung erwecken», oder auf die niedriegere Gesellschaftschicht niederkommen, wo das Prinzip herrscht «Bist du stark – so brauchst keinen Verstand», wenn die es zu nichts gebrachte Persönlichkeit seinen Körper als Ware anbietet. Oder es bedeutet sich ins soziale Schräubchen zu verwandeln. In jeder beliebigen Variante führt es zur Krise beim Übergang in die nächste Periode — die Periode des Wesens. Entweder bist du ein Spieler, oder eine Figur auf dem sozialen Schachbrett.
Genau dasselbe passiert, wenn Sie in der ersten Periode die Individualität ablehnen: zum Beispiel diesen Lebensabschnitt der Arbeit am Computer, der Bibliothek widmen. Dann erwerben Sie zu fünfundzwanzig – siebenundzwanzig Jahren keine Erfahrung der sozialen Beziehungen mit den Menschen, Sie werden eine arme Ansammlung der Ihnen praktisch bekannten sozialen Rollen haben und keine der Regeln der sozialen Spiele kennen. Es kann so passieren, dass zu dem Augenblick, wenn der Hauptenergievorrat mit dem Leben der Persönlichkeit verbunden sein wird, dieser Vorrat sich als armselig erweisen wird. So ein Vorfall erwartet Sie, wenn Sie das Spiel in der Periode der Persönlichkeit abgelehnt haben. Vielleicht ist es eine Erklärung der berühmten Krise der siebenunddreiβigjährigen?
Das Spiel ist eine prächtige Quelle der Erlebnisse.

Ich versichere Sie, dass im Vergleich zu den Individualitätserlebnissen (obwohl ich eine sehr würdige Individualität hatte: genügend stürmisch, schön, meiner Meinung nach — ich war Schauspieler, ich war Sportler, und hatte solche Liebesromane, wie es sein musste – alles war bei mir so, wie es sein muss) – sind jedoch Persönlichkeitserlebnisse…

Das Spiel meint doch nicht im banalen Sinne — «wer wen». Das Spiel als Kunst, als ein Laut, als Freude, als Eifer, als Courage…
Wissen Sie, man fragt oft: «Wie wird man berühmt, schön usw.?» Wenn man sich als Ziel setzt berühmt zu werden, so ist es ein hundertprozentiges Gelangen in die Schachfiguren, weil es die Frage ist, wie man sich verkauft. Berühmt zu werden ist es eigentlich sehr leicht. Man muss nur ganz genau ausrechnen, wo man für dich am meisten bezahlen wird. Für mich bedeutet die Berühmtheit in diesem Sinne einen Preis, der für dich bezahlt wurde: je grösser, desto berühmter. «Er kostet uns Millionen».
Einen unterschriebenen Vertrag zu bekommen und verherrlicht zu werden sind zwei ganz verschiedene Dinge, das zweite ist ein Gewinn. Es gibt folgende Möglichkeiten: entweder in der Individualitätsperiode auf der Laufbahn gewinnen, im direkten und übertragenen Sinne; oder in der Persönlichkeitsperiode das große Spiel gewinnen; oder in der Wesensperiode etwas Existenziales hinterlassen.
Doch meiner Meinung nach gibt es noch eine interessantere soziale Lage, die ich «jemand werden» nennen würde. Es kann zu nebensächlichen Folgen führen: zum Ruhm, zur Berühmtheit, doch als Aufgabe ist es wirklich was ganz anderes. Bei solcher Aufgabe muss man sich weder offenbar, noch geheim verkaufen. Doch «jemand werden» fordert eine bestimmte innere Zielstrebigkeit und ein Vorhaben. Ein Vorhaben, das auf der Einbildungsgrenze des Möglichen liegt. Es soll kein Traum sein, so einer, wenn man sich sagt: «es wäre so schön jemand zu werden», sondern ein Vorhaben…

Ich denke, dass so ein Vorhaben — persischer Schah zu werden – verwirklicht werden kann. Wenn dieses Vorhaben, sagen wir mal, nicht später als im Alter von dreißig Jahren entstanden war, kann man solch eine Rolle spielen. In diesem Sinne haben einige sufistischen Traditionen die Lebensabschnitte einfach markiert: heute bist du ein Professor, morgen — ein Dieb, übermorgen — ein Akademiker. Wie haben sie gelebt? Sie verstanden dieses Spiel zu spielen. Es sind die Traditionen der Situationsverwaltung. Die Traditionen der Spieler.

Doch wenn Sie kein Spieler sind, dann verkaufen Sie sich.
Es ist ganz einfach zu bestimmen, ob jemand ein Spieler sei oder nicht. Wenn der Mensch nach seinem Weg sucht, bedeutet es, dass er ein Spieler ist. Und wenn er den angegebenen Weg folgt, ist er eine Schachfigur. Komplizierter ist es mit Kindern. Das einzige, was ich empfehlen kann: ermuntern Sie in den Kindern den Eifer — den Eifer, das Risiko, die Tapferkeit zu spielen, den Wunsch zu spielen… Geben Sie ihnen dazu eine Plus-Bekräftigung. Zu 7 Jahren soll das Kind das alles, alle drei Lebensabschnitte probiert haben, in der Miniatur abgespielt, möglicherweise mit einer positiven Bilanz, verstehen Sie. «Ach! Jetzt werde ich leben!»
Es gibt Menschen, bei denen alles wie geschmiert geht — sie haben Glück, sagen wir dann… Und plötzlich bricht dieses Glück ab. Warum? Weil beim Übergang ein Fehler gemacht wurde, diese Ladung nicht durch diese Übergangsphase durchgezogen wurde und das Spiel ist aus… Dieses Glück ist entweder eine Mutter, wenn man sagt «das Kind ist ermüdet», oder eine Freundin, wenn man sagt «das Glück am Schwanz fangen». Warum am Schwanz, weiß ich nicht, wahrscheinlich hat es ein Kleid mit Schleppe.

DAS MENSCHLICHE LEBEN

Lasst uns über das Leben reden. Über das menschliche, natürlich. Was hat es für Sinn über ein anderes zu reden? Wir kennen es ja nicht.
Versuchen wir Stützpunkte unserer Analyse der Lebensprozesse des Menschen darzulegen. Der erste Punkt lautet: Selbstrealisierung. Wir können sie in Form von zwei Hauptprozessen darstellen: des Prozesses der Eigenbehauptung und des Prozesses des Selbstausdruckes.
Wenn wir das Leben vom Gesichtspunkt der Eigenbehauptung aus betrachten, so entstehen solche Probleme, wie das Lebensvorhaben, das Lebensszenarium, der Widerstand des Lebensmaterials. Wir untersuchen aktive Wechselbeziehungen zwischen dem Menschen und der ihm vorhandenen Situation.
Wenn wir die Selbstrealisierung vom Gesichtspunkt des Selbstausdruckes aus betrachten, so müssen wir dann über die innere Realität des Menschen reden, über den Reichtum dieser Realität, über die ausreichende oder ungenügende Stufe des Besitzes von sich selbst und des Wissens und der Fähigkeit, die innere Realität zu verwalten, sprich über die subjektive Welt: Gedanken, Gefühle, Erlebnisse und die Weise das Leben der subjektiven Welt zu objektievieren. Das alles ist dazu nötig, um das Innere äusserlich zu machen, das heißt für die Menschen und die Realität den Reichtum der inneren Welt zugänglich und maximal klar zu machen.
Weiter werden wir über das Publikum in verschiedenem Sinne dieses Wortes reden, das heißt wir werden über das Leben wie über ein Theater und über den Menschen wie über einen Schauspieler reden. Das sind zwei verschiedene Momente im Laufe der Selbstrealisierung. Und wie die Praxis, die Untersuchungen und die Literatur zeigen, fixiert der Mensch für sich selbst häufig nicht, dass es zwei grundsätzlich verschiedene Momente seines Wunsches seien den Sinn seines individuellen Personallebens zu finden und zu realisieren.
Wir können dieses Problem verschärfen und sagen, dass es zwei Hauptweisen gibt: das «paranoide» Vorhaben — Ziel, Bewegung, Überwindung, Realisierung, und das «hysteroide» — Demonstration, der Wunsch, zu sich die Aufmerksamkeit heranzuziehen, Sucht nach Erfolg und Ruhm.
Aber man muss sich daran erinnern, dass diese zwei Prozesse nur in der Analyse aufgeteilt werden, im Leben verschlingen sie sich miteinander, und es ist wichtig herauszustellen, was in diesem konkreten Augenblick beim Menschen dominiert. Das ist der Ausgangspunkt. Von diesem Punkt aus werden wir jetzt die Probleme des Lebens und der Suche nach dem Sinn betrachten.

Lebenssinneskrisen auf dem geistigen Weg

Jede Lebenssinneskrise ist mit dem Problem des Glaubens verbunden. Besonders stark sieht man das in dem Fall, wenn der Mensch versucht, eigene geistigen Probleme mit Hilfe irgendeiner geistigen Tradition zu lösen, wenn er, so zu sagen, den geistigen Weg geht.
Jede Etappe des geistigen Weges in jeder beliebigen Tradition durcharbeitend, sei es die Tradition der Kraft, oder der Verwaltung, meditative Tradition oder diejenigen, die sich mit der Umformung beschäftigen — gerät der Mensch in eine bestimmte Krise, die der vorliegenden Etappe entspricht, weil auf dem geistigen Weg die wichtigste und ursprünglichste Aufgabe das Begegnen mit sich selbst ist.
Der besonders schwere Moment auf dem geistigen Weg in jeder beliebigen Tradition ist der Augenblick der Begegnung mit sich selbst. Der Mensch sieht sich in der Doppelseite und sieht sich nüchtern: vom Plus bis zum Minus. Er sieht sich als eine außer sich selbst gegebene Realität. Das Treffen mit mir selbst, so wie ich im vollen Umfang bin: mit all dem Guten und Schlechten, Richtigen und Falschen, Nötigen und Unötigen, mit all dem, worüber andere reden und denken, mit all dem, worüber ich mich bemühe sich nicht zu erinnern. Wir vergessen häufig, dass nichts kennt der Mensch so schlecht, wie sich selbst. Wenn der Mensch sich selbst begegnet, das heißt er beginnt sich allmählich vom psychologischen Schutz und von vielfältigen Illusionen über sich selbst befreit zu sehen, ist es ein ernstes Erlebnis.
Man darf nicht vergessen, dass es noch denjenigen gibt, der es sieht, das heißt es gibt das Subjekt als solches (das reine Subjekt). Wenn es ihn nicht gäbe, dann hätten man keine Chancen. Wenn es dieses Subjekt nicht gibt oder wenn der Mensch vergisst, dass er ein Subjekt ist, führt es zu Depressionen, Suizidabsichten, der Flucht aus der Geistigkeit. «Warum habe ich mich damit verbunden? Ich habe einfach gelebt und alles war mehr oder weniger normal, rundherum leben Leute, die über so etwas gar nicht denken und sind dabei glücklich und fröhlich…»
Doch es gibt denjenigen, der es sieht, und ihm wegen wird diese Arbeit getan. Denn wir alle beinhalten, in einem bestimmten Sinne des Wortes, den vollen Bausatz: wir sind in verschiedenen Maßstäben Lügner, Verräter, Diebe, Mörder, und wir alle sind in verschiedenen Maßstäben Helden, Genies, Propheten, Heilige. Jeder beliebige Mensch hat diese Doppelseite in seiner Potenzialität.

Vervollkommnung eines unwürdigen Lebens

Das Leben, das das Große Mittlere den meisten Menschen heute anbietet, ist sie unwürdig. Und der ganze Fortschritt (ich meine den Fortschritt als die Entwicklung der Kultur, und nicht der Zivilisation) besteht in der Vervollkommnung des Lebens. Damit sie immer mehr und mehr dem Menschen als des Bildes und der Ähnlichkeit Gottes würdiger wäre. Das ist eben der wahrhafte Fortschritt. Die Vervollkommnung des Lebens.
Dann kann man auch die Frage über das Aufdecken der Möglichkeiten des Menschen als des Bildes und der Ähnlichkeit der Menschheit oder als des Bildes und der Ähnlichkeit Gottes stellen.
Man muss vor allem daran denken, dass es Den gibt, Der sich selbst sieht und gerade für ihn werden alle Bemühungen der Selbsterkenntnis und der Selbstverwaltung gemacht. Und Der, Der sieht, hat die Chance ab diesen Augenblick an sich zum Leben und zu sich selbst so zu verhalten beginnen, das «bewußt» gennant wird, sich folgende Fragen bewußt gemacht: Was ist mir gegeben? Was will ich? Wie ist es zu realisieren?

Das Problem des Selbstausdruckes

So entsteht das Problem des Selbstausdruckes.
Was kann man ausdrücken? Man soll die ganze Fülle von Ich äußern. Ich soll dazu sozial annehmbare Formen finden.
In diesem Sinne können wir uns wieder an Shakespeare erinnern, der gesagt hat: «Die Ganze Welt ist eine Bühne und Fraun und Männer bloβe Spieler…». Sie können diese Rolle des Menschen (im Sinne, dass Sie es dem Selbstausdruck wegen tun), gross machen, so wie Shakespeare es in seinen Tragödien machte. Oder Sie können versuchen ein «Gestaltchen» zu verfassen, das Sie nicht befriedigen wird.
Wenn Sie sich doch entschieden haben, sich mit dem Selbstausdruck zu beschäftigen, so tun Sie das bis zum Schluss. Sie haben solch einen Wunsch, Sie fühlen, dass es Ihnen nötig ist — so tun Sie das bis zum Schluss. Finden Sie dazu in einer Situation der sozialen Sicherheit möglichst sozial annehmbare Formen. Äusserliche Bedingungen für den Selbstausdruck, die man entweder finden oder schaffen soll, sind Bedingungen der sozialen Sicherheit, weil die Angst vor sich selbst eine Angst vor den anderen ist. Nicht vor sich selbst. Die Angst, die in Bezug auf die Eltern anfängt: was ist, wenn die Mutter plötzlich erfährt, dass ich was Schlechtes gedacht habe?
Der Selbstausdruck hat auch eine zweite Gefahr, die entsteht, wenn es Den nicht gibt, Wer es gesehen hat, den man getroffen hat, das heißt den reinen Subjekt. In diesem Fall wird das Problem des Selbstausdruckes vom Problem der Abnahme der sozialen Hemmung ausgewechselt, dann entstehen solche fixe Ideen, wie: «Lasst uns alle Tabus übertreten. Und sich so befreien». Damit können sich die Menschen nicht befreien. Wie es aus der Erfahrung zahlreicher Gruppen, Sekten usw. bekannt ist, führt dieser Weg zu keiner Befreiung, Weil es keinen Denjenigen gibt, Der es macht. Selbstausdruck, Schaffen und Arbeit sollen es sein, und keine Schlamperei.

Zwei Seiten des Selbstausdruckes

Das Problem der Selbstrealisierung hat zwei Seiten: den Selbstausdruck und die Eigenbehauptung. Wenn es damit verbunden ist, dass das Begegnen mit sich selbst geschehen ist und daraus Derjenige entstanden ist, Der den Mut hat sich in der ganzen Doppelseite zu sehen, dann ist es ein schöpferischer Akt des Selbstausdruckes. Daraus kann Literatur, Theater, ein geistiges Bild geboren werden, daraus kann der geistige Weg aufkommen, daraus können Bilder, Musik, Gedichte entstehen — alles Mögliche. Ein neues Leben. Neue Beziehungen.
Wenn es keinen Subjekt, Den, Wen wir das stabile Selbstbewußtsein genannt haben, gibt, dann wird das Problem des Selbstausdruckes immer entweder mit der Äuβerung einer histrionischen Persönlichkeitsstörung verbunden sein, das heißt mit dem Streben um jeden Preis die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, gelegen und ungelegen, oder mit einem seelischen Exhibitionismus — dem Vergnügen davon, dass du dich vor den Menschen ausziehst, — oder mit dem Verstoß der Normen dem Prozess des Verstoßes wegen, was auch zu nichts führt.
Du hast einmal die Norm überschritten, und was weiter? Die Norm ist ja davon nicht verschwunden. Die Gesellschaft hat sich davon nicht geändert. Dann ist man gezwungen sich mit der Selbstzensur zu beschäftigen und dorthin zurückzukehren, womit man alles angefangen hat. Was für einnen Sinn hatte dann die Selbsterkenntnis? Dann ist es wirklich besser sich nicht mit der Selbsterkenntnis zu beschäftigen, sondern so zu leben, wie alle Menschen leben, sowohl die Sünder als auch die Heiligen – alles gemischt.

Bilder und Gestalten

Man kann ausserdem noch aus sich eine Gestalt bilden und sich daran streng halten, dann wird es so, wie bei Rajneesh sein: «Ihre Heiligen stinken». Sie stinken nach der verdrängten und verfaulenden Unvollständigkeit des Inhaltes. Lesen Sie über das Leben der Heiligen – die meisten haben mindestens ihr halbes Leben dem Selbstausdruck gewidmet. Aus welchen Leuten werden in der Regel richtige Heilige? Aus denen, die schon alles geäußert haben – es ist nur das reine Selbstbewußtsein geblieben, mehr nichts. Alles übrige haben sie schon geäußert, ausgeschrien, vorgetanzt usw. Das ist das Eine.
Kann man denn sein ganzes Leben nur auf dem Selbstausdruck durchleben, ohne dessen Sinn zu verlieren? Es gibt solche Menschen, die lebenslang Kinder bleiben, die es schaffen in der Periode der Individualität steckenzubleiben. Wir sagen, dass die Schauspieler Kinder sind. Doch sie äuβern ja sich selbst nicht. Der Beruf des Schauspielers ist ein darstellerischer Beruf. Wenn der Schauspieler sich selbst äuβert, bedeutet es, dass er sich selbst spielt. Und er ist damit für uns interessant, weil er infolge dieser oder jener Gründe entweder uns ungewöhnlich erscheint, oder es kommt durch ihn die schwere Lebenserfahrung hervor. Dem Zuschauer wird die Möglichkeit gegeben, sich mit ihm zu identifizieren, darin das erkennend, was er von sich selbst und von anderen in sich verbirgt. Wenn man über einen Menschen sagt: «Also, du bist ja wie ein Schauspieler, du spielst ja», stimmt es nicht. Wir müssen verstehen, dass im strengen Sinne des Wortes es ein ziemlich schwacher Vergleich ist, weil Schauspielern als ein Beruf und Schauspielern im Leben zwei ganz verschiedene Sachen sind.
Das Schauspielern im Leben ist ein Wunsch die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, auf Kosten eigener Individualität bemerkenswert zu werden, sich in Augen anderer nicht durch Taten, nicht durchs Schaffen behaupten, sondern durch Demonstration der Einmaligkeit eigener natürlichen Angaben, der Verhaltensmanier (häufig unnatürlicher), einem extravaganten Image, gekünstelter Rede, (das alles heißt einfach «Demonstrationsverhalten»).
Und der Schauspieler als Fachmann ist nur ein Darsteller, deshalb können seine menschlichen Eigenschaften keine Beziehung zu seinen darstellerischen Eigenschaften haben. Im Leben darf man nichts darstellen, weil es keinen Autor gibt. Mit Ausnahme der konventionellen Rollen, deren Autor die Gesellschaft selbst ist.
Was ergibt sich dann bei uns? Der Autor des Stückes unter dem Titel «das Leben» ist die Gesellschaft, der Regisseur der Vorstellung ist die Bezugsgruppe (Gruppe der Menschen — realen oder idealen, dessen Meinung der Mensch als maßgeblich wahrnimmt), und das alles stellt der Mensch als ein Satz der sozialen Rollen dar. Die passive Position ist hier wie in einem bekannten Scherz: ich bin nicht ich, und das Pferd ist nicht meins, und ich bin nicht der Kutscher. So bin ich für nichts verantwortlich, weil nicht ich die Rollen erdacht habe, weil nicht ich dieses Leben verfasst habe, weil nicht ich die Regie führe. Die Regie führen der Vater, die Mutter, der Leiter, die mich umgebende Gesellschaft, die Behörden, der Staat, die Partei, das Volk. Deshalb ist es für den Menschen, der Schöpfer seines Lebens werden will, so gefährlich dieses Leben als Theater zu betrachten und es ins Theater zu verwandeln. Stimmt, die Welt ist eine Bühne, doch wenn Sie den Sinn Ihres einzigartigen, einzelnen Lebens entdecken und realisieren wollen, muss auf dieser Bühne solche Vorstellung gespielt werden, deren Autor und Darsteller Sie selbst sind. Nur das ist eben Ihr Theater des Lebens.
Doch ich rate Ihnen nicht Ihr eigenes Privatleben, jenes Leben, das Sie und Ihre Angehörigen verbindet, ins Theater zu verwandeln. Sonst werden Sie anstelle der lebendigen Beziehungen einen Rollensatz bekommen und das Privatleben verlieren, es in ein soziales Leben umgewandelt. Im Privatleben gibt es keine Rollen. Jeder Teilnehmer von diesem Privatleben hat nur eine Einstellung: das bin ich, nimm mich so an, wie ich bin, wie ich dich annehme.
Im sozialen Leben gibt ein Element des Theaters. In diesem Sinne hat Shakespeare recht — es gibt Rollen und einen Regisseur, es gibt einen Autor und einen Darsteller. Dann entsteht die Frage: «Wie ist es richtig, sich zum sozialen Leben zu verhalten?». Soll man sich dazu professionell verhalten, wie sich ein guter Schauspieler zur Darstellung der Rolle verhält: schöpferisch, alles durchdenkend, daran arbeitend, — oder rein mechanisch an den von außen angebotenen Ereignissen teilzunehmen, ohne zu ahnen, welche Rolle Sie jeden Moment spielen. Wählen Sie selbst. «Hast du eigenen Kopf, so denke nach; hast du keinen eigenen Kopf, so tuhe, was man dir sagt».
Ein bestimmter Teil unseres Lebens unter dem Namen «Sozialisation» ist gerade eine Probe der zukünftigen Vorstellung. Wie bekannt, spielen die Kinder zum Alter von sieben Jahren alles, ihr ganzes Leben vom Anfang bis zum Ende durch. Bis zur Beerdigung. Der ganze Szenarienteil bildet sich beim Menschen bis zu sieben Jahren.
Oft hat der Mensch erst angefangen zu leben und bei ihm ist schon das Szenarium, wie er sterben wird, bereitgestellt. Wie er eine Familie bilden und Kinder aufziehen wird, wie er Karriere machen wird. Die Kinder spielen das alles in einem kurzen Zeitraum ab — die Probeperiode dauert ganz kurz. Sieben Jahre wird geprobt und danach wird siebzig gelebt. Die restlichen dreiundsechzig Jahre wird die Vorstellung gespielt. Einige haben so eine lange Vorstellung. Und andere eine kurze.
Doch man kann dieses Spiel nach anderen Regeln spielen. Das heißt eben: in der Welt und gleichzeitig außer ihr zu sein. Doch es ist nur dann möglich, wenn der Mensch zu einer Gemeinschaft gehört, die außerhalb des Großen Mittleren liegt. Es ist die Frage der Zugehörigkeit zu einer Geistigen Tradition, zu einer Geistigen Gesellschaft, wenn die Regeln nicht vom Großen Mittleren gegeben werden.
Dann spielen Sie dieses Spiel. Sie spielen nach eigenen Regeln, weil Sie den Regisseur, den Autor und den Text des Stückes und den, wer das alles darstellen soll, sehen. Und darstellen soll es jener Mensch, den Sie jeden Lebensaugenblick aus sich selbst schaffen, aus jenem Teil von sich selbst, dessen Herr Sie tatsächlich sind. Wie und nach welchen Gesetzen alles übrige in Ihnen lebt, was Sie in sich nicht besitzen, ist unbekannt. Deshalb sage ich manchmal: wenn der Schauspieler ein Fachmann und das Theater ein Ort, wo man Kunst macht, und keine Produktionsfabrik der Vorstellungen oder kein ideologischer Rednerpult ist, dann ist es dort mehr Leben, als in dem, was man gewöhnlich das normale Leben nennt. Dort hat man das Schaffen, und das Schaffen ist jener Lebensteil eines beliebigen Menschen, der zum Geistigen gehört. Da kann man nichts spielen, weil nichts von vorneherein vorbestimmt ist.
Warum reisst sich ein Künstler aus der Gesellschaft los? Künstler leben nach anderen Regeln. Er ist seiner Bestimmung nach asozial. Er befindet sich in jenem Teil des Lebens, der kein Szenarium, keine solche konventionelle Härtestufe hat. Wir nennen es: «Die Boheme». Es ist unser Neid. Dazu, wie dort die Menschen leben. Sie haben viel weniger vorbereitete Texte, Szenarienabläufe, bereitgestellte Sujets, das, was man Pflicht und Verpflichtung nennt. Sie schulden nur eigener Bestimmung und mehr niemandem. Jenem Gottesfunke, der ihnen gegeben ist und den man nicht erlöschen lassen darf, weil nicht jedem fällt vom Himmel das Talent eines Malers, oder Musikers, oder Schauspielers, oder Schriftstellers. Es ist ein ganz anderer Teil des Lebens, der an der Grenze des Großen Mittleren liegt.

Immanuel Kant war ein Philosoph, er lebte streng, wie es sich einem Bürger gehört. Nach ihm hat man in Königsberg die Uhrzeit gerichtet. Kant geht in die Universität, also ist es jetzt 7.00. Und seine Mitbürger korrirgierten die Uhrenzeiger. Es ist in seiner Biografie festgelegt. Er kalkulierte selbst die Ausgaben für seine Ernährung mit Genauigkeit bis zu 1/2 Pfennig. Schrieb alles selbst auf. Aber war dabei Philosoph. Das ist normal.
Doch wenn er bei solcher Lebensweise versucht hätte, Maler zu werden, würde er es nicht schaffen, weil ein Maler der Bestimmung nach ein Autor ist. Irgendein Minimum der Rollen muss er, natürlich, trotzdem einstudieren. Aber bei ihm ist das Konventionelle minimal.

Eigenbehauptung

Der zweite Bestandteil der Selbstrealisierung ist die Eigenbehauptung. Es kommt aus der einfachen Idee auf, dass der Mensch eine Sache, ein Werk schaffen kann, egal was, dass ihn überleben wird. Und das ist das Paradox.

Du nimmst zum Beispiel in die Hände ein Buch, das du selbst geschrieben hast. I.N.Kalinauskas «Wir sitzen gut». Und du denkst: «Ich werde sterben und das bleibt. Und wer hat es geschrieben? Warum? Das ist doch mein Tod. Von mir selbst geschaffen». Ich habe selbst etwas erzeugt, was mich überleben wird, das heißt wenn ich ein Mensch mit Verstand bin, so verstehe ich, dass es eine Erinnerung an den Tod ist.
Was kann man da machen? Entweder prahlen, dass ich ein Buch geschrieben habe, oder es überhaupt niemals ansehen, und niemand soll mich daran erinnern. Denn ich sterbe und es wird bleiben.
Die Kinder überleben meistens die Eltern. Ich werde sterben und er bleibt. Ich habe ihm das Leben gegeben, wie einen Baum gepflanzt. Wenn in diesem Ort keine Katastrophe geschehen wird, so wird dieser Ort mich auch überleben.
Das ist offenbar. Wir tun eigentlich eine Menge Dinge, ohne zu ahnen, dass sie uns überleben werden.
Jemand möchte zum Beispiel eine Wohnung haben. Endlich hat er sie bekommen. Und sie wird ihn überleben. Jetzt kann man, natürlich, darüber zweifeln. Heute baut man so, dass sie vielleicht auch nicht überleben wird. Aber früher baute man ja auf Jahrhunderte…

Rundherum gibt es so vieles, was in dieser Welt vor mir existierte und was nach mir existieren wird. Wir bauen Häuser, wir schreiben Bücher, wir gebären Kinder, wir pflanzen Bäume: es ist eben die Eigenbehauptung, über die du besorgt bist oder nicht, es geschieht trotzdem. Das bedeutet, das auch die Eigenbehauptung unbewußt sein kann. Dann hat es etwas Paranoides, im guten vorpathalogischen Sinne des Wortes, im Sinne, sagen wir so, eines Strebens.
Das bedeutet, zum Beispiel, ein Territorium während seiner Lebzeit zu erobern. Sich als ein Fachmann behaupten, als ein eigenartiger Mensch, eine Persönlichkeit, als «der Mittelpunkt der Gesellschaft» oder im Gegenteil als eine «Kacke», als ein Räuber-Anführer, sich in das Buch der Geschichte eintragen, sich aus dem Buch der Geschichte ausstreichen (was übrigens schwieriger ist). Als ein Namen vom Dampfer, in Zeilen und anderen langhaltenden Taten bleiben. Jeder hat eine Menge langhaltender Taten, an denen er teilnimmt. Und manchmal fragt uns keiner, ob wir einverstanden sind daran teilzunehmen, wie man auch nach unserem Einverständnis in den Folgen der natürlichen oder politischen Katastrophen teilzunehmen nicht fragt.
In der Eigenbehauptung gibt es auch eine Kehrseite. Ich kenne Menschen, die bewußt nichts so etwas machen, dass sie überleben kann. Obwohl wie es scheint, im Sinne der Sozialisation, des sozialen Programmierens und der sozialen Nachfolge, man uns ständig danach orientiert, der Geschichte angehören zu müssen. Bist gekommen, hast eine Spur in der Geschichte hinterlassen, bist weggegangen. Und das ist wunderbar – du bist so berühmt und verherrlicht! Der materielle Träger wird schon seit langem verfault sein, aber die Menschen erinnern sich an ihn, egal mit welchen Worten, aber sie erinnern sich. Und lassen ihn dort im Himmel nicht in Ruhe…

Einmal habe ich eine Sendung gesehen. Mathematiker aus Nowosibirisk haben «I-Ging» nicht als ein Weissagungsbuch, sondern als ein Algorithmus des Denkens verwendet. Sie haben es «binäre Mathematik» genannt. Zum Beispiel in der Virologie hat man mittels diesem Algorithmus neue Virenformen vorausgesagt. Es zeigte sich, dass es eine prächtige wissenschaftliche und wissenswerte Methodologie ist. Vom Gesichtspunkt der Methodologie des «I-Ging» aus gesehen, ist der Mensch auf der Erde ein Speicher der Information. Später befreit er sich vom materiellen Träger und existiert als ein informations-energetisches System – als einfach ein Überträger der Information.
Auch ein interessantes Modell. Es bedeutet jedoch wieder, dass wir alle uns selbst behaupten — und ob du es willst oder nicht – werden uns nicht behaupten nicht können. Der Mensch ist vorbestimmt zu lernen, wie kosmische Wesen sagen, und wofür? Um es im Kosmos zu verbreiten. Wenn man von diesem Standpunkt aus den Sinn des Lebens betrachtet, so muss man «lernen, lernen und noch mal lernen».

Der Mensch kann die Eigenbehauptung nicht ablehnen, weil in ihn, wie auch in allem Lebendigen, das Streben angelegt ist, ein eigenes Territorium zu besetzen. Der Mensch kann ohne einem eigenen Territorium im physischen, sozialen, weltanschaulichen Sinne nicht existieren. Bis er ein Mensch ist, kann er nicht im nirgendwo leben. Er ist immer irgendwo. Denn die Abgrenzung (das Bewußtsein ist eine Abgrenzung, erinnern Sie sich daran?) nimmt er nur auf dem materiellen Niveau, auf dem sozialen und idealen Niveau wahr.
Wenn dem Menschen das Territorium nicht reicht, befindet er sich, natürlich, in einer negativen Situation. Wenn es für ihn allzu viel ist, ist er wieder in einer negativen Situation. Obwohl es jedem von uns scheint, dass wir uns alle in einer Zehnzimmerwohnung gut fühlen werden. Ich bin nicht sicher. Jemand wird sich gut fühlen und jemand überhaupt nicht.

Als ich eine Dreizimmerwohnung mietete, dachte ich: «Schön, sie wurde mir dargeboten, das Schicksal hat es mir gegeben, es ist billig. Aber was werde ich allein in drei Zimmern machen?» Es zeigte sich, dass es doch normal ist.
Ich weiß nicht, ob ich noch fünf ausfüllen könnte. Und für jemanden sind vierzig normal.
Ich kenne sehr reiche Menschen. Sie wohnen in einer Zweizimmerwohnung, schrecklich beengt und schmutzig. Sie hätten schon vor zehn Jahren eine Sechszimmerwohnung kaufen können, kaufen aber nicht. Die ganze Zeit finden sie dafűr Ausreden. Sie können einfach nicht. Sie haben Angst. Vor einem anderen Zustand: das ideale oder territoriale Zustand reicht ihnen jetzt anscheinend nicht, doch einen sozialen werden sie dann plötzlich zu viel haben. Das alles ist ja mitereinander verbunden.

Die Erwerbung eines materiellen Territoriums verändert sofort das soziale Territorium. Die Erwerbung eines sozialen Territoriums verändert das ideale Territorium und umgekehrt kommt es auch vor. Denn das alles ist ein Ausdruck ein und derselben Stellung: das ganze Lebendige strebt danach ein Territorium zu besetzen. Wir wissen, dass einige Pflanzen gern auf einem offenen Feld wachsen — nur dort fühlen sie sich gut, und andere Blümchen wachsen besser auf einer Wiese mit anderen Blümchen zusammen, und andere — nur auf einem Beet.
Somit können wir mit Ihnen das Problem der Eigenbehauptung auf zwei Aspekte zurückführen: der erste Aspekt lautet — der Ausgang aus dem Rahmen der individuellen Geschichte (etwas soll mich überleben), aus dem Rahmen des individuellen Lebens, und der zweite Aspekt bezieht sich auf das Territorium (ein Territorium besetzen und es aneignen: mein Haus, meine Familie, meine Freunde, meine Wichtigkeit in der Gesellschaft, mein Platz auf dem Friedhof).

Das Territorium der Eigenbehauptung

Der territoriale Aspekt ist eine komplizierte Sache.
Wir alle haben verschiedene Startbedingungen, verschiedene sozial-psychologische Welten. Der Kampf um ein soziales Territorium hat mehrere Wechselwirkungniveaus zwischen dem Menschen und der Gesellschaft, infolge dessen, dass wir uns in erster Linie als soziale Wesen bewußt sind, und nicht als geistige oder materielle.
Wir vergessen sogar, dass unsere Kinder, dass schon ein Kleinkind einen individuellen Raum haben muss. Experimente zeigen, dass wenn man dem Menschen sogar bei absolut komfortabelen Bedingungen des allgemeinen Raumes nicht lässt einen persönlichen Raum zu haben, führt es zu neurotischer Entwicklung der Psyche. Das Bedürfnis nach Einsamkeit wurde seit Ewigkeit in den Klöstern berücksichtigt. Jeder hatte eine kleine, aber eigene Mönchzelle. Und in unserer sozialistischen Gesellschaft wurde überhaupt propagiert, dass alle in Gemeinschaftswohnungen leben sollen, was sehr gut sei. Je mehr Menschen sind in einem Zimmer, desto grösser ist die Überwachung. Übereinander. Desto höher ist der soziale Druck.
Aber der soziale Druck soll auch Grenzen sogar vom Gesichtspunkt der Verwaltung haben. Denn wenn der Druck viel zu groß ist, dann wird es den Menschen auf diesem Niveau zerdrücken, und daher kann alles mögliche entstehen — einige rebellieren, andere brechen zusammen.
Warum gibt es im Westen so grosse Probleme mit der emotionalen Welt? Weil der soziale Druck viel höher ist, als bei uns. Dort hat die Arbeit eine viel wichtigere Bedeutung, als bei uns. Und auf der Arbeit spielt das Theater: Untergeordnete, darstellerische Tätigkeit und superharte Konkurrenz — alles Rollen, harte Rollen.

Probleme der Eigenbehauptung

Die Probleme der Eigenbehauptung sind Probleme des Materialswiderstandes. Nehmen wir als Beispiel einen einfachen Eigenbehauptungsakt: ich nehme ein Tonstück und modelliere aus ihm eine Tasse. Ich habe einen Materialswiderstand überwunden. Etwas aus einem unbearbeiteten Tonstück gemacht. Es ist das nachgiebigste Material. Oder solch eine einfache Weise der Eigenbehauptung: ich habe die Handfläche schmutzig gemacht und an die Höhlenwand gedrückt. Ihr Abdruck bleibt dort auf Jahrtausende. Die Archäologen werden es untersuchen. Meine Handfläche bleibt dort und wird mich auf drei und halb Tausend Jahre überleben.
Eine Eigenbehauptung kann aber auch Ihr ganzes Leben laufen, wenn Sie so ein Vorhaben haben, wenn Sie ein absolut originelles Leben leben wollen, nach eigenem Szenarium oder nach einem seltenen Szenarium, das von dem Кűnstlerbeirat dieser Gesellschaft nicht genehmigt und zur Aufführung nicht erlaubt wurde. Sie müssen auβerdem das Recht auf die Autorschaft Ihres Lebens bekommen oder es sich nehmen.
In diesem Sinne ähnelt das Modell des Kinos oder des Theaters jener Situation, in die der Mensch gerät, der sich wünscht ein Autor des eigenen Lebens zu sein. Man weiss ja nicht, wie lange man brauchen wird, um in diesem Theater die vorgenommene Vorstellung zu stellen und sie zu spielen.
Was anderes ist «die geistige Ebene». Auf dem zweiten, dritten Realitätsniveau, wo der Mensch ohne einem physischen Körper existieren kann, hat man ein Minimum des Widerstandes. So scheint es den Menschen. Deshalb ist es so eine Versuchung in anderen Ebenen zu leben. Dort fühlen sie sich als Autoren. Hast dich hingestzt, eine Meditationstechnick durchgefűhrt und alles Mögliche erdacht. So leicht und fein. Und meistens gibt es fast keinen Materialswiderstand. Obwohl in den Träumen, wie wir wissen, kann es einen geben.
Eine andere Möglichkeit dem Materialswiderstand zu entgehen ist das sogenannte «maximal einfache Leben». «Zurück zur Natur». Nur wenn dem Menschen es zu verwirklichen gelingt, stellt er fest, dass es dort auch einen ziemlich starken Widerstand gibt: kein heisses Wasser, und das kalte strömt manchmal vom Himmel in viel zu großen Mengen. Und wilde Tiere laufen, und es gibt noch dies und jenes. Das heißt man muss alles vom Anfang an beginnen. Die ganze Zivilisation. Du kannst nicht leben, einfach durch den Wald laufend. Unter einem Busch schlafen. Früher waren dort nur Tiere-Raubtiere und jetzt laufen auch zweibeinige Raubtiere. Auch gefährliche Tiere.

Ich erinnere mich, wie ich in der Kindheit auf einen Fischfang nach Litauen fuhr. Wenn man im Freien übernachten musste, wickelte ich mich einfach in einen Mantel ein und legte mich unter einen Baum und schlief ruhig. Ich fürchtete mich nicht vor Tieren und gefährliche Menschen gab es einfach keine. Doch später wurde mit jedem Jahr dieses Gefühl der Sicherheit im Wald immer weniger, weil es dort immer mehr und mehr Menschen wurde, und unter ihnen immer mehr solche, die ihr Verhalten und Aggressivität nicht kontrollieren. Dann muss man schon auf den Baum raufklettern. Unter dem Baum kann man dann nicht mehr schlafen. In Litauen ist in diesem Sinne die Natur paradiesisch, es gibt tatsächlich keine Raubtiere. Wenn ein Wolf auf das ganze Litauen mal vorbeiläuft, wird er wohl dir nicht begegnen. Wenn du nicht unter einer Eiche schläfst, so wird auch kein Wildschwein kommen. Schlangen gibt es dort in Sandböden auch keine. Aber Menschen…

Der Mensch empfindet instinktiv, dass die Eigenbehauptung eine komplizierte und riskante Beschäftigung ist, die viel Mühe, Konzentration, Wissen, Geduld, Ausdauer und Verständnis fordert. Es ist auf jeden Fall keine Hundert Meter Laufstrecke. Es ist etwas fűr einen Langstreckenläufer. Deshalb existiert bei allen die Versuchung der Eigenbehauptung zu entgehen und nur auf Kosten vom Selbstausdruck zu leben.
Darum, weil man im Selbstausdruck nur die Scham und die Angst überwinden muss. Die Angst sich in der ganzen Fülle zu sehen und die Scham zu verstehen, dass mich plötzlich jemand nicht verstehen und tadeln wird. Obwohl ich aufrichtig bin, aber, wie bekannt, wollen von dir nicht alle die Aufrichtigkeit haben und nicht zu jeder Zeit. «Der vielköpfige Chor weiss alles. Allein ist man wie nackt, da schäme ich mich».
Das Risiko bei der Situation des Selbstausdruckes ist das Risiko nicht in die dir nötige Gesellschaft zu geraten und die Situation der sozialen Sicherheit zu verlieren.
Deshalb, eine Gesellschaft versammelt, in der wir uns der Reihe nach oder alle zusammen ausdrücken, sichern wir uns die soziale Sicherheit für den Selbstausdruck. Wenn hier jemand beginnt über das dritte Niveau der Realität zu reden oder darüber, dass er gestern einen energetischen Strom in der Herzchakra empfunden hat, so werden sich alle dazu normal verhalten. Einige können ein wenig darűber streiten: «Vielleicht schien es dir nur?» Und niemand wird lachen, auf ihn mit dem Finger zeigen und sagen, dass er verrückt sei.
Doch wenn Sie das selbe bei sich auf der Arbeit machen, so wird so ein Selbstausdruck zu einiger Spannung und aller Wahrscheinlichkeit nach später zu unerwünschten Folgen Ihnen gegenűber fűhren. Der Selbstausdruck kann, je nach dem Bedürfnis des Menschen, in einer kleinen Gruppe, in einem kleinen sozialen Territorium befriedigt werden.

Lebensszenarium

Die Idee ein Lebensvorhaben zu schaffen entsteht in dem Fall, wenn es zu einer Lebenssinneskrise gekommen ist. Diese Bedingung ist dazu nötig, aber nur das allein genügt nicht. Die zweite Bedingung dazu ist ein Szenarium.
Ich sagte schon, dass der Mensch zu sieben Jahren ohne sich dessen bewußt zu sein, sein ganzes Leben abspielt. Bei ihm entwickelt sich im Unterbewußtsein das ganze Szenarium. Es kann das Szenarium eines Pechvogels, eines Siegers sein, es kann das Szenarium des hässlichen Entleins oder des Rotkäppchens sein.
Weiter ist das wichtigste, inwiefern der Mensch in seinen bewußten Bestrebungen mit dem unterbewußten Szenarium übereinstimmt oder nicht. Die ganze psychologische Dynamik, die Konfliktdynamik ist auf dem Zusammenstoß des inneren Szenariums, dessen man sich in der Regel nicht bewußt ist, mit dem bewußten Streben aufgebaut.

Jemand treibt Sport. Er träumt Meister zu werden, doch das unterbewußte Szenarium besteht bei ihm darin, dass er immer verlieren wird und als Verlierer seinen Verlust nutzen und daraus sein ganzes psychologisches Lohn bekommen. Zum Beispiel darum, weil er in der frühen Kindheit nur verloren eine emotionale Plus-Bekräftigung von den Eltern bekam. Solche Fälle sind bekannt. Das bedeutet, dass im Menschen von vornherein der Widerspruch zwischen der normalen Bewußtseinseinstellung Sieger zu werden und der Einstellung des Unterbewußtseins, dass man keinesfalls Sieger werden darf, weil man sonst bestraft wird, entsteht. Der Mensch selbst begreift es nicht. Aber diese Dynamik der Wechselbeziehungen zwischen der Einstellung des Bewußtseins und dem unterbewußten Streben beginnt zu arbeiten. Und unser Sportler wird entweder der Intrigen oder der Verletzung wegen, oder aus irgendeinem anderen Grund kein Meister. Obwohl es ihm scheint, dass er alles dazu macht.

Wenn es Ihnen irgendwie gelang aus dem Unterbewußtsein das Szenarium herauszuziehen, das sich bis zu sieben Jahren entwickelte, dann werden Sie fast alle Dramen Ihres Lebens sehen können. Das, was für Sie subjektiv ein Drama, ein Misserfolg, ein Konflikt war. Das alles wird im Bruch zwischen dem Drehbuch und der bewußten Einstellung liegen.
Die glücklichsten Menschen sind die, die keinen solchen Bruch haben. Bei denen das Szenarium und die bewußten Einstellungen übereinstimmen. Bei ihnen geht alles wie geschmiert. Bei ihnen ist die innere Welt maximal ausgeladen, da das, was ihr Bewußtsein und ihre Persönlichkeit möchte, mit dem übereinstimmt, was ihre Natur will (das heißt das unterbewußte Szenarium). Es gibt solche Glückspilze. Ich habe sie persönlich beobachtet. Das ist phantastisch! Bis das Szenarium nicht endet…
Doch wenn bei diesen Menschen das Szenarium sich erschöpft, wird für sie die Lebenssinneskrise eine Superkatastrophe, weil ein erschöpftes Szenarium das Ende des ganzen Lebens ist. Dann gibt es nichts, womit man leben könnte. Dann gibt es keinen Automatismus, den wir «natürlich» zu nennen pflegen. Es fehlt das, was nicht durch das Bewußtsein, sogar nicht durch die Lebensumstände, sondern durch die unterbewußte Energetik, die unterbewußte Richtung, sprich die Natur bestimmt wird. Kaum ist dieses unterbewußte Szenarium erschöpft, steht der Mensch dumm da. Was soll man jetzt machen? Eine Lebenssinneskrise. Die zweite Variante ist, wenn der Widerspruch zwischen den bewußten Einstellungen und der Lebenssinneskrise so groß ist, dass man sich entweder erschiessen mus, oder sich setzen und etwas tun…

Das Szenarium und die Notwendigkeit fűr sich selbst

Gerade in solchem Augenblick sagt sich der Mensch: «Es ist so, als ob ich mir selbst nicht nötig bin». Sich selbst, weil uns immer jemand objektiv oder subjektiv braucht: der Staat, die Eltern, die Kinder, die Freunde, die Arbeit als Fachmänner. Aber mir selbst bin ich bis dahin nötig, bis mich diese innere Energie bewegt. Dann kann ich alle Hindernisse überwinden, dann kann ich kämpfen, dann kann ich alles Mögliche tun. Kaum hat es aufgehört von innen aus zu arbeiten, dann hilft komischer Weise kein rationales Zureden. Verstehen tue ich alles, aber ich habe nichts, womit ich handeln könnte. Die Energetik arbeitet nicht mehr. Es ist entweder eine vorbestimmte Krise, das heißt eine Krise, die mit dem Übergang von der Kindheit zur Individualitätsperiode verbunden ist, oder aus der Individualitätsperiode in die Persönlichkeitsperiode, oder aus der Persönlichkeitsperiode zur Wesensperiode. Die «vorbestimmten» Krisen können mehr oder weniger schwer verlaufen, je danach, inwiefern es mit der Energie des Szenariums übereinstimmt ist.
Nehmen wir den schwersten Fall. Er besteht darin, dass der Mensch «sich entschieden hat mit der Geistigkeit zu beschäftigen». Entweder war es bei ihm im Szenarium, oder er hat es sich so erdacht oder es ist so etwas ihm einfach eingefallen. Solch ein Einfluss, der aus den Grenzen des Großen Mittleren kommt, dringt in die Persönlichkeit des Menschen im Augenblick des Bruches der «Maschine» durch. Später wird es mit Hilfe des Motivationssystems umgeformt, das mit irgendeinem aktuellen Bedürfnis verbunden ist, und los geht’s — der Mensch will schon in der Richtung handeln, die durch diesen Einfluss gegeben wurde. Er hat ernst angefangen, sich damit zu beschäftigen. Er hat Glück gehabt, so ist er, zum Beispiel, dazu gut veranlagt.
Wozu führt das? Die Intensität des Lebens nimmt zu. Das unterbewußte Lebensszenarium erschöpft sich schneller, das heißt der Mensch realisiert sein Szenarium mit allen Ereignissen und Erlebnissen im Tempo, das dem Kindheitstempo gleicht. Weiter bricht der Film ab… Es gibt keinen vorbereiteten Lebensszenarium mehr. Als ob der Mensch in der Leere hängen bleibt. Weiter muss man entweder vom bewußten Schaffen oder von fremden Szenarien leben. Das selbe geschieht übrigens mit Künstlern. Mit denen, die zur Kunst berufen sind. In jedem beliebigen Beruf. Sie erschöpfen auch sehr schnell ihr unterbewußtes Szenarium. Und da fängt die Krise an…
Warum haben die Künstler öfters so viele, wie wir sagen, «Lebenswendungen»? Das Szenarium endet ja wegen der Verstärkung der Lebensintensität. Die Kunst die Realität flexiebler zu verwenden, mit einer grösseren sozialen Freiheitsstufe, die Kunst den Materialswiderstand von diesem Leben zu überwinden ermöglicht schnell alles, was im Szenarium steht, zu realisieren. Wie es scheint, gibt es die Chance das Glück zu erreichen. Das Szenariumsfinale zu erreichen. Doch wir mit Ihnen wissen ja, dass im Szenariumsfinale sowohl Unglück, als auch Leiden und voller Misserfolg sein kann. Alles hängt davon ab, was für ein Szenarium ins Unterbewußtsein eingeprägt, das heißt von dem subjektiven Wahrheitserlebnis fixiert wurde.
Erlebnisse und Eindrücke im Mutterlieb, die während der Geburt geschehene Erlebnisse — so beginnt das Szenarium und davon hängt in vieler Hinsicht ab, wie es sich bilden wird. Später ist es die Dynamik der Wechselbeziehungen mit der Mutter. Dann — die Dynamik der Wechselbeziehungen mit sich selbst, die Steuerung des Organismus. Weiter ist es die Dynamik der Beziehungen mit dem Vater. Später — die Dynamik der Beziehungen mit der Familie, alle Verwandte einschließend. Weiter — die Dynamik der Beziehungen mit der Mikrogesellschaft: mit dem Haus, der Straße, der Krippe, dem Kindergarten. Und zu sieben Jahren, wenn das Kind in die erste Klasse geht, ist er schon ein fertiggebildeter Mensch, es bleiben nur zehn Prozent fűr die soziale Anpassung.
Dieses Szenarium ans Licht herauszuziehen, sich es bewußt zu machen ist es sehr kompliziert. Aber Sie können ihr eigenes Leben angeschaut, bemerken, dass Sie im Kreis laufen. Einige Situationen in Ihrem Leben wiederholen sich die ganze Zeit. Sie waren aus dieser Situation anscheinend schon raus und auf einmal sind Sie wieder zu ihr zurückgekehrt. Situationen, die sich im Leben wiederholen, sind eben die Situationen des Szenariums. Sie sind in Ihrem Szenarium eingeschrieben. Es ist es sehr wichtig das zu verstehen. Weil im Prinzip oder bedingt gesagt — in der Norm — soll der Erwachsene in Ihnen die Einflüsse des Elternteils und des Kindes in sich, und den Druck der Forderungen der Eltern, und eigene Kinderhilflosigkeitsgeschichte sehen und das sich bewußt machen. Gelingt es vollständig zu sehen und zu begreifen, dann haben wir als Folge einen harmonischen erwachsenen Menschen.
Das bedeutet, dass das erste Element des realen und psychologisch konkreten Lebensvorhabens ist das Vorhaben zu sich Erwachsenem nur jene Elemente des Elternteils und des Kindes hinzuzufügen, die die Ganzheit Ihrer erwachsenen Persönlichkeit nicht zerstören.

Szenariumsziele

Der zweite Moment der Bildung eines Vorhabens ist mit Zielen verbunden. Ein Ziel ist dadurch gefährlich, weil es automatisch keinen Sinn gibt. Das heißt, dass die Errungenschaft als ein Sinn eine viel zu zweifelhafte Sache ist. Das Ziel erreicht, verlieren Sie es, weil es schon erreicht und verschwunden ist. Wenn Sie das Ziel auf keine Weise erreichen können, dann geschieht ein Abbruch der Kraftlosigkeit und der Unmöglichkeit wegen. Und wieder verliert sich der Sinn der Errungenschaft, was zum Herabsetzen der Forderungen und Herabsetzen des Niveaus der Ansprüche führt, obwohl das Niveau der Erwartungen davon nicht minder wird.
Dabei soll im Idealfall das Verhältnis zwischen dem, was ich von mir selbst tatsächlich erwarte, und dem, auf was ich meinen Anspruch erhebe, übereinstimmen, so kommt es jedoch fast niemals vor. Es soll ein Spielraum bleiben, selbst wenn es klein ist. Wenn das Niveau der Erwartungen höher als das Niveau der Ansprüche ist, so ist es auch eine unkomfortabele Situation aus dem einfachen Grund, dass der Mensch sich da überanstrengt, wo man alles mit einer Bewegung machen kann. Er kann nicht sehen, dass es einfach ist.
Wenn der Anspruch höher als die Erwartung ist, dann ist es was anderes. Dann tue ich einfach gar nichts. Ich finde eine Menge Erklärungen, warum ich es nicht erreichen kann. Wegen diesem und jenen, u.s.w…. Dann ist es die Situation eines nicht anerkannten Genies. «Ich bin eigentlich ein Genie, aber man hat mir keine Bedingungen geschaffen, es sind nicht rechte Startbedingungen, eine nicht rechte sozial-psychologische Welt, nicht rechter materieller Wohlstand, nicht rechter Staat nicht geschaffen, ich wurde nicht zur rechten Zeit geboren…» Wenn der Anspruch das Niveau der Erwartungen übertritt, ist es leichter mit ihm irgendwie zu «kämpfen».
Und wenn es niedriger als Niveau der Erwartungen ist? Dann heisst es auf Spatzen mit Kanonen schieβen. Dann macht der Mensch eine Menge Bemühungen im Nichts… Was strengt er sich so an?
Es wie auf einem Markt im Osten. Du kommst zum Menschen, bei dem ein Berg von Wassermelonen liegt. «Ich möchte gleich alle nehmen. Zu deinem Preis». Und er antwortet: «Und was werde ich dann machen? Soll ich denn nach Hause zurückzukehren? Ins Dorf?» Er ist doch extra gekommen, um auf dem Markt ein-zwei Monate zu leben, in der Stadt zu leben. Sich mit Freunden zu treffen.
Das ist eben der Fall, wenn das Niveau der Ansprüche niedriger als das Niveau der Erwartungen ist. «Lass mich es dir gleich machen ». — «Nein, nein. Dazu brauche ich mindestens drei Jahre. Und du willst sofort. Es ist falsch, dann wird was anderes heruskommen». Der Mensch hat alles erklärt: «Das, was leicht gegeben wird, geht auch leicht verloren». Eine Menge erleuchteter Lehrer sagten: «Was beschäftigt ihr euch mit völligem Unsinn? Nur ein Schritt und du erlangst Erleuchtung!» Aber es gelingt fast niemandem, weil: «So geht es nicht, so ist es viel zu einfach ».
Das zweite Element des Lebensvorhabens ist also eine Analyse des Verhältnisses der Erwartungen und der Ansprüche. Wenn Sie einen Anspruch auf eine Sache erheben, die wirklich eine gewisse Zahl der Jahre ununterbrochener Bemühungen fordert, so muss man sich dann gleich auf Langstreckenläuferdistanz einstellen, und, nicht denken, dass es vom Himmel fallen wird. Es ist unmöglich eine Geige zu nehmen und sofort wie Paganini zu spielen beginnen. Das ist unmöglich. Sogar mit absolutem Gehör: es sind ja noch die Finger, das Instrument… Es ist unmöglich sofort anfangen klassisches Ballett zu tanzen.
Man muss sich selbst kennen. Eigene Erwartungen. Und sich kein Vorhaben auf zwanzig Jahre der Arbeit machen, wenn Sie nicht imstande sind, mehr als ein halbes Jahr zu warten. Es muss solch ein Vorhaben, das man wirklich in einem halben Jahr verwirklichen kann. Oder man muss eine superintensive Technologie schaffen, um Zeit zu gewinnen. Doch dazu muss man entsprechende Fertigkeiten, Kräfte, Gesundheit haben, die Fähigkeit sich konzentrieren zu können und psychologische Belastungen zu ertragen.

Das Verfolgen des Sinnes

Es gibt Prozesse, die man nicht beschleunigen kann. Es gibt Prozesse, die man mittels einer progressiveren Psychotechnologie beschleunigen kann. Doch sogar sich irgendein Ziel stellend, ein Vorhaben auf das Ziel bildend, muss man nicht vergessen dieses Ziel mit einem Sinn zu versehen, der dessen Errungenschaft übertrifft. Damit es sich nicht ergibt, wie in dem klassischem Beispiel, wenn die Menschen beengt in einer Baracke leben, in furchtbaren Bedingungen und davon träumen, endlich eine eigene Wohnung zu bekommen und glücklich zu leben beginnen. Sie bekommen eine eigene Wohnung und die Familie fällt auseinander, weil das Ziel erreicht ist. Der Sinn der gemeinsamen Existenz ist verlorengegangen. Denn der Sinn war, wie es sich zeigt, nicht die Wohnung zu bekommen, sondern Schulter an Schulter zu kämpfen, um diese Wohnung zu bekommen.
Oder ein breiteres Beispiel. Die Menschen gerieten jung in den Krieg und kehrtenals Sieger zurűck, und mussten später man normal leben. Oder was ich beobachtete, als ich mit Liquidatoren der Tschernobyl-Katastrophe arbeitete. Er war drei, vier, sechs Monate lang der Held, alle Aufmerksamkeit war auf ihn gerichtet. Und dann war alles zu Ende. Die Katastrophe wurde liquidiert. Was soll man jetzt tun? Wie kann man zum normlen Leben zurückzukehren?
Das bedeutet, dass was für einen Ziel Sie sich nicht stellen würden, müssen Sie dieses Ziel im vornherein mit Sinn versehen, das dieses Ziel übertrifft. Sonst werden Sie sich vergnügen, aber das Problem des Sinnes nicht lösen. Bewegung, das Streben zum Ziel, das Raufklettern auf einen Berg ist an und für sich eine hinreissende Sache. Es ist ein Beispiel einer Arbeit der Arbeit wegen. Ich werde raufklettern und dann… Gut, du bist raufgeklettert. Trotzdem muss man alles von Anfang an beginnen. Ob am Fuß des Berges oder auf dem Gipfel. Den Sinn muss man trotzdem bilden. Bewirken. Oder aneignen.
Wie kann man den Sinn aneignen? Durch eine Zugehörigkeit zur Tradition. Durch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Es gibt keinen anderen Weg zum Erwerb der ewigen Werte, des ewigen Sinnes außer dem Weg der Liebe, des Glaubens – gibt es nicht.
Das Bewegen zum Sinn, zum Sinnesbilden beginnt überhaupt nur ab den Augenblick der Liebe und des Glaubens. Denn die Angst, die solche Begriffe wie die Schuld, die Selbstkontrolle, die Selbstbeschränkung bewirkt und jene Kinderangst — der erste Augenblick von den Wehen an und bis zu den schrecklichen Figuren der Mutter und des Vaters, von denen alles auf Welt abhängt (es ist der erste Lebensabschnitt gemeint) — keine Quelle des Sinnes sein kann. Nur wenn die Angst durch die Liebe verdrängt wird, im Idealfall von denselben Eltern, von derselben Welt, in die du aus dem schönen Mutterleib plötzlich aus irgendeinem Grunde hinausgestoβen, — nur dann verwandelt sich die Liebe zu dir in deine Fähigkeit sich selbst und andere zu lieben.
Die Liebe bewirkt den Glauben und die Sinnes-schöpferische Funktion. Deshalb ist die Religion das größte Erzeugnis des menschlichen Daseins. Denn Gott ist zu allen gnädig und liebt alle der Bestimmung nach von vornherein. Deshalb ist das Christentum so attraktiv, weil Jesus alle unsere Sünden schon gesühnt hat. Von denen, der damals lebte, der davor lebte und wer jetzt lebt. Die Idee der Befreiung von der Sünde durch den Sohn Gottes ist die Idee, die Liebe zum Menschen zu bewirken. Damit er sich selbst liebgewinnen kann. Das ist eben die Religion. Es ist eben die geheimste Schicht des religiösen Bewußtseins. Es ist eben die Möglichkeit persönlich den Sinn zu bewirken. In sich selbst. Im eigenen Herz, wie man in der geistigen Tradition sagt.
Das religiöse und geistige Bewußtsein. Das, was bei Florenski die sakrale Tätigkeit heißt, ist die Tätigkeit zum Erzeugen des Sinnes. Denn diese Tätigkeit ist ursprünglich in der Liebe. Kaum hat Gott aufgehört, eine Projektion des schrecklichen Vaters und der schrecklichen Mutter zu sein, die bestrafen und ein Geliebter oder Geliebte wie die Wahrheit, wie Jesus, wie die Gottesmutter wurde, geschah die größte Revolution in der Geschichte der Menschheit. Die Liebe hat die Angst besiegt. Und der Sinn wurde jedem Glaubendem zugänglich. Wie das ewige Leben. Denn das ewige Leben der Sinn ist. Und das Reich Gottes das Reich des endlosen Sinnes ist. Der endlosen Tiefe, des Umfanges und der endlosen unsterblichen Bewegung, der grenzenlosen Bewegung des Lebens. Das Leben ist ewig. Das Leben im Sinn, in der Liebe. Und keine anderen Quellen der Sinnesbildung, außer der Liebe, gibt es und kann auch nicht geben.
Es ist eben das geheimste Korn der Geistigkeit. Es ist eben der Grund, dank dem die geistige Gesellschaft existierte, existiert und existieren wird. Die Menschheit braucht es als eine Sinnesquelle, die jedes beliebige Ziel übertrifft. Und im Augenblick der Krise, die aus diesem oder jenem Grund entstand, muss man sich vor allem an die Liebesquelle wenden. Zu so einer, in der Ihre Vorzüge immer und ohne jede Bedingungen alle Ihre Mängel verdecken. Ihren Mängeln bevorzugt werden. Darin liegt der Sinn sich an die Religion zu wenden. Zur Religion der Liebe und nicht zur Religion der Angst. Darin liegt der Sinn sich an die Geistigkeit zu wenden, darin liegt der Sinn sich an die uns liebenden zu wenden. Nur diejenigen, die uns lieben, können uns vor der Sinnlosigkeit retten. Niemand anderer kann uns davor retten. Deshalb ist er eben der Erlöser Jesus, weil Er die Menschheit vor der Sinnlosigkeit gerettet hat.

Erinnern Sie sich an den Untergang des Römischen Reiches. Als alle Ziele des Imperiums erreicht waren. Als alle auf Tiere, Unmenschen und Menschen aufgeteilt waren. Menschen, die alles hatten, die sich möglichst pervers eigene Bedürfnisse befriedigten, weil alles erlaubt war, weil alle Ziele erreicht waren.

Nur die Liebe und der Sinn helfen die Aufgabe der Integration in sich des Kindes und des Elternteils und der Geburt eines erwachsenen Menschen zu lösen, der in sich den Sinn des eigenen Lebens trägt. Wenn wir keinen Sinn in uns haben, das heißt keinen Tempel in eigener Seele, in eigenem Herz haben, so wird uns nichts vor Sinnlosigkeit retten. Keine gesellschaftlichen Organisationen, keine edlen Aufrufe, keine Arbeitsfähigkeit oder im Gegenteil Faulheit, keine Meditation — nichts.
Lass den Glauben in dein Herz herein. Lass sie in deinem Herz jenes zu verwirklichen, weswegen sie existiert. Und dann wirst du dich selbst liebgewinnen und den Sinn in dir selbst, in deinem Herz, in deiner Seele finden.

Liebe ohne Angst

Der Sinn der Sache besteht darin, dass es der wichtigste Grenzpunkt in der Geschichte der Menschheit ist. Und in der Geschichte jedes Menschen. Jedes Menschenlebens. Jener Grenzpunkt, hinter dem die Angst aufhört und aufhören soll der Hauptregler zu sein. Wenn dies nicht stattfindet, wird der Mensch nicht erwachsen. Dann ist er mal der Elternteil, mal das Kind. Als der Elternteil quält er sich, die Vermächtnisse zu verwirklichen versuchend, die mit seinem erwachsenen Leben gar nicht übereinstimmen. Als das Kind rebelliert er die ganze Zeit bis zur Selbstvernichtung, die abstrakte «Freiheit von» nach dem Prinzip: «Geben Sie mir! Ich habe es verdient. Geben Sie! Geben Sie!» zu verwirklichen versuchend.
Es ist unmöglich mit einer sozialen Kontrolle diese Liebe zu ersetzen, es ist unmöglich mit einem sozialen Druck dem Menschen den Sinn des Lebens zu geben. Keine soziale Projekte werden funktionieren, die edelsten Ziele werden sich bei der Errungenschaft ganz entgegengesetzt umwenden, wenn das Wichtigste nicht geschieht: die Erwerbung des Sinnes in sich selbt und dadurch die Befreiung des Menschen von dem Zwang der Angst. Die Erwerbung des dich liebenden und von dir geliebten Gott, deiner Welt, wenn man froh und tief ausatmen kann: «Dein Wille geschehe!»

Dritter Teil

ZUM GLÜCK
GEBOREN

DAS SUBJEKT UND «DIE LEBENSGESETZE »

Kanons der Führung

Ich habe so ein Gefűhl, dass heute das aktuellste Problem das Erleben der Realität der geistigen Welt ist.
Warum scheint mir dieses Problem so aktuell? In unserer Tradition, die zu der Gruppe der auf die Umformung gezielten Traditionen gehört, existiert, wie es in allen solchen Traditionen der Fall ist, solch eine Schwierigkeit – es gibt keine kanonische Beschreibung von Schülern, vom Lehrer und von dem geistigen Weg.
In diesem Abschnitt der historischen Zeit trete ich wie ein Führer auf, angeblich ein Führer, ich erfülle jene Arbeit, die mir als Auftrag gegeben wurde — sehr bedingt gesagt ist es die Realisierung der Tradition in der ersten Ebene. Das heißt die Verkörperung der Tradition in lebendigen Menschen, in Zeitgenossen, auf diesem Territorium, zu dieser Zeit. Daher entsteht eine psychologisch komplizierte Situation, weil einerseits existiert hier ein lebendiger Führer, und andererseits — passen seine Erscheinungsformen als eines Menschen auf keine Weise in irgendeinen geschlossenen Erklärungszyklus rein. Infolge der Gesetze der Gruppenpsychologie geschieht der Versuch einer Versetzung und einer Kanoniesirung der Persönlichkeit des Führers, um diesen Kanon zu schaffen, den es in der Tradition nicht gibt. Und da ich, kaum eine standfeste Gestalt entsteht, diese Versuche meistenteils bewußt ablehne, (ich finde, dass es ein wesentlicher Teile meiner Arbeit ist), — fűhrt es zu allerlei negativen Reaktionen, Einschätzungen und Versuchen einen kanonischen Führer zu schaffen, einen Kanon aus der Gestalt eines anderen Führers, um so mehr, weil die Zahl der Führer allmählich wächst.
Doch das Problem besteht darin, dass die Abwesenheit eines Kanons kein Zufall ist. Wir wissen, dass das menschliche Bewußtsein in seinen archaistischen Schichten immerhin darauf eingestellt ist, sich auf ein Zentrum, auf den Ruf eines Anführers, auf die Gestalt eines Anführers, auf einen Führer zu orientieren. Das Prinzip der Führung durchdringt die ganze Natur.
B.V.Bolotow hat sehr bemerkenswert das Gesetz des Führers erfunden. Er saß am Aquarium und sah sich an, wie eine Fischbrut schwimmt, und es kam ihm ein einfacher Gedanke in den Kopf: «Wie ergibt sich so, das solche kleine Wesen alle so synchron schwimmen? Alle nach rechts, und dann alle nach links…» Sie haben dass alle gesehen, nicht wahr? Er hat die Fischbrut herausgefischt, in ein größeres Aquarium gesteckt und in zwei Gruppen geteilt. Die Hälfte schwimmte hin und her nach wie vor, und die zweite Hälfte wurde matt und ist bald umgekommen. Die Fische, die am Leben geblieben sind, hat er wieder in zwei Hälften geteilt. Und noch einmal, und noch einmal, bis nicht ein Fisch űbrigblieb. Allein geblieben, ist er jedoch nicht umgekommen. Später hat Bolotow ihn in eine Glaskapsel gesteckt, dann in eine Metallkapsel usw. Dann liess er ihn in eine beliebige Fischbrut schwimmen und alle Fische folgten dieser Kapsel.
Jedes beliebige Lebendige und Ganze hat eine Führerzelle. Sei es eine Menschengruppe, eine Vogelschar, Zellen in einem der Organe, zum Beispiel im Herz oder in der Leber, Zellen des Organismus insgesamt, des menschlichen Organismus oder des Organismus eines Hundes – existiert űberall das Prinzip der führenden Zelle.
In der sozialen Psychologie wurde schon seit langem bewiesen, dass in jeder Gruppe ein Führer existiert. Dieses Gesetz bewirkt ein grandioses geistiges Problem. Nach dem Grundbasisprinzip, dem ersten moralischen Postulat vieler geistigen Lehren, ist jede Seele potentiell göttlich. Was macht man mit diesem Postulat in der Situation des Vorhandenseins eines Führers?
Es gab zum Beispiel Buddha, er hatte eine Menge Schüler, aber er als solcher war der Einzige. Es gab Bodhidharma, er hatte eine Menge Schüler. Aber Buddha war jedenfalls wie uns die Texte übertragen haben, ein mehr oder weniger wohlgestaltete Mann, der irgendwelchen kanonischen Vorstellungen der Heiligkeit entsprach. Und Bodhidharma war überhaupt ein schrecklicher Mann. Er war hässlich, benahm sich ziemlich wild, — wenn Bodhidharma zu Ihnen kommen würde, hätten Sie, denke ich, in ihm kaum einen geistigen Führer erkannt. Es gab Jesus. Menschen folgten ihm scharenweise und er hat aus dieser Menge dreizehn nahe Schüler ausgewählt. Und wohin wir nicht blicken, gab es nirgends eine Gesellschaft. Es gab Оsho – er war allein, Gurdjieff — allein. Es gibt immer nur einen, den Führer.
Das ist ein kolossales Problem.

Einer der nahen Schüler Buddhas — Ananda, der dreißig Jahre mit ihm war, konnte die Erleuchtung nicht erlangen. Erst als Buddha diese Welt verlassen hat und alle weinten, begann Ananda zu lachen und erlangte so Erleuchtung, — so hat sein Herz an Buddha gehangen…

Das sind Beispiele von mehr oder weniger kanonischen Lehren, in denen, wo es ein offenes Umreiβen, eine Abgrenzung innerhalb der Gesellschaft, eine Abgrenzung der Existenzform der Tradition gibt. Und es gibt Traditionen, die auf dem «Markt des Lebens» ohne einem fixierten Kanon leben.

Probleme der Kommunikation mit der Realität

Infolge dessen, dass wir mit Ihnen als westliche Zivilisation die letzten dreihundert Jahre in «cogito, ergo sum» existieren, wandeln wir unvermeidlich jenes Material, das wir aus der geistigen Gesellschaft bekommen, ins Material unseres Bewußtseins um (manchmal unserer Einbildung, aber das passiert mehr bei Frauen). Das heißt ins Material eigener subjektiven Realität. Wenn man Menschen trifft, die in der östlichen Kultur aufgewachsen sind, merkt man, dass bei ihnen alles mit einer Gestalt beginnt und nur darauf folgt die verbal-logische Form, die begriffliche Form. Und bei uns fängt alles mit dem Begriff an, und nur darauf folgt die Gestalt.

In St. Petersburg arbeitete ich mit Meister Tyn. Er sagt:
— Stell dir also vor, dass du eine Schlange bist.
— Habe mir vorgestellt. Und was weiter?
Nichts. Und für ihn bedeutet vorzustellen, dass er eine Schlange ist, eine Menge Folgen. Genauso, wie ich ihm sage:
— Stell dir vor, dass du dein «Punkt-Ich» in die Unendlichkeit versetzt.
— Und was weiter? — sagt Meister Tyn.
— Wie, was weiter?
Und er sagt:
— Und du stell dir vor, dass du eine Schlange bist.

Es ist die Frage der Wechselbeziehungen, der Art der Einbeziehung in die Realität. Wir sind anders darein einbezogen. Und deshalb ist für uns ein Problem sich ernst zur Gestalt zu verhalten.
Ja, für uns bedeutet die Gestalt etwas gutes, aber für wen? Für Maler, Künstler, Musiker usw.
«Stell dir vor, dass du ein Hahn bist». Sofort scheint es dir, dass man dich verletzen will und in einen Künstler verwandeln. «Und jetzt stell dir vor, dass dein Körper sich in die Unendlichkeit ausgestreckt hat» — darauf reagiert man schon normal.
Wir verhalten uns leichtsinnig zur Gestalt. Sogar professionelle Maler, Dichter, Komponisten, ungeachtet dessen, dass sie kunstbegabte Menschen sind, fühlen sich dennoch im alltäglichen Leben der angeblichen «Unvollkommenheit» wegen verlegen, außer den Augenblicken der schöpferischen Inspiration. Deshalb mögen sie alle theoretisieren, um zu beweisen, dass sie auch logisch und abstrakt denken können. Aus irgendeinem Grunde scheint es ihnen, dass die Gestalt etwas mangelhaftes ist.
Spricht denn die Realität als solche mit uns die Sprache der Begriffe (wenn wir Texte ausschließen)? Die Realität als solche: da ist eine Blume, und noch eine Blume. Da ist das Tonbandgerät. Da ist das Klavier. Das sind alles gegenständlich-anschauliche Sachen oder Bilder. Und die Welt spricht mit uns meistens diese Sprache, doch wir hören es nicht. Wir sehen diese Sprache, empfinden es angeblich, aber nehmen die als einen Text, der mit der Gestaltsprache geäußert ist, nicht wahr.
Schauen Sie an, was für ein einzigartiges Land Japan ist. Bei den Japanern tritt Begriff nach der Gestalt auf. Unser leichtsinniges Verhalten zur Gestalt erzwingt uns eine scharfe Grenzlinie zwischen all dem, was wir, jeder auf eigene Art, Geistigkeit nennen und all dem, was wir das gewöhnliche Leben nennen, durchzuführen. Und so fällt unsere persönliche Geistigkeit aus dem Leben aus.
Die Geistigkeit löst sich im Leben nicht auf, durchbohrt es nicht, es geschieht nicht eine gegenseitige Transformation, sondern Gewalt über dem lebendigen Stoff des Lebens, ihr Anpassen zum begrifflichen Apparat «der Geistigkeit». Oder eine rationale «Aufdeckung» der Geistigkeit. So bleiben unter den fünfunddreißigjährigen keine geistigen Sucher übrig.

Im Buch «Ozean des Vergnügens für die Weisen», an die ich mich aus verschiedenen Anlässen häufig erinnere, ist unter anderem geschrieben: «Man soll den Reichtum und den Überfluss, die zur Nahrung und zum Dünger der geistigen Entwicklung dienen, nicht vermeiden».
Wollen wir uns einbißchen anstrengen und es nicht als eine begriffliche Formel, sondern als ein Text, der aus Gestalten gebildet ist, wahrnehmen.
Nicht der Begriff «Reichtum», sondern eine Gestalt des «Reichtums». Der Reichtum als eine Gestalt bedeutet immer Überfluss: der Reichtum der Farben und Färbungen, der Erlebnisse und Gefühle.
«Den Reichtum und den Überfluss…» Die Gestalt des Überflusses? Was Überfluss ist, wissen wir einfach nicht. Wir haben etwas in den Büchern gelesen, hauptsächlich in Märchen. Wer kann sich den Überfluss vorstellen? Was ist es für eine Gestalt? Etwas, was schon nicht mehr notwendig ist? Es ist wirklich so. Der Reichtum ist ein Überfluss, wenn man alles hat und es davon so viel gibt, dass ich es mit jemandem teilen kann. Und der Überfluss ist ein Zustand, der dem ähnelt, was wir im Mutterleib empfunden haben. Kaum hast du dir was gewollt — schon ist alles da.
«Reichtum und Überfluss, die Ihnen dienen», — bemerken Sie, die Ihnen nicht gehören, sondern dienen, sprich ein Mittel, Diener, «zur Nahrung und dem Dünger dienend» — wie Mist.

Das alles soll man nicht vermeiden, wenn man sich mit Problemen eigener geistigen Entwicklung beschäftigt.
Worin liegt der objektive Grund, dank dem wir uns zulassen dem lebendigen Stoff des Lebens auszuweichen? Er liegt in einer sehr einfachen Sache. Was braucht man zum Leben? Die Liste des Nötigen und Ausreichenden lautet: du und das Leben.

Über den Stoff des Lebens

Wenn es Sie nicht gibt, sondern es gibt nur das Leben, so lebt das Leben Sie. Das bedeutet, dass Sie selbst die Nahrung und der Dünger für das Leben sind — und nichts anderes. Das Leben lebt Sie, sie ernährt sich von Ihnen, wie der Krieg sich von dem Kanonenfleisch ernährt. Der Mensch, der als ein Subjekt nicht existiert, dem Leben nicht widersteht, solcher Mensch ist eine Nahrung und ein Dünger, ein Lebensfleisch. Für das Leben selbst.
Wenn es nur Sie gibt und kein Leben, dann stört alles, was in Erscheinung tritt. Dann stört der vergängliche Körper, diese Kleidung, dasjenige, was man essen muss. Wozu sind diese Verkehrsregeln, diese Abgase, diese schrecklichen Städte, diese kranken Bäume? Und die Höhle ist nicht richtig ausgegraben, und das Kloster nicht richtig aufgebaut. Alles stimmt nicht. Dann gibt es nur eine Lösung: sich in sich selbst hinein vertiefen, in sich hinein, in sich hinein… Solche Lösung wird immer gewährt, genauer gesagt, die Illusion solch einer Lösung. Und Sie vertiefen sich, vertiefen sich… in ein fantastisch-mystisches Klűgeln.
Sie — das Subjekt — und das Leben – das ist alles, was man braucht. Das Nötige und Ausreichende. Das Leben widersteht Ihnen in allem. Psychologisch. Denn Sie haben diesen Entschluss — zu leben — nicht gefasst . Sie haben nicht bestimmt, was für einem Leben Sie begegnen werden. Außerdem gibt es da eine Menge sogenannter objektiven Gesetzmäßigkeiten, kosmischer Vorbestimmtheit und übriges, und Sie sind als Subjekt eine Einmaligkeit.
Warum wird jedes Wissen über die Entwicklung in sich selbst eines Subjektes, sprich einer aktiven wirksamen persönlichen Grundlage, vom Staat zerstört oder in erster Linie der Zugang dazu erschwert? Ist Ihnen klar warum? Denn das Leben Ihnen trotzdem widersteht. «Das Leben wird dich schlagen» oder «das Leben wird dich lehren», «das Leben wird dich zwingen». Warum gibt es keine solche Redensarten, wie: «das Leben wird mit dir freundlich sein», «das Leben wird dich in Schutz nehmen», «das Leben wird dich liebgewinnen»? Gibt es leider nicht.
Erinnern Sie sich an die Teenageralterkrise und an den Teenageraufruhr. Wenn zum ersten Mal das Erlebnis eigener Subjektivität erscheint.

— Ich habe schon alles, was redet ihr mir ein, Erwachsene. Was täuscht ihr mich. Ich habe schon alles!
— Nein, du bist noch kein Mensch geworden. Du sollst noch dieses und sollst noch jenes tun… Die ganze Zeit schuldest du uns etwas – deshalb sollst du, sollst du, sollst du… Und sterben sollst du auch würdig.

Was ist das für eine Beschäftigung — zu leben, wenn ich die ganze Zeit jemandem was schulde? Und nun kommen irgendwelche geistigen Menschen und sagen: «Freuen Sie sich auf das Leben, verherrlichen Sie das Leben, lachen Sie, tanzen Sie, singen Sie». Und ich gerate in eine sehr komplizierte Situation: ich muss durch alle «soll» und «unmöglich» das sehen, was diese zur Freude befreite Menschen sehen und woran sie glauben.

Wie kommt man im Leben mit der Geistigkeit aus

Geistigkeit? Wie das denn? Wie kommt man damit aus?

Ich habe einen jungen Freund Jenja. Er ist ein bemerkenswerter Mensch – er befindet sich ständig im Zustand einer Meditation, aber beschäftigt sich dabei mit seinem Business. Und es klappt bei ihm beides.
Seine Geschäftspartner haben voll das Gefűhl, dass er ein weltfremder Mensch sei: «Na den werde ich schnell um den Finger wickeln, betrűgen, ruinieren — schwatze ihm leicht eine schlechte Ware auf. Der ist ja schwachköpfig». Objektiv gesehen ist er aber einfach ein einzigartiger geschäftsfűhrender Direktor. Aber dabei ist er voll in die Meditation versunken. Es sieht so aus, als ob er ein Rauschgiftsüchtiger sei, die ganze Zeit berauscht. Doch dabei ist er sehr gescheit im Geschäft.
Es scheint, dass er immer verspäten soll. Doch er verspätet niemals nirgendwohin.
Infolge irgendeinem Zutreffen der Umstände geschah bei ihm ein gegenseitiges Durchdringen, das heißt es gab von vornherein keine solche Aufteilung: dort irgendwo ist die Geistigkeit und hier — dieses unheimliche Leben, das ich leben soll.
Bei ihm ergab sich anders: da ist dieses unheimliche Leben, wo ich alles soll, und gleich nebenan — dasjenige, was ich nicht soll. Sehr schön. Obwohl, als ich ihn kennengelernt habe, träumte er auch davon, zusammen mit Freunden eine Klause im Wald zu bauen, das heißt es gab auch das Problem der Aufteilung. Doch jetzt beginnt er es allmählich zu lösen.

Die Geistigkeit ist überall. Das ist doch die Realität. Keine Fiktion, keine Erfindung, keine Phantasie, obwohl die Phantasie auch so etwas erzeugt.
Wir haben uns so daran gewöhnt, dass das Subjektive das fehlende, unrichtige und schließlich unwirkliche bedeutet, dass wir zusammen mit diesem ganzen Wasser «des Kirchenidealismus», wie die «Genossen» zu sagen pflegten, sich selbst, also das Subjekt, ausgeschüttet haben.
Und es blieb nur das Leben, das uns lebt. Doch wenn wir als das Sein sind (verzeihen Sie mir dieses Wortspiel), bedeutet es, dass das Subjektive eine Realität ist. Es ist etwas glaubwürdiges, was über alle Eigenschaften der Realität verfügt. Wenn das Subjektive unwirklich ist, so ist die Realität dann nicht einheitlich. Und wenn man den Menschen mit seiner inneren Welt aus dem Rahmen der Realität herausführt, dann geht jede beliebige Beschreibung der Welt zugrunde.

Was ist Wissen

Wenn wir über das Wissen reden, was wird gemeint?

Einmal habe ich im Fernsehen ganz zufällig ein wunderbares Sujet gesehen.
Es gab solch einen Fürsten Trubetskoy. Er war Fürst und auβerdem noch Bildhauer. Viele haben ihn nicht gemocht. Ihn kritisirten Stassow und Antokolski. Aber er bekam den Auftrag das Denkmal Alexander dem III zu machen und hat dieses riesenhafte Denkmal geschaffen. Eine völlig einzigartige Reitstatue.
Trubetskoy las grundsätzlich keine Bücher. Das war aber nach dem er eine Ausbildung bekommen hat… Später hat er gesagt: «Diese Bücher lese ich nicht mehr». Er sagte, dass alles feinste Wissen in den Menschen, in der Natur, im Leben ist. Ein sehr interessanter Mann.

Wenn wir sagen, dass vom Gesichtspunkt unserer Tradition (nicht nur unserer, sondern auch anderer Traditionen) aus gesehen das Wissen nur in Form von Menschen existiert, und ein Buch nur einen Anlass zum Nachdenken gibt, muss man das buchstäblich verstehen.
Die prinzipielle Einstellung des geistigen Wissens auf die Einmaligkeit und die Einzelheit jedes Menschen ist eben ein Vorsagen zum Begreifen, wie das geistige Wissen existiert und woraus solch ein Wissen besteht.
Das lebendige Wissen existiert nur in Form von Menschen und das ist keine Metapher. Das Wissen wird auch nicht als eine Metapher gemeint, denn man möchte sich gleich wehren: «Er meint es bildlich». Nein, ich rede buchstäblich. Deshalb ist das geistige Wissen immer ein einzigartiges und einzelnes Wissen, das trotz aller seiner Objektivität das Aroma des Subjektes enthält, das Aroma von jenem Menschen, der dieses Wissen verwirklicht hat.
Deshalb kann man das geistige Wissen nicht bekommen. Ich kann jemandem eine Rose schenken. Aber damit derjenige, der diese Rose übernimmt, sie wie ein Wissen übernimmt, muss er sich nicht nur als einen lebendigen, sondern auch als einen seienden vorstellen, das heißt in sich des Daseins bewußt sein.
Deshalb kann man das Leben unter dem Namen «da ist das Leben, und hier sind wir» in Form von einer Bewegungsbahn darstellen. Es wird dann linear aussehen: an diesem Datum da geboren, an jenem Datum dort gestorben. Wie auf einem Grabstein: an jenem Tag und Jahr. «Sein Leben erstreckte sich wie eine gerade Linie!»
Doch vom Gesichtspunkt des Geistigen aus gesehen ist unser Aufenthalt in der Welt eine Kette von Ereignissen, die sich in keine Linie aufstellen. Es ist eine Gesamtheit der Situationen, die vom Ereignis bewirkt wurden. Die Ereignisse sind untereinander zusammengehakt. Es ist jedoch unmöglich daraus eine Linie auszubreiten. Man kann ein Muster ausbreiten, aber keine Linie, weil das Leben nicht eine Gesamtheit der Punkte, sondern eine Explosion ist. So geschieht es im Geistigen.
So sieht dieses Ding unter dem allgemeinen Titel — der Aufenthalt in der Welt — aus. Der eine Teil dieses Aufenthaltes wird «das Leben» genannt. Und das Leben teilt sich auf ein privates, ein soziales, ein inneres usw.
Alles in Erscheinung getretene ist das Wissen, unser ganzer Aufenthalt in der Welt ist ein Muster aus Ereignissen. Und von diesem Standpunkt aus gesehen kann sich keinesfalls eine Biografie, in dem Sinne, den wir akzeptiert haben — wurde geboren, studierte, heiratete, Kinder zur Welt gebracht, gestorben — ergeben.
Wie werden Biografien geschrieben? Ein nebensächlicher Beobachter analysierte «objektiv» das Leben von Roden, schnitt alles, was «absteht», ab und machte aus Roden eine Biografie von Roden. Und was ergibt sich? Der lebendige Roden und Roden, der in der Biografie dargestellt ist, bleiben abgesondert. Alles beginnt zu zerfallen, hört auf lebendig zu sein, zerstört sich und die Kupplung geht kaputt.

In Bezug auf das Leben geboren zu werden

Nur dann, wenn Sie beginnen, sich in der Welt als eine aktive handelnde Person aufzuhalten, erscheint bei Ihnen das Hellsehen. Aber nicht jenes Hellsehen, unter dem die einzigartige Fähigkeit Siddhi gemeint ist, sondern so ein Hellsehen, das einfach ermöglicht alles um sich herum, in sich, über sich, unter sich und Ereignisse, Situationen, deren Kupplung, die Stelle des Lebens in diesem allem klar zu sehen.
Dann kann man ein riesiges Vergnügen fühlen: «Toll haben es meine Eltern gemacht, dass sie mich geboren haben». Natürlich versuchten sie infolge der sozialen Ausweglosigkeit mich zu betrügen und zu sagen, dass dieses Leben überhaupt nur auf einen Satz aus Regeln und Konventionen zurückzuführen ist. Ganz gewöhnliche Eltern. Vater, Mutter und soziale Eltern — Erzieher, Lehrer, Leiter, Hinweiser, Begrenzer. Sie versuchen mich in ihre Höhle zu treiben, doch jede Seele ist potentiell göttlich und kann an einem schönen Tag, einmal im Leben sich öffnen und explodieren.
Wir alle hatten einmal, im Teenageralter, solch einen Augenblick und wir alle handelten. Wir fühlten, dass man uns anstelle des Allen etwas ganz anderes zuschiebt — etwas kleines.
An einem schönen Tag können Sie sich öffnen… Doch das erste, was man dazu tun soll, ist noch einmal geboren zu werden, in Bezug auf das Leben geboren zu werden. Man soll verstehen, das Leben ist dieses Leben und Sie sind Sie. Und dann, aus dem Leben wie aus dem Mutterleib herausgehoben, werden Sie die ganze Fülle des Daseins finden können. Dazu braucht man das Leben nicht ablehnen, dazu muss man aus dem Leben herauskriechen und verstehen, dass der Aufenthalt in der Welt ein hinreißendstes Abenteuer ist.
Und dann werden uns viele bis jetzt ganz unverständliche Dinge verständlich: warum man Wodka trinken kann und sich dabei geistig entwickeln und warum man ohne Wodka zu trinken, ohne zu essen, ohne zu lieben und nur im Medititationszustand verbleibend, dabei geistig rückschreiten. Und warum weder das eine, noch das andere, noch das dreiundzwanzigste, noch das hundert fünfzigste obligatorisch sei, und dass überhaupt nichts obligatorisch ist.
Denn dazu sind nur zwei Komponente nötig und ausreichend — du und die Welt zum Dasein, du und das Leben zum Leben. Alles übrige ist keine Linie, sondern ein ganz persönlicher bemerkenswerter Band. Denn die lineare Lebensweise ist durch die Idee der Errungenschaft, und nicht des Begreifens bewirkt. Sie ist durch die Idee bewirkt, dass das Wissen als eine abgesonderte, ausgesonderte, ausgerechnete, vom Weltall abgetrennte Sache existiert. Die einzige Form vom Wissen ist dann eine Bibliothek.

In dir gibt es alles zum Leben

Ich verneine keine Telephatie, Telekinese, keine Biobehandlungen, keine Diagnostik, Hellsehen u.a. Nein. Ich habe mich mit all dem beschäftigt. Aber ich verstehe, dass, kaum wir das alles abgesondert vom Leben unterbringen, geraten wir in dieselbe Geschichte, die mit der Geistigkeit geschieht.

So tauchten Menschen auf, bei denen im Diplom als Beruf Extrasensitive steht. Diese Menschen haben es am schlimmsten, was das Leben betrifft, weil sie so viel schulden, dass sie niemals es zurűckzahlen können werden. Deshalb haben sie Schwierigkeiten: stellen Sie sich vor, ihr Beruf ist schlimmer als beim Testpilot, der Beruf im sozialen Sinne des Wortes. Zur Arbeit muss man zur bestimmten Uhrzeit gehen, Listen ausfűllen, Steuern zahlen. Ihre Einnahmequelle? Biokorrektion.

Wenn wir es nirgendwohin aussondern und dort lassen, wo es ist, dann ist alles extrasensitiv, dann ist alles Korrektion oder wie Sie es noch nennen wollen: Levitation, Telekinese. Das alles ist hier. Dazu braucht man nur Sie als das Subjekt der Tätigkeit und Sie als das Instrument der Tätigkeit. Es ist gleichzeitig derjenige, der spielt, und dasjenige, worauf man spielt.
Wenn Sie als ein aktives Subjekt nicht existieren, dann bleibt nur, bildlich gesagt, ein Klavier und es gibt niemanden, der darauf spielt. Deshalb klagt es: «Machen Sie mit mir etwas, weil ich es selbst nicht kann! Machen Sie mir einen guten Körper, machen Sie mir ein gutes Bewußtsein, machen Sie mir eine Energetik, machen Sie mir eine psychoemotionale Sphäre. Stimmen Sie mich, spielen Sie auf mir. Machen Sie aus mir etwas, Genosse Extrasensitive! Ich habe eine Flasche Wasser mitgebracht». Doch wenn es Sie als Ich und Sie als Er gibt, dann hat man den, der es macht und das, womit man es macht, dann wurde die Regel des Nötigen und Ausreichenden beachtet. Was fűr ein Fernseher kann dann Ihnen gleichgesetzt werden, was fűr Antennen – Sie haben es dann sogar besser, als das Satellitenfernsehen. Und das liegt nicht irgendwo «dort», es ist alles hier gegeben, alles ist hier in Ihrem Leben.
Doch wenn Sie kein Herr von sich selbst sind, so benutzt Sie jeder, der will und der es kann. «Boshafte Manipulatoren, Satanisten, Vampire». Ein Vampir ist, natürlich, eine schöne künstlerisch Gestalt, doch viel furchtbarer ist eine mechanische Existenz von sich nicht bewußt seiendem Menschen, einem fast Bioroboter. Der nicht ahnt, was er tut, und deshalb für nichts verantwortlich sein will.
Gott hat uns das Leben, das Dasein, die wunderschöne Welt und das prächtige Instrumentarium gegeben — alles umsonst. Wir haben dazu nichts getan, nun, nur unsere Eltern haben dazu was getan, und wir? Es gibt eigentlich so viele Möglichkeiten-Fähigkeiten, doch es fällt uns gar nicht ein, sich damit zu beschäftigen. Davon gibt es so viel, dass wir es nicht bewahren, und nur es verloren, am Grab weinen.

«Der Tempel Gottes ist in dir», — sagte Jesus. Er hatte absolut recht. Im buchstäblichen Sinne des Wortes. Er sprach buchstäblich, wie alle geistigen Menschen. Doch uns hat man angewöhnt, dass das Wissen in Büchern aufbewahrt ist. Und noch bei einigen «besonders gebildeten Menschen».

Dieses Buch ist nur ein Anlass, damit Sie nachdenken. Was nicht gezeigt ist, das ist nicht gezeigt, was nicht ausgesprochen ist, das ist nicht ausgesprochen. Es gibt so einen berühmten Ausspruch, es hing früher in allen sowjetischen Bibliotheken: «Magt Bűcher — die Quelle des Wissens». Mögen Sie sich selbst — die Quelle des Wissens.
Und deshalb gibt es nur eine beschränkende Bedingung für die geistige Selbstrealisierung — die Qualität der Instrumente. Die einen brauchen einen Relaissender unter dem Namen Lehrer, Erzieher, Guru, Vision, Stimme, himmlischer Bräutigam u.s.w. Und andere – einen Mechaniker, Fachmann usw., der sagen wird: bei dir ist es so, so und so, hier muss man die Kabelchen anlöten, weil man das in der Kindheit vergessen hat zu tun. Solche Menschen brauchen eine technische und technologische geistige Praxis. Wie kann man dieses alles so anfertigen, damit es gut arbeitet? Sie interessieren keine Übertrager, sie interessiert die Frage, «wie» man das verwendet, was gegeben ist. Deshalb suchen die einen einen Meister, der Geräte repariert, und andere — einen Vater oder eine Mutter, die dich trösten: «Nächstes Mal, und bis dahin erhole dich, alles wird später besser sein».
Wie Abu Silg sagte: «Alle Menschen sind von Gott, doch nicht alle Menschen kommen zu Gott».

RAUM IM RAUM

Die meisten nehmen sogar auf der einfachsten alltäglichen Ebene den Raum nicht wahr.
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir infolge der Eigenschaft unserer Kultur, infolge dem Sozialisationsprozess, als Grundlage zur Wahrnehmung das rationale Bewußtsein bekommen. Wir nehmen die Welt als etwas, was aus Sachen besteht, wahr. Und sich selbst nehmen wir als Sachen wahr.
Einige Menschen verstehen es, den Prozess wahrzunehmen, aber nur den Prozess der Bewegung in einem Zeitabschnitt.
Solche Wahrnehmungsweise des Lebens fűhrt bis dahin zu keiner Spannung und zu keinem Konflikt, bis wir uns nicht damit zu beschäftigen beginnen, was Psychoenergetik, Bioenergiefeld, Verwaltung der Energie u.s.w. genannt wird. Psychoenergetik hat ihre eigene Sprache, Wahrnehmungsweise, die Art der Beziehungen mit der Welt, die sich grundsätzlich von der Art unterscheidet, die wir im Laufe des Lebens angeeignet haben und an die wir uns gewöhnt haben. Um die Information, die von der Psychoenergetik kommt, adäquat zu rationalisieren, muss der Mensch sich bemühen zu einem anderen Prinzip der Wahrnehmung von sich selbst in der Welt űberzugehen.
Wenn solch ein Übergang nicht geschieht, setzt das Bewußtsein fort, nach wie vor zu arbeiten und ist nicht imstande adäquat die durch die Psychoenergetik gekommene Information zu verwenden.

Umschulung des Bewußtseins

Wie kann man dem Bewußtsein helfen? Als Erstes muss man sich das bewußt machen, wie man es umformen soll. Man muss sich auf ein anderes Weltbild umstellen – auf ein räumliches, — das heißt die ganze Welt als einen Raum vorstellen und verstehen, dass er einheitlich ist. Und das wir uns darin befinden.
Was ist in solchem Weltbild ein «Gegenstand»? Es ist ein verdickter Raum. Jeden Gegenstand kann man von diesem Standpunkt aus als ein Druckergebnis, als einen zusammengepressten Raum betrachten. Nehmen Sie die Kraft der Kupplung, des Druckes weg, und der Gegenstand zerfällt und verwandelt sich in eine elektronische Wolke oder noch so etwas in der Art. Als die Altertümlichen sagten, dass die ganze Welt der Gegenstände eine Illusion sei, die von unserem Bewußtsein geschaffen ist, waren sie der Wahrheit sehr nah.
Unser Bewußtsein ist auch ein Ergebnis des sozialen Drucks. Wir existieren im sozialen Raum auch als etwas abgegrenzte, das heißt als Objekte, die durch den Druck gebildet wurden. Um real auf die Raumweise des Aufenthaltes in der Welt überzusteigen, muss man unbedingt aufhören, sich selbst von außen zu sehen, das heißt sich wie ein Gegenstand, wie eine Puppe zu sehen.
Wozu fűhrt so eine Blickumstellung auf sich selbst? Dann aktivieren sich verschiedene Ängste: die Angst verlorenzugehen, die Angst sich aufzulösen (sich physisch und intellektuell aufzulösen). Denn die Psychoenergetik hat keine deutlichen Grenzen. Und keine Grenzen zu haben ist das schlimmste, was sich das Bewußtsein vorstellen kann.
Damit die psychoenergetische Wahrnehmung die Ganzheit des inneren subjektiven Raumes nicht zerstört, muss eine große Arbeit der Bildung darin eines stabilen Begreifens von sich selbst (des stabilen Selbstbewußtseins) durchgefűhrt werden. Und wenn wir beginnen uns selbst als ein Raum im Raum wahrzunehmen, und nicht als ein Gegenstand im Raum, so beginnen wir eigene Grenzen in verschiedenen Kontexten als Ergebnis verschiedener Drücke, die von außen kommen, zu empfinden. Dann können wir diesen Druck verwalten, wir können ihn vollständig abschaffen, dann können wir die Konfiguration dieses Druckes und die Form wechseln, weil die Form gerade ein Ergebnis dieses Druckes ist.
Was ist ein einfaches Realitätsbild? Das ist ein Raum, in dem ein Ereignis geschieht, ein Raum, in dem man sich befindet. Ein komplizierteres Modell formulierte Tartang Tulku: «Die Zeit entfaltet das Wissen im Raum». So ergibt sich bei uns ein wunderbares Werk: wenn wir uns in so einen Zustand, in so eine Daseinsqualität, in so ein Weltbild versetzt haben, so ist dann wirklich das möglich, was ich mit eigenen Augen mal gesehen habe: wie ein Mensch seine Hand in die Wand hineingesteckt und dann sie daraus herausgenommen hat. Dann ist es möglich die Form des Körpers zu verändern. Dann wird verständlich, warum diejenigen, die sich in so einem Zustand befinden, sich im Spiegel ganz anders sehen, als alle anderen sie sehen.
Wenn der Mensch wenigstens ein biβchen durch seine Hülle durchgedrungen ist und wenigstens ein biβchen was ausstrahlt, mit dem Raum resoniert, so kann er auf Wunsch jene Qualität erlangen, bei der ihn alle so sehen werden, wie er sich das wünscht. Oder einfach verschieden. Oder so, wie es für diesen Realitätsaugenblick, für dieses Ereignis nötig ist.
Und dann offenbart sich uns, dass jeder Mensch mit dem Raum resonieren und ohne die Subjektivität zu verlieren, sondern umgekehrt mit ihrer Höchstrealisierung, sich auflösen kann.
Und dann bekommen alle wunderbaren Visionen eine normale rationale Erklärung — wenn wir als Ausgangspunkt annehmen, dass jeder von uns ein Raum im Raum ist, und kein Gegenstand im Raum. Ein Gegenstand ist nicht ewig, er ist begrenzt, ein Gegenstand verliert sich in der Unendlichkeit und unter anderen Gegenständen, er versucht sich eine Illusion zu schaffen, dass wenn hier Wände sind, so ist es schon ein abgesonderter Raum. Ein Gegenstand ist etwas abgesondertes, so bedeutet es, dass er zur Zerstörung und zum Zerfall verdammt ist. Es ist das Gesetz der Gegenstände.
Doch der Raum zerfällt ja nicht, weil er einheitlich und allgegenwärtig ist. Und wenn Sie sich die Tatsache, dass Sie Raum im Raum und ein Teil eigenes Weltbildes sind, zuerst als eine intellektuelle Bemühung, später als ein Begreifen, ein Erlebnis, ein Befinden, bis zur Daseinsqualität, bis zum Aufenthalt bewußt machen, dann kommen Ihnen ganz andere Gedanken in den Kopf, dann werden Sie andere Gefühle und Erlebnisse haben. Dann brauchen Sie aber wirklich eine Psychoenergetik, weil gerade sie diese Resonanz gewährleistet.
Und dann brauchen Sie keine Täuschungen mehr, keine Bewußtseinsprojektionen, die die Gegenstände aus dem unendlichen Strom des Wissens modellieren würden (im wahrhaften Sinne des Wortes). Sie brauchen keine Projektionen, um Stücke auszureißen, zusammenzupressen, ihnen eine Form zu geben und aus diesem Anlass irgendwelche Interpretationen zu verfassen. Man kann damit spielen, aber es wird nicht die einzige Beziehungsart mit der Welt sein.
Sie verstehen, dass als ein Minimum es nicht die einzige Weise des Aufenthaltes in der Welt ist — der Aufenthalt als ein Gegenstand. Man kann sich noch in der Welt als ein Raum aufhalten, das heißt einfach in der Resonanz. Die Raumempfindung von sich selbst ist die Empfindung einer echten Verschmelzung mit der Realität.

Resonanz des Raumes

Die Psychoenergetik ist keine Illusion, sondern ein reales Ding. Mit dessen Hilfe kann man auf die Resonanzbeziehungen zwischen den subjektiven und objektiven Realitäten hinauskommen, das heißt, dass eine beliebige Veränderung in einer von ihnen in der anderen eine Auswirkung hat, so wie die Saiten im Klavier auf die Vibration von einer Saite resonieren.
Natürlich, um solche Beziehungen adäquat zu interpretieren, damit die innere Welt nicht in Scherben wie ein zerbrochener Spiegel zersplittert, muss das Bewußtsein sehr fest und sehr strukturiert sein.
Wenn das Bewußtsein dazu vorbereitet ist, wenn es ausreichend strukturiert ist, so erscheint die Möglichkeit, die Information aus den äusserlichen und inneren Welten, bildlich gesagt, mittels einem direkten Ermessen zu gewinnen. «Zum Ermessen der Wahrheit sind keine Worte nötig. Worte braucht man nur dazu, um diese Wahrheit anderen mitzuteilen».
Wie kann man den Raum sehen? Als Subjekt verstehe ich, dass ich mich die ganze Zeit verändere, dass ich die ganze Zeit anders aussehe, jede Sekunde des Daseins, weil die Unendlichkeit, mit der ich resoniere, atmet. Und eigentlich gibt es keinen solchen Begriff, wie «ich sehe aus», gibt es an dieser Stelle nicht; an dieser Stelle gibt nur die Frage, mit welchem Realitätsereignis ich jetzt resoniere, worin ich einbezogen bin, wie man die Resonanz nicht verliert, wie es richtig ist, aufgrund der durch die Resonanz gekommenen Information die Handlungen zu verwirklichen. Das Vertrauen zum Raum, die Aufmerksamkeit zu ihm hilft uns, aus sich selbst «auszuschlűpfen», aus sich selbst als einem Gegenstand; aufzuhören ein Gegenstand zu sein.
Alles fängt mit Kleinigkeiten an. Die meisten Menschen sind zum Raum völlig unaufmerksam und deshalb reagieren sie überhaupt nicht auf eine Veränderung der Situation, auf die Energiedynamik im Raum, sie kümmern sich nicht um die Entwicklung des Raumgefühles und können im Chaos, Schmutz und Lärm leben, ohne zu verstehen, dass der Raum, in dem sie leben, sehr vieles im Zustand ihrer psychoemotionalen Sphäre und der Qualität des Bewußtseins bestimmt.
Die Aufmerksamkeit zum Raum muss man erziehen. Wenn der Mensch es nicht wahrnimmt, ist es ihm egal, wo er ist, wie er ist und was er ist, und in welchem Stall er lebt. Wenn er es wahrnimmt, dann versteht er, dass das Erste, wofűr er etwas ausgeben soll (materiell, psychologisch, intellektuell), der Raum ist.
Im genialen Gedicht von B.Pasternak ist die absolut genaue Formel dargelegt:
Zu sich die Liebe des Raumes heranziehen,
Den Ruf der Zukunft hören.
«Die Liebe des Raumes» ist gerade die Resonanz mit der Realität; es ist die künstlerisch-bildliche Formel der Resonanz. Es ist die Welt der Liebe, über den die hervorragendsten Menschen aller Zeiten, Völker und Konfessionen sprachen, sowohl Philosophen, als auch religiöse Denker, und weltliche, und erleuchtete. Sie aller sprachen über ein und dasselbe: dass der Mensch — ein Ereignis im Universum sei. Ein Ereignis. Und sie alle sprachen darüber, dass die ganze Sache im Raum steckt.
Alle haben über Prana gehört. Was ist Prana? Es gibt so viele Versionen darüber, was Prana sei, warum es dort so viel und da so wenig Prana gibt. Wenn wir uns noch im Verständnis von sich selbst als einem Gegenstand im Raum gefangen befinden, so ist Prana für uns nur eine auf uns von außen kommende Wirkungskraft. Der nächste Schritt ist: einfach ein Raum. Hier ist alles klar: wir alle sind im Raum. Jetzt machen wir noch einen Schritt: wir selbst sind der Raum.
Wozu sollen wir uns Illusionen von der Unendlichkeit des Bewußtseinraumes machen (nach dem Prinzip des Spiegels, wenn ein Spiegel den anderen widerspiegelt), wenn wir uns einfach daran erinnern können, dass wir eine Psychoenergetik haben und sie fachmännisch zu benutzen beginnen. Worin steckt die Schwierigkeit? Im Druck. Im Druck der Anziehungs- und Abstoßungskräfte, im Druck der sozialen und intellektuellen Kräfte… Diese Situation ist bis dahin ausweglos, bis wir nicht wirklich die Resonanz finden und nicht anfangen, sich selbst vor allem als ein Raum im Raum wahrzunehmen. Der Druck bleibt, aber unsere Beziehungen damit sind dann ganz anders.
Dann können wir in vollem Maβe über das SelbstBewußtsein reden, weil das SelbstBewußtsein — nicht ein Ergebnis des Druckes, sondern ein Ergebnis der Wechselwirkung mit dem Raum ist. Und je höher das Niveau der Resonanz mit dem Raum ist, desto höher ist das Niveau des SelbstBewußtseins.
Bevor man aufhört ein Gegenstand zu sein, muss man dieser Gegenstand sein (der Mensch kann nicht sofort als ein Raum geboren werden, das findet zwar statt, aber es ist nur bei wenigen der Fall). Angesichts dieser Notwendigkeit erwerben viele Texte, für die wir uns so interessieren, viele Mythen, Legenden und Mystifikationen einen ganz ruhigen (nicht exaltierten, sondern ruhigen) realen Inhalt.
Ich erinnere mich an meine Lieblingsparabel über einen Mann, der dachte, dass er ein Weizenkorn sei. Als er verstanden hat, dass er kein Weizenkorn ist, blieb er dennoch nicht überzeugt, ob der Hahn es auch weiß…
Es ist völlig unbedeutend, ob die anderen der Form Ihres Aufenthaltes, Ihrer Gestalt zustimmen. Was bedeutet denn die Wechselwirkung mit Menschen? Es ist ein Prozess, wenn Sie diesen Menschen die Beschreibung von sich selbst űbergeben, damit sie entsprechend Ihrer Selbst-Beschreibung handeln.
Die meisten Wechselwirkungen sind gerade ein Austausch von Beschreibungen. Wenn Sie zum Raumaufenthalt übergehen, wird bei Ihnen der Wunsch entstehen, nicht die Beschreibung von sich selbst zu erfahren, weil Sie einfach keine eigene Beschreibung haben, sondern das, wie Sie die anderen sehen. So bekommen Sie die Möglichkeit eine Menge vielfältiger und sehr wertvoller Information, Offenbarungen und Wissen zu erwerben. «Die Zeit entfaltet das Wissen im Raum», — sagte Tartang Tulku.
Als ein Raum im Raum existieren bedeutet die Möglichkeit zu haben Mystifikationen, Exaltiertheit, Visionen und ähnlichem zu entgehen und begreifen, dass alles, was wir für Information darüber, «wie es in Wirklichkeit ist» gehalten haben, nur ein Vorsagen über eine andere Weise des Aufenthaltes ist, darüber, was möglich und nötig ist, um das menschliche und innere geistige Wesen zu realisieren.
Was stört dabei am meisten? Natürlich, ist es das Selbst; das Selbst als ein Blick auf sich selbst von der Seite; als Blick auf denjenigen, über den es kein Wille herrscht. Erinnern Sie sich, wir sagten schon, dass die Frömmigkeit nur dann eine wahre Frömmigkeit ist, wenn wir sagen: Dein Wille geschehe!
Wenn wir als ein Raum im Raum existieren, existieren wir in der Resonanz mit der Realität. Das bedeutet, dass Sie keinen persönlichen Willen mehr haben, weil Ihr beliebiger Wille einen Gegenwillen der Realität herbeiruft, sprich die Resonanz. Verstehen Sie, es gibt keinen solchen Begriff mehr — «der Wille». Man kann sagen, dass ein Ereignis geschieht. Ich kann in seinen Raum eingeschlossen sein, ich kann darin nicht eingeschlossen sein – das ist alles.

Das Bewußtsein und die Ganzheit des Menschen

Wir alle befinden uns im Raum. Man hat uns jedoch, jedenfalls die überwiegende Mehrheit, niemals gelehrt sich dazu als zum Ganzen zu verhalten. Außer einem Fall: wenn der persönliche Raum fehlt. Wenn du in einer Gemeinschaftswohnung lebst oder wenn man dich im Bus zerquetscht, da darf man sagen: «Die Weite fehlt mir».
Die Empfindung seiner selbst als eines Raumes im Raum ist ein Anschlag auf die Vorstellung des Bewußtseins über sich. Obwohl wir schon lange am Problem der Wechselbeziehungen mit dem eigenen Bewußtsein arbeiten, wäre es eine große Frechheit zu sagen, dass es bei Ihnen nicht kommandiert, dass Sie der Kommandeur Ihres Bewußtseins sind.
Wenn eine Information kommt, die vom Bewußtsein nicht abgestoßen sein kann, weil sie rational und im Grunde genommen natürlich ist, schalten sich natürlich alle Ihre Strukturen der unterbewußten Selbstverteidigung ein. Der Mensch kann über den geistigen Weg, über die Transformation nichts sagen, bevor er nicht seinen ersten realen Sieg gewinnt und ein Herr von eigenem Bewußtsein wird. Bis dahin kann er sich nicht wirklich umformen. Bis dahin geht alles, was er konsumiert (auf dem Niveau der Erlebnisse, des Begreifens, der Eindrücke, der Information, der Lebenserfahrung usw. u.ä.) ins Unterbewuβtsein. Wenn es die Raumwechselwirkungen nicht gäbe, so hätten wir überhaupt keine Chance aufzuwachen. Wenn Gurdjieff und andere sagen, dass der Mensch schläft, so ist da nichts zu widersprechen. Natürlich schläft er. Das Bewußtsein schläft nicht. (In diesem Text wende ich den Terminus «das Bewußtsein» mit der Beschränkung an, den rationalen Teil des Bewußtseins meinend). Er schläft — der Mensch, das Subjekt, das Ereignis im Universum.
Das Bewußtsein ist ein Ergebnis von dem hauptsächlich sozialen Druck, und die ganze soziale Einwirkung schläfert uns jeden Zeitaugenblick immer mehr und mehr ein. Die sogenannten «einfachen Menschen» sind öfters um vieles mehr Subjekte, weil ihr Bewußtsein besser gemacht, weniger widersprüchlich und weniger zerstückelt ist, sehr häufig um vieles geistiger, und sie sind der Realität und dem Raumaufenthalt in der Welt viel näher. Nicht umsonst ist «der Narr» ein doppelsinniger Begriff. So war es schon immer gewesen: dieser Mann ist eigentlich ein Narr, doch er weiß etwas, was wir nicht wissen. So ist es auch mit einem Verrückten: einerseits sieht es schrecklich aus, und andererseits gibt es solche Verrückte, die mehr einem Weisen als einem Verrückten ähneln. Bei ihnen ist im System die Stütze auf den Raumaufenthalt in der Welt — eine Kompensation — einfach stärker. Notwendigerweise.
Das Problem liegt noch darin, dass man es nicht nur als Spiel, sondern real braucht. Wo kann man solche Motivation finden, damit ich es nötig habe ein Raum im Raum zu sein? Wenn rundherum alles so gemacht ist, damit ich ein Gegenstand werde.
Ein klassisches Beispiel. Ein Mann macht infolge irgendeiner Begabtheit, Arbeitsfähigkeit oder aus noch irgendwelchen Gründen einen heftigen Ruck auf dem Gebiet der Psychoenergetik, bekommt verschiedene esoterischen Visionen und gibt sie für reale aus. Aber man kann auch unter der Leitung der Psychoenergetik schlafen. Man kann auch unter der Leitung des Körpers schlafen. Um so mehr, weil es überhaupt wegen unserem Unfug (unseres Bewußtseins in Bezug auf unseren Körper) erschöpft ist. Die ursprüngliche Forderung wird dennoch nicht abgenommen, es wird nicht aufgehoben — du sollst sein. Und wenn du bist, dann kannst du diesen qualitativen Daseinswechsel durchfűhren. Doch wenn es dich nicht gibt, kann man darüber nur reden, und auch das nicht so recht, weil es vom Gesichtspunkt des Bewußtseins ein gefährliches Gespräch ist: das Konkurrenzinstrument wird die Macht abfangen, und was wird dann das Bewußtsein machen — mit dem Wahnsinnsgespenst drohen? Der Körper wird plötzlich aufhören, jene dichte Stütze von außen zu haben, an die es sich gewöhnt hat, und beginnt mit der Angst des Todes zu drohen.
Die Raumweise des Daseins, über die wir reden ist die abschließende Etappe der Entwicklung der Psychoenergetik. In sich selbst die Liebe zum Raum, das Gefühl des Raumes usw. zu erziehen, sich auf jene psychoenergetische Möglichkeiten stützend, die Sie besitzen, ist eine wirklich notwendige Aufgabe. Und die Uhrzeiger von weitem stoppen und ähnliche Versuche zu zeigen — ohne dem kann man ruhig leben. Doch ohne einem Raum kann man nicht leben, weil wir uns darin befinden. Und unsere Beziehungen mit dem Raum (ob wir es wollen oder nicht, verstehen oder nicht verstehen, begreifen oder nicht begreifen) sind wie unsere Beziehungen mit dem Wasser, dem Brot, der Luft; wir stecken darin. Ganz gleich, was fűr Konzeptionen wir uns ausdenken, atmen möchte man ja frische Luft. Wir trinken dieses Wasser, und man möchte, damit es schmeckt, damit es der Gesundheit nicht schadet und in sich alles, was angebracht ist, enthält.
Wissen Sie, wie es immer passiert, es gibt Sachen, die wir nur dann wirklich begreifen, wenn wir sie verlieren, wenn sie nicht mehr da sind… Oder wenn sie verdorben werden: die Luft, das Wasser, der Raum.
Der Raum ist außerdem ein Ort, wo wir leben — wir als Subjekte; es ist der Ort, wo Gott lebt. Doch wir haben auch den Raum in einen Müllhaufen umgewandelt (bedingt), wir haben ihn auch nach Vertikalen zergliedert. Genau so, wie wir den Erdraum (durch Grenzen, Räume, Wände, Straßen usw.) aufteilen, teilen wir auch den ganzen Raum auf – bei uns gibt es einen oberen Raum, einen unteren, ein Astral-Mental. Das Bewußtsein kann damit nicht anders umgehen; es muss aufteilen, aufgliedern, Zäune bauen — den Raum in einen Satz aus Gegenständen umwandeln, wenigstens in Form von Schubladen. Hier suchen Sie bei mir dies, und in diesem Kasten jenes. Der Raum ist jedoch einheitlich. Der Raum ist nichts abgegrenztes; man kann eine Illusion des abgegrenzten Raumes schaffen, doch der Raum als solcher ist einheitlich. Es ist eben der Schlüssel zu allen Möglichkeiten, über die Sie in Büchern gelesen haben. Aber um diesen Schlüssel zu bekommen, muss man die Resonanz finden. Erstens, muss man sein und zweitens — ein Raum sein.

Der Prozess der Bildung des Ich-Raumes

Bis Sie sich selbst als einen Gegenstand betrachten, sehen Sie die Welt durch die Oberfläche von diesem Gegenstand. Sie sehen sich an, Sie nehmen sich als ein Gegenstand wahr, Sie bilden eine Folie. Als ob wir in Plastiktűten stecken und durch Zellophan auf die Welt schauen.
Der Prozess des Verpackungverlustes läuft, natürlich, evolutionsmäβig: diejenigen, die die Psychoenergetik trainiert haben, bekommen in der Hülle immer mehrere «Löcher», durch die sie sich zum Raum durchsetzen. Denn eine gut entwickelte Psychoenergetik in einer Verpackung nicht existieren kann…
Wenn wir diese Gestalt aber erweitern, dann kann man sagen, dass es Menschen gibt, die die Psychoenergetik trainieren, doch die Verpackung bleibt fest und beginnt sich aufzublasen. Die Menschen sind dann wie Luftballons. Der Mensch baumelt drin und der Luftballon wächst, bei ihm fangen Visionen an… «Ich habe Volumen gefangen!» — doch es ist der Volumen, der ihn gefangen hat.
Das ist natürlich ein Bild, aber es äußert die Hauptidee des Raumdaseins: alles ist das Ergebnis eines Druckes, alles Erscheinte, alles Geformte.
Wenn Sie versuchen die Situation und die Welt, sich selbst und alles um sich herum als ein Spiel verschiedener Drucke im Raum wahrzunehmen, so wird es Ihnen vielleicht zu erfahren gelingen, woher dieser Druck jedesmal stammt. Und wie die Form erhalten wird. Es kann sein, dass es Ihnen gelingen wird diese Formen schöpferisch zu verwenden. Dann kann solch ein Ereignis geschehen: das Bewußtsein wird nicht beanspruchen, sich die ganze Zeit mit der manischen Tätigkeit zur Konsolidierung der Macht über dem Menschen zu beschäftigen, und wird sich freuen, Formen aufgrund der Resonanz mit dem Raum schaffend.
Die menschlichen Beziehungen, sogar sehr nahe, sehen vom Gesichtspunkt des Raumes auf folgende Weise aus: zwei Gegenstände stöβen sich an einander. Doch es gibt zum Glück andere Möglichkeiten der Beziehungen. Wenn die Seele mit der Seele spricht. Und diese Möglichkeit: wenn die Seelen miteinander reden – hat für einen Menschen mit einem entwickelten Raumgefühl eine unschätzbare Bedeutung.
Womit ist der Bewußtseinraum vollgestopft? Es ist doch ein Lagerhaus. Ein Kopf voller Bücher. Was es da bloβ nicht gibt. Aber wozu? Nur einer Sache wegen — damit es gefüllt ist. Um Gott es Willen soll es dort keine Leere geben. Sie wird sofort mit dem Raum resonieren. Durchgestochen. Ein «Loch».
Wenn ich ein Raum bin und du ein Raum bist, entsteht die Resonanz, gegenseitige Durchlässigkeit. Und das alles noch in einem gröβeren Raum.
Es ist ein ganz anderes Leben. Wenn Sie zu solcher Weise zu leben hinausgeraten, werden Sie keine Bibliotheken und Nachschlagewerke mitschleppen müssen. Sie werden zu jedem Zeitaugenblick alles haben, was es für diesen Zeitaugenblick notwendig ist.
Doch wir haben uns daran gewöhnt, dass wir sofort alles haben (sogar das, was niemals benötigt wird), und jeder von uns bevorzugte lieber «trűge Lasten und stöhnt’ und schwitzte unter Lebensmüh», statt frei und leer zu werden und sich vom Leben und der Realität füllen lassen – und einander mit Augen unserer Seelen zu sehen.
Es wird sich kein Mensch ergeben, wenn er sich zuerst nicht dem Druck unterziehen wird, er wird sich sonst nicht bilden. Er muss gemacht werden, nur später kann er sich öffnen und ein Raum werden.
So wird ein Mensch gemacht. Gegenstände stöβen sich an einder. Um einen beliebigen Gegenstand zu machen, muss man mittels eines Werkzeuges auf eine Materie einwirken und ihr eine entsprechende Form geben. Um einen Menschen zu machen, muss die Gesellschaft auch auf diesen wachsenden Organismus einwirken und ihm die Form des Menschen geben.
Diese Form ist prächtig. Sie beinhaltet alles, um den Schritt zum vollen Dasein zu begehen. Und wenn man verschiedene paranoide Ideen beiseite wirft: über einen neuen Menschen, über einen vollkommenen Menschen, über einen veränderten Menschen — und sieht, «was für ein ergreifendes Erzeugnis der Mensch ist», dann offenbart sich die Größe des Menschen. Und das Leben offenbart sich. Es hört auf, ein Gegenstand zu sein, an dem man sich ständig quälen muss.
Man muss das Leben überhaupt nicht machen. Sie machend, sterben wir. Und nicht machend – leben wir. Wenn mein Meister sagte: rein — tot, schmutzig — lebendig, meinte er damit nicht, dass man sich nicht waschen soll. Wenn wir sagen: «die Vollkommenheit ist der Tod», so hat es vom Gesichtspunkt der Gegenstände aus gesehen einen Sinn, und vom Gesichtspunkt des Raumes ist der Tod die Vollkommenheit, wenn du als ein Gegenstand stirbst und als ein Raum geboren wirst. Auf der Sprache der Gegenstände ist es sehr gefährlich darüber zu sprechen. Da muss man Parabeln verfassen und Gedichte schreiben.

Der unvergleichliche und einzigartige Nasreddin lebte so. Nicht umsonst erkennen alle ernsten Esoteriker in der ganzen Welt seine geistige Heldentat als die höchste an. Höchste. Selbst wenn es solch eine reale Verkörperung nicht gegeben hat, ist die Bildung dieser Gestalt die größte Einsicht und tiefste Wahrheit.
Er war ein fröhlicher Mensch. Er spielte in dieser Welt der Gegenstände so, wie er wollte. Er war Gott, spielender Gott, lachender Gott. Er war Gott, kein Gegenstand.

Jeder von uns kann Gott werden, in jedem von uns gibt es Gott, aber man muss ihn rauslassen. Dazu muss man einfach aufhören ein Gegenstand zu sein. Es ist es sehr schwierig zu verwirklichen, weil man davor das Duell mit dem Bewußtsein gewinnen muss. Nicht das Bewußtsein zerstören, sondern sein Herr zu werden. Es hat doch einen Herrn – das sind Sie.

Herr des Bewußtseins

Können Sie sich das vorstellen – solch ein tolles Ding, wie die menschliche Form, hat keinen Herr. Wenn wir Gurdjieffs Bild benutzen: ein prächtiges Pferd, ein prächtiger Wagen, saust Gott weiss wohin und warum. Es wird sich schnell jemand finden, der es kirrt. Oder das Pferd wird entscheiden, dass es der Chef ist. Und beginnt, den Wagen irgendwohin auf die Wiesen zu schleppen, um im Gras zu spielen. Es kann ja sich nicht vom Wagen abschnallen. Fest ist alles gemacht.
Wenn das Bewußtsein sich abtrennen könnte… Es ist die fixe Idee des Bewußtseins — sich abzutrennen und selbständig zu existieren, außerhalb des Körpers und ohne jede Psychoenergetik. Sie können nachlesen, wie viele absurde, weise und kluge Bücher über diesen Traum des Bewußtseins geschrieben wurden. Wenn ihre Autoren verstehen würden, worüber sie schreiben. Über den Traum des Bewußtseins abgesondert zu existieren, weil es alles stört. Natürlich, stört es. Wenn der Teil sich als das Ganzen dünkt, dann beginnt natürlich alles Übrige zu stören. Wenn sich die Form als der Inhalt dünkt… dann wird sich der Krug aufregen, wenn in ihn etwas eingegossen wird.
In der Liebe zum Raum offenbart sich die Realität als solche. Natürlich werden Sie vom Gesichtspunkt der Gegenstandswelt aus gesehen empfindlicher und irgendwie nicht mehr so, wie Sie waren. Nicht so stark, nicht so Willenstark… Kalt ist es, und der Blutdruck spielt verrűckt, und man beginnt Sie zu duzen. Doch wenn Sie sich in Ihrem Aufenthalt festen Fuss gefasst haben, dann wird der grundlegende Moment entschieden — der Moment der Freude des Daseins. Der Freude darűber, dass ich existiere, dass ich lebendig bin, dass ich geboren wurde.
Wenn es keine solche Freude gibt, gibt es überhaupt keine Freuden. Dann gibt es nur «Überleger-ismen» anlässlich der Freude. Die Freude ist schon in jener Tatsache, dass ich lebendig bin. Wenn es keine solche Freude gibt, dann gibt es keinen Fundament für eine gesunde Psyche. Und die gibt es nicht, weil der Mensch zwischen sich und der Welt vernunftmäβige Konstruktionen aufbaut in der Hoffnung, dass sie ihm eine absolut gesicherte Zukunft gewährleisten werden.

Vor einem Mann liegt eine schöne Apfelsine. Er kann sie bewundern, richen, zerschneiden, aufessen. Eine unendliche Quelle der Freude, des ästhetischen Genusses und Genusses der Sinne. Man kann sie noch philosophisch durchdenken und so aufdecken: da haben wir eine feurige Blume oder ein Bild der Sonne. Was Sie wollen. Jeder beliebige Dichter kann daraus einen Sonettenzyklus schaffen. Und dieser Mann isst die Apfelsine und denkt: «Mein Gott, was für ein schreckliches Leben, was werde ich morgen essen?» Und doch «Ohne Sorgen, ohne Arbeit lebt das Gottes Vögelchen»…

Das Leben im Raumdasein

Außer der «Wonne», gibt es im Raumdasein alles, was es angebracht ist im Leben zu sein. Schon die Tatsache, dass es der Raum der Liebe ist, schon die Möglichkeit es zu zeugen bedeutet, dass es schön ist. Es ist die Freude am Offenbaren der Welt von neuem, die Freude ohne Folie zu sehen und zu hören, ohne Interpretationen, ohne fetten Flecken – kräftig und klar.
Intime Beziehungen zwischen verschiedenen Teilen eines verwirklichten Menschen, zwischen seinem Fleisch und der Seele, zwischen der Seele und dem Geist, zwischen den Gedanken und den Emotionen entstehen dann, wenn diese Instrumente mit dem Raum, der Musik des Raumes erfűllt sind. Dann entsteht darin eine andere Empfindung des Daseins. Eine andere Empfindung des Körpers, eine andere Empfindung der Psychoenergetik, des Bewußtseins – ein anderes System der Beziehungen. Das alles hat dann was allgemeines — das Leben im Raum.

Ich werde Sie an die berühmte Parabel űber die Meisterschaft ohne Meisterschaft erinnern. Ein Meister im Bogenschießen schießt in die tönernen Töpfe und spaltet sie genau in zwei Hälften. Ein Zen-Mönch geht vorbei. Der Meister im Bogenschießen macht sich über ihn lustig: du bist ja ein Müßiggänger, Nichtstuer, Bettler, kannst gar nichts. «Schau doch, wie schön das ist». Und es ist wirklich schön anzusehen, wie der Meister mit dem Pfeil den Topf spaltet. «Wenigstens das hättest du lernen können».
Der Mönch antwortet: «Verzeih mir, ich habe es niemals versucht, es ist für mich sehr schwierig, deshalb werde ich mich auf den Rand dieses Abgrundes stellen, — und stellt sich so hin, dass seine Fersen über dem Abgrund hängen. — Verzeih mir, ich habe noch nie geschossen, es ist für mich sehr schwierig, deshalb mache ich die Augen zu».
Und spaltet den Topf genau in zwei Hälften..

Es ist eine Parabel, aber auch in der Realität eröffnen sich dem Menschen solche echten lebenswichtigen Möglichkeiten, wenn er sich im Raum aufhält! Was fűr einen neuen sich selbst und was fűr tolle Möglichkeiten er dann entdeckt!

Was soll man mit der Realität machen?

Die Manipulation mit der Realität ist etwas kompliziertes. Und die Interpretation der Realität… Viele Bücher wurden darüber geschrieben, und viele werden noch geschrieben — auch eine gute Beschäftigung.
Derjenige, der an die Realität gelangen will, braucht dazu eine Kombination des rationalen, logischen und künstlerischen Wissens.
Man muss die Kunst kennen. Es ist notwendig, wenn Sie den geistigen Weg gehen wollen. Nur die Kunst kennend, das heißt wenn Sie im Kopf die Kombination der esoterischen Psychologie und Philosophie mit dem Wissen und dem Fühlen der Kunst haben, können Sie mehr oder weniger adäquat jene Texte lesen, die Sie die esoterischen und geistigen nennen. Sie sind so gemacht.

Ich habe gelesen, dass man mit dem Computer herausgestellt hat, dass ein tibetischer Text so gemacht ist, dass es möglich ist, ihn jedes zweite Wort auslassend zu lesen – er bleibt sinnvoll, jedes dritte Wort — er bleibt sinnvoll, von rechts nach links — er bleibt sinnvoll. Derjenige, der ihn schrieb, hatte keinen Computer. Aber er hat es verwirklicht. Er zerriss nicht den Gedanken und das Bild, den Begriff und die Emotion.

Das ist eben die Totalität. Die Totalität ist nichts schreckliches. Was erschreckt man Sie damit die ganze Zeit?

Ich bin ein Raum, er — ein Gegenstand…

Worin ist noch die Sache? Wenn alle Menschen so wären. Und wenn du eigentlich ein Raum bist, und um dich herum – nur Gegenstände, und du weißt, dass sie keine Gegenstände sind — nicht nur weißt, sondern siehst… Wie jedes normale liebende Wesen (jedes beliebige Wesen ist ein liebendes Wesen), möchtest du helfen, ihnen das mitteilen. Und sie reagieren darauf: was mischst du dich in mein Privatleben ein? Wecke mich nicht!
Und Nasreddin Hoca hat es gekonnt. Auf welche Weise?

Wenn sich Sie an sein Leben erinnern, vielleicht in der Beschreibung von Solowjew, so sind es unendliche Wanderungen, unendliches Erfüllen von Aufgaben. Aber ist es so schön, so lustig geschrieben, dass die meisten dieses Buch mit Vergnügen lesen. Wobei die Menschen, die esoterisch fortgeschritten sind, stets versäumen, dass er eigentlich das ganze Leben Aufgaben erfüllte. Mal bittet ihn ein wandernder Derwisch, weil er schon ganz körperlos ist, mal noch jemand. Mal hat ihn der Padischah gebeten nach Indien zu fahren. Er ist ja die ganze Zeit im Dienst…
Und seine Frau ist immer mit dem Haufen Kinder allein. Sie zieht sie auf und zieht sie auf. Und die Leute fragen sich: «Warum hat er so eine zänkische Frau?» Warum hatte Sokrates so eine zänkische Frau? Natürlich, wirst du zänkisch — der Mann ist ja nie zu Hause.

Wenn Sie solche Bücher lesen, muss man sehr aufmerksam sein. Ein auffallendes Beispiel ist «Tais aus Athen» von Jefremow, das unaufmerksame Menschen für eine unterhaltende Lektüre halten, obwohl es eine einzigartige Information über weibliche esoterische Lehren enthält. Es gibt eine Menge schönes Wissen, das durch amüsante Texte maskiert ist. Aber die Menschen sind sehr unaufmerksam.
Und warum? Weil sie es nicht sehen möchten. Man möchte ja was leichtes und schönes haben. Doch wie K.S. Stanislawski sagte: «Um in etwas wenigstens eine relative Vollkommenheit zu erreichen, muss man das Schwierige gewohnheitsmäßig machen, das Gewohnheitsmäßige — leicht, das Leichte — schön».
Statt dem, zu sich die Liebe des Raumes heranzuziehen, kämpfen wir die ganze Zeit damit, weil er groß ist und wir klein sind. Das stimmt nicht, Sie hätten nicht mal träumen können, wie groß wir sind. Jeder von uns ist ein Ereignis. Und überhaupt, was gibt es reales in der Realität? Den Raum, das Ereignis, die Zeit. Und jeder Mensch ist ein Ereignis, wenn er existiert. Und wenn es ihn nicht gibt, so ist es eine andere Geschichte. Das, was «nicht abgerufen» benannt wird. Wir haben es bekommen, doch der Eigentűmer hat es nicht abgerufen.

Raum, Wissen, Tod

Shakespeare hat durch seinen Helden gesagt: «Die Ganze Welt ist ein Theater…» Vom Gesichtspunkt der Welt der Gegenstände aus gesehen sind es schreckliche Worte. Ich sagte schon, dass das Leben kein Theater ist. Und wenn man aus dem Leben ein Theater macht, so fűhrt es zur Gewalt über den Menschen. Doch wenn wir es vom Gesichtspunkt des Raumdaseins betrachten, dann ist die ganze Welt der Gegenstände ein Theater.
Das Wissen ist der Tod. Es gibt Menschen des Todes und es gibt Menschen des Lebens.
Die Menschen des Todes vergöttern das Wissen (dass, was wir uns gewöhnt haben, Wissen zu nennen), weil da alles eingepackt ist. Es ist schon nicht mal das Wissen, sondern ein Gegenstand unter dem Namen «Wissen». Sammeln Sie alle Bibliotheken der Welt auf… Es sind nur Gegenstände und man muss sie zu benutzen verstehen und nicht vergöttern. Es ist nur eine Andeutung auf das Wissen. Es ist eine Erinnerung an das Wissen und nicht das Wissen selbst im wahrhaften Sinne dieses Wortes: das Wissen sind Menschen.
Der Mensch des Lebens strebt immer so oder so nach einem Raum. Er sorgt sich um den Raum. Er ist ein Mensch der Liebe, weil sich die Liebe der Umwandlung in ein Gegenstand nicht bedürft. So ist also das Wissen (das, was die Menschen sich angewöhnt haben, Wissen zu nennen) solche Gegenstände, die an die Liebe zwischen dem Menschen und der Realität erinnern.

Einst sagte mir mein Lehrer: «Ein Buch ist keine Anleitung, ein Buch ist ein Anlass zum Überlegen. Ein Buch ist ein Vorsagen, eine Tür, die man öffnen kann und sich zu Hause finden».

Was ist der prinzipielle Unterschied zwischen der Beziehung zur Resonanz in der Welt der Gegenstände und im Raum?
In Wirklichkeit gibt es zwischen mir und dem Raum keinen Unterschied. Der Bestimmung nach. Wenn ich ein Raum im Raum bin, was gibt es fűr einen Unterschied zwischen uns? Der Raum ist einfach ein Raum. Wo ist der Punkt, wo ist die Unendlichkeit? Die Gestaltung ist etwas, was mich als ein Gegenstand hervorhebt. Aber diese Gestaltung ist durchaus nicht so stark, wie es uns scheint.

Es gibt einen georgischen Schauspieler, ich sah mehrmals, wie er ««arbeitet». Er hat so eine Unterhaltung: er sitzt, und bei ihm verändert sich die Form der Nase, der Augen, des Halses. Worin steckt das Geheimnis? Darin, dass er eine Weise der Raumbeziehung zu sich als einer Form gefunden hat. Er kann sich sogar auf der körperlichen Ebene verändern.

Ein Gelehrter wűrde fragen: «Verändert er sich in Wirklichkeit oder nicht?» Aber alle sehen doch, wie er sich verändert. Man kann es auf beliebige Weise erklären, man kann sagen, dass es Gesichter anderer Verkörperungen sind. Es ist so als auch anders möglich. Verschiedene Erklärungen sind nur ein Spiel mit verschiedenen Erklärungen. Das ist eine lustige und verantwortungslose Sache, weil es eine Interpretation der Realität, aber keine Realität selbst ist.

ÜBER DIE TENDENZEN DER AUS-VERKÖRPERUNG UND DER VERKÖRPERUNG IN DER GEISTIGEN ENTWICKLUNG

Man kann sich wagen zu versuchen, sich alle geistigen Ideen, Traditionen und Lehren in Form von zwei Tendenzen vorzustellen.
Die erste ist die Tendenz der Aus-Verkörperung. Sie ist am meisten verbreitet und in der Geschichte der Menschheit am meisten populär. Was wird damit gemeint? Dass die geistige Aufgabe des inneren Lebens eines Menschen die Aus-Verkörperung ist. Im Idealfall bis zur vollen Aus-Verkörperung, das heißt bis zur Befreiung nicht nur vom physischen Körper, sondern auch von allen übrigen Körpern, bis zur Verschmelzung mit dem Absolute.
Ich werde jetzt ziemlich diskutabele Sachen schreiben, aber ich spreche immer von der ersten Person, und rede darüber, worin ich persönlich überzeugt bin, wozu ich selbst durch mein Leben und Überlegungen gekommen bin.
Mir scheint es, dass das Dominieren der geistigen Idee der Aus-Verkörperung mit der Angst des Todes, dessen Unvermeidlichkeit verbunden ist. Und mit der Einwirkung der Mechanismen des psychologischen Schutzes, um die Spannung der Erwartung des unvermeidlichen Endes zu verringern, entsteht die Idee von vornherein zu sterben, nach eigener, so zu sagen, Initiative. In dem Sinne sterben, der die Selbsteinschätzung äusserst erhöht – aus-verkörpert sterben.
Ich bin kein Anhänger dieser Idee. Ich miβbillige sie nicht, ich sage nicht, dass sie schlecht oder gut ist… Mir scheint es, dass ich ihren inneren Grund verstehe.

Ich beobachtete öfters Menschen, die mittels der Meditation, oder Gebete, oder irgendwelcher psychotechnischer Praxis bei sich das Niveau der Sensibilität ausarbeiteten, das aber in der Regel ständig nicht eingesetzt wurde. Auf (bedingt gesagt) feine Erscheinungsformen der Realität gestoßen, fanden sie dort einen breiteren Raum zur Selbstrealisierung, zur Erhöhung der Selbsteinschätzung.
Sie traten mit verschiedenen Wesen in Kontakt, die sie natürlich höher schätzten als ihr eigenes Wesen. Und schlossen sich damit der allgemeinen großen globalen Tendenz der Aus-Verkörperung an. Und verkörperten sich aus. Zu erst zerstörten sie sich als Persönlichkeit, als eine bedingt gesagt vollwertige Persönlichkeit, später verlieβen sie auf verschiedene Weise die Menschenwelt…

Und es gibt eine entgegengesetzte Tendenz, die viel weniger populär und viel schwieriger zu erleben ist – die Idee der geistigen Entwicklung als einer Verkörperung des Geistes.
Da entsteht folgende Kollision: um die Idee der Verkörperung des Geistes als eine Idee der geistigen Entwicklung und der geistigen Perspektive anzunehmen, muss man vor allem die ursprüngliche These ändern — dass der Geist sich verwirklicht, damit so etwas wie sein Untergang begonnen habe. Man muss die Idee darüber ändern, dass der Welt ein Punkt, etwas Eine zugrunde liegen solle, und dass die Differenzierung, das Zerspalten, die Aufteilung von diesem Einem der Untergang des Absolute, dessen Zersplitterung, eine Profanation, sprich das Verrohen sei.
Wollen wir uns an die ursprűnglichen weltweiten Texte erinnern. «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort».
In Wirklichkeit erschien zuerst der Wunsch, der später sich im Wort herausbildete. Was für ein Wort war es? Das Wort war «ich will». Ich will verwirklichen. Von dieser Position aus ist die Wahrnehmung des Absolute als etwas in allen Sinnen unendlichem möglich: der unendlichen Vielfältigkeit, der Unendlichkeit der Raumschichten, der Unendlichkeit der Erscheinungsformen, der Unendlichkeit der mit geistigem Inhalt ausgefüllten Formen.
Wenn wir auf der Position stehen, dass die Verkörperung ein Fortschritt des Geistes sei, — bedingt gesagt, dass es etwas positives ist – dann wird sich die Mannigfaltigkeit der Verkörperungsformen als das Offenbaren des Reichtumes des Geistes erweisen. Denn dadurch behauptet der Geist, dass es keine solche Form gibt und dass es keine solche Form geben kann, die er nicht imstande ist auszufüllen und zu verwirklichen.
Bei so einem Herangehen ist es unmöglich eine Bahn aufzubauen, die mit etwas endet. Die Wirklichkeit kann nicht enden, weil die Verkörperung sich unendlich in der Zeit, im Raum und im Wissen entfaltet. Die Realität ist wirklich potentiell unendlich. Die Angst vor dem Unendlichen, wie die psychologische Praxis zeigt, ist bei den meisten viel stärker, als die Angst des Endlichen. Nicht umsonst existiert die Legende über den Fluch unsterblich zu bleiben.
Aber es gibt eine Möglichkeit, die Unendlichkeit als ein Prozess zu sehen, dann ist es möglich, das «schreckliche» Erleben der Unendlichkeit durch ein frohes Erleben einer ständigen Verkörperungsdynamik zu ersetzen.
Heute empfinde ich es so, dass der inneren, subjektiven Realität des Menschen ein Prozess zugrunde liegt. Meine Empfindung, dass die Selbstübereinstimmung, die zu einem Punkt «Ich als Ich» zurückgeführt ist, nur ein Zeichen in diesem Strom ist. Es fließt ein Fluss, und, wenn man ein Brettchen darein wirft, so wird dieses Brettchen, das im Fluss schwimmt, eine Gestalt unseres Zeichens der Wahrnehmung der Selbstübereinstimmung. So kann man sich selbst beobachten, doch wir als ein Ich, unser Ich als solches ist ein Fluss, ein Prozess der Verkörperung.
Natürlich ist es für die verbal-logische Form des Begreifens fast unmerklich. Infolge dessen, dass bis du eine Beschreibung schaffst, schon einige Zeit vergeht. Es existiert jedoch solch eine Form des Erkenntnisprozesses wie das Erlebnis.
In sich die Selbstwahrnehmung durch das Erlebnis entwickelnd, bekommen wir die potentielle Möglichkeit, uns prozessual wahrzunehmen. Das heißt wir können uns nicht als ein Zeichen unter dem Namen Ich, sondern als ein Strom im Strom der Realität wahrnehmen. Und somit den inneren, subjektiven Grund zur Wahrnehmung der geistigen Entwicklung als einer Verkörperung, und nicht einer Aus-Verkörperung bekommen.

Schwierigkeit der Verkörperung

In welchem Sinne ist es viel schwieriger zu verkörpern, als aus-zu-verkörpern? Erstens, in dem Aspekt, dass wir darüber wenig Information haben, es gibt sehr wenige Texte, sehr wenige lebendige Träger von solchem Herangehen. Zweitens, sind bei solch einem Herangehen die sogenannten «groben» Realitätsebenen für das Begreifen und die Verwandlung am schwierigsten.
Um die sogenannten «physischen» Realitätsebenen zu begreifen, muss man die Fatalität der Beziehung zur Wirklichkeit, zur «dichten» Wirklichkeit überwinden.
Die Fatalität der Beziehung prägt sich darin aus, dass die «dichte» Realität verdammt ist, dass sie ein vorübergehender Behälter ist. Diese Fatalität existiert, nur weil wir den Tod sehen. Wir sehen, wie die Pflanzen, Tiere und Menschen umkommen, wir sehen, wie die Städte zu Staub zerfallen, wie Kulturen verschwinden. Gerade diese Tatsache, durch das Prisma der Angst vor dem Endlichen wahrgenommen, macht uns innerlich negativ in Bezug auf die sogenannte «dichte» Realität gestimmt.
Uns kommt es meistens gar nicht in den Kopf nachzudenken: kann man es denn anders betrachten? Alles ist doch klar. Obwohl Sie sich daran erinnern können, dass «wie oben, so auch unten, wie unten, so auch oben», «Samsara ist dasselbe, wie Nirwana, und Nirwana dasselbe, wie Samsara».
In allen ernsten Quellen begegnen wir dieser Idee einer anderen Wahrnehmung des Einheitlichen und einer anderen Wahrnehmung der Idee der Bewegung, der Bewegung als einer Verkörperung, als einer Steigerung der Verkörperungsleistung. Doch diese Idee schlüpft meistens an uns vorbei, weil sie uns nicht ermöglicht, der Problematik der Persönlichkeit zu entgehen, das heißt der sozialen Problematik, weil wir aus Menschen gemacht sind…
Wir sind schicksalhafter Weise aus Menschen gemacht, die wir nicht auswählten, wir wurden schicksalhafter Weise zu dieser Zeit an dieser Stelle in dieser sozial-psychologischen Welt geboren. Schicksal, Schicksal, Schicksal. Es ist die ursprüngliche Abwesenheit unserer Subjektivität.

Was kann ich damit machen? Wenn ich Anfang Februar geboren bin, bedeutet es, dass ich nach dem Horoskop ein Wassermann bin. Wenn ich ein Wassermann bin, dann… Was kann ich tun, wenn ich in so einer sozial-psychologischen Welt geboren wurde und deshalb so, so und so ein innerliches Wertsystem habe? Was kann ich tun, ich bin aus diesen Menschen gemacht, deshalb habe ich den Ödipuskomplex oder den Elektrakomplex, deshalb projiziere ich auf alle Frauen die Problematik meiner Beziehungen mit der Mutter, und auf alle Männer die Problematik der Beziehungen mit dem Vater. Das bedeutet völlige Vorbestimmtheit.
Und auf der Individualitätsebene, eigener körperlichen Einmaligkeit passiert dasselbe: ich habe solch eine Reaktionsgeschwindigkeit, solch ein Aufmerksamkeitsvermögen, solch einen Körperbau, solch eine Augenform. Schon wieder Fatalität, schon wieder Schicksal, schon wieder bin ich hier als Subjekt nicht anwesend.
Ich habe infolge der sogenannten objektiven Umstände gerade solche Ausbildung bekommen und so eine nicht bekommen, solche Bücher gelesen und solche nicht…

Deshalb kaum auf die Idee der Aus-Verkörperung gestoβen, fühlen wir uns so sehr erleichtert. Diese ganze Fatalität hört auf irgendeinen Sinn zu haben, und so wird die Spannung aufgehoben. Das alles zeigt sich eigentlich als unwichtig. Es hat keine Bedeutung – es wird zu Staub, das ist alles.
Wie ist es dann mit der Behauptung, dass der größte Erfolg sei im menschlichen Körper geboren zu werden?…
Wie ist es dann überhaupt mit dem Sinn der Existenz des Menschen, nicht nur in Form von menschlichem Geschlecht, sondern auch in Form von individuellem, persönlichem, einzigartigem?
Wie ist es dann mit dieser Unmenge der Geistigkeit in Form von verwirklichter Welt? Wir sind so wunderbar veranstaltet, dass wir diesen Abgrund ignorierend, uns Illusionen von irgendeiner Geistigkeit dort, außerhalb dieser Welt machen… Und was bedeutet das, außerhalb dieser Welt? Das zehnte, zwölfte, sechszehnte Niveau? Selbst wenn es davon Eine Million gibt, ist es dennoch etwas Einheitliches. Denn wenn es nicht einheitlich ist, dann sind alle geistigen Ideen einfach nichts wert. Sie alle sind auf diesem Fundament aufgebaut — darauf, dass es das Einheitliche gibt. Nicht das Eine, sondern das Einheitliche.
Ich teile Ihnen diese Überlegungen mit nicht um die Idee der Aus-Verkörperung aufzuheben, weil man kaum die Verkörperung und Verwandlung ohne dem Bekanntmachen mit dieser ganzen Geschichte in der Rückvariante verwirklichen kann. Ich möchte nicht einseitig verstanden werden.
Eine andere Frage ist, dass für mich heute in meiner inneren Praxis, in meinen Versuchen etwas sich bewußt zu machen, zu verstehen, und in meiner Kommunikation mit den Menschen «die Verkörperung» — ein viel mehr aktuelles Problem ist. Es ist damit verbunden, dass dieses Problem im Begreifen, als auch in der praktischen Realisierung weniger ausgearbeitet wurde. Mich beunruhigt, dass das alles jetzt nur in Texten als Propaganda, als erste Angaben davon existiert. Aller ist sehr zugänglich geworden, und die Idee der Aus-Verköperung reißt die Menschen bis zu solcher Stufe hin, dass sie über die Existenz noch einer zweiten Tendenz des weltweiten Prozesses gar nicht nachdenken.

Der Mensch, der den Geist verkörpert

Ist es für den Menschen mit allen seinen Problemen und Mängeln möglich den Geist zu verkörpern? – das ist die Frage. Wollen wir zu solch einer traditionellen Formulierung darüber, was der Mensch sei, wenden. «Der Mensch ist nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes geschaffen». Solch eine berühmte Formulierung. Was bedeutet «nach dem Bild und der Ähnlichkeit»? Für mich bedeutet es dem inneren Sinne nach, dass der Mensch, genauso wie die Welt, ein verwirklichter Geist ist.
Und jenes Ich in uns, das ich das prozessuale genannt habe, ist eben der Geist, der sich verwirklicht. Wenn der Mensch solche innere Strebung hat, solch eine Begier, solch ein «ich will», kann er in sich selbst den Ausgangsmoment — den Moment des reinen Geistes und den Moment der Verkörperung von diesem Geist in dessen prozessualer Einheit — wiedervereinigen. Er kann sich selbst als diesen Prozess der Verkörperung erleben.
Noch eine Frage: «Auf der Unterbewußtseinsebene verwalten den Menschen die Naturgesetze; wie kann er, im Körper bleibend, den Geist verwirklichen, das heißt diesen der Macht des Geistes unterwerfen?»
Einerseits existieren Naturgesetze, und der Mensch als ein natürlicher Körper unterwirft sich diesen Gesetzen. Andererseits gehört der Mensch auch zur sozialen Natur, die sich eigentlich nicht ganz damit übereinstimmt, was wir uns gewöhnt haben Natur zu nennen. Und drittens gehört der Mensch noch zur intellektuellen Natur (der mentale Raum des Menschen). So oder so gehört er zu diesen Aspekten der menschlichen Natur und ist ihnen angeschloβen.
Wenn man ganz einfach diese Frage beantwortet, so gibt es die wunderbare Formel von Pawel Vasiljevitsch Simonov. Sie lautet so: «Die höhere Nerventätigkeit ist wirklich die höchste». Wirklich. Und das bedeutet, dass sie strukturell dazu vorbestimmt ist, die Möglichkeit der Verwaltung oder wenigstens der Koordination aller anderen Formen zu haben, die strukturell niedriger seien sollen. Das ist das Erste.
Zweitens. Die uns umgebende Welt, die wir uns gewöhnt haben Umgebung zu nennen, verändert sich. Und verändert sich nicht nur nach biologischen und bedingt gesagt, natürlichen Gründen, sondern auch wegen dem, dass der Mensch sich mit seiner Tätigkeit darin einmischt. Die Welt wird in einigen Orten sehr aggressiv…
Und wenn wir unsere Möglichkeiten, die uns der Bestimmung nach gegeben sind, nicht verwenden, da wir Homo Sapiens sind, und die Wechselbeziehung mit unserem Körper laut den vor sich gestellten entsprechenden Aufgaben nicht verändern, die wir mit eigenem Aufenthalt in dieser Welt realisieren wollen, dann… Dann bleibt uns nur die Aus-Verkörperung űbrig, sprich der Tod.
In der optimalen Variante bedeutet es, dass auf dem Weg der Verkörperung auch eine Veränderung des biologischen Körpers möglich ist. Ich sage nicht, dass es mir gelungen ist. Aber je länger ich über die Probleme der Verkörperung überlege, desto grösser wachst die Überzeugung darűber. Ich sage mehr: innerlich, subjektiv bin ich darin überzeugt, dass dieser Weg vom Gesichtspunkt der Wechselbeziehungen zwischen dem Subjekt und der Welt aus gesehen perspektiver sei.

Eigene «ich will» verwirklichend

Aus irgendeinem Grunde wurde uns eingeflösst, dass wenn ich eigene «ich will» realisiere, werden sie unvermeidlich mit dem «ich will» anderer Menschen zusammenstoßen und ich werde in die Zone einer ununterbrochenen Konfrontation geraten. Was natürlich niemand von uns will. Dabei wird eine einfache Tatsache außer Sicht gelassen: nicht unsere «ich will» treten in Konflikt mit anderen «ich will», sondern, dass die Realisierungsart des «ich will» stürmisch, gut, getadelt, unterstützt sein kann. In der dieser Kultur ist es so, in jener Kultur — anders… Aber die Weise ist eine Frage von «wie?», und nicht die Frage der Aufhebung meines «ich will».
Vom Gesichtspunkt dessen, was in der Psychologie heute bekannt ist, aus gesehen kann der Mensch nicht aus dem «ich will nicht» handeln. Es ist Unsinn, weil vom Gesichtspunkt der, möchte ich betonen, modernen Psychologie ist die Triebkraft das Bedürfnis. Das Bedürfnis als Bedürfnis macht sich der Mensch selten bewußt, besonders wenn er darüber nicht weiß. Er ist sich selbst als ein Satz von «ich will» bewußt, sprich der Motive. Es geschieht ein Konkurrenzkampf der Motive je nach der Stufe des Unbefriedigtseins der Bedürfnisse, je nach der wertmäßigen Struktur, der Persönlichkeitsanlagen, der sozialen Beschränkungen, Tabus… Die Ganze Dynamik der Psyche wird aus diesem «ich will» herausgeführt. Sie können sagen, dass es das Strafrecht gibt. Aber wenn der Mensch — nehmen wir so einen Grenzfall – etwas stehlen will, das heißt das Gesetz zu verletzen, selbst wenn er zu sich selbst sagt: «Ich will es tun», bedeutet das noch nicht, dass dies sein wahrhaftes «ich will» sei. Denn wir wissen, dass das System des psychologischen Schutzes existiert. Es ist darauf aufgebaut, dass ein und derselbe Wert zur Befriedigung verschiedener Bedürfnisse dienen kann. Diese Tatsache verwendend, bildet die Psyche des Menschen sogenannte Schutzmotive, in denen das «ich will», das die Gestalt von sich selbst verletzt, in annehmbare Formen umgeformt wird.
Und jetzt lassen wir zu, dass er die Möglichkeit hat, sich mit eigenem Ausgangs-«ich will» vertraut zu machen. Und Sie sind imstande, ihm eine bestimmte Zahl der Realisierungsarten von diesem «ich will» anbieten. Natürlich, wird er die am wenigsten strafbare Weise auswählen. Deshalb hat es Sinn, die Informationen über die Erfahrungen der Menschen in der Realisierung ihrer «ich will» anzusammeln. Ohne solch einer Information ist die Auswahl der Realisierungart Ihres «ich will» sehr beschränkt, und wenn die von Ihnen gewählte Weise an ein Verbot stößt, können Sie es als die Einschätzung von Ihrem «ich will» bewerten, obwohl es in Wirklichkeit ein Verbot auf diese seine Realisierungart ist. Das Wissen über die Vielfältigkeit der möglichen Realisierungarten von einem und demselben «ich will» kann letztendlich zum Begreifen fűhren, dass einfach keine verbotenen — im absoluten Sinne des Wortes «Verbot» — «ich will» entstehen…
Es wird öfters gesagt: «Der Mensch hat tiefe innerliche «ich will», über die er selbst gar nicht ahnt, wie kann man sie nachweisen?» Man muss aber ja nichts nachweisen. Wie viel du nicht nachweist, gibt es sie dennoch oder gibt es nicht. Dann könnte man einfach das Befridiegen der Bedűrfnisse von diesem konkreten Menschen in die Hand nehmen und mit Zuckerbrot und Peitsche manipulierend, zu bilden beginnen… Doch was ist daran schön? Wie die Praxis jeder despotischen Versuche das zu machen zeigt, von den altertümlichen Zeiten und bis heute, ergibt sich daraus nichts.

Es gibt Menschen, die man im Hypnosezustand bis zu sogenanntem Somnambulismuszustand bringen kann. Man stellt eine Nachbildung eines Menschen, gibt ein Messer in die Hand (in diesem Zustand) und sagt: «Das ist der Feind, er muss getötet werden», — und er stößt das Messer hinein. Man stellt einen Menschen, gibt ihm ein Pappmesser in die Hand und sagt: «Das ist der Feind, er muss getötet werden» — er stößt hinein, aber schon nicht so richtig. Man stellt einen Menschen, gibt ihm ein echtes Messer — und die Testperson erfüllt nicht den Befehl, bei ihr fängt ein hysterischer Anfall an. Wer mit der Hypnose gut bekannt ist, der weiß, dass hier ein Tiefkonflikt beginnt.
Doch einige erfüllen es. Und sogar weise Militärfachleute können nicht mit hundertprozentiger Genauigkeit von vornherein voraussagen, wer es erfüllen wird und wer nicht.

Im Menschen gibt es solche tief-innerlichen Dinge, die sogar auf solchem Niveau keinen Manipulationen nachgeben.
Diese Tatsache freut mich einfach sehr. Sie hat mich seinerzeit in meinen Strebungen, Auftritten, Erzählungen und Texten begeistert.
Die Existenz solchen Problems zeigt, dass unsere Angst vor der Manipulation und jegliche unendlichen Aufrufe, Bildung jeglicher Gesetzbücher in der Regel sich nicht verlohnen, außer der Manipulation der öffentlichen Meinung oder der Meinung einer bestimmten Gruppe.
Sogar auf einem stark formalisierten Niveau existiert etwas außerhalb der oberflächlichen sozialen Dynamik. Deshalb ist der vor kurzem vorüberrennende Boom ringsumher der neurolinguistischer Programmierung im allgemeinen irgendwie erloschen, oder schon erlöscht, oder wird in allernächsten Zeit erlöschen, weil diese Idee des Programmierung, die Computeridee dennoch wieder unvermeidlich auf das Prozessuale des Menschen als eines Subjektes und somit auf die Unvorhersehbarkeit stößt.
Und die Vorbestimmtheit bedeutet für mich subjektiv und objektiv nicht das, was als allgemeingültig gilt. Wenn ich wirklich ein Subjekt bin, dann hängt die ganze Objektivität der Welt in solcher Stufe von mir ab, wie auch ich von ihr abhänge. Wenn ich wirklich in solcher Weise ein Subjekt bin, wie ich es verstehe, dann bin ich in die Wirklichkeit eingeschloβen. Das bedeutet, dass meine Entnahme aus dieser Wirklichkeit sie verändert und meine Anwesenheit darin sie auch verändert.
Es gibt natürlich eine Vorbestimmtheit. Vorbestimmtheit… Worin besteht sie? Sie besteht darin, dass von der sozialen Seite ständig dasjenige plus-bekräftigt wird, was in uns vom Mechanismus, von der Konvention, von der Voraussagbarkeit arbeitet. Die Vorbestimmtheit nűtzt der sozialen Struktur, weil je mehr unser Verhalten vorhersehbar ist, desto besser funktioniert die ganze Struktur der sozialen Beziehungen. Deshalb wird die Idee der Vorbestimmtheit die ganze Zeit verstärkt.
Natürlich, gibt es eine Vorbestimmtheit. Nicht ich habe ja ausgewählt — wenn wir irgendwelche ganz mystische Gänge zur Seite schieben, — in welcher Familie geboren zu werden, zu welcher Zeit, mit welchem Körper, sogar mit welchem Geschlecht… Aber diese Vorbestimmtheit ist instrumental — ich habe nichts, man hat mir eine Axt gegeben. Es ist zum Beispiel das einzige Instrument. Da bin ich, da ist die Natur und da — die Axt. Ich kann sie für meine Aufgaben vervollkommnen, und ich kann rumgehen und jammern: was kann ich denn interessantes mit der Axt machen? Manche haben, wie wir wissen, mit der Äxte hölzerne Spitzen geschnitzt, sich rasiert usw. Sie haben damit gearbeitet, sie nahmen es nicht als eine Realität wahr, sondern als eine Beschränkung in der Auswahl der Verkörperungsmittel.

Die geistigen Wege und die Mannigfaltigkeit der Realität

Ich lasse fast alle Herangehen an die Geistigkeit, die kanonischen einschließend, als einige Beschreibungsversuche der Mannigfaltigkeit der Realität zu, mit der der Mensch in eine Wechselwirkung treten kann. Ich verneine alles, weil mir jene Beschreibungen bequemer sind, die ich innerhalb meiner Tradition gebrauche.
Natürlich habe ich einfach als Fachmann, als Fachmann in gewisser Weise in diesem Gebiet, eine eigene subjektive Meinung. Mir scheint es, dass einige Beschreibungen mehr zu falschen Interpretationen anregen, andere sind korrekter, und einige sind durch die Kombination der Praxis mit dem Versuch der inneren Problematik zu entgehen bewirkt; einige sind überhaupt konstruiert…
Jede Beschreibung entspricht zu irgendetwas, aber sogar alle zusammen erschöpfen sie diese Realität nicht. Deshalb gebrauche ich jene Sprache, jenes Beschreibungssystem, das ich gut kenne und das ich in meiner persönlichen Praxis geprüft habe. Sie gehört jener Tradition, deren Erzeugnis ich bin. Ich mag meine Tradition. Ich mag sie sehr.
Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass, wie mein Lehrer sagte, ein Buch keine Anleitung ist, und schon gar nicht keine Anleitung darüber, wie man geistig wird. Jedes, sogar das bemerkenswerteste Buch ist ein Anlass zur Überlegung. Diese Bücher enthalten nur eins: meinen absolut ehrlichen und aufrichtigen Versuch das mitzuteilen, was ich auf der Wörterebene mitteilen kann. Mehr enthalten sie nichts. «So sagte Igor Nikolajewitsch Kalinauskas…» Und was weiter? Viele haben vieles gesagt. Wenn in Ihnen sich etwas erwidert, wenn etwas irgendwie eine Resonanz gefunden hat, so ist es schon Ihr Problem, und nicht meins. Das einzige, worin ich überzeugt bin: da gibt es nichts, was eine Waffe werden kann. Es ist das professionelle Prinzip.
Geist und Subjekt

Der Ich-Geist ist ein Fluss, und ich als Subjekt mit der mir gegebenen Reflexion bin — «ich bin» — ein Zeichen im Strom. Mehr kann ich nichts darüber sagen.
Nehmen Sie das Subjekt als ein Zeichen wahr?
Kein Subjekt, sondern die Wahrnehmung des Subjektes seiner selbst.
Es gibt zwei Ansichten: laut der einen, hat der Mensch in jedem Augenblick des Lebens alles, was er zur Entwicklung braucht, und man muss nur aufmerksam hinschauen und daraus eine Lehre ziehen. Die andere Ansicht ist, bedingt gesagt, die Ansicht von Műnchhausen, aus Sacharows Film: um etwas zu finden, muss man eine Heldentat begehen.
Potentiell, auf der Ebene der subjektiven Erlebnisse enthält jeder Augenblick des Lebens wirklich genügend Energie zur Verkörperung. Aktuell geschieht es nicht aus jenem einfachen Grund, dass den sozialen Druck empfindend, lehnt der Mensch die biologischen Wechselbeziehungen mit dem Leben und der Realität, die Resonanzwechselbeziehungen mit der Welt ab, und geht in die konventionelle Welt der Gesellschaft über. Nicht vollständig — vollständig wird er, selbst wenn er will, nie übergehen, — in gewissem Grade.
Erstens. Die verwaltenden Einwirkungen der Gesellschaft sind auf die Abnahme einer möglichst gröβeren Zahl der Spannungen gerichtet, die mit der Möglichkeit des Entstehens von Zweifeln in Bezug auf das von der Gesellschaft gegebenem Lebensmodell verbunden sind. Das heißt die Gesellschaft muss solch eine Wahrnehmung des sozial gegebenem Lebensmodell schaffen, die dem Menschen eine maximale Überzeugung in der Abwesenheit einer Auswahl gewährleisten wird. «Alles ist bestens in dieser besten aus allen möglichen Welten».
Zweitens. Um die Mittel mit dieser ganzen Wirtschaft zu arbeiten bekommen, muss man eine Ausbildung bei jenen Menschen bekommen, die diese Mittel besitzen und den Wunsch und die Möglichkeit haben die Ihnen zu übergeben. Einen groβen Dank unseren Lehrern dafür, das sie uns das gegeben haben, was wir nehmen konnten. Es ist meine Einstellung.
Es ist möglich, dass die Attraktivität der Traditionen der Aus-Verkörperung gerade darin besteht, dass je nach dem Aufstieg auf diesem Weg allmählich jede Spannung aufgehoben wird, einschließlich der Spannung, die als «Sehnsucht des Geistes» bekannt ist. Doch gerade diese «Sehnsucht» der Wunsch sich zu verwirklichen ist.

ÜBER DAS EINZIGARTIGE UND TYPISCHE

Lasst uns mit zwei trivialen Behauptungen beginnen.
Erstens: jeder Mensch ist einzigartig. Wenn der Mensch die Welt verlässt, verschwindet ein ganzes eigenartiges Universum.
Und zweitens: jeder Mensch beinhaltet eine Menge Typisches, was ein Beobachter und Forscher von der Seite sehen kann. Deshalb existiert eine riesige Zahl der Systeme, die versuchen, im Menschen das Vorhersehbare an den Tag zu bringen. Dazu gehören auch wissenschaftliche psychologische Typologien, einschließlich der Typologie des informativen Metabolismus und die Typologie der Temperamente. Dazu gehören jetzt schon auch fast als wissenschaftlich anerkannte astrologische Typologien. Dazu gehören auch scherzhafte Typologien, die die Wissenschaftlichkeit nicht beanspruchen.

Zum Beispiel, alle Menschen teilen sich auf Verbannte, Belohnte, Diversanten und Einheimischen. Die Verbannten sind diejenigen, die aus den höchsten Welten auf die Erde für irgendwelche Sünden verbannt wurden, deshalb gefällt ihnen hier nichts, sie jammern und kritisieren alles. Die Belohnten wurden auf die Erde aus den niedrigsten Welten für irgendwelche Verdienste geschickt. Sie sind im Gegenteil begeistert: «Ach! Аch! Ergreifend! Prächtig!» Die Diversanten weder kritisieren, noch sind begeistert. Sie sind beschäftigt. Sie wissen, wozu sie hier sind und was sie machen sollen. Und die Einheimischen sind diejenigen, die hier leben. Sie beschützen die einen, erfreuen die anderen und fangen die dritte. (Diese Klassifikation wurde von meinem Freund O.G.Bahtijarov vorgeschlagen.)
Eine noch einfachere Typologie: ein mein Freund hat einst ausgedacht, dass alle Menschen sich in Spaßverderber und Scheiβkerle aufteilen. Es gibt zwei Abarten: spaßverderbende Scheiβkerle und scheiβkerlartige Spaßverderber.

Es existiert ein ständiges Streben aufklärende Systeme zu schaffen, die dem Menschen lassen wűrden sich in anderen Menschen zu orientieren. Es soll das Problem der Komplexität der subjektiven Welt eines anderen Menschen aufheben, in dem er zu irgendwelcher typologischer Klasse zugerechnet wird, deren Eigenschaften maximal bekannt sind.
Für viele dient solch einer äusserlicher Blick als fast einzige Erklärungsweise auch von sich selbst.

— Und warum hast du das getan?
— Ich bin doch ein Wassermann.
— Und du?
— Und ich bin im Jahr des Schafes geboren worden.
— Und du?
— Und ich habe solch einen Typ des informativen Metabolismus oder solch einen Typ der höheren Nerventätigkeit.

Und dieses Streben ist unausrottbar.
In letzter Zeit interessiert es mich sehr. Der Mensch will ständig auf die Welt einwirken, einschließlich der anderen Menschen als ein Teil dieser Welt, um die Voraussagbarkeitsstufe zu vergrößern. Und wenn irgendeine Information so gestaltet wird, dass man mit ihrer Hilfe die Voraussagbarkeitsstufe erhöhen kann, greifen wir zu, unabhängig (meistens) von ihrer Qualität.
Die meisten Scharlataneriesysteme sind nicht darauf aufgebaut, dass sie das Bedürfnis nach Wissen befriedigen, das Streben zu irgendeiner Wahrheit. Sie sind darauf eingestellt, damit unsere Beziehung zur Zukunft, einschließlich des Verhalten der Menschen, die uns wichtig sind, maximal damit übereinstimmt, was geschehen wird.

In einem amerikanischen Film war ein bemerkenswerter Moment. Der Held dieses Filmes, ein Schriftsteller, schreibt einen Krimi. Der Schriftsteller ist ziemlich bekannt, aber er hat eine Krise im Schaffen. Und als Ausweg aus der Krise begeht er ein Abenteuer und die Entwicklung der Folgen dieser Tat macht er zur Grundlage für das Buch.
In einem der Momente sagt ihm der Herausgeber: «Es ist ein gutes Buch, aber deine vorigen Bücher haben mir mehr gefallen». Der Schriftsteller fragt: «Warum?» — «In ihnen ist alles vorhersehbar».
Paradox. Es wurde doch ein Krimi geschrieben. Wie es scheint, was fűr ein Vergnűgen ist es denn ein Krimi zu lesen, wenn von vornherein alles klar ist. Es zeigt sich jedoch, dass es nachgefragt ist. Und deshalb hatte der Held des Filmes solchen Leser, der nicht dafűr seine Bücher lesen wollte, um in kniffiligen Konstruktionen verwirrt zu werden, sondern um vor zehn, zwanzig, dreißig Zűge zu erraten, was geschiet. Und dadurch eigene Selbsteinschätzung zu unterstützen: wie scharfsinnig ich bin, wie ich alles vorausgesehen habe, und sogar solch ein bekannter Schriftsteller kann mich nicht verwirren.

Manchmal hat man den Eindruck, das nach einiger Zeit sowohl die Wissenschaft, als auch andere Erkenntnisweisen vom Menschen sich bis zu solcher Stufe entwickeln werden, dass man alles erklären können werde. Wenn wir alles zusammenlegen: die Genetik, die Typologie des informativen Metabolismus, die Typologie der Temperamente, die Typologie der Individualität, — dann kann man als einzigartig nur Fingerabdrücke bezeichnen. Weil das Äuβere, wie wir jetzt dank dem Fernseher verstehen, eine «nachahmende» Sache ist. Jetzt gibt es eine riesige Zahl von Doppelgängerklubs und Doppelgängershows erschienen.
Es ergibt sich dann, dass die Einmaligkeit nur als Fingerabdrücke existiert. Man hat bis jetzt noch keine zwei identische gefunden. Doch wenn auch das nur bis jetzt war?
Jetzt lasst uns dieses Problem von der anderen Seite betrachten. Von der Seite der subjektiven Menschenwelt, von dem, was er über sich selbst weiß. Hier stößen wir an denselben Paradox.
Will der Mensch sich selbst in Wirklichkeit kennen? Nein. Er will dorthin hinein, sprich in die innere Welt, auch irgendein aufklärendes System unterbringen, das mit einer größeren Voraussagbarkeitstufe ihm ihn selbst auferklären wird.
Häufig sagen die Menschen: «Mein Gott, warum ist die Welt so kompliziert, so unendlich, so unberechenbar. Dieses ganze Universum, wo wir überhaupt nur ein Stäubchen auf einem Sandkörnchen sind?!» Doch genau solche Welt gibt es auch auf jener Seite, das heißt innerhalb des Menschen. Genau so riesig, unendlich, genau so kompliziert und unberechenbar.
Es ergibt sich dann, dass der Mensch, als ein selbstanerkennendes Wesen, als ein Ich, sich an einem Grenzgebiet befindet. Er lebt nicht innerhalb seiner subjektiven Welt, weil er sich davor fürchtet. Nicht situationsmäßig, sondern ständig, da die innere Unvorhersehbarkeit mit der Angst vor dem Unendlichen, der Angst vor sich selbst und der Angst vor dem Endlichen verbunden ist, das heißt den grundlegenden Ängsten, durch die die Befriedigung unserer Bedürfnisse reguliert wird.
Ebenso lebt der Mensch auch nicht in der objektiven Welt, weil dort dieselbe Unendlichkeit, Unvorhersehbarkeit, Komplexität existiert. Wo befindet sich dann das «wahrhafte Ich» des Menschen? Es ist eine ziemlich zweifelhafte Formulierung: das «wahrhafte Ich des Menschen», — als ob es ein unwahrhaftes Ich gebe. Das ist eine Diskussionsfrage. Ich bin nicht ganz sicher, dass es kompetent sei, das so aufzuteilen.
Der Sinn der Sache besteht darin, dass der Mensch als ein selbstanerkennendes Wesen, weder innerhalb seiner subjektiven Realität, noch außerhalb dieser Realität lebt. Und das interessanteste ist, dass mit der Verbreitung von allerlei Techniken er sogar im eigenen Körper nicht leben will.
Geben Sie allen eine Möglichkeit, und alle werden eigene Körper verlassen, weil der Körper auch eine Menge Probleme schafft, denn es misslingt ihn vollständig zu erkennen. Das interessanteste ist, dass sich niemand Illusionen anlässlich der Erkenntnis des Körpers macht. Da verstehen wir alle, dass es unmöglich ist. Eigenen Körper als einen Körper vollständig zu erkennen ist undenkbar. Ihn erforschen eine riesige Zahl der Wissenschaften und es ist einfach unmöglich das alles zusammenzulegen und in einem Korb zu unterbringen.
Das selbstanerkennende Wesen des Menschen, sein Ich, will im nirgendwo sein. Es möchte irgendein Zäunchen, irgendeine Gestalt von sich selbst aufbauen – so ist die unterbewußte Tendenz: eine geschlossene, absolut vorhersehbare und für die Einwirkungen der äusserlichen Welt absolut undurchdringliche. Jetzt ist Mode alle Unannehmlichkeiten damit zu erklären, dass auf mich jemand eingewirkt hat: Böser Blick, Verderb, Verleumdung, Biofelder, schädliche Raumpunkte, dunkle Kräfte aus dem Astral oder Vital, — das alles ist doch ein und dasselbe. Es ist der Wunsch, für die äusserlichen Einwirkungen undurchdringlich und von der inneren Komplexität abgezäunt zu werden.
Die ganze Zeit wird der Versuch gemacht, irgendeine Kapsel außerhalb dem Raum der subjektiven Realität, außerhalb dem Raum der objektiven Realität aufzubauen, möglichst noch außerhalb der Zeit. Im nirgendwo. Es ist eben eine Beschränkung unseres Verstandes, der verständnismäßigen Wechselbeziehung mit der Welt und mit sich selbst. Der Stimme des Verstandes folgend, erweisen wir uns seltsamerweise unvermeidlich in der Leere — nirgendwo. Und in diesem nirgendwo befindet sich solch eine geschlossene, bequeme, konfliktlose, undurchdringliche Kapsel unter dem Titel «das Ich». Das ist eben der Traum von der Vollkommenheit.
Schauen Sie aufmerksam und ruhig viele angebotenen Systeme unter dem Namen «die Selbsvervollkommnung», «die Selbsterkenntnis» an und es wird sich herausstellen, dass dieses «Selbst» in der Grenze nach solch einem Zustand strebt — zum Leben im nirgendwo. Es ist ganz einfach zu machen. Es gibt eine Menge Systeme der psychologischen Bearbeitung, in denen das Ich bis zum Punkt geführt wird, und dieser Punkt ganz ruhig allen Beschränkungen der äusserlichen und inneren Welt, der Zeit und des Raumes entgeht… Dann bitte: reisen Sie wohin auch immer, auf beliebige Planeten, in der Zeit, aber wie im weisen tibetischen Buch «Ozean der Vergnügen für die Weisen» steht: «Alle diese Ausdrücke sind bedingt», oder, womit das Tibetische «Totenbuch» endet: «Vergiss nicht, dass das alles eine Projektion deines Bewußtseins ist».

Unanfechtbarkeit in der Leere

Wir reden so viel über die Einmaligkeit, die Eigenartigkeit. Uns scheint es, dass wir diese Einmaligkeit und die Eigenartigkeit finden wollen. Aber wenn man diese Frage unvoreingenommen untersucht, so zeigt es sich im Gegenteil: wir wollen als Einmaligkeit verschwinden oder jedenfalls unsere Einmaligkeit bis zum Punkt zurückführen. Wenn wir sie bis zum Punkt zurückführen, so erweisen wir uns in dieser Leere ganz unverletzbar. Dieses Erlebnis bis zur vollen Reidentifizierung mit der eigenen beliebigen Materialität, von der feinsten bis zur grobsten, ist es gar nicht schwer zu organisieren. Und Sie bleiben «in der dunklen, wie die Dunkelheit, Dunkelheit, in der leeren, wie die Leere, Leere».
Bei Jean Effel fängt «Die Erschaffung der Welt» so an: «In der dunklen, wie die Dunkelheit, Dunkelheit, in der leeren, wie die Leere, Leere lebte Gott». Da haben Sie den «gottähnlichen» Zustand. Sie führen sich selbst bis zum Punkt zurück und erleben sich dort als wer Sie wollen: wollen Sie sich als Gott erleben – bitte schön.
Doch womit bezahlt man dafür? Mit dem vollen Verlust jeder Einmaligkeit, erst dann kann man alles so schön intellektuell formen. Zum Beispiel, im Geiste der intellektuellen tibetischen Traditionen diesen Zustand «das Nirwana» nennen, oder «die Rückführung des abgesonderten Ich in das Absolute», oder «die Auflösung im Ursprünglichen» — anders gesagt ist es das Verschwinden, die Aus-Verkörperung.
S. Freud nannte es das unterbewußte Todestrieb. Aber der physische Tod, der uns alle erwartet, begeistert uns irgendwie nicht, mit Ausnahme der kranken Menschen, bei denen das Streben zum Selbstmord manchmal stattfindet. Und hier machen wir ein keckes Manöver und begeben uns in unserer geistigen, ich betone — geistigen Suche — irgendwohin ins Nichtsein, um diesen Tod zu überholen und früher zu sterben, psychologisch zu sterben.
Dann wird die Frage über das Typische nur zu einer Sache zurückgeführt: für jeden Menschen, unabhängig von den Fingerabdrücken, ist es typisch zu streben, aus beiden Welten zu verschwinden, und merken Sie sich: aus der Welt der inneren Realität und aus der Welt der äusserlichen Realität? Es ergibt sich, dass es tatsächlich so ist. Und einen groβen Dank der Natur, dass bis wir einen Körper haben, solche Spielchen uns misslingen.
Viele von Ihnen haben wahrscheinlich über die indischen Fakire gelesen oder gehört, die ihren Körper bis zu solchem Zustand brachten, dass ihre Schüler sie wie Möbel trugen, von ihnen den Staub wehten. Sie haben fast gar nichts gegessen, getrunken, waren ganz eingetrocknet und verwandelten sich bei Lebzeit in eine Mumie, und nur ihre Augen zeigten, dass sie noch lebendig sind. Die Versuche sich so zu zerstören und befreit zu werden, der Gedanke darüber, dass der Körper sündhaft ist, bedeutet dieselbe Idee aus der Welt zu verschwinden. Den Menschen scheint es, dass man aus dieser Welt verschwinden kann, sie als das Niedrigste bezeichnend, um sich in einer anderen Welt aufzuhalten, die man als das Höchste bezeichnet. Aber solche Autorität, die alle ausnahmslos anerkennen, der berühmt Hermes Trismagistos hat gesagt: «Wie oben, so auch unten, wie unten, so auch oben».

Der Körper ist mein Erfolg

Aus den Zeugnissen der Menschen, die irgendwelche Wechselwirkungen mit anderen der Mehrheit unzugänglichen Realitätsebenen erreichten, ist es bekannt, dass diese körperlosen Wesen einen einzigen Wunsch haben — einen Körper zu erwerben.
Aus anderen maßgeblichen Quellen ist es bekannt, dass im menschlichen Körper geboren zu werden vom Gesichtspunkt der Karma und der Umgestaltungen aus gesehen ein riesiger Erfolg sei. Denn der menschliche Körper ein hervorragendes Werk ist, das zulässt, alle Karmaprobleme zu lösen.
Aber warum wollen wir so fortlaufen? Weil wir sehr jung sind. Nach den mutigsten Annahmen, ist der reflektierende Mensch, sprich der sich selbst als Subjekt bewußt ist, vierzig Tausend Jahre alt. Wenn wir es mit dem Menschenalter vergleichen, so ist er etwa vierzehn Jahre alt — das Teenageralter. Wie bekannt, entsteht sehr häufig während dem Teenageralterbruch, der mit hormonalen Veränderungen im Organismus verbunden ist, die Idee des Selbstmordes Den Teenagern sind ein zerstörendes Verhalten und eine unmotivierte Aggression eigen.
Sehen Sie sich die Menschheit insgesamt an, und Sie werden diesen Teenager mit allen seinen psychologischen Katastrophen sehen. Schauen Sie sich selbst an, und Sie werden denselben Teenager sehen, der danach strebt, von den auf ihn heranrückenden Schwierigkeiten des Aufenthaltes in dieser Welt fortzulaufen.

Einmaligkeit der Gattung «Mensch»

So können wir tapfer vermuten, dass die Einmaligkeit des Menschen als einer Gattung gerade darin besteht, dass er sich als einer, der sich in zwei Realitäten aufhält, bewußt ist. Das ist seine prinzipielle Stellung. Das bedeutet, dass die Einmaligkeit eines abgesondert genommenen Menschen vor allem in seiner Tapferkeit in Bezug auf sich selbst, zur subjektiven Realität besteht. In allen ernsten geistigen Traditionen ist gesagt: die erste Aufgabe ist es sich selbst zu begenen. Das fordert kolossalen Mut, hartnäckige Arbeit, Leitung, Schulmeisterhaftigkeit und schonungslose Zielstrebigkeit.
Und noch etwas. Je mehr der Mensch in sich selbst das Typische untersucht, desto mehr entwickelt und härtet sich die handelnde Person ab — Derjenige, der untersucht. Je mehr der Mensch in sich selbst das einzigartige heraussucht, desto mehr entwickelt sich Das, was sucht, sprich das Typische. Solch ein Paradox.
Wenn Sie sich an die Aussprüche von «Der Tempel Gottes ist in dir selbst» bis zu «Derjenige, der in Ihnen sucht, ist eben das, was Sie suchen», erinnern, dann werden Sie verstehen: die Schwierigkeit dieser Situation besteht vor allem darin, dass man unbedingt einen Anderen braucht. Um sich selbst zu begegnen, ist ein Anderer nötig. Der Ihnen helfen wird, alles Typische, alle Mechanismen, die Ihnen gegeben sind, zu erkennen.
Und je mehr Sie es erkennen werden, desto mehr wird sich das entwickeln, was Ihr Wesen ist, und desto weniger werden Sie sich wűnschen, aus dem Körper und aus dieser Welt fortzulaufen. Und desto stärker wird Ihr Wunsch, sich nicht in der Leere, sondern im absolut gefüllten psychologischen Raum zu sein, das heißt absolut durchdringbar zu sein, und darin Kraft, Ruhe und Überzeugung zu finden.

Der durchdringbare Mensch

Was bedeutet durchdringbar zu sein? Das bedeutet, dass es keine Beschränkungen am Eingang gibt, Beschränkungen gibt es nur am Ausgang. Beschränkungen am Eingang sind jene Regeln der Wahrnehmung und der Wechselwirkung mit der umgebenden Realität, die der Mensch annimmt, um die schädlichen Einwirkungen zu vermindern. «Was du isst, so bist du auch». Die Beschränkungen am Ausgang sind jene Regeln der Wechselwirkung mit der umgebenden Realität, die der Mensch als Selbstbeschränkung annimmt, sie werden zu seiner Moral, zu seinen Vorstellungen darüber, was er soll oder nicht soll, was man tun muss und was nicht. Das heißt diese Beschränkungen werden durch jenen Sinn bestimmt, die der Mensch selbst bewirkt. Und wenn alle automatisch unbewußten mechanischen Regeln der Wechselwirkung als Beschränkungen am Eingang gestellt werden, dann sind keine Bemühungen zum Erzeugen des Sinnes nötig. Aber diese Beschränkungen am Eingang beschränken auch Ihre eigene Wechselwirkung mit der Realität. Dann braucht man keine Arbeit der Seele.
Der Mensch erfüllt die Regeln und erhöht damit die Selbsteinschätzung. Doch diese Regeln sind rein mechanisch, da sie am Eingang sind. Je mehr Sie diese Regeln der Reihe nach erfüllen, desto mehr entsprechen Sie diesen Regeln, weil alles, was den Regeln nicht entspricht, Sie einfach nicht beinhalten. Diese Regeln werden als eine Wand, als eine Kapsel oder wie Gurdjieff sagte, — eine Zelle im Gefängnis — verwendet. Und Ihre ganze «Selbsterkenntnis» besteht darin, dass Sie aus der einen Zelle einen Gang in die andere durchgegraben haben und sagen: «So, jetzt bin ich endlich frei».
Das bedeutet, dass wir uns nicht einfach nur bewußt werden sollen. Wir sollen diesen unseren Teil qualifiziert machen. Mir gefällt dieses Wort sehr, ich bin V.M.Ershov und P.V.Simonov dafür dankbar, dass sie es so klar genannt haben: die Qualifikation in Bezug auf das Leben. Die Qualifikation in Bezug auf sich selbst besteht darin, dass ich danach strebe, in sich nicht das Einzigartige zu erkennen, weil es unmöglich ist. Wer wird in mir meine Einmaligkeit erkennen? Mein Typisches, meine unbewußten psychischen Funktionen, meine Automathismen. Und wozu sind Automathismen in Bezug auf die Einmaligkeit fähig? Sie können sich nur erschrecken, weil jeder beliebige Mechanismus nach dem Prinzip der maximalen Voraussagbarkeit handelt.
Die Qualifikation besteht darin, das Typische zu erkennen – sein eigenes Auto, damit darin ein Herr erscheint, ein Steuermann, der damit dorthin fahren wird, wohin er selbst braucht, und der es besitzen wird: der verstehen wird es zu reparieren, zu vervollkommnen usw.
Das System, das Ihnen solch eine Variante anbietet, ist, nach meiner Ansicht, das System einer realen Handlung, das System einer aktiven Entwicklung eines aktiven Subjektes. Und besonders findet es sich in einer extremen Situation.

Ich habe in einer Klinik mit den Teilnehmern der Liquidation der Tschernobyl-Katastrophe gearbeitet. Dort war es sofort zu sehen: diejenigen, die sich infolge irgendwelcher Gründe auf das Prinzip der Aktivität stützten, die haben gehandelt. Und zur Behandlung haben sie sich auch aktiv verhalten – sie sammelten Information darüber, was man tun muss, um die Verletzungen zu neutralisieren, um die Entwicklung irgendwelcher Folgen zu verhüten. Sie waren beschäftigt. Das interessanteste war, dass psychologisch die vollwertigsten Kunden der Klinik diejenigen waren, die eine genaue Diagnose hatten: Strahlenkrankheit. Sie haben sich mit nichts, außer der Suche nach Mitteln, die wenigstens auf ein biβchen ihr Leben verlängern konnten, beschäftigt, sie hatten eine Menge zu tun. Man musste seine soziale Gerechtigkeit verteidigen, die Verwandten versorgen… Sie haben aktiv gehandelt, obwohl sie physisch verletzt waren.
Diejenigen, die nichts von ihrer Strahlendosis wussten, gerieten meistens in einen passiven Zustand unter dem Titel: machen Sie mit mir etwas. «Sie haben zu wenig gemacht, nicht das richtige gemacht! Mir geht es trozdem schlecht… Machen Sie noch etwas, geben Sie mir mehr Tabletten, ausländische Tabletten, Tabletten durch Protektion. Schicken Sie mich in dieses Sanatorium, ins Sanatorium des Vierten Hauptdirektorat». Nach und nach verwandelten sie sich in professionelle Neurastheniker, in professionelle Patienten.
Ich komme manchmal in der Klinik vorbei und sehe viele bekannte Gesichter – das sind professionelle Patienten. Sie werden lange krank bleiben, vielleicht für immer. Mit so einer Einstellung bleibt ihnen nichts anderes übrig.

Wir können Beispiele verschiedener politischen Regimes (nicht nur auf unserem Territorium) nennen, die die Menschen bis zu einer automatischen Unterordnung brachten. Diese Regime sind auf einem aufgebaut — auf dem Wunsch des Menschen zu verschwinden. Ich erinnere mich, dass es mich zum ersten Mal in der Armee überrascht hat.
Es gibt Menschen, die keine professionellen Soldaten oder Militärfachleute sind, aber die sich in der Armee prächtig fühlen, und du kriegst sie aus der Armee nicht raus. Ich habe mit ihnen viel gesprochen, versuchte in ihre innere Motivation durchzudringen. Später hat es sich aufgeklärt. In der Armee, wie es sich herausstellt, ist es sehr gut. Man muss an gar nichts denken. Im Sinne der Fürsorge um sich selbst und um das Leben. Nach dem Plan bekommst du dein Essen, wirst bekleidet, wie es angebracht ist, bekommst dein Gehalt. Alles ist von Morgen bis Abend durchgeplant.
Später habe ich in der Literatur nachgelesen, dass subjektiv der Mensch sich dann maximal frei fühlt, wenn er objektiv, vom Gesichtspunkt eines äusserlichen Beobachters gesehen, ein Sklave ist. Die Menschen mit der passiven Einstellung «machen Sie mit mir etwas» fühlen sich dann maximal gut, wenn für sie alles entschieden ist. Wenn auch die ganze Zukunft durchgeplant ist. Es werden so und so viele Jahre vergehen – und du bekommst noch einen Stern, noch ein Stern… Dein Gehalt wird auf so und so viel erhöht werden, und alles ist gut.
Doch wenn solche Menschen in eine Situation geraten, wo die Voraussagbarkeit gebrochen wird, wo es keine Stabilität gibt, das heißt in eine katastrophale Situation, erweisen sie sich als absolut hilflos.
Warum fürchten wir uns vor der Einmaligkeit? Nicht nur in uns selbst. Wir fürchten uns vor ihr auch in den anderen. Einerseits sind wir begeistert: «Аch! Einmaligkeit!» — ein Mensch mit einzigartigen Fähigkeiten, oder einzigartigem Äußeren, oder mit Talent. Aber andererseits schieben wir sie von uns möglichst beiseite. Lassen wir sie sich dort untereinander vereinigen und uns ihre Produktion liefern. Wir werden diese Produktion mit Vergnügen konsumieren, aber es ist unmöglich mit ihnen zu leben. In nichts kann man sicher sein. Heute haben sie eine Stimmung, morgen eine andere. «Male dort deine Bilder, schreibe deine Musik, zeige deine Stücke, deine Filme, aber zeige dich nicht, weil es unmöglich ist mit dir zu leben».
Das wäre ja nicht so schlimm. Aber was tun wir, wenn wir mit unseren Geliebten, Verwandten und Angehörigen leben? Was machen wir miteinander? Das selbe.

— Hör auf dich zu sträuben, du sollst so sein. «Wenn ich dich erdacht habe, werde so, wie ich es will».
— Und wenn ich dich liebgewonnen habe, so sollst du auch so werden, wie ich es will.
— Was ist denn das für eine Familie, wenn ich heute nach Hause komme, und sie eine Erleuchtung hat? Mich interessiert keine Erleuchtung, ich will mein Mittagessen haben.
— Was ist das denn für ein Mann, der sagt: «Ich habe gekündigt, weil diese Arbeit mich geistig beschwert. Ich werde meditieren»?
Es geht noch, wenn der Liebhaber so etwas sagt. Obwohl es auch schwierig ist. Und hier sagt es der Mann.

Und das ist natürlich. Wie kann man denn dann zusammenleben? Wir müssen uns ja an einander «schleifen». Und wir schleifen uns nach dem Konventionsgesetz an einander, das heißt nach dem Gesetz der vertragsmäßigen Normen, die über uns sind. Wir alle wissen, wie wir sein sollen. Wie in der weltweiten Literatur – es gibt Million Kollisionen zwischen dem Gefühl und der Pflicht, weil die Pflicht etwas anderes, was sich nicht in mir befindet, ist. Und wie viel man uns nicht erklärt, dass die wahrhafte Pflicht dasjenige ist, was du sogar dann tust, wenn es niemand sieht, — wir können damit auf dem selben Niveau der Konventionen einverstanden sein, aber wir sind unfähig das als ein subjektives Erlebnis zu erleben, weil es keine Beziehung zu unserer Subjektivität hat.

Wer braucht meine Einmaligkeit

Je mehr es solche Konventionen gibt, je komplizierter die soziale Welt ist, desto grösser ist die Entfremdung des Menschen von sich selbst, wie es dazu K.Marx sagte. Ganz gerecht, übrigens.
Wer braucht dieses Subjekt, außer mich selbst? Niemand. Wofür werde ich mich dann mit der Suche nach meiner Einmaligkeit beschäftigen? Da ist er, der soziale Regler des Verschwindens der Einmaligkeit — die Stufe des Erlaubten und der Notwendigkeit vom Einzigartigen in der Gesellschaft. Bis wir noch jung sind und einen Partner suchen, wird irgendeine Einmaligkeit uns erlaubt.

— Ich bin so die einzige. Schau, welche Äuglein ich habe.
— Schau, welche Muskeln, welchen Verstand ich habe.

Bis zu fünfundzwanzig — dreißig Jahren ermöglicht die Gesellschaft noch irgendeine Einmaligkeit zu haben. Später nicht mehr. Alle haben es zu etwas gebracht. Wir sperren die Einmaligkeit. Schluss damit. Es reicht. Bist du groß, dann gehe zu den Großen. Bist du nicht groß, dann lebe hier. Dir ist soviel und dir soviel erlaubt. Und wir geben nach. Na und! Es braucht ja sowieso keiner.
Mir hat vor kurzem ein Vater geprahlt: «Ich habe einen ausgezeichneten Sohn (der Sohn ist zwölf Jahre alt). Er hört auf mich ohne zu widersprechen. Er macht alles, was ich sage. Solch ein Sohn». Wenn die Mutter meine Einmaligkeit nicht braucht, wenn der Vater meine Einmaligkeit nicht braucht, wenn der Geliebte meine Einmaligkeit nicht braucht, wenn die Gesellschaft meine Einmaligkeit nicht braucht, wer braucht sie dann?
So entsteht das Streben nach dem Geistigen. Man zwingt uns zu suchen, bis wir noch als Subjekte lebendig sind, ein Ort zu suchen, wo wir in unserer Einmaligkeit gebraucht sind, wo wir einzig und eigenartig sind, wo es keinen solchen zweiten geben wird. Oder wo man uns sagt, dass unsere Einmaligkeit unabhängig von Verkörperungen, unsere Einmaligkeit, unser Wesen unsterblich und nötig ist. Dem Kosmos, dem Universum, dem Absolute oder Gott, aber sie ist nötig.
Es gibt den idealen Elternteil und den idealen Geliebten, der dich gerade deshalb braucht, weil es du selbst bist, der einzigartige.
Und wenn ich so etwas nicht gefunden habe, wenn ich kein Glück hatte usw.? Wem bin ich in meiner subjektiven Einmaligkeit nötig? Es ist sehr schwierig sich zu überzeugen, dass man sich selbst nötig ist. Wenn dich sonst niemand braucht. Man muss eine heldenhafte Position besetzen: ich werde mich dennoch hier aufhalten, ich werde mich mit dem Nichtsein nicht beschäftigen, weil ich mir selbst als eine Einmaligkeit nötig bin. Aber das ist eine schöpferische Position, sie bewirkt sofort eine kolossale Zahl von Schwierigkeiten, wie im Leben, so auch psychologische, seelische und geistige.
Wie viel Liebe zu sich selbst, dem einzigartigen, der Mensch hat, wie lange er die Unnötigkeit dieser Einmaligkeit ertragen kann – so viel geistiger Kraft hat er auch. Oder der Mensch versteht plötzlich in einem bestimmten Alter: ich lebte und die ganze Zeit für etwas. Ich machte dort etwas, machte, machte. Und wo bin ich selbst?
Mir scheint es, dass die ganze Dynamik des inneren Lebens des Menschen oder, die altertümliche Sprache benutzend, die Dynamik des Beseelens nicht darin besteht, sich aus dieser Welt, aus diesem Körper, aus diesen Beziehungen, aus diesen Wechselbeziehungen, aus dieser Durchdringlichkeit abzuziehen versuchen, sondern darin, zuerst sich selbst nötig zu sein, und erst danach — den anderen.

Die Gesellschaft mag das Typische

Das Typische wird sozial verstärkt, es wird sozial gefordert, darauf gibt es immer eine Nachfrage. Zum Beispiel, die Typologie aufgrund der Horoskope. Dadurch organisiert man doch die Nachfrage. Ich bin solch einer, du – solch einer. Du passt mir, weil so im Horoskop geschrieben ist. Und du passt mir nicht, weil der Tiger den Affen bepisst.
Der Mensch kommt in diese astrologische Gesellschaft, doch er ist dort als eine Einmaligkeit nicht gebraucht. Man braucht ihn als einen Vertreter eines bestimmten Sternzeichens, das ist alles. Viele von Ihnen haben solche Situationen beobachtet.

— Du kannst so etwas nicht sagen.
— Warum?
— Weil du ein Wassermann bist, und ein Wassermann redet so nicht. Und neben diesem Menschen kannst du nicht sitzen. Eure Sternzeichen führen euch zum Konflikt. Du sollst dort sitzen.

Deshalb ist das Wissen, natürlich, eine Macht. Aber Wissen ohne Liebe ist solch eine Macht, die uns unbedingt zum Tod führen wird. Ob zu einem psychologischen, oder existenzialen, oder einfach zum Tod, sprich zum Selbstmord. Wegen dem Entdecken der vollen Abwesenheit von sich selbst.

Die zweiseitige Natur des Menschen

So ist unsere zweiseitige Natur. Wir fühlen uns, so zu sagen, glücklich bekifft: wir sind die Menschheit. Besonders ab dem XVII Jahrhundert, nachdem der Satz «cogito, ergo sum» bekanntgegeben wurde, unterwerfen wir die Natur, regieren die Welt, die uns immer bequemer machend. Wer wird jetzt sagen, dass eine warme Toilette schlechter ist, als dasselbe im Winter unter einem Busch zu tun. Es ist so gut wie offenbar, aber es hat eine Kehrseite!
Im Laufe dieser Jahrhunderte wendete sich unser Bewußtsein zur Gewalt über der Realität. Zum Prinzip der Kraft. «Wir können nicht auf die Gunst der Natur warten, unsere Aufgabe ist die uns nehmen». Und wir haben genommen. Doch wir sind auch ein Teil der Natur, selbst wenn wir uns von dem sogenannten physischen Körper befreien!
Sogar sich in Form eines körperlosen energisch-informativen Wesen vorgestellt, das ähnlicher Weise der Natur Gewalt antut, werden wir sehen, dass sie dennoch auch gegenűber sich selbst Gewalt antut, weil man das der Welt nicht antun kann, ohne was mit sich selbst zu machen. Zu diesem Anlass eine bemerkenswerte Illustration.

Es hat das Gericht über dem Rostower Gewalttäter angefangen, der sehr viele Menschen vergewaltigt und getötet hat. Zwanzig Jahre konnte man ihn nicht fangen. Er ist ein absolut anständiger Mann, mit einer Hochschulausbildung, Mitglied der KPdSU, er hatte Kinder. Man hat ihn im Fernsehen gezeigt. So ein normaler, wohlgestalteter Mann. Auf der Konventionsebene, der Ebene des konventionellen Verhaltens kann man ihn nicht erkennen, bis er schafft diesen pathologischen Teil von sich selbst zu verbergen.
Aber innerlich ist er zerstört, er ist innerlich schon ein tollwütiges Tier.

Was hat denn diese unsere konventionelle Zivilisation «cogito, ergo sum» fűr einen Sinn, wenn man darin solch eine Missgestalt nicht erkannt werden kann? Und umgekehrt, wenn man einem gesunden Menschen, nur weil er anders denkt, Schizophrenie mit schleichendem Verlauf zuschreiben kann und in die Klapsmühle stecken?
Was ist es für eine Zivilisation? Es ist die Zivilisation der Gewalt über der Welt. Warum? Na weil es so leichter ist, wir laufen wieder von der Einmaligkeit weg, und führen uns zum Typischen zurück. Denn das Wissen, das wir «cogito, ergo sum» benannt haben, ein statistisches Wissen ist, das Wissen űber das Wahrscheinlichste. Und dieses Wissen kämpfte und wird weiter mit jeder beliebigen Einmaligkeit kämpfen.

Es gibt solch eine halb Legende, halb wahre Geschichte, dass im Tresor beim Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR ein Diamant bewahrt wird, in dem, wie im Bernstein, eine Fliege eingemauert ist. Man hat mal so einen gefunden. Der wurde verborgen, damit es niemand niemals erfährt.
Selbst wenn es eine Legende ist, sagt sie dennoch grundsätzlich darüber, was fűr ein Bewußtsein das ist, auf das sich unsere ganze Zivilisation stützt. Wenn eine Tatsache erscheint, die einer beständig gewordenen Vorstellung widerspricht, muss man die verstecken, zerstören. Man hat den Diamant nicht sofort zerstört, sondern im Tresor verborgen. Aber es wird dennoch irgendwo erscheinen, selbst wenn in Gerüchten. Und später wird die kritische Masse solcher Artefakte die beständig gewordenen Vorstellung umstűrtzen, und wir werden verstehen, dass die Welt einzigartig ist, und nicht typisch.

Diese dreihundert und noch einbiβchen Jahre, ab dem XVIII Jahrhundert, haben wir unwillkürlich gelernt auch zu sich selbst statistisch zu verhalten. Und schufen statistische Ideale. Unbedingt nach einer Hierarchie.
Die einzige Möglichkeit einzigartig zu sein ist kein einzigartiger Mensch zu sein. Man kann ein einzigartiger Schachspieler, ein einzigartiger Läufer, ein einzigartiger Künstler, ein einzigartiger Herrscher, Führer sein, weil das alles soziale Positionen sind. Das alles ist ein Meister. Und alle sollen auf einer Bahn laufen, einander zu überholen versuchend, sonst gibt es keinen Fortschritt. Es ist der einzige Sinn, den uns die rationale Kultur des Lebens anbietet.
Und was soll derjenige tun, der von der Bahn abgestiegen ist, der niemals den Gipfel einer Pyramide erreicht, sogar der kleinsten? Soll er die Lehrer von Orion rufen? Und was weiter? Wieder nichts. Das ist doch nicht seine Einmaligkeit. Es ist die Einmaligkeit seiner Verbindung. Er hat so eine Verbindung. Und die anderen haben keine solche Verbindung. Er ist eine Kontaktperson und du nicht. Aber nicht er ist dabei einzigartig. Es ist dasselbe wie wenn man sagt: ich bin ein einzigartiger Mensch, weil ich den Präsidenten persönlich kenne. Na und, dass du ihn persönlich kennst? Auf der einfachen Sprache bedeutet es, dass du solch eine Protektion hast. Du hast so einen Kumpel — ein einfluβreicher Mann. Aber wo bist du selbst? Was sagt es über dich, über deine menschliche Einmaligkeit, über deine subjektive Welt, über deinen Geist? Über deine Ähnlichkeit mit Gott? Mich wundert es immer, wenn die Menschen, die, wie es scheint, aufrichtig religiös sind, die einfache Tatsache vergessen, dass Gott den Menschen nach seinem Bild und seiner Ähnlichkeit geschaffen hat. Wenn der Mensch Gott ähnlich ist, muss man sich mit ihm anders verhalten, nicht wahr?

Wie in einem Witz. In einer Irrenanstalt wurde ein Patient behandelt, der dachte, dass er ein Weizenkorn sei. Er wurde behandelt, behandelt, und endlich anscheinend geheilt. Ein Konsilium wurde zusammengerufen.
— Na, weißt du schon, dass du kein Weizenkorn bist?
— Natürlich, Danke, Doktoren! Ich war so dumm.
— Na dann gehe nach Hause.
Nach zwanzig Minuten läuft er hinein, ganz blaß vor Angst, mit großen Augen.
— Was ist los?
— Dort am Tor ist ein Hahn!
— Na und, du weißt doch, dass du kein Weizenkorn bist.
— Aber er weiß es nicht.

Das ist die Wir-Kraft. Wenn um mich herum eine ungenügende Zahl von anderen ist, die auch wissen, dass ich einzigartig bin, dann ist es sehr schwer sich vor einem Hahn nicht zu erschrecken. Es ist das Problem der Unnötigkeit.
Deshalb gehen die Menschen mit solcher Leichtigkeit in ein beliebiges Ort, eilen zu jeder beliebigen Fahne, zu jeder beliebigen Pseudowahrheit, zu jecer beliebigen Mystifikation, wenn es wenigstens eine Andeutung gibt, dass du hier als Du nötig bist. Dafür kann man alles lassen.

Sie sind nirgendwo gebraucht, und hier sagt Ihnen Ihr Chef, Lehrer, Guru, Biomedium — irgendjemand: der Lehrer von Orion, der himmlische Bräutigam, der verwirklichte Logos, — er sagt: «Ich brauche dich, dich». Wobei er sich Gottes Funktion zuschreibt. Denn Gott ist bei uns das Ideal, nicht wahr? Solch einer, der alle in ihrer Einmaligkeit sieht?
Versuchen Sie aber zu diesem Menschen, der sich die göttlichen Qualitäten zugeschrieben hat, ohne ihn zu benachrichtigen um vier Uhr Morgens mit Ihrem Problem zu komnmen. Wird er Ihnen die Tür öffnen?

Es ist schwierig Gott zu sein. Aber aus demselben Grund ist es auch schwierig sich neben Gott zu befinden. Es ist unbequem mit ihm zu leben. Wie mit jedem beliebigen Einzigartigen.
Uns hat man schon darauf abgerichtet, dass das Leben bequem sein soll, damit die Seele, um Gottes Willen nicht krank wird, nicht űberarbeitet, damit es rundherum bequem und leise ist. Damit man dich am Kopf streichelt: du bist ein guter, du hast gelitten, du bist ein Opfer der Zeit, der Umstände, der Gewalt, der Ideologie, der Unverständnisse, du bist ein Opfer, ein Opfer, ein Opfer. «Na wenn ich ein Opfer bin, dann sollen sie mir auch noch einen Preis geben». Ich habe solche Menschen gesehen.
Einerseits, ist es soziale Gerechtigkeit.

Allen, wer wenigstens einmal dort gewesen war, in dieser Zone in der Ukraine, wurde eine Bescheinigungen «Teilnehmer der Liquidation der Tschernobyl-Katastrophe» ausgestellt. Ich habe einen Mann getroffen, dessen ganze Teilnahme darin bestand, dass er einmal acht Stunden auf dem Kontrollpunkt an der Grenze dieser Zone stand und die Ausweise kontrollierte. Einmal! Jetzt gillt er als ein offizielles Opfer. Ich bin überzeugt — es gibt eine Menge Leute, die infolge der lokalen Ausfälle wirklich gelitten haben, die man erst jetzt herauszustellen beginnt: die Wolke von der Zone ist später irgendwo ausgefallen. Aber sie befanden sich nicht in der Zone und ihnen sind keine Ermäßigungen angebracht. Eine Konvention. Die statistischen Menschen haben den Opferstatus bekommen, und die nicht statistischen, wie es angebracht ist, haben nichts bekommen.

Es kann keinen Diamant mit einer Fliege drinnen geben. Ein exaltierter Mensch kann nicht vernünftig sein. Jemand, der nur Schimpfwörter benutzt, kann nicht geistig sein. Ein Gelehrter kann nicht dumm sein, er hat einen Doktor oder einen habilitierten Doktor usw. Wir alle wissen das. Je mehr wir so etwas wissen, desto leichter fűhlen wir uns. Doch desto fester hält uns die Falle gefangen, in der wir uns niemals mit uns selbst treffen werden.
Es gibt zwar die letzte Errungenschaft. Man sagt, dass im Sterbebett jeder beliebige Mensch eine Minute zum Treffen mit sich selbst bekommt. Man sagt, dass die Welt gerecht veranstaltet ist. Das unabhängig von allem solche Glückseligkeit im letzten Augenblick gegeben wird.

Die Abgrenzung des Bewußtseins

So kommen wir nicht zur Predigt von Irrationalismus, sondern zum Verständnis davon, worüber so schön der leider schon verstorbene Mamardaschwili gesagt hat: alles, was man über das Bewußtsein des Bestimmten sagen kann, ist dass es etwas abgegrenzte sei. Wenn jeder von uns verstehen würde, dass das Bewußtsein nicht unendlich ist, im Unterschied zu unserer subjektiven Realität und der objektiven Welt… Das Bewußtsein, das sogar am meisten auserlesene, ist abgegrenzt und dazu noch sehr begrenzt. Das größte, was unser individuelles Bewußtsein machen kann, ist eigene Grenzen zu entdecken. Dann hätten wir eine Chance sich selbst zu begegnen.
Warum? Weil das Bewußtsein, einschließlich solche Aspekte, wie das Unterbewußtsein und das Superbewußtsein, eine soziale Ableitung ist, und somit im Grunde konventionell. Und auβerdem ist das Bewußtsein diskursiv, das heißt es kann die Dinge nur der Reihe nach anordnen: entweder in eine Linie, oder in eine Hierarchie. Deshalb kann es kein Weltbild schaffen, was Castaneda ganz genau bemerkt hat. Das Bewußtsein kann nur die Beschreibung der Welt schaffen. Ein Weltbild kann nur die Einbildung eines Malers schaffen. Ein Bild im vollen Sinne des Wortes, auf dem sofort alles zu sehen ist. Es ist unmöglich, dieses Bild zu untersuchen, weil man es nicht beschreiben kann. Kaum beginnen wir das Bild zu beschreiben, verwandelt es sich in eine Beschreibung.
Wie kann man Wrubels Bild «Dämon» beschreiben? Man kann es ansehen, betrachten, genießen, erleben. Doch kaum Sie es beschreiben versuchen, wird es Ihre Interpretation sein, ein Versuch, das Bild in die Beschreibung umzuwandeln. Anlässlich einiger Bilder und Kunstwerke sind ganze Bibliotheken geschrieben. Davon lebt man, verdient Geld, eine Beschreibung davon schaffend, was zur Beschreibung überhaupt nicht vorbestimmt ist.
Das Bewußtsein ist eine schöne Sache, man kann es entwickeln oder lernen es zu gebrauchen. Aber man muss verstehen, dass es seinen Möglichkeiten nach abgeggrenzt ist. Die sogenannte bewußte Bemühung kann nicht zur geistigen Einheit fűhren.

Wir waren mit dem Theater auf einem Forum, das als international geplant wurde, aber so eins nicht geworden ist. Es war das Forum in Sotschi, das dem Gedenken an Blavatsky gewidmet wurde. Er hieß «Für die geistige Einigkeit der Menschheit». Aber einige Menschen haben verstanden, was dort tatsächlich stattgefunden hat, und während einem Spaziergang auf dem Dampfer hat jemand sehr klug es umgeschrieben, und es ergab sich: «Für die geistige Einsamkeit der Menschheit». Es ist unmöglich mittels einer bewußten Bemühung sich in einem geistigen Erlebnis verbinden. Der Intellekt wird Sie immer vom Objekt trennen, auf das Ihre intellektuelle Bemühung gerichtet ist.

Einen Sinn ergebendes Erlebnis

Warum hat solch einen Boom in der psychologischen Wissenschaft ein kleines Büchlein des fast unbekannten Psychologen-Konsultanten aus Simferopol F.E.Vasiljuk herbeigerufen? Er hat bewiesen, dass der Sinn durch das Erlebnis und nicht das Begreifen bewirkt wird. Der Sinn, sprich die Grundlage des menschlichen Daseins. Vom Lebenssinn bis zu jedem anderen Sinn.
Durch das Erlebnis — nicht das Begreifen. Armer Descartes! Stellen Sie sich vor, was mit ihm dort geschah, wie viele Male er sich im Grab herumgedreht hat? Wie es sich herausstellt, nicht «cogito, ergo sum», sondern ich erlebe, also existiere, als ein Sinngeschöpf, als ein Wesen. Dann wird es klar, dass man sich vor den Computern nicht fürchten braucht, weil sie keinen Sinn bewirken können. Ein Erlebnis, wenn es nicht ein gemeinsames Erlebnis ist, kann man nicht mitteilen. Die Erzählungen über das Erlebnis ersetzen nicht das Erlebnis selbst. Deshalb ist es sogar theoretisch unmöglich nach einem Buch Yogi zu werden. Denn Sie sind dort, neben ihm, in seinem Ashram, in der Höhle nicht gesessen, sie haben die Luft der Himalaya nicht geatmet. Sie lesen eine Beschreibung seiner Erlebnisse.
Ein Buch kann Sie bestenfalls zu der Suche nach einer Situation bringen, die ein ähnliches Erlebnis provozieren wird. Sonst geht der Sinn verloren. Sonst bleibt nur eine Technologie.

Das Verletzen der Ökologie des Menschen

In solch einer sozial-psychologischen Welt lebend, die «die westeuropäische Zivilisation» genannt wird, leben wir in einer statistischen Welt, so ist die Einstellung des Bewußtseins. Und in einer statistischen Welt wächst die ganze Zeit die Nachfrage auf das Typische, und auf die Einmaligkeit — fällt. Auf unserem menschlichen Arbeitsamt. Und natürlich bekommen wir als Konterexplosion, als Konterwirkung, als Herausforderung das, was ökologische Katastrophen, das Verstoß gegen die Ökologie des Menschen als eines natürlichen Wesens, das Verstoß gegen die Ökologie der subjektiven Realität gennant wird.
All das sind Folgen des Nachfragemangels auf die Einmaligkeit. Deshalb ist es unmöglich jede beliebige Kurpfuscherei, jede beliebige Pseudomystik — alles, was wenigstens eine kleine Beziehung zur Nachfrage an die Einmaligkeit hat — mit keinen Apellen liquidieren. Lasst uns Scharlatane von Nicht-Scharlatanen trennen!
Es ist unmöglich. Wer wird die aussondern? Wer wird als Experte auftreten? Von welcher Position aus?
Was kann man denn tun, wenn Sie schon darüber nachdenken? Wie mein Lehrer sagte: «Wann beginnt im Menschen der geistige Weg? Wenn er einmal plötzlich sich sein Leben ansieht und sich fragt: was ist das? Ist das alles? Wie denn, gibt es nichts mehr? Hat man mich dafür hierher gerufen, zu dieser Welt? Das kann nicht sein!» Er fühlt intuitiv, dass es ein Betrug ist. Und wenn der Mensch intuitiv fühlt, dass er betrogen wird, dass man fűr das ganze Leben nur deren kleines Stückchen unter dem Namen «Das erfolgreiche soziale Funktionieren» ausgibt, dann will der Mensch etwas anderes haben.

Jeder Mensch ist einzigartig

Es ist lächerlich, wenn man versucht, das Prozent der einzigartigen Menschen auszurechnen. Zu diesem Anlass gibt es eine bemerkenswerte Parabel.

Ein Mann hat sich an Gott gewendet, da er solche Möglichkeit hatte, und bat ihn, den größten Heerführer aller Zeiten und Völker zu zeigen. Gott hat ihm gezeigt: irgendwo weit weg, in irgendeinem Städtchen, in irgendeiner Gasse, sitzt ein Straßenschuhmacher und repariert Schuhe.
— Das ist doch ein Schuhmacher.
— Wenn er aber ein Heerführer würde, wäre er der größte Heerführer aller Zeiten und Völker.

Es gibt kein Prozent der einzigartigen Menschen. Wenn wir uns auf die Position der Prozente stellen, auf die Position der Statistik, dann hat es überhaupt keinen Sinn, über die Einmaligkeit des Menschen zu reden Dann gibt es sofort das Arbeitsvieh und die Elite. Jeder Mensch ist einzigartig. Die Gesellschaft ist nicht imstande, Bedingungen zur Entwicklung jeder Einmaligkeit zu gewährleisten. Es ist eine andere Frage. Es ist die Unvollkommenheit der Menschheit als eines sozialen Organismus.
Aber beachten Sie bitte, dass wir nur über die funktionale Einmaligkeit reden, das heißt über die Begabtheit. Wir reden nicht über die Einmaligkeit des Menschen als eines Menschen. Und die Begabtheit, das Talent wird von der Gesellschaft oft als eine Erscheinungsform der Selbstsucht wahrgenommen, das heißt als der Wunsch, nach eigenen Regeln zu leben, für sich selbst.
Ich denke, dass der Begriff der Selbstsucht – ein instrumentaler ist, der im sozialen Programmieren und sozialen Manipulation verwendet wird, weil es zwei Tatsachen widerspricht. Die erste Tatsache: was der Mensch nicht tut, tut er es zur Befriedigung eigener Bedürfnisse. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass der Mensch nichts tun kann, sogar Altruist sein, wenn es die Befriedigung von irgendeinem seinem Bedürfniss nicht sichert. Die zweite Tatsache ist in der bekannten Arbeit von V.P. Efroimson «Genetik des Altruismus» widergespiegelt, wo er gezeigt hat, dass wenn man diesen Faktor genetisch und der Evolution nach betrachtet, dann trägt der Altruismus zur Evolution mehr bei, als die sogenannte Selbstsucht. Deshalb ist die Selbstsucht — so, wie wir die verstehen — ein Instrument. Selbstsucht-Altruismus. Es gibt solch ein Paar, solche sozialen Begriffe, die für das soziale Programmieren, die soziale Verwaltung usw. verwendet werden.
Wir haben doch mit der Liebe zu Gott und zu eigenem göttlichen Wesen, zu seiner Gottähnlichkeit begonnen. Die Liebe in jeder beliebigen Form ist eine Kürzung oder eine volle Abnahme der psychologischen Distanz zwischen Ihnen und dem, auf wen sie gerichtet ist. Es ist die genauste, meiner Meinung nach, Bestimmung der Liebe als eines spezifischen Teils des Menschenlebens. Die Liebe meint immer Mut, einen bestimmten Mut, wenigstens in einer Richtung, wenigstens in Bezug auf einen Menschen die Distanz abzunehmen, jene riesige Zahl des psychologischen Schutzes abzunehmen, der von unserem Bewußtsein aufgebaut ist.
Deshalb ist es nicht jedem gegeben Gott so zu lieben, wie Jesus oder Franz von Assisi geliebt hat, weil nicht jedem solcher Mut gegeben ist, solche Kraft der Liebe bis zur Selbstvergessenheit.
Unser Bewußtsein ist noch so jung. Was bedeuten vierzig Tausend Jahre? Das entwickelte Bewußtsein ist erst so etwa acht — zehntausend Jahre alt. Das ist gar nichts. Wir wissen noch gar nichts űber uns. Und deshalb haben wir keine Bilder, wir haben nur verschiedene Beschreibungen, weil wir uns selbst nicht kennen. Wir kennen uns nicht nicht im Sinne der rationalen Erkenntnis, sondern im Sinne des Erleben seiner selbst. Wir sind uns selbst im Erlebnis nicht gegeben. Und wenn wir berücksichtigen, dass das Erlebnis bewußt als eine Weise der Wechselbeziehung mit der Realität diskreditiert wurde, das heißt, dass es vom Gesichtspunkt der sozialen Verwaltung aus gesehen vorteilhaft ist, das Erlebnis zu diskreditieren, so denke ich, dass uns das meiste noch bevorsteht.
Lasst uns das Schaffen als eine der Ausdrucksweisen der Einmaligkeit betrachten. Wenn wir sagen: das Schaffen als eine gewisse menschliche Fähigkeit, — so ist es, natürlich, eine gewisse menschliche Fähigkeit. Und wenn wir sagen: das Schaffen als eine gewisse spezifische Begabtheit (in der Kunst, in der Wissenschaft), — so ist es die Einmaligkeit. Vom Gesichtspunkt der Gesellschaft aus gesehen bedeutet das Schaffen die Einmaligkeit. Es gibt keinen anderen solchen Lew Tolstoi, oder Van Gogh, oder Beethoven, Landau, Newton, Einstein.

Annahme der Einmaligkeit

Jetzt versuchen wir zu betrachten, welche Varianten wir uns auf dem Weg zur Realisierung der Einmaligkeit des Menschen und auf dem Weg der Annahme dieser Einmaligkeit vorstellen können. Wir versuchen dieses Problem schon nicht aus der Frage «was?», sondern aus der Frage «wie?» ausgehend zu betrachten. Hier gibt es solch eine Schwierigkeit: vom Gesichtspunkt der geistigen Traditionen aus gesehen wird die Antwort auf die Frage «wie?» durch die Antwort auf die Frage «wozu?» bestimmt. Was, natürlich, für solche Denkweise, die man uns beibrachte, etwas ungewöhnlich erscheint.

Ein einfaches Beispiel der Beziehungen zwischen «wie» und «wozu». Mein Lehrer erklärte es mir gleich am Anfang unseres Treffens so: «Stell dir drei Menschen vor, die eine identische Anzahl von Materialen und das Projekt eines Hauses bekommen haben. Jeder hat ein Haus gebaut, und obwohl vom Gesichtspunkt der formalen Wahrnehmung aus gesehen das drei absolut identische Häuser sind, wird jeder von uns ohne jegliche spezielle Vorbereitung, ohne jegliche spezielle exstrasensitive Verfahren, ins Haus eingegangen, sofort fühlen, dass diese Häuser verschieden sind.
Zum Beispiel, der eine baute eine Festung — einen Schutz vor der ganzen übrigen Welt. Und ins Haus eingegangen, wird man es sofort fühlen. Etwas dicker wird all das sein, was mit der Auβenwand verbunden ist, und etwas dűnner alles innere. Dennoch wird er die selbe Anzahl der Materialen irgendwie unterbewußt umverteilen. Und obwohl das Projekt beachtet wurde, wird die Empfindung einer Festung entstehen. Bei dem im Haus, der es baute, um Gäste zu empfangen, wird man eine andere Empfindung haben. Bei dem, der das Haus baute, damit es darin einfach gemütlich ist – eine dritte Empfindung».

Mir scheint es, dass das Problem vieler Menschen damit verbunden ist, dass sie nicht imstande sind sich selbst überzeugend — nicht den anderen — die Frage zu beantworten: «Und wozu mache ich es? Wozu beschäftige ich mich damit? Wozu lese ich das Buch von Igor Nikolajewitsch Kalinauskas?» Doch unabhängig davon, wie stark man dieses «wozu» begreift, existiert es dennoch bei jedem. Es gibt keinen Menschen, der nicht einen sinnesbildenden Mechanismus hätte, und somit die Antwort auf die Frage «wozu?».
Infolge dessen, dass der Mensch über einen sehr entwickelten Mechanismus der überholenden Widerspiegeling verfügt (das heißt sein Bewußtsein ist fähig, Modelle der möglichen Zukunft zu bauen und die Einstellungen der Psyche zu zukünftigen Handlungen zu bilden), der viel mehr entwickelt ist, als bei den höchsten Tieren, und dazu noch über die Fähigkeit zum Selbstbewußtsein, das heißt zur Reflexion, spielt eine riesige Rolle in der inneren Versorgung seiner Aktivität alles, was mit der Zukunft verbunden ist.
In der esoterischen Psychologie ist es schon vor sehr langer Zeit bekannt und ziemlich einfach zusammengefasst: die Gründe der Taten des Menschen liegen in der Zukunft, und die Mittel, die der Mensch dazu auswählt — in der Vergangenheit. Darin besteht der grundlegende Unterschied zwischen den Weisen der Beschreibung und der Selbsterklärung, die die meisten benutzten, und jenen, die die esoterische konstruktive Psychologie bilden.
Die Gründe unserer Taten liegen in der Zukunft. Aber diese Zukunft befindet sich in uns drinn, das bedeutet, dass die Gründe unserer Taten unsere Modelle der erwünschten Zukunft sind, die als reale und gewährleistete Zukunft vorhergesagt wird.
Es ist unmöglich zu verstehen, warum der Mensch diese oder jene Tat begangen hat, wenn man das durch seine Vergangenheit — Umstände, Biografie, Charakter, Temperament, Typ des informativen Metabolismus, sozial-psychologische Welt, in der er aufgewachsen ist — erklärt. Diese riesige Masse sehr qualitativer Information arbeitet fast gar nicht, wenn man nicht berücksichtigt, dass der Grund der Taten sich in der Gestalt der Zukunft befindet.
Je genauer diese psychologische Zukunft bekannt ist, desto wirksamer ist die Handlung des Menschen zur Selbstrealisierung, zum Selbstöffnen oder zur Selbsttransformation. Und wenn Sie Ihr Verhalten tatsächlich ändern wollen, sollen Sie das Bild der Zukunft ändern.
Das ist eben das wichtigste «wie?». Das ist eben die einfache psychologische Antwort darauf, warum in der geistigen Realität gesagt ist: «Wenn das „wozu“ bekannt ist, wird das „wie“ sofort klar». Und uns gewöhnt man an, sich mit allerlei Rezepten, Algorithmen, Technologien «auf Vorrat» zu versorgen und sich damit ausrüsten. Da wir nicht wissen, was wir tatsächlich gebrauchen werden, rüsten wir uns die ganze Zeit aus.
Wir schlucken jede beliebige Information über den Menschen, von der billigsten Mystik bis zur gehobensten Geistigkeit, und irgendwo in der Mitte befindet sich der gesunde Menschenverstand, die Wissenschaft und die persönliche Erfahrung. Und dennoch fühlen wir, dass wir selbst nicht wirksam sind.
Wie mein Lehrer sagte: «Du kannst alles mögliche vergessen, aber niemals, in keinem Zustand, in keiner beliebigen Stufe der Veränderung darfst du das „wozu?“ vergessen und das, was du damit machen willst».
Den Aufruf: «leben, hier, jetzt, zu dieser Zeit sein» wiederholend — das heißt sich in der Gegenwart befinden, die Kunst sich in der Welt in der Gegenwart aufzuhalten zu ergreifen – műssen wir daran denken, dass auch das unmöglich ist tatsächlich zu verwirklichen, ohne die psychologische Gestalt der Zukunft zu wissen.
Nichts ist es möglich bewußt zu verwirklichen, wenn Sie sich der Gestalt der Zukunft nicht bewußt sind. Das bedeutet, dass das Maβ des Bewußtheit Ihrer Zielstrebigigkeit vollkomen durch das Maβ des Begreifens der realen psychologischen Gestalt der Zukunft bestimmt ist, die Sie in sich drin enthalten. Inwiefern Sie sich dieser Gestalt bewußt sind, insofern sind Sie Ihrer Zielstrebigkeit bewußt. Inwiefern Sie sich dessen nicht bewußt sind, insofern sind Sie Ihrer Zielstrebigkeit nicht bewußt und von den äusserlichen Einflüssen abhängig.

Wir sind hier, um zu leben

Ich denke, dass wir hier sind, um zu leben. Ich halte mich an jene Version fest, die in einem sufistischen Ausspruch geäußert ist: «Ein Elefant ist stärker als der Mensch, ein Tiger kann ihn aufessen. Der Mensch ist geboren, um zu lernen».
Mir scheint es, dass wenn wir über den Fortschritt reden, so ist es eine Bewegung des Menschen sich selbst entgegen. Für mich ist es das Maß der realen Entwicklung der Menschheit — inwiefern die sich der Begegnung mit sich selbst nähert.
Mir scheint es, dass diese tollwütige Suche nach einer exotischen dritten Stimme im Dialog mit der Welt, so etwas wie die Außerirdischen, andere Wesen und so ähnliches, vom Bösen kommen. Nicht, weil ich die Möglichkeit oder die Realität der Existenz solcher exotischen Dinge bestreite. Ich habe selbst Menschen getroffen, die andere Aspekte der Realität unmittelbar erlebt haben. Aber das alles ist, wie die Hindus und Siddhi sagen – Blumen, die am Weg wachsen. Oder, wie der Trainer sagte, mit dem ich arbeitete: «Werden wir von hier ab höher springen?» (Er war Hochsprungtrainer.) Werden wir von hier an uns selbst nähern? Von sich selbst fortzulaufen sind wir alle Meister. Unsere ganze Zivilisation ist die Kunst des Menschen von sich selbst fortzulaufen. In alle möglichen Sachen: ins Tuen, in die anderen — wohin auch immer, nur von sich selbst fort. Es ist die Bewegung nicht zu sich, sondern von sich, die ganze Zeit. Die Sucht sich auszuverkörpern.
Andererseits, haben wir schon aufgeklärt, dass in sich selbst zu laufen auch eine Illusion sei, und somit bedeutet es, dass man ins nirgendwohin läuft.
Und zu sich selbst zu laufen bedeutet, dass man sich der eigenen Größe als eines Menschen — nicht eines Beamten, einer sozialen Position, irgendeiner spezifischer Begabtheit — sondern einfach als eines Menschen bewußt wird…
Seine Majestät der Mensch ist die Verbindung von zwei Unendlichkeiten: der Unendlichkeit der subjektiven Realität und der Unendlichkeit der objektiven Realität, ob er es will oder nicht. Der Tatsache nach. Er ist so gemacht. Die Einmaligkeit ist durch das Aneinanderfűgen von zwei unendlichen Sachen, zwei Universen bewirkt: des einzigartigen und subjektiven Universums und des Universums der Welt… Ich bin űberzeugt, dass es eine Bewegung sich selbst entgegen ist. Entgegen. Ich bin ein Optimist. Ich denke, dass die Menschheit zum Erleben von dieser Begegning kommen wird. Für mich besteht darin der Sinn der Existenz der Menschheit und des Menschen als solchen. Aber das ist mein persönliches Wissen und kein Anspruch auf Wahrheit. Es ist mein persönlicher individueller Sinn. Mein persönliches Erlebnis.
Zu diesem Anlass werden wir ein wenig die Frage des Glaubens in folgender Dimension aufklären: Man glaubt an Gott und nicht dem Gott. Alles, was uns gegeben wird, ist von Gott.
Es ist nicht so wichtig, ob wir es richtig oder falsch verstehen. Es hängt vom Verständnissgegenstand und seiner sozialen Bedeutsamkeit in der vorliegenden sozial-psychologischen Welt ab. Kann sein, dass es wichtig ist das richtig zu verstehen, oder vielleicht ist es gar nicht wichtig. Doch der Sinn der Sache besteht darin, dass dasjenige, was wir für das einzig wichtigste und einzigartige halten, das heißt das Bewußtsein, genauer gesagt, sein verständnismäßiger Teil (ich verstehe — verstehe nicht, es ist richtig — es ist falsch), der kleinste Teil unseres Menschenwesens ist.
P.V.Simonov hat es wunderbar zusammengefasst: «Unser Denken macht eine einzige Arbeit – es bedient unsere Bedürfnisse». Mehr tut es nichts. Und der Sinn des Lebens, oder der Sinn irgendeiner Handlung, oder der Existenz des Bewußtseins, genauso wie auch der Sinn von sich selbst, kann man nur in einem Erlebnis entdecken.
Schauen Sie aufmerksam um sich herum. Nicht die Gefühle verbinden die Menschen, sondern die Erlebnisse, sogar negative Erlebnisse. Sogar etwas schweres, negatives, aber was zusammen erlebt wurde, verbindet. Warum klagt der Mensch, einerseits, dass es ihm mit jemandem sehr schlecht und unerträglich ist, und kann andererseits sich von ihm nicht trennen? Weil sie viele gemeinsame Erlebnisse haben, und zu anderen empfindet er nur Gefühle.
Und was sind Gefühle? Von mir zu dir, von dir zu mir. Aber sie überqueren einander nicht. Und Erlebnisse sind etwas, was verbindet. Deshalb ist das Erlebnis eine Sache, die umformt, einschließlich das Bewußtsein, mittels dem Entdecken eines neuen Sinnes. Die Frage des Glaubens darf man nicht in die Sprache des Bewußtseins übersetzen.
Der Mensch, der einen Glauben hat, sieht es so. Der Mensch, der keinen Glauben hat — anders. Derjenige, der liebt, ist ein Mensch. Derjenige, der nicht liebt – ein anderer. Der Mensch, der weiß, ist ein Mensch, derjenige, der nicht weiß – ein anderer. Doch das komplizierteste besteht darin, aufzuklären, was Sie meinen, wenn Sie sagen: «an Gott glauben».
Es ist doch eine populäre und überall verbreitete Tradition. Die in Gott verliebte hält jemand, der es von Auβen beobacht, für Verrückte. Sie sind wirklich verrückten, weil sie das, was im Alltagsleben Verstand genannt wird, Gott gegeben haben. Sie brauchen den nicht. Sie haben ihn weggegeben. «Gott, nimm das, was mir nicht angebracht ist, ich kann ohne dem leben, mir reicht die Liebe».
Der Narr in Christo ist wahnsinnig. Aber er bewirkt Sinn. Deshalb reichen wir ihm immer, die meisten von uns, ein Almosen, und fühlen bei unserer ganzen Rationalität und Skeptizismus immer, dass er ein Gottesmensch ist. Seine Existenz macht unser Leben durchdachter. Wir alle wollen Liebe haben, jedoch entscheiden sich wenige dafür, weil es Wahnsinn ist.
Viel einfacher ist irgendein emotionaler Kontakt, Resonanz, Konvention, Freundschaft, Leidenschaft. Man kann solch eine Konvention schön machen und es die Liebe nennen. Und wie es eine Distanz gab, so ist sie auch geblieben. Damit man keine Angst hat. Der einzige Ort, wo die Distanz nicht eingehalten werden kann, sind intime Beziehungen. Obwohl ich Menschen kenne, die solche energetische Technik besitzen, dass sie das alles ohne jegliche physische Bewegungen drei Meter entfernt machen können. Bloβ vermeiden, bloβ die Distanz einhalten. Und wissen Sie, wie schön das heißt: kleine Tantra — die Kunst das aus Entfernung zu machen. Sehen Sie, auch hier sind einige entlaufen.
Das Bewußtsein bedient unsere Bedürfnisse, einschließlich das Bedürfnis nach der Sicherheit, das heißt in der gewährleisteten Zukunft. Unser Hauptziel. Geben Sie uns eine Garantie, das reicht. Jeder beliebige Scharlatan gibt vor allem eine Garantie.
Deshalb muss man die Technologie — Technologie, das Bewußtsein — Bewußtsein, den Glauben — Glauben, die Liebe — Liebe, und den Menschen — Mensch nennen, weil er mit keinen Beschreibungen beschränkt werden kann, genau so, wie die Realität. Es gibt eine schöne Formel: «Jeder beliebiger Beschreibung der Realität entspricht etwas in der Realität, doch alle Beschreibungen, zusammen genommen, erschöpfen die Realität nicht». Die Realität ist keine Beschreibung. Sie ist total anwesend. Sie ist unbeschreiblich. Im direkten Sinne dieses schönen Wortes. Unbeschreiblich. Deshalb kann man sie nur widerspiegeln.
Das ist auch der Mensch — die Widerspiegelung der Realität. Deshalb ist seine subjektive Realität, genauso unendlich, wie auch objektiv, einzigartig, weil das seine einzige persönliche Widerspiegelung ist.
Und darin besteht die Tragödie: wenn ein Mensch weggeht, geht ein eigenartiges Bild verschwunden. Man kann kein einziges Kunstwerk wiedergeben. Man kann es kopieren, aber nicht wiedergeben: es ist der Bestimmung nach einzigartig. Und der Mensch ist der Bestimmung nach einzigartig.

Zwei Dinge zum Begreifen

Ich kann Ihnen meine individuelle Erfahrung mitteilen. Was hat mir geholfen, den entscheidenden Schritt in den Wechselbeziehungen mit sich selbst zu machen, die Distanz in den Beziehungen mit sich selbst abzunehmen? Zwei Dinge, die ich begriffen habe. (Ich habe sie nicht nur begriffen, sondern auch erlebt, aber das Begriffene kann man erzählen.)
Ich habe begriffen, dass in mir alles gibt, was auch in jedem beliebigen Menschen ist – von dem schrecklichsten Verbrecher, Wüstling, Halunken, Unmensch, den ich nicht ausstehen kann bis zu demjenigen, den ich anbete, űber den ich denke: «Du liebe Güte, so etwas werde ich niemals erreichen», bis zum Franz von Assisi. Das alles ist in mir. Und wie ich mich nicht schlängele, kann ich dem nicht entgehen. Das alles gibt es. Wenn ich einerseits von der schlechten Seite etwas, so zu sagen, abschneiden werde, wird es automatisch dazu führen, dass ich auch von der anderen Seite etwas abschneide.
Es ist das Pendel, die Schaukel zwischen dem Größenwahn und dem Komplex eines kleinen Menschen. Man muss dieses Pendel, diese Schaukel anhalten und sich sagen: ich bin weder groß, noch klein, weder gut, noch schlecht. Ich bin von vornherein einfach ein Mensch. Das war das Erste, was ich begriffen habe.
Später ist ein weiteres Problem entstanden: wie kann man diesen Menschen jetzt, wenn er so einer ist, liebgewinnen? Das bedeutet ja nicht, dass man alles realisieren muss. Ich will doch nicht in die Gesellschaft der Gewalttäter und Mörder geraten. Ich will in solche Gesellschaft geraten, wo Mozart und Bach sind. Und hier kam etwas vor. Ich kann dazu keine Worte finden.
Ich habe die Menschen angeschaut, in dessen Gesellschaft ich mich erweisen will, und habe gesehen, dass es Menschen sind, in denen auch alles ist. In Franz von Assisi steckt auch irgendein Sadomasochist. Aber sie haben diese ihre Orte so verwendet, dass daraus ein anderes Ergebnis wurde…
Und hier ist mit mir Liebe geschehen. Die Liebe ist eben das, was aus diesem ganzen Umfang ein Wunder macht. Es war das Zweite, was ich begriffen habe. Erinnern Sie sich, wie bei Achmatowa: «Wenn Sie wüssten, aus welchem Kehricht die Gedichte wachsen, ohne sich zu schämen». Liebgewonnen, werden Sie verstehen, dass die Liebe dieses Material in alles mögliche umwandeln und verwirklichen kann. Doch wenn es keine Liebe gibt, dann sitzt die Gesellschaft am Drűcker. Alles wird davon bestimmt, in welcher sozial-psychologischen Welt der Mensch geboren wurde, welche Erziehung er bekommen hat, welche Umstände eine Rolle gespielt haben. Wie die Gesellschaft darauf gespielt hat, auf welche Knöpfe und Tasten sie gedrückt hat, so ist es auch daraus geworden. Hast auf diese Tasten gedrückt — ist ein Vorgesetzte geworden, auf jene — ein Heiliger.
Wenn wir daran nicht glauben, dass jeder Mensch von Gott ist, geraten wir in eine Gesellschaft mit Genosse Prokrustes: die anderen műssen vervollkommnet werden. Und wenn man die vervollkommnen soll, so gibt es jemanden, der weiß, wie man es machen soll. Und der Wissende ist der Bestimmung nach vollkommen.
Wenn Sie doch an Gott (oder Gott glauben), so sollen Sie jene schreckliche Tatsache ertragen, dass, die Menschheit liebgewonnen, Sie daraus kein Naturschutzgebiet machen können: man muss dann alle lieben. Oder Sie können die Menschheit nicht lieben – Sie sind nicht imstande das zu machen. Dann lieben Sie die Ihren. Dann műssen Sie so auch sagen: ich mag die Menschen, die meinem Wir beitreten. Dann werden Sie der Logik nach unvermeidlich früher oder später in die Konfrontation von Wir und Sie geraten.
Deshalb gilt in ernsten geistigen Traditionen als höchste geistige Errungenschaft sich selbst als ein Teil der Menschheit zu erleben — zu erleben, nicht zu erkennen. Sich selbst als ein Teil der Leere zu erleben, das heißt als das Nichtsein ist das einfachste. Weiter folgt sich selbst als die Welt, als alles, als der Kosmos, als der Teil des Kosmos zu erleben. Und als das unerträglich schwere — sich als ein Teil der Menschheit, und nicht als ein Teil von Wir zu erleben. Anders werden die sie trotzdem stören. Und man muss sie, wenn nicht in ein Konzentrationslager, so wenigstens aus der Geistigkeit raus schicken.

Gestalt der Zukunft

Es gibt die innere und die äusserliche Bedingtheit. Der äusserlichen Bedingtheit sind Sie desto mehr unterworfen, je weniger Sie sich der Gestalt der Zukunft bewußt sind. Dann nehmen Sie irgendeine schöne Gestalt der Zukunft an, die in Ihnen Resonanz findet, jedoch von außen kommt. Und Sie versuchen gar nicht zu verstehen, auf welche Weise sie sich mit Ihrer inneren Gestalt verbindet oder nicht verbindet. Natürlich, sind Sie dann auf diese Gestalt, auf den Menschen-Autor dieser Gestalt der Zukunft angewiesen, weil die Zukunft nicht in Ihren Händen, sondern in Händen einer Lehre, eines Guru, eines Psychologen, eines Führers, eines Lehrers liegen wird. So kommt der Raum für Manipulationen auf.
Sie werden mir sagen: aber es gibt solch einen Zug, wie überhaupt jedes Modell der Zukunft abzulehnen und zu sagen: ich bin hier, heute und jetzt, das ist alles, ich brauche nichts mehr. Doch das ist Selbstbetrug, über den wir schon gesagt haben. Der Mensch kann nicht aufhören, Mensch zu sein. Nur wenn er sterben wird. Obwohl das auch nicht bekannt ist. Das bedeutet also, es ist einfach Selbstbetrug. Solch eine Vorstellung muss auch mit einem Zukunftsbild gesichert sein.

Es gab einmal einen bemerkenswerten Artikel in der Zeitschrift «Wissen ist Macht», wo über den Jepichodow-Effekt geschrieben wurde. Es gibt Menschen, auf die die ganze Zeit «Ziegel fallen», sie ziehen ständig jeden Pech zu sich heran. Das bedeutet, dass beim Menschen irgendeinen Bruch im Mechanismus der überholenden Widerspiegelung gibt. In der Norm soll der Mensch, ohne sich selbst bewußt zu sein, warum es so ist, sich plötzlich denken: «Ich werde lieber mit dem nächsten Flugzeug fliegen». In der Norm ahnt der Mensch unbewußt: «Heute werde ich auf der anderen Straßenseite gehen». Und gerade heute stűrzt auf der Straßenseite, wo er sonst immer ging, plötzlich der Balkon ein. Usw. In der Norm ist der Mensch wirklich zum Glück geschaffen.

Ich mag sehr den berühmten Ausdruck: «Der Mensch vermutet, doch zum Glück verfügt er nicht darüber». Stellen Sie sich vor, dass alle unsere Annahmen, ich meine spekulative Annahmen, sich erfüllen. Die Welt würde seit langem verschwunden sein, sich zerstören, umkommen. Aber es verfügt darüber zum Glück nicht die Spekulation, sondern unsere Ganzheit, unsere Totalität. Und unsere Totalität befindet sich insofern in solchen Beziehungen mit der Realität, von denen wir träumen, inwiefern sie nicht kaputt ist oder inwiefern wir sie verpflegen. Doch wir besitzen ja schon diese Beziehungen.
Und in diesem Sinne sagen die geistigen Traditionen: du hast schon die Erleuchtung erlangen, du musst es einfach erleben, das ist alles. Ihr alle habt schon die Erleuchtung erlangen. Es ist zweifellos so, weil unsere Totalität dennoch existiert. Obwohl wir die aus Leibeskräften verunstalten versuchen, wie auch die Natur, weil die Totalität die Natur des Menschen ist. Und bei der ganzen ökologischen Hässlichkeit, die wir mit unserer inneren Natur veranstaltet haben, existiert sie dennoch, sie ist nicht umgekommen. Und wird kaum umkommen. Wir werden eher umkommen, ich meine unsere materiellen Träger. Eher wird die Menschheit umkommen, als sie die Natur zerstören können wird. Es ist meiner Meinung nach genügend klar. Es ist der Größenwahn des Menschen. «Wir sind so stark, dass wir die Natur zerstören können». Keine Angst, im nötigen Moment wird die Natur uns zerstören, und wir werden uns nicht besinnen. Der Natur ist es im Unterschied zu uns doch einerlei. Die Natur hat kein Modell der Zukunft. Und wir haben die. Deshalb ist es uns nicht einerlei.

Es gibt solch eine einfache Parabel:
— Vater, was werden Sie trinken: Milch oder Wasser?
— Mir ist es ganz gleich, gebt mir Milch.

Dieses «mir ist es ganz gleich» ist eine Illusion. Niemandem von uns ist aus dem einfachen Grund gleich, weil die ganze wertmäßige Struktur, die Wertstufung, laut der wir die Auswahl in der Gegenwart begehen, mit der Gestalt der Zukunft dicht zugebunden ist.
Somit haben wir mit Ihnen zwei ganz reale und jedem zugängliche Möglichkeiten. Mindestens zwei (ich zeige einfach das anschaulichste). Die erste: auf jede Weise der Totalität der Existenz in der Welt beitragen, sich selbst, eigener Gottesähnlichkeit vertrauen. Diese Existenz hat solche intime Beziehungen mit der Realität, dass unser junges Bewußtsein, wie ein Bube sagt: ich weiß alles, ich selbst, selbst, selbst — also, lasst es einfach… weisen Sie es einfach zurecht – es soll unsere Bedürfnisse bedienen. Die zweite Möglichkeit: den ganzen Reichtum der Beziehungen mit der Realität ablehnen und nach wie vor sich auf das alltägliche Bewußtsein stützen.

Fülle des Daseins

Wenn wir uns das Leben nicht als eine Bewegung vom Ziel zum Ziel bewußt machen, nicht als eine Realisierung der Bedürfnisse im hierarchischen Kampf der Motive, sondern als einen Aufenthalt in der Welt, als das Dasein, — dann wird klar, dass sogar der feinste Intellekt und das Selbstbewußtsein uns insofern nutzen, inwiefern sie die Totalität unserer Existenz in der Welt unterstützen und entwickeln.

Das kann man so äußern. Es steht ein Baum — man kann ihn beschneiden und solch eine Form geben, eine andere, das heißt mit ihm bestimmte Manipulationen machen, aus einem gewissen Vorhaben ausgehend. Bis zu einem bestimmten Moment, bis es ein Baum bleibt. Wenn man diese Grenze überschreitet — kommt es um und verwandelt sich in einen getrockneten Baum, und das ist schon Brennholz.
So ist auch der Mensch. Bis zu einem bestimmten Moment können wir, aus sich einen Teil ausreißend, dieses Teil bewundern, sich davon hinreiβen lassen, sich nur damit beschäftigen, verschiedene Formen geben, doch wenn man die Grenze überschreitet bedeutet es den Tod.

Wir möchten die Fülle des Daseins fühlen, in der unsere Einmaligkeit sich aufdecken kann, nicht als ein Unfall, sondern als innere Freude, als Glück, weil bis wir der Totalität keine Freiheit erlauben, ist die Einmaligkeit ein Unfall. Sie stört unheimlich. Man will wie alle sein. Also, was bin ich so einer allein, niemand kann mich ganz verstehen, und ich selbst verstehe mich nicht. Wenn wir die Freude und den Genuss von der Einmaligkeit empfinden wollen, so sollen wir uns dahin bewegen, wo unser totaler Aufenthalt der Urgrund des Begreifens von sich selbst und der Welt sei.
Alle jene Ausrüstungen, jenes Instrumentarium, das uns von der Natur, der Gesellschaft, der Evolution des Menschengeschlechtes gegeben ist, kommt später. Dieses ganze Instrumentarium ist für die Lösung konkreter privater Aufgaben nötig. Aber er ersetzt keinesfalls die Fülle des Daseins, die uns durch das Leben ohne jede, entschuldigen Sie, mystischen Probleme durchführen wird. Sie werden einfach auf die andere Straßenseite gerade in jenen Moment übergehen, wenn auf dieser der Balkon einstűrzen wird. Und Sie werden sagen: «Mein Gott, habe ich Glück gehabt, ganz zufällig!»
Was stört uns daran zu glauben? Das Denken. Es hat kein Bild. Es hat eine Beschreibung. Bis du die Beschreibung durchlesen wirst, vergeht die Gegenwart, das Leben wird ja nicht fűr diesen Zeitaugenblick stehenbleiben. Das zu machen, das heißt die Beschreibung abzulehnen, wird jeder dann machen können, wenn er zwei Momente verbindet.
Das erste — vom engen Verständnis der Intuition als einer Erscheinung des Superbewußtseins zu ihrem Verständnis als einer Totalität des Aufenthaltes in der Welt, als einer Kombination des Lebens und des Daseins űbergehen. Der zweite Moment – das maximale Begreifen des Zukunftsbildes in allen seinen Aspekten: des erwünschten, des vorhergesagten und des gesicherten. Wenn diese zwei inneren Handlungen geschehen, dann halten Sie sich in Ihrem «wozu?» auf und kennen alle «wie?», die Ihnen nötig sind.

Mit uns allen kam es vor, dass sich das nötige Buch plötzlich zeigte. Und davor «habe ich es so gesucht, so gesucht!». Es gab einen bemerkenswerten Fall während den Prűfungen in Moskau, so im Jahr wahrscheinlich 1968. Ich wohnte bei meinem Freund und Kommilitonen, und wir führten philosophische Gespräche. Und haben immer gesagt: wie schade, dass wir zu Hause kein Evangelium haben, wir brauchen das Evangelium so sehr, so sehr; morgen werden wir fragen, vielleicht hat es jemand. Damals war es damit noch schwierig. Es vergeht ein Abend, der zweite, der dritte. Am vierten Abend drehe ich den Kopf um, es liegt ein Bücherstapel, und oben drauf das Evangelium. Ich sage: «Da ist doch das Evangelium». — «Ach, und ich habe ganz vergessen, dass ich es habe».

Verstehen Sie, es ist eben Gott in uns, es ist eben das Dasein in uns. Es ist eben unsere Totalität, anders gesagt. Es ist die Grundlage davon, was wir Mensch nennen, die Grundlage der realen Einmaligkeit, jedes einzeln genommenes Personallebens.
Das Leben deckt so seine persönliche Bedeutsamkeit ohne einen Hinweis auf die zukünftigen Generationen auf. Und das heutige, dieses unsere einzige einzigartige Leben findet für uns selbst die echte Bedeutsamkeit, wenn es sich auf das von uns erlebtem Dasein stützt, das Erleben des Aufenthaltes in der Welt als einer Fülle, als einer Vollkommenheit, weil das Dasein vollkommen ist. Und in diesem Sinne ist gesagt: die Welt ist vollkommen.
Jede Illusionen und Konzeption der Umgestaltung der Welt sind, auf der altertümlichen Sprache gesagt, eine Gotteslästerung, und in moderner Sprache heisst es — einfach ein Element des Größenwahns. Die Welt ist wie das Dasein vollkommen. Aber es bedeutet nicht, dass es in der Welt nichts zu tun gibt, weil alles schon getan ist. Im Gegenteil, steckt darin ein kolossaler Raum für jede beliebige Vollziehung, gerade deshalb, weil sie wie das Dasein vollkommen ist.
Und jeder Mensch ist wie das Dasein vollkommen. Deshalb hat er einen kolossalen Raum nicht zur Umgestaltung seiner selbst nach irgendeinem äusserlichen Ideal, sondern zur Entfaltung, damit das Leben und das Dasein sich maximal einander nähern. Und dann deckt das Leben Ihnen unabhängig von funktionalen Beschreibungen von Ihrem Lebens Ihre eigene Vollkommenheit auf. Was fűr eine Vollkommenheit es nicht sei, wird es zum Weg, das Sie zu sich selbst fűhrt. Sie entdecken plötzlich, dass Sie nicht schlechter sind und sich grundsätzlich nicht von den allen, die Sie vergöttern, die Sie fűr groß halten, unterscheiden. Sie sind genau derselbe.

Wissen Sie, wann mit mir dieses Erlebnis geschah?
Es war am See in Litauen. Kieferwald, Sand, Sommer. Wunderschön. Und in so einer Umbegung habe ich den von mir sehr beliebten Rajneesh gelesen, und plötzlich ist es mit mir geschehen. Ich lachte laut acht Stunden lang und noch sieben Stunden vor mich hin. Ich konnte nicht aufhören. Verstehen Sie? Mein «wozu?» zeigte sich als absolut realisiert, weil es eigentlich, immer mit mir war. Aber ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um diesen Augenblick zu erreichen, zwanzig Jahre Studiums und fast vierzig Jahre des Lebens.
Und dann ist bei mir der Wunsch entstanden irgendwie dazu beizutragen, damit es bei jedem Menschen geschieht, nicht bei Auserwählten, nicht in irgendwelchen esoterischen Kreisen, — denn wir sind ja alle so.

Wir alle haben der Tatsache des Aufenthaltes in der Welt nach eine intime Verbindung mit der Vollkommenheit als solcher. Wir haben die Vollkommenheit in uns, und die Welt haben wir in uns wie das Dasein. Uns lenkt davon das mechanische Leben ab. Es scheint, dass wenn das Leben vom Gesichtspunkt unserer Wünsche aus gesehen unvollkommen ist, so ist auch das Dasein unvollkommen. Doch das Dasein ist vollkommen, es ist mit dem Leben in ganz anderen Beziehungen. Wenn man lebt, und nicht den entwischenden Meistertitel verfolgt oder schluchzt, sich als Verlierer titulierend, sondern zu sich selbst geht, dann werden Sie jede beliebige Form im Leben mit sich selbst ausfüllen können. Mit eigenem Inhalt. Mit sich selbst. Und die Spaltenseiten zwischen dem Leben und dem Dasein ständig näher bringen und so zerstören. Und immer mehr und mehr die Fülle des Daseins fűhlen, was die Möglichkeit gibt sich ganz anders sogar zu eigener sehr dramatischen Lebensgeschichte zu verhalten. Hatten denn jene Menschen, die wir auf den Sockel stellen, von der Kindheit an im Schlaraffenland gelebt? Sie haben ein nicht weniger schwieriges Leben gehabt.
Franz von Assisi hatte ein sehr schwieriges Leben gehabt… Unser Leben sieht im Vergleich dazu überhaupt wie Zucker aus. Aber das hat ihn doch nicht gestört, sich im Dasein aufzuhalten und die Vollkommenheit der Welt zu empfinden, Gott zu lieben, mit Tieren und Vögeln zu reden und überhaupt zu sein… Das hat den Papst nicht gestört aus dem Sessel aufzustehen und ihm entgegen zu gehen. Dies ist die wirkliche Kraft. Es ist das, wozu wir geboren wurden, was uns gegeben ist.
Uns ist gegeben Mensch zu sein. Uns ist es nicht immer gegeben gut zu leben, da spielt die Zeit und der Ort eine Rolle. Aber es ist uns gegeben Mensch zu sein. Und wenn Sie sich selbst freuenden und in der ganzen Fülle des Daseins glücklichen ins Zukunftsbild unterbringen, dann werden Sie diesen «Wie?»-Weg finden.
Wenn Sie aber ins Zukunftsbild eine passive Gestalt eines Verlierers im sozialen Rennen unterbringen, dann finden Sie dieses Dasein nicht, obwohl Sie neben Buddha oder Christus seien werden. Denn es ist gesagt: «Man kann Tausend Jahre neben Buddha sein, alle seine Hinweise erfüllen, und nichts wird geschehen».
Wir alle wollen es anscheinend. Aber unser ganzes Soziale vermeidet es auf jede Weise, weil das Soziale die Vernichtung der Einmaligkeit bedeutet; die Gesellschaft und die Menschheit als ein soziales Organismus können leider noch nicht nur aus Einzigartigen bestehen. Die verstehen nicht, was es ist und wie man damit lebt.
Deshalb fordert das soziale Leben vom Menschen die Einmaligkeit zu vernichten. Je weniger einzigartig im Leben Sie sind, desto mehr Chancen auf Erfolg haben Sie. Und das Dasein sehnt sich dort und bittet, der Geist sehnt sich und ist die ganze Zeit unzufrieden, weil das Dasein die Realisierung der Einmaligkeit fordert. So etwas kann entschieden werden. Dazu kann man kommen. Dann wird nicht mehr jede beliebige Information zu Ihnen massenhaft herbeiströmen, sondern es wird nur jene sehnliche kommen, als auch Lehrer, als auch Bűcher — alles Mögliche, und auch Stimmen (wer es möchte). Aber alles wird in «eine Kasse» gehen, wie mein Lehrer sagte. Er sagte: «Für alles im Leben muss man zahlen. Und die Frage besteht darin, ob du die Kasse gewählt hast oder ob du selbst nicht ahnst, wohin deine Kapitalien verschwinden».
Weil das einzige reale Geld, das der Mensch hat, ist sein Leben. Es ist der goldene Fonds: Jahre, Stunden, Minuten, Sekunden, Augenblicke unseres Lebens. Damit zahlen wir. Wenn wir in die Kasse des Daseins zahlen, dann sind wir vollkommen. Wir bewegen uns zur Realisierung der Vollkommenheit oder halten uns schon darin auf. Doch wenn wir es in verschiedenen anderen Orte verschwenden, so gelingt bei uns weder das Leben, ich sage schon nicht űber das Dasein. Was fűr ein Dasein? Was reden Sie da, Igor Nikolajewitsch? Es gibt es nichts zu fressen.
Was ergibt sich also bei uns? Bei uns haben sich zwei grundsetzliche «warum?» ergeben. Das eine ist mit dem Aufdecken der Einmaligkeit durch das Verständnis, Begreifen und Erleben davon verbunden, dass das mechanische Leben nicht alles, was dem Menschen gegeben ist, sei, sondern nur ein Teil des Aufenthaltes in der Welt. Es gibt noch etwas, dass wir das Dasein, die Fülle der Realisierung, die Fülle des Aufenthaltes, die Totalität genannt haben. Das zweite «warum?» heisst — um besser zu leben! Gerade hier steckt die Falle. Was bedeutet besser leben? Hier ergibt sich eine Dualität, die Zielstrebigkeit spaltet sich, und der Mensch verliert die Kraft. Besser – schlechter: nach welchem Kriterium?
Wie kann man das Dasein, die Oberherrschaft des Daseins über dem Leben bevorzugen, wie kann man sich dessen bewußt werden, dass das Leben ein Teil des Daseins ist, und nicht umgekehrt? So entsteht das Problem des Glaubens.
Wenn der Mensch religiös ist, betet er regelmäßig. An und für sich ist das Gebet eine sakrale Tätigkeit, eine Produktionstätigkeit des Sinnes, und nicht von etwas anderem. Nur wenn er betet, natürlich, und nicht mit Gott handelt — du gibst mir das, und ich dir jenes.

Es gibt eine bemerkenswerte Parabel über einen Kaufmann, der in einen Schiffbruch geraten ist. Er bat flehend um Hilfe und Gott kam zu ihm. Er sagt: «Rette mich, ich werde Dir zu Ehren eine wunderschöne Kirche bauen». Gott hat ihn gerettet. Doch ein Kaufmann ist ein Kaufmann. Er schwimmt wieder mit einem Schiff und gerät wieder in einen Schiffbruch. Wieder fleht er Gott an, und Gott kommt wieder zu ihm. Er sagt: «Rette mich, ich werde Dir noch zwei Kirchen bauen». Gott antwortet: «Diesmal nicht, Bursche, entschuldige. Kann hier nichts tun. Ich habe ein Jahr lang gearbeitet, um euch auf diesem Schiff zu versammeln».
Der Mensch kann ein Vorhaben haben, und Gott – ein anderes.

Zwei Lebensmodelle

Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Lebensmodelle. Sie existierten schon immer, zu allen Zeiten. Diese Modelle sind gerade mit Ihrem «wozu?» verbunden. Wozu bin ich hier? Ich bin hier, um mein Leben möglichst besser und erfolgreicher nach den Kriterien der Gesellschaft zu leben. Kaum ist das wichtigste — zu leben, so ist es gleich «um etwas willen». Einfach so zu leben geht nicht. Man soll nur «um etwas willen» leben. Um eigener Kinder willen, um des Glückes des Landes willen, des Volkes, des Retten der Menschheit. Das heißt, dass sofort eine Ideologie nötig ist, weil es sich ohne sie nichts ergibt.
Und wozu ist der Glaube nötig? Kaum heisst das «wozu?» — zu leben, so ist es gleich ein Wettbewerb, so sind es gleich Gespräche űber die Sittlichkeit und Sittenlosigkeit, űber das Gute und Schlechte, über das Richtige und Falsche. Bis zur Heiserkeit streiten die Menschen darüber schon so viele Jahrhunderte lang, haben ein Haufen Bücher davon geschrieben, eine Menge Reden gehalten, nichts hat sich jedoch im Wesentlichen geändert. Es kann sich auch nicht ändern, weil solch ein Leben der mechanische Teil unserer Ganzheit ist. Es ist das Typische, und nicht das Einzigartige in uns. Für solch ein Leben genügt nur Instrumente zu haben, obwohl man davon bei weitem nicht alle benötigen wird.
Das Leben heute ist so kompliziert, dass man dazu extrasensitive Fähigkeiten, Siddhi und noch verschiedenes andere, die Außerirdischen braucht. Warum? Weil es sehr schwierig zu leben ist. Es ist unmöglich einfach das Leben durchzuleben, man muss das Leben leben, und nicht es durchleben. Man muss solche Ideologien verwenden, die mich und Sie irgendwie da herausziehen können.
In der Fülle des Daseins gibt es einfach keine solche Probleme, wenn das Leben ein Mittel ist; dein eigenes Leben, kein fremdes, in dir selbst ein Mittel ist. Oder es ist die Bewegung sich seiendem entgegen, oder die Realisierung dieser Begegnung — die Realisierung deiner Daseinsfülle und deiner Einmaligkeit. Dann nimmt es, erstens, bei aller Schwierigkeit und Anstrengung, bei allem Schmerz, jene Stelle ein, die es einnehmen soll, nicht mehr und nicht weniger. Und zweitens, werden Sie wirksamer handeln, weil Sie und das Leben nicht ein und dasselbe ist.
Grob gesagt werden Sie aufhören ein Paranoiker zu sein, der nur auf das Eine eingestellt ist: ich werde sterben, ich werde sterben, ich werde sterben, man muss sich beeilen, man muss sich beeilen, die Kinder werden schon groβ. Es ist solch ein Tunnel, wo am Ende ein Lämpchen unter dem Namen «die glückliche Zukunft der zukünftigen Generationen» hängt.

Es gibt eine berühmte Parabel.
Es lebten zwei Prinzen. Der Eine verzichtete auf die Hälfte des Staates, die ihm vermacht wurde, und ist Bettelmönch geworden. Und der zweite wurde Zar. Nach einem Jahr treffen sie sich wieder. Der Zar sagt dem Bruder: «Du bist ein Held, ein Groβer Mann. Du hast alles der Wahrheit wegen geopfert».
Der andere antwortet: «Was bin ich fűr ein Held, ich bin ein kűhler Egoist. Ich habe Scheiße gegen einen Diamanten getauscht. Du bist der Held».

Wir alle sind Helden. Wir wollen uns daraus ausreissen, sind jedoch wie Pferde in Scheuklappen. Wir wollen uns ausreissen, doch die ganze Zeit stört uns etwas. «Also, gut. Gut, ich mache noch dies und jenes, und beginne dann das Geistesleben zu leben».
Nichts wird sich daraus ergeben, Sie werden so hin und her laufen, wenn der wichtigste Augenblick der Ereignissenwendung nicht geschieht – das Finden des Daseins. Das heißt bis Sie sich, grob gesagt, nicht mit solch einem Leben reidentifizieren werden, werden Sie sich selbst nicht finden, sondern werden die ganze Zeit so ein Leben finden, mit dem Sie sich identifiziert haben. Genauso werden Sie sich selbst nicht finden, bis Sie sich nicht mit dem Bewußtsein reidentifizieren, weil Sie überall eigene Gedanken und eigenes Bewußtsein finden werden. Das ist es eben, was das Leiden bewirkt. Unendlich bewirkt.
Weil es mich nicht gibt. Es gibt das Bewußtsein und das Leben. Und wer bin ich? Denken Sie, dass Sie sich im Bewußtsein entdecken können? Nein, Sie werden sich da nicht entdecken. Können Sie sich in Ihrem Leben entdecken? Nein. Sie werden dort Iwan Iwanovich Iwanow oder Tatjana Sidorovna Iwanowa entdecken, dann und dort geboren usw. Sie können dort die Biografie einer Persönlichkeit, eines sozialen Wesens, funktionale Verdienste, die Realisierung biologischer, sozialer Programme entdecken. Doch sich selbst als eine Einmaligkeit werden Sie dort nicht entdecken.

Es gibt mich und es gibt mein Leben

Sich mit dem Leben reidentifizieren bedeutet nicht sterben, im Nichtsein verschwinden. Sich mit dem Leben reidentifizieren bedeutet geboren werden, das Dasein finden und das Leben leben.
Diese Möglichkeit Daseinsmäβig geboren zu werden ist, streng genommen, die Erleuchtung, wenn der Mensch sich selbst als das Dasein aufdeckt. Dann sagt er: Ich danke dir, Leben, dafür, dass du so warst, wie du warst, weil du mich bis zu diesem Punkt geführt hast.
«Er verbrannte all das, was er anbetete und verneigte sich tief vor dem, was er verbrannte». Warum sind in geistigen Gesellschaften die Manipulation mit der Vergangenheit verboten? Und die Frage «Was wäre, wenn?…» — einfach als absurd gilt. Es wäre das, was es wäre. Die größte esoterische Wahrheit lautet: das, was geschieht – das geschieht, und was nicht geschieht – das geschieht nicht.
Wonach ist Ihre Strebung gerichtet? Wenn Sie selbst die Wendung von der vollen Engstirnigkeit des mechanischen Leben zu der Suche nach sich selbst im Dasein nicht machen können, wird niemand Ihnen helfen. Keine Bücher, keine vollkommensten Lehrer, kein Guru, keine hundertjährigen Traditionen — niemand. Die Hilfe wurde schon von vornherein geleistet. Sie wurden geboren. Das ist eben die Hilfe. Sie halten sich in der Welt auf – das ist die Hilfe. Es ist die Glückseligkeit. Strecke deine Hand – die ist hier und dort. Sie ist nicht irgendwo dort, sie ist hier, jetzt, in diesem Augenblick.
Aber die Suche nach sich selbst im Dasein fordert Anstrengung. Manchmal tut es sehr weh, weil als wir gemacht wurden, das heißt als mit uns der Prozess der Sozialisation durchgeführt wurde, konnte von dem Dasein keine Rede sein. In uns gibt es keine entsprechenden Gewohnheiten, es gibt nichts, was für das Dasein bereitgestellt ist. Wie unser Leben auch nicht schwer war, sind wir damit vertraut, es ist für uns selbst vorhersehbar, klar und erklärbar. Wir haben uns darin zurechtgefunden, uns darin eingelebt, wir sind damit durch Erlebnisse, auch negative, aber doch Erlebnisse verbunden. Wir sind damit zusammengeschmelzt.

Und hier wird uns gesagt:
— Steige aus dem Zug aus.
— Wozu?
— Dort drauβen ist doch die groβe Welt!
— Tatsächlich? Wie interessant! Toll! Was denn, ist dort Buddha und auch Christus? Und Mohammed? Gut, ich werde die nächste Station aussteigen.
— Es wird keine Station geben. Man muss springen.
— Springen? Und wenn ich so mein Bein breche?
Es ist ja so schön aus dem Fensterchen hinaus zu sehen. Schau mal, wie schön diese Welt ist…
Ach, sind angekommen. Beerdigung. Er ist doch nicht aus dem Zug ausgestiegen.

Nichts wird von selbst geschehen. Man muss springen. Und was bedeutet — springen? Es bedeutet, sich innerlich bemühen, sich darauf verlassen und daran glauben, dass es noch etwas, außer dem, was das Leben im Sinne der persönlichen Geschichte gennant wird, gibt. Das muss wertvoll sein, damit es ins Zukunftsbild eingeschlossen wird. Es ist die Antwort auf alle «wie?».
Der Mensch sagt: ja, das ist sehr interessant. Besucht verschiedene Vorlesungen und Unterrichte, gibt dafür Geld aus, meditiert, fűhrt Rituale durch, aber nichts geschieht. Warum? Weil der Übergang auf eine qualitativ andere Daseinsebene in das Bild der Zukunft nicht eingeschlossen ist, und hat somit keinen Wert. Deshalb lieber nach dem Tod. Alles gute kommt nach dem Tod. Das bedeutet: «Stören Sie mich nicht so zu leben, wie ich jetzt lebe».

— Ich lebe tatsächlich furchtbar, ich lebe schrecklich. Und nach dem Tod werden wir uns mit der Geistigkeit beschäftigen. Das Dasein… Später. Zu erst muss ich eine Ausbildung bekommen, viel Geld verdienen. Haus, Familie, Kinder, Enkel. Einen guten Platz auf dem Friedhof besorgen, ein schönes Denkmal mir zu Eheren stellen, damit alle an mich denken. Und später…

Und wenn dieses «später» nicht kommt? Und wenn es das letzte und einzige Mal ist? Später werden Sie dort bummeln…

Eine Frau kommunizierte mit Stimmen, später kam zu ihr der himmlische Bräutigam — dieser Kontakt war wirklich real, man hat alles nachgeprüft, er hat ihr seine Biografie erzählt und man hat ihn im Archiv gefunden. Als Kind wurde er ins Kloster geschickt. Dort hat er sein ganzes Leben verbracht, ist dort gestorben. Jetzt baumelt er auf der zweiten Ebene als ein körperloses Wesen, seine Einmaligkeit nicht realisiert. Jetzt belästigt er diejenigen, die leben, um durch sie noch etwas zu schaffen.

Was möchten Sie denn?

Man muss sich vor allem im Charakter der eigenen Strebung zurechtfinden.
1. Wenn Sie dieses Ihr Leben vervollkommnen, verbessern wollen, dann brauchen Sie eine einfache konstruktive Psychologie. Das Wissen über die soziale Dynamik, die Rollenbesonderheiten des sozialen Verhaltens. Carnegie und andere. Sie werden deshalb wirksam handeln, weil Sie Ihren Kopf nicht mit solchen «Komplementärartikeln» wie Meditation vollstopfen werden. Das sind Komplementärartikel, die zum funktionalen Leben nicht vorbestimmt sind.
2. Wenn Sie das Dasein, die Einmaligkeit haben wollen, dann műssen Sie springen. Springen Sie vom Zug des mechanischen Lebens ab. Was auffallend ist, er fährt auch ohne Sie wunderbar. Von Ihnen hängt wirklich wenig ab, was dieses Leben angeht. Es sind soziale Bedingungen und Produktivkräfte.
Doch das Dasein ist ja Ihres. Und niemand wird es Ihnen geben, niemand hat es Ihnen genommen. Es ist Ihre persönliche Tat. Sie hängt nur von Ihnen ab, und von niemandem mehr, sogar von Gott hängt das nicht ab! Er hat alles schon gegeben! Das ist nicht etwas, was verdient oder erreicht sein muss und deshalb verschoben werden kann. Es ist heute, jetzt, bei jedem. Wenn Sie es nicht wollen, so ist es Ihr persönliches Ereignis, Ihre persönliche Beziehung zum Dasein.
Wenn Sie nicht abgesprungen sind, nicht dahin hereingetreten sind, was Ihnen gegeben ist — in diese gröβte Daseinsfülle, dann ist alles übrige, Kinder… In welch einer exotischen Verpackung es nicht steckt, wird es nicht helfen, weil die Zaumzűgel auch den Zaum hallten und das Leben spannt. Und bis Sie sich nicht auf seine Stelle setzen werden, wird dieser ganze Gespann dorthin rollen, wohin es dem Leben notwendig ist, und nicht dorthin, wohin Sie wollen. Dann kann man sagen: und wie ist es mit der Willensfreiheit? Man kann zu diesem Thema Konzeptionen erdenken. Was für eine Willensfreiheit, worüber ist hier die Rede? Im Dasein braucht man keine Konzeptionen, dort fühlst du sofort, dass du die Willensfreiheit hast, weil es dich dort gibt.
Sie sollen Kutscher sein, und das Leben — das Pferd, und es ist nicht die Frage einer sozialen Ausstattung. Es ist die Frage einer inneren Tat, eines inneren Durchlebens.
Das einzige technologische Glied, das mir gelungen ist zu formulieren, ist das, dass die ganze wirkliche Manipulation in der Gestalt der Zukunft besteht. Warum werden die Kinder, die mit den Eltern so stark kämpfen, mit der Zeit ihnen so ähnlich? Und machen dasselbe mit eigenen Kindern, vergessend, wie es ihnen selbst nicht gefiel? Weil die soziale Nachfolge gerade nach dem Zukunftsbild läuft. Das Bild stammt ja von der Mutter und dem Vater. Ein eigenes hat sich ja nicht gebildet. So kommt es zum berühmten: «Also, was wirst du hier machen? Nichts ist hier zu machen, so ist nun die Situation».

Wir bedürfen nur eines: sich selbst. Wir bedürfen des Mutes zu springen. Das ist es, was uns fehlt. Man hat uns so auf dieses Leben programmiert, dass der Sprung ins Dasein uns als Heldentat erscheint. Doch man braucht ja nichts anderes tun.

Doch immerhin ist das Leben und das Dasein miteinander verbunden, und der Mensch muss essen und trinken. Sie werden springen, und diese Bedürfnisse bleiben dennoch.
Sehr gut, aber das Leben hat dann einen anderen Geschmack. Zum Beispiel: man kann extra rohen Reis, rohe Karotten, rohes Fleisch, Öl, Zwiebeln, Knoblauch, Kümmel, Berberitze, Koriander, Pfeffer nehmen – und das so aufessen. Oder man kann Feuer anzünden, darauf einen Topf stellen, Öl erhitzen usw und daraus wird Pilaw. Ein anderer Geschmack!
Das Dasein ist dasselbe Feuer. Darauf kann man das lebendige Leben vorbereiten, das man leben kann. Ein anderer Geschmack. Doch leben muss man, selbstverständlich.
Erinnern Sie sich an den berühmten Ausspruch eines der Patriarchen: «Vor der Erleuchtung hackte er Brennholz und brachte Wasser, und nach der Erleuchtung hackte er Brennholz und brachte Wasser».
Selbstverständlich. «Liebe kommt und geht, doch essen möchte man immer». Doch der Geschmack…

Ich mochte vor einiger Zeit vor dem Publikum zu prahlen: ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte, ich kann alles, was ich können wollte, und ich weiß alles, was ich wissen wollte. Es ist reine Wahrheit. Man fragt mich:
— Was haben Sie denn erreicht?
Ich antworte:
— Ich fűhle, dass es mir gut und interessant zu leben ist, ich habe jetzt einen anderen Geschmack, das ist alles. Nichts besonderes… Ich kann keine Levitation, Ich kann keine Telekinese, und brauche es auch nicht. Warum? Ich fűhle mich auch so gut.
— Sind Sie in den freien Weltraum ausgestiegen?
— Nein.
— Und warum?
— Wir fűhlen uns hier gut.

Im Dasein muss man eine schonungslose Strebung, schonungslose Strebung zu sich selbst haben. Als auch die Verwandlung. Das Begreifen und die Verwandlung ist die Formel des Daseins. Das Begreifen und die Verwandlung, das eine ist ohne dem anderen nicht möglich. Und, natűrlich, die Fähigkeit und Notwendigkeit zu ertragen, durchsichtig für die Welt zu sein, sonst entwischt das Dasein. Am Anfang scheint es sehr schrecklich zu sein. Später geht es, du gewöhnst dich daran.
Im Dasein muss man durchsichtig sein. Was bedeutet das? Das bedeutet ganzheitlich zu sein. Verstehen Sie: alles, woraus ein Zaun entsteht, auf die dazu gehörige Stelle setzen und ganzheitlich, der Welt den Menschen, der Realität — der inneren und der äusserlichen Realität, und dem Leben — offen sein. Dann wird sich Ihnen offenbaren, dass sie eng miteinander verbunden sind. Es offenbaren sich viele schöne Dinge. Alles, was Sie mit solcher Begeisterung in den Büchern lesen, existiert gerade so, aber an einem anderen Ort.
Man kann das alles sich phantasieren lassen, prüfen kann man es jedoch nicht. Natürlich kann man sich etwas phantastisches erdenken, oder man kann sein. Und wenn Sie «sein» werden, so werden Sie nichts phantastisches brauchen, weil das Dasein so phantastisch ist, dass keine Phantastik sich damit vergleichen kann, und das alles ist es möglich zu objektivieren. Das lächerlichste ist, dass es möglich ist zu objektivieren und sogar mit streng wissenschaftlichen Methoden zu prüfen.
Das Leben wird einfach anders. Es sieht von jener Stelle anders aus. Sie stecken nicht darin, Sie sind darin nicht versiegelt. Sie sind im Dasein, Sie sehen es, und dann haben Sie ganz andere Möglichkeiten, als wenn Sie darin sitzen.
Doch jeder hat einen eigenen Weg, eigene Lebenserfahrung, — werden Sie widersprechen. Aber das ist Ihre Freiheit. Natürlich, ist es richtig, dass Sie einen eigenen Weg suchen. Deshalb ist die Praxis nötig. Das Begreifen und die Verwandlung sind ohne einer Praxis unmöglich. Wie Rajneesh sagte: «Damit die Erleuchtung geschieht, muss man sehr viel arbeiten, obwohl es nicht als Ergebnis dieser Arbeit geschieht, aber ohne der wird es niemals geschehen». Dazu ist Praxis und Realisierung eigener Phantasien nötig. Sonst werden Sie sich in die subjektive Realität vertiefen und die Resonanz zwischen der subjektiven und objektiven Realität verlieren.
Die Realisierung ist natürlich nötig. Das ist das schwerste. Wenige haben es gern. Man muss neun-zehn Jahre der Praxis widmen, damit eine Verwandlung geschieht.
Was ist das wichtigste auf dem geistigen Weg? Das Motiv der Bewegung auf dem geistigen Weg in jeder beliebigen Tradition ist die Begier zu lernen. Bis es solch eine Begier gibt, geht der Mensch diesen Weg. Fehlt sie, so bleibt er stehen. Ohne der Begier zu lernen, kann man weder den Stolz, noch das Selbst, noch den Wunsch, Sieger zu sein, besiegen. Wenn man Durst hat, fragt man nicht über die Wechselbeziehungen zwischen dem Dasein und dem Leben, man trinkt!
Wie lange ich die Menschen schon beobachte, ist die Begier zu lernen das schwierigste. Wenn der Mensch dreißig – fünfunddreißig ist, ist es so, als ob bei ihm etwas abstűrzt. Infolge des sozialen Drucks, des Programmierens. Diese Begier verschwindet, und sehr viele unterbrechen gerade in diesem Alter ihren Weg. Später erscheint er bei einigen wieder. Aber der Weg soll enden. Der Weg, der dich nirgendwohin bringt, ist kein Weg, es ist eine Illusion des Weges, eine Mystifikation.
Jetzt lasst uns den Begriff «Mystifikation» klären. Was meine ich unter der Mystifikation?

Vivekananda hat nach dem direkten Hinweis von Ramakrishna Anfang des XX Jahrhunderts eine kolossale Arbeit in Amerika und Europa durchgefűhrt, um Yoga von der Mystifikation zu enthűllen, in die sie die Engländer gehűllt haben. Und so hat er einen kolossalen Impuls einer realen Yoga-Tradition in Europa und Amerika gegeben.

Wie ich verstehe, existiert heute ein großer sozialer Auftrag, es gibt eine Menge Menschen, die ihn erfüllen und die Tradition der sowjetischen Manipulation über den Menschen, das heißt die Tradition der Unwissenheit als einer Politik, fortsetzen.
Deshalb beschäftigen sich sehr viele Menschen damit, das einfache, klare Wissen, die die Menschen brauchen — das elementare psychologische, praktische psychologische Wissen — in solcher Verpackung, so verkleidet auszugeben, dass die Menschen einfach nicht imstande sind sich damit selbst ohne einer Vorbereitung zurechtzufinden. Und ich bemühe mich, die einfachsten und genausten Worte zu finden, damit die Menschen einen Informiertheitsminimum haben. Damit sie weniger in die Hände von Scharlatanen geraten. Irgendein Minimum, um den Menschen zu helfen, aus der Position: «Machen Sie mit mir etwas» — hinauszusteigen.
Ich denke, dass die Unwissenheit als Politik das schrecklichste ist.
In diesem Sinn bemühe ich mich, alles zu machen, damit die Menschen mehr Möglichkeiten haben an reine Quellen zu gelangen, dazu, was wirklich, von vornherein Offenbarung genannt wurde. Und ich denke, dass jedenfalls viele meine Bekannte und Freunde aus anderen Traditionen und anderen Religionen mir da zustimmen und dasselbe tun.
Ich war immer, bin und ich werde ein Anhänger davon sein, dass die Gesellschaft, wenn sie sich menschlich entwickeln möchte, der Entwicklung der Aktivität des Subjektes, der Aktivität, und nicht der Passivität beitragen soll. Dann werden wir weniger krank sein, und unsere Beziehungen werden qualitativer, und wir werden mehr schaffen, und es wird uns interessanter zu leben.

LEBEN. LEBENDIG SEIN.

DAS BEDEUTET BIS MAN LEBT UNSTERBLICH ZU SEIN.

OHNE TOD.